Tuesday, May 03, 2011

TV-Sender über eigene Moderatorin: "politisch manipulierte Problemangestellte mit familiären Schwierigkeiten" - Art 8 EMRK-Verstoß

Was muss sich ein öffentlich-rechtlicher Rundfunkveranstalter von seinen Mitarbeitern an öffentlicher Kritik gefallen lassen und wie kann er selbst darauf reagieren? Darum ging es im Kern im heute vom EGMR entschiedenen Fall Sipoş gegen Rumänien (Appl. no. 26125/04).

Knapp zusammengefasst: die Beschwerdeführerin war Journalistin im rumänischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen und unter anderem Moderatorin einer Kultursendung; nach ihrer Ablösung als Moderatorin wandte sie sich an die Presse und machte dabei auch Anspielungen auf eine Wiedereinführung der Zensur. Die Rundfunkanstalt reagierte mit einer Presseaussendung, in der sie bedauerte, dass die Journalistin, deren Urteilsvermögen wahrscheinlich auf Grund ihres emotionalen Zustands, der durch bekannte familiäre Probleme gekennzeichnet sei, Opfer politischer Manipulation geworden sei. Außerdem sei sie im Sender zu einer Problemangestellten geworden, die interne Regeln ignoriere und Konflikte mit ihren Kollegen habe.

Die Journalistin stellte einen Strafantrag gegen die Verantwortlichen für die Presseaussendung, denen sie Beleidigung und Verleumdung vorwarf; das Verfahren führte zu keiner Verurteilung. Vor dem EGMR machte die Beschwerdeführerin geltend, Rumänien habe die Verpflichtung, ihr Privatleben zu schützen, missachtet.

Der EGMR stellte mit einer Mehrheit von 6:1 eine Verletzung des Art 8 EMRK fest (unter Hinweis vor allem auf die Fälle Pfeifer, von Hannover [="Caroline"] und Petrina). Der Sender habe sich natürlich gegen die Anschuldigung der Wiedereinführung der Zensur wehren können, sodass das Recht auf freie Meinungsäußerung in die Abwägung einzubeziehen war. Besonders berücksichtigte der EGMR, dass es sich nicht um eine spontane oder improvisierte Äußerung gehandelt habe, vielmehr sei die Pressemitteilung des Senders von einer spezialisierten Abteilung redigiert worden.
Die Pressemitteilung habe sich zwar gegen die Vorwürfe der Journalistin gewendet, aber sie habe sich nicht auf faktische Erklärungen beschränkt sondern Anschuldigungen, vor allem der politischen Manipulation, enthalten:
"Toutefois, la Cour note que le communiqué ne se limitait pas audit exposé ou à des explications purement factuelles, mais contenait également des affirmations visant notamment les manipulations politiques dont la requérante aurait été victime, ainsi que son état émotionnel, marqué notamment par des problèmes familiaux et créant des difficultés dans ses relations de travail."
Für die behauptete politische Manipulation gäbe es keine Anhaltspunkte; die Bezugnahme auf den emotionalen Zustand bedeute eine Offenlegung privater Umstände, für die es keinen Anlass gegeben habe. Vor diesem Hintergrund hat Rumänien die positive Verpflichtung des Staates, den guten Ruf und den Schutz des Privatlebens der Beschwerdeführerin zu garantieren, nicht erfüllt.

Die abweichende Meinung des niederländischen Richters Myjer verweist darauf, dass der Beschwerdeführerin auch ein zivilrechtliches Vorgehen gegen die Verantwortlichen möglich gewesen wäre, sodass möglicherweise nicht einmal eine Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsmittel vorgelegen sei; jedenfalls aber würde das Unterbleiben einer strafrechtlichen Sanktionierung der Verantwortlichen für die Pressemitteilung, wenn auch ein zivilrechtlicher Schadenersatzanspruch in Frage gekommen wäre, nicht für die Feststellung einer Verletzung des Art 8 EMRK ausreichen.

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