Die Durchsuchungs- und Sicherstellungsanordnung der Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft, in der u.a. der (mittlerweile Ex-)Bundeskanzler, sein Pressesprecher, sein "Kanzlerbeauftragter für Medien" sowie Helmuth und Wolfgang Fellner verschiedener strafbarer Handlungen verdächtigt werden (es gilt die Unschuldsvermutung), enthält auch Hinweise darauf, dass es zu den "Inserate- und Medienkooperationsvereinbarungen" des Finanzministeriums mit der Mediengruppe "Österreich" GmbH eine Nebenabrede gegeben habe, wonach "aus sachfremden und nicht im Interesse des BMF gelegenen Gründen ... im Gegenzug für die aufgrund ... von Inseratenaufträgen durch das BMF geleisteten Zahlungen - zusätzlich zu den für die Verschleierung der Tathandlungen erforderlichen gekennzeichneten Schaltungen - ... vorgegebene redaktionelle Inhalte ... veröffentlicht werden".
Mit anderen Worten: redaktionelle Berichterstattung nach Wunsch im Gegenzug gegen Werbebuchungen, oder "wer schaltet, schafft an." In diese Richtung konnte man ja schon eine frühere Äußerung des Nationalratspräsidenten verstehen, der in einem Interview zu Wolfgang Fellner sagte: "Sie kennen des G'schäft jo: für's Inserat gibt's a Gegeng'schäft, oder?" (Video). Und auch der (Ex-)Bundeskanzler sagte im ZIB2-Interview mit Martin Thür am 7.10.2021 auf die Frage, ob es eine Gegenleistung für die Schaltung von Inseraten durch das BMF gab: "ich hoffe sehr, dass es eine Gegenleistung gab, nämlich Berichterstattung und ein Inserat, das ist nämlich der Preis, den man bezahlt" (Video, bei ca. 14:10). Sollte das kein Versprecher gewesen sein, würde es auch ein Verständnis nahelegen, dass die gewünschte Berichterstattung Teil des "Deals" bei einer Inseratenschaltung ist.
Auch abseits des Strafrechts (und - für die involvierten öffentlich Bediensteten - des Dienst- bzw. Disziplinarrechts), das mich hier nicht weiter interessiert, ist dieses Verständnis von "Medienkooperationen" rechtlich problematisch, um es vorsichtig auszudrücken. Dazu ein paar Anmerkungen.
1. Für "Regierungswerbung" gibt es gesetzliche Vorgaben.
Entgeltliche Veröffentlichungen von Rechtsträgern, die der Rechnungshofkontrolle unterliegen, müssen den inhaltlichen Anforderungen des Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetzes (MedKF-TG) entsprechen. § 3a MedKF-TG verlangt unter anderem, dass solche entgeltlichen Veröffentlichungen "ausschließlich der Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses der Allgemeinheit zu dienen [haben], das in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Wirkungsbereich des jeweiligen Rechtsträgers steht. Darunter fallen insbesondere Informationen zur Rechtslage sowie Handlungs- oder Verhaltensempfehlungen und Sachinformationen. Audiovisuelle Kommunikation oder entgeltliche Veröffentlichungen, die keinen konkreten Bezug zur Deckung eines Informationsbedürfnisses aufweisen und ausschließlich oder teilweise lediglich der Vermarktung der Tätigkeit des Rechtsträgers dienen, sind unzulässig."
Für den Bund enthalten die "Richtlinien über Ausgestaltung und Inhalt entgeltlicher Veröffentlichungen von Rechtsträgern des Bundes" nähere Vorgaben, insbesondere muss der Auftragnehmer vertraglich zur eindeutigen Kennzeichnung als entgeltliche Einschaltung verpflichtet werden. Außerdem ist "die ausschließliche oder auch nur teilweise Vermarktung der Tätigkeit eines Rechtsträgers untersagt". Eine solche Vermarktung liegt nach den Richtlinien insbesondere dann vor, "wenn die Veröffentlichung überwiegend der Imagepflege des Rechtsträgers dient."
Redaktionelle Berichterstattung, die als Gegenleistung für die Schaltung von Inseraten erfolgt, ist eine entgeltliche Veröffentlichung; sie wäre daher (medienrechtlich nach § 26 Mediengesetz) zu kennzeichnen, und sie verstößt schon deshalb, weil eine Verpflichtung zur Kennzeichnung offensichtlich nicht Teil des Auftrags war, auch gegen das MedKF-TG. Im übrigen wird eine derartige gekaufte Berichterstattung in der Regel auch die inhaltlichen Kriterien nach dem MedKF-TG (Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses, Rechts- oder Sachinformation oder Handlungs- oder Verhaltensempfehlung) nicht erfüllen.
Für den Fall der Verletzung der inhaltlichen Anforderungen des MedKF-TG sieht dieses Gesetz keine Sanktion vor, insbesondere auch keine Verwaltungsstrafe oder Geldbuße. Das ändert freilich nichts daran, dass eine "gekaufte Berichterstattung" eines öffentlichen Rechtsträgers, etwa des Bundes (zB vertreten durch das BMF), nach diesem Gesetz rechtswidrig ist.
2. Die öffentliche Hand ist auch bei der Schaltung von Inseraten zur Gleichbehandlung verpflichtet.
Demnach ist die öffentliche Hand aufgrund der Grundrechtebindung zur Gleichbehandlung von Wirtschaftsteilnehmern verpflichtet und darf diese nicht unsachlich bevorzugen oder benachteiligen.
Eine privatwirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand unterliegt auch dann, wenn die öffentliche Hand damit überwiegende öffentliche Zielsetzungen verfolgt bzw. als reine Nachfragerin tätig ist, insoweit der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle, als sie die Grenze des Gleichbehandlungsgebots überschreitet und einzelne Wirtschaftsteilnehmer unsachlich bevorzugt.
Mit anderen Worten: die öffentliche Hand darf bei der Schaltung von Inseraten die Anbieter (Medien) nicht aus unsachlichen Gründen ungleich behandeln. Natürlich ist es schwierig abzugrenzen, wann eine unzulässige Ungleichbehandlung vorliegt und wann eine Differenzierung aus sachlichen Gründen. Wenn man Landwirt*innen mit Informationen zu Agrarförderungen erreichen will, wird man zulässigerweise eine Stadtzeitung anders behandeln können (und müssen) als eine Fachzeitschrift für die Landwirtschaft. Eine unzulässige Ungleichbehandlung liegt aber jedenfalls vor, wenn Anzahl oder Umfang der in einem bestimmten Medium geschalteten Werbung der öffentlichen Hand nicht von der gewünschten Reichweite oder Zielgruppe abhängig ist, sondern von Kriterien, die nichts mit dem nach § 3a Abs. 1 MedKF-TG gesetzlich einzig zulässigen Ziel - Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses der Allgemeinheit - zu tun haben. Das wäre zB dann der Fall, wenn Inseratenschaltungen in Abhängigkeit von (positiver oder negativer) Berichterstattung der Medien erfolgten, und natürlich insbesondere dann, wenn ein bestimmter Inhalt oder eine bestimmte Art der Berichterstattung sogar als Nebenabrede zum Vertrag über die Inseratenschaltung vereinbart würde.
Würde der Bund Inserate an eine bestimmte Berichterstattung binden, würde er nicht nur rechtswidrig handeln (einerseits nach dem MedKF-TG, andererseits wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Gleichbehandlung), sondern damit auch unlauter fremden Wettbewerb fördern. Er könnte daher gegebenenfalls von anderen Medien auf Unterlassung und - bei Verschulden - auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden.
3. (Exkurs) Inserate als Medienförderung wären rechtswidrig.
Andy Kaltenbrunner kommt in seiner Studie "Scheinbar transparent II", einer Analyse der Inserate der Bundesregierung in Österreichs Tageszeitungen und der Presse- und Rundfunkförderung im Pandemiejahr 2020, u.a. zu folgendem Befund: "Das im Corona-Jahr 2020 in historischer Rekordhöhe dotierte Werbebudget der Bundesregierung diente nicht nur der Information der BürgerInnen, sondern auch als indirekte Medienförderung."
Wie schon erwähnt, müssen jedoch entgeltliche Veröffentlichungen von Rechtsträgern, die der Rechnungshofkontrolle unterliegen, ausschließlich der Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses der Allgemeinheit dienen, das in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Wirkungsbereich des jeweiligen Rechtsträgers steht (§ 3a Abs. 1 MedKF-TG). Würde man als Vertreter*in der öffentlichen Hand also tatsächlich Inserate aus anderen Erwägungen als zur Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses schalten, etwa auch zum Zweck der indirekten Medienförderung, wäre dies rechtswidrig. (Strafrechtliche Fragen klammere ich auch hier aus.)
4. Einflussnahme auf redaktionelle Inhalte widerspricht der Medienethik
Als Außenstehender "auf Inhalt oder Form eines redaktionellen Beitrags" Einfluss zu nehmen, ist unzulässig, sagt der Ehrenkodex für die österreichische Presse. Dieser Ehrenkodex ist freilich kein Gesetz, und schon gar nicht kann er die darin angesprochenen "Außenstehenden" binden. Aber er enthält jedenfalls eine klare Botschaft, deren Einhaltung man sich insbesondere auch von Vertreter*innen der öffentlichen Hand erwarten dürfte.
5. Was tun?
Der Verdacht, dass jedenfalls in der Vergangenheit Inseratenschaltungen des Finanzministeriums nicht ausschließlich von sachlich nach dem MedKF-TG zulässigen Erwägungen geleitet gewesen sein könnten, liegt mit der inzwischen öffentlich bekannten Durchsuchungsanordnung auf dem Tisch. Der aktuelle Bundesminister für Finanzen hat immerhin schon angekündigt, dass die interne Revision des BMF, mit Unterstützung der Finanzprokuratur, die Sache prüfen wird. Außerdem wurde von Oppositionsparteien ein Untersuchungsausschuss angekündigt, mit noch unklarem Auftrag.
Aus meiner Sicht wäre es - neben der straf- und dienstrechtlichen Aufarbeitung der konkreten Verdachtsfälle - geboten, die Frage der "Inseratenpolitik" im Verhältnis zur regulären Medienförderung grundsätzlich zu überdenken (siehe dazu zB auch den "Kommentar der anderen" von Sebastian Loudon auf derstandard.at).
Aber daneben wäre es auch angebracht, sich der Frage nach möglichen "dunklen Flecken" in der "Inseratenpolitik" der Bundesministerien grundsätzlicher zu stellen. Wünschenswert wäre - wie auch bei der Aufarbeitung dunkler Flecken in anderem Zusammenhang - eine umfassende interdisziplinäre Aufarbeitung, bei der den Forschenden voller Zugang zu allen relevanten Akten/Informationen der Ministerien gewährt wird, und bei der quantitativ und qualitativ ein möglicher Zusammenhang zwischen Inseratenschaltung und Inhalten der Berichterstattung geprüft wird. Ich bin sicher, dass ein Team von Medienökonom*innen, Publizist*innen, Politikwissenschaftler*innen und Jurist*innen hier eine spannende Aufgabe von hohem öffentlichen Interesse finden würde. Eine solche Aufarbeitung wäre meines Erachtens auch eine mögliche fachliche Grundlage für eine allfällige politische Aufarbeitung in einem Untersuchungsausschuss. Nur einen U-Ausschuss einzusetzen allein wird nämlich nicht reichen, um zu belastbaren, wissenschaftlich gesicherten Fakten über die Inseratenpolitik zu kommen.
6. (Als PS) Auch sanktionslose Gesetze sollten eingehalten werden
Das MedKF-TG enthält für Verstöße gegen die inhaltlichen Anforderungen an "Regierungswerbung" keine Sanktionen. Wie meist bei Gesetzen, die sich an Vertreter*innen öffentlicher Rechtsträger richten, geht man davon aus, dass Gesetze schon deshalb eingehalten werden, weil es sie eben gibt.
Das erinnert ein wenig an die Antwort von George Mallory auf die Frage, warum er den Mount Everest besteigen wolle: "Because it's there".
Nun ist die schlichte Einhaltung eines Gesetzes keine Aufgabe, die mit der Besteigung eines Achttausenders vergleichbar wäre, aber bei der Beobachtung jüngerer Entwicklungen würde ich mir gelegentlich mehr von diesem Spirit wünschen - ein Gesetz nicht erst einhalten, wenn man Sanktionen befürchten muss, sondern schlicht: "because it's there".
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tl;dr: selektive Inseratenvergabe, gekoppelt an inhaltliche Berichterstattung, ist rechtswidrig und unlauter. Eine umfassende interdisziplinäre Aufarbeitung der Inseratenpolitik des Bundes (und wenn wir schon dabei sind: auch der Länder) wäre notwendig.