Friday, May 31, 2013

Reform des Telekom-Rechtsrahmens: Abschaffung der Roamingentgelte, dafür Einführung des Regulatory Forum Shopping?

Kommissions-Vizepräsidentin Neelie Kroes will den europäischen Telekom-Rechtsrahmen wieder reformieren. Ihr Zeitplan ist ambitioniert, zumal es bislang noch keine Entwürfe der Kommission gibt und sich die Beschlussfassung durch Parlament und Rat trotzdem bis Ostern 2014 (= vor der Europawahl) ausgehen soll. Die Vorschläge der Kommission sind für Juli oder August angekündigt, die Präsentation im Rat ist für Oktober vorgesehen. Das "Verkaufsargument" von Kroes vor allem für das Parlament ist dabei die von ihr gewünschte vollständige Abschaffung der Roamingentgelte - würde das noch vor der EU-Wahl beschlossen, wäre es jedenfalls eine populäre Maßnahme, mit der - wie schon bei der Roaming-Verordnung - im Wahlkampf gute Stimmung für Europa gemacht werden könnte.

Einen Vorgeschmack auf die PR-Offensive gibt die Rede von Kroes vom 30.05.2013 vor dem Binnenmarkt- und Verbraucherschutzausschuss des Parlaments, in dem sie neben dem Ende der Roaming-Entgelte auch eine Garantie für Netzneutralität ankündigt (was auch immer sie derzeit darunter verstehen mag, zumal sie bisher eine Verpflichtung zur Netzneutralität dezidiert abgelehnt hat, zB hier).

Schwerpunkt der Änderungen dürfte aber eine allgemeine Rücknahme der Regulierung sein, wobei als Hebel vor allem die Sitzstaatskontrolle dienen soll: Telekomunternehmen sollen nur mehr einer nationalen Regulierungsbehörde unterliegen, auch wenn sie europaweit tätig sind. Das eröffnet natürlich ein "regulatory forum shopping", also die Suche nach dem Mitgliedstaat mit dem niedrigst möglichen Regulierungsniveau, in dem dann der formale Hauptsitz des Unternehmens sein wird. Wie erfolgreich solche Konzepte sind, kann man derzeit schon im Bereich des Datenschutzes sehen, wo sich etwa facebook wohl nicht ganz zufällig Irland als EU-Niederlassungsort ausgesucht hat.*)

Etwas positiver gewendet kann man natürlich - wie derzeit die deutsche Bundesnetzagentur in ihren Auseinandersetzungen mit der Kommission zu dem von der BNetzA abgelehnten BU-LRIC-Kostenmodell - auch von einem "Wettbewerb der Regulierungssysteme" sprechen (wenn ich es richtig sehe, dürfte diese Begriffsverwendung auf Justus Haucap zurückgehen, etwa in diesem gemeinsam mit Michael Coenen verfassten Papier; siehe auch die Stellungnahme des "Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Regulierungsfragen" der Bundesnetzagentur zur "Fortentwicklung des Regulierungsverbunds").

Mit dem nun angekündigten Reformpaket soll schließlich auch die Frequenzverwaltung europäisiert werden. Die Kommission versucht ja seit langem, mehr Gewicht in der Frequenzpolitik zu gewinnen, und so ist es nur folgerichtig, wenn nun auch eine Vereinheitlichung der Frequenzzuweisung angestrebt wird. Gewissermaßen im Windschatten populärer Maßnahmen wie der Abschaffung der Roamingentgelte könnte der Widerstand der Mitgliedstaaten in diesem Bereich wohl leichter gebrochen werden.

Vorerst aber gibt es erst einmal eine Interview- und Rede-Offensive der Kommissarin, und es ist noch keineswegs ausgemacht, dass sich eine substantielle Reform des Rechtsrahmens tatsächlich noch vor der Europawahl ausgehen wird.

Update 12.09.2013: nun liegt der Kommissionsvorschlag auf dem Tisch - siehe im Blog hier!
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*) Ein eher skurriles Beispiel für regulatory forum shopping und die Folgen ist derzeit in Deutschland zu beobachten: dort klagen zwei Landesmedienanstalten die Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein, weil diese der ProSiebenSat.1 TV Deutschland GmbH eine neue Lizenz erteilt hat (und die anderen Medienanstalten offenbar der Ansicht sind, dass sich das Rundfunkunternehmen einfach eine weniger strenge Aufsichtsbehörde ausgesucht hat; siehe diesen Bericht auf heise.de vor der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Schleswig, die Pressemitteilung der Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein nach der Verhandlung und die satirische Auseinandersetzung damit auf ulmen.tv: Der große Fernsehblog-Test: Wie werd ich Medienwächter?)

Thursday, May 30, 2013

Vorratsdatenspeicherung: EuGH verurteilt Schweden zu 3 Mio. € Bußgeld

Der EuGH hat heute in der Rechtssache C-270/11 Kommission / Schweden das Königreich Schweden zu einem Pauschalbetrag von 3 Mio. Euro verurteilt, weil die Richtlinie  2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten auch nach dem Urteil C-185/09 Kommission / Schweden (Feststellung der Vertragsverletzung wegen Nichtumsetzung der Richtlinie) erst verspätet umgesetzt wurde (siehe auch die Pressemitteilung des EuGH).

Die Kommission hatte Schweden nach dem Urteil zur Umsetzung aufgefordert, Schweden war dem nicht fristgerecht nachgekommen, sondern hatte erst (nach Klagseinbringung) mit 1. Mai 2012 die erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen getroffen.

Für die Bemessung des Pauschalbetrages ist unter anderem die Schwere des Verstoßes und der Zeitraum, in dem die beanstandete Vertragsverletzung seit dem Urteil, mit dem sie festgestellt wurde, fortbestanden hat, zu berücksichtigen. Der EuGH hält zur Schwere des Verstoßes fest, dass sich die Richtlinie 2006/24 auf die Tätigkeiten der Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste im Binnenmarkt bezieht und dass der Unionsgesetzgeber durch den Erlass von Harmonisierungsvorschriften auf dem Gebiet der Datenvorratsspeicherung das Ziel der Förderung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts verfolgt (RNr 47). Interessant ist, dass der EuGH ausdrücklich hervorhebt, dass die RL bestrebt sei, die Grundrechte der Bürger zu wahren (wobei er freilich in diesem Verfahren nicht prüft, ob dies tatsächlich erfolgt):
48   Im Wege der mit ihr vorgenommenen Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften soll die Richtlinie 2006/24, wie aus ihrem Art. 1 Abs. 1 hervorgeht, sicherstellen, dass Daten der elektronischen Kommunikation zum Zweck der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten, wie sie von jedem Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht bestimmt werden, zur Verfügung stehen. Darüber hinaus ist dem 22. Erwägungsgrund dieser Richtlinie zu entnehmen, dass sie insbesondere bestrebt ist, die volle Wahrung der Grundrechte der Bürger auf Achtung des Privatlebens und ihrer Kommunikation sowie auf Schutz personenbezogener Daten gemäß den Art. 7 und 8 der Charta zu gewährleisten.
49   In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass die Verletzung der Pflicht zur Umsetzung einer solchen Richtlinie das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu beeinträchtigen droht. Eine solche Pflichtverletzung weist daher einen gewissen Schweregrad auf, und zwar unabhängig davon, welches Maß an Harmonisierung mit der Richtlinie 2006/24 vorgenommen wird. [Hervorhebung hinzugefügt]
Dass die nationale Umsetzung auf außergewöhnliche interne Schwierigkeiten gestoßen ist, spielt für den EuGH keine Rolle:  
54   Was die vom Königreich Schweden eingenommene Haltung zu seinen Verpflichtungen aus der Richtlinie 2006/24 betrifft, können die von ihm geltend gemachten Rechtfertigungsgründe, wonach der Verzug bei der Durchführung dieses Urteils auf außergewöhnliche interne Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Besonderheiten des Gesetzgebungsverfahrens, mit einer breiten politischen Debatte über die Umsetzung der Richtlinie 2006/24 und mit Problemen infolge schwieriger Abwägungen, um den Schutz des Privatlebens mit dem Erfordernis einer effektiven Kriminalitätsbekämpfung zum Ausgleich zu bringen, zurückzuführen sei, keinen Erfolg haben. Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der aus dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen [...].
Erschwerend wirkte noch, dass die Vertragsverletzung fast 27 Monate angedauert hat; mildernd wurde beurteilt, dass die Komission die behauptete Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt für Telekommunikationsdienste nicht belegt hat und dass Schweden zuvor noch nie versäumt hat, ein nach Art. 258 AEUV ergangenes Urteil des Gerichtshofs durchzuführen.

Beim EuGH ist noch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Nichtumsetzung der Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten anhängig (C-329/12 Kommission / Deutschland), in dem die Richtlinie ebenfalls nicht inhaltlich beurteilt werden dürfte (siehe schon das Urteil im Fall C-189/09 Kommission / Österreich, im Blog dazu hier).

Die spannendere inhaltliche Prüfung der Richtlinie steht dann in den folgenden Fällen an:

EGMR zur "Gerüchtsberichterstattung": Art 10 EMRK ist kein Freibrief für die Verbreitung unbegründeter Gerüchte

Die Verurteilung von Zeitungsherausgebern und Journalisten wegen übler Nachrede prüft der EGMR stets besonders genau "im Kontext der zentralen Rolle der Presse für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft" (siehe die Fälle Lingens und Sürek). Wer aber bloße "Gerüchtsberichterstattung" ohne jegliche Faktenbasis betreibt, kann sich nicht erfolgreich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK berufen, wie das heutige Urteil des EGMR im Fall OOO ‘Vesti’ and Ukhov gegen Russland (Appl. no. 21724/03) wieder einmal zeigt.

Der Fall ist wenig spektakulär und rechtfertigt ein eigenes Blogpost nur im Hinblick auf einen Nebenaspekt, der aber nicht Art 10 EMRK, sondern das Recht auf Entscheidung durch ein unparteiliches Gericht nach Art 6 Abs 1 EMRK betrifft (siehe dazu ganz unten). Zunächst aber zum Ausgangsverfahren:

Zum Ausgangssachverhalt
In einem Artikel der Zeitung Gubernskie Vesti, Kirov, wurde über eine Pressekonferenz des Obersten Bundesinspektors für die Region Kirov berichtet, in der es um das Projekt "Kirov, Kulturhauptstadt der Wolga-Region" ging. Der Bundesinspektor hatte dabei den Unwillen der lokalen Wirtschaft zur Unterstützung des Projekts kritisiert. Im Artikel wurde angemerkt, dass einige Geschäftsleute gegenüber dem Verfasser des Artikels mitgeteilt hätten, sie seien vom Büro des Bundesinspektors mit "Angeboten" zum Sponsoring belästigt worden; sie hätten aber nicht mitwirken wollen, weil der Bundesinspektor zu tief in politische Spielchen involviert sei, an denen sie nicht teilnehmen wollten. Andere seien besorgt gewesen, dass ihr Geld für Geliebte des Geldeintreibers verschwendet und nicht für Kulturereignisse ausgegeben würde.

Der Bundesinspektor klagte wegen übler Nachrede und gewann sowohl gegenüber dem Herausgeber der Zeitung als auch gegenüber dem Verfasser des Artikels. Der Zeitungsherausgeber wurde zur Veröffentlichung eines Widerrufs und zu Schadenersatz für den immateriellen Schaden in der Höhe von rund 650 € verurteilt, der Journalist zu rund 80 €.

Keine Verletzung des Artikel 10 EMRK
Sowohl der Herausgeber als auch der Journalist beschwerten sich beim EGMR. Unstrittig lag ein Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung vor. Strittig war aber schon, ob im nationalen Verfahren der richtige Herausgeber "erwischt" worden war, was der EGMR bejahte, und ob eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Anordnung des Widerrufs gegeben war, was der EGMR ebenfalls - unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung (Kazakov) - bejahte.

Zur Frage der Notwendigkeit des Eingriffs in einer demokratischen Gesellschaft verwies der EGMR zunächst auf die zentrale Rolle der Presse, auf den Umstand, dass der Kläger im nationalen Verfahren (Bundesinspektor) Beamter war, der in seiner öffentlichen Funktion mehr an Kritik aushalten muss (vergleiche den Fall Thoma), und schließlich darauf, dass der Vorwurf der Unterschlagung öffentlicher Gelder eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses ist, sodass grundsätzlich wenig Raum für eine Einschränkung der Debatte über eine Angelegenheit bleibt (siehe den Fall Feldek).

Allerdings müssen Journalisten auch in gutem Glauben und auf einer genauen Tatsachenbasis handeln und verlässliche und genaue Information in Übereinstimmung mit journalistischer Ethik bereitstellen ("acting in good faith and on an accurate factual basis and provide 'reliable and precise' information in accordance with the ethics of journalism").

Die Beschwerdeführer meinten zwar, dass der Hinweis auf das Verschwenden des Geldes für Geliebte auf einen (anderen) Geldeintreiber ("collector of funds") gemünzt gewesen sei, zumal der Bundesinspektor nicht zuständig sei, Gelder für das Sponsoring einzuheben. Der EGMR konnte jedoch der Beurteilung der nationalen Gerichte folgen, dass für Leser des Artikels der Eindruck entstand, dass mit dem Geldeintreiber der Bundesinspektor gemeint war, dem damit vorgeworfen wurde, öffentliche Gelder für seine Geliebte auszugeben (tatsächlich hatten auch andere Zeitungen den Artikel in dieser Weise verstanden).

Der EGMR kritisierte zwar, dass die nationalen Gerichte sich nicht dazu geäußert hatten, ob es sich dabei um eine Tatsachenmitteilung oder ein Werturteil handelte, für das Ergebnis macht das aber keinen Unterschied: auch Werturteile müssen auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhen (siehe den Fall Jerusalem). Die Beschwerdeführer hatten nie versucht, eine ausreichend genaue und verlässliche Tatsachengrundlage für ihren Vorwurf, dass der Bundesinspektor Geliebte habe und öffentliche Gelder für sie aufwende, unter Beweis zu stellen. Der Journalist hatte die ihm angeblich von (ungenannten) Geschäftsleuten mitgeteilten Gerüchte auch nie zu verifizieren versucht. Auch "public fugures" können erwarten, gegen die Verbreitung unbegründeter Gerüchte über ihr Privatleben geschützt zu werden (der EGMR verweist dazu auf das Urteil Standard Verlags GmbH [Nr 2], wo ein Artikel mit der Überschrift "ein bürgerliches Gerücht" zu beurteilen war, in dem über angebliche Eheprobleme des damaligen österreichischen Staatsoberhaupts berichtet wurde). Damit hatten die Beschwerdeführer die Grenzen eines verantwortungsvollen Journalismus überschritten, sodass die Verurteilung wegen übler Nachrede keine Verletzung des Art 10 EMRK darstellte.

Unparteilichkeit des Gerichts
Eine interessante Frage stellte sich zur Unparteilichkeit des Gerichts: Da der Artikelverfasser in der Zeitung nicht genannt war, wurde das nationale Verfahren zunächst nur gegen den Herausgeber geführt. Erst nachdem der Journalist sich geoutet hatte, leitete der selbe Richter, der das Verfahren gegen den Herausgeber geführt hatte, auch das Verfahren gegen den Journalisten ein, wobei er in diesem Fall nicht als Einzelrichter, sondern als Vorsitzender eines Senates (dem außer ihm zwei Laienrichter angehörten) führte. Der EGMR räumt ein, dass unter diesen Umständen Zweifel an der Unabhängigkeit des Richters entstehen könnten.

Zur Beurteilung, ob diese Zweifel objektiv gerechtfertigt wären, müssen die Umstände des Einzelfalls geprüft werden. Dazu untersuchte der EGMR die Funktion des Richters in beiden Verfahren, weiters ob sich im Urteil gegen den Herausgeber Äußerungen betreffend den Journalisten finden, und schließlich ob im Verfahren gegen den Journalisten die Sache unter Zugrundelegung vom Journalisten vorgelegter Beweise neu beurteilt wurde. Der EGMR kam zum Ergebnis, dass das Zweiturteil keine Hinweis auf das erste Urteil enthielt, dass der Richter auch nicht an das erste Urteil gebunden war und dass im zweiten Verfahren eine neue Beweisaufnahme im kontradiktorischen Verfahren erfolgt war und der Richter die Sache neu beurteilt hatte. Es handelte sich auch um einen Berufsrichter, der über die notwendige Erfahrung und Ausbildung verfügte, und schließlich wurde die zweite Entscheidung auch in einer anderen Formation getroffen (Senat mit zusätzlich zwei Laienrichtern, deren Unbefangenheit nicht in Zweifel gezogen worden war). Unter diesen Umständen lag keine Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK vor.

Friday, May 10, 2013

Verfahren nach Artikel 7a Rahmenrichtlinie: wie sich die Europäische Kommission bei den österreichischen Regulierungsbehörden verirrt

Die Europäische Kommission hat in der Telekom-Regulierung Einiges mitzureden: bei der Bestimmung der relevanten Märkte und der Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht hat die Kommission nach Artikel 7 RahmenRL ("Konsolidierung des Binnenmarkts für die elektronische Kommunikation") de facto ein Vetorecht gegen Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden. Und auch wenn die Regulierungsbehörden den Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht spezifische Verpflichtungen ("remedies") nach der ZugangsRL oder der UniversaldienstRL auferlegen, kann die Kommission nach dem "Verfahren zur einheitlichen Anwendung von Abhilfemaßnahmen" (Artikel 7a RahmenRL) eingreifen.

Serious Doubts und die Folgen bei Entscheidungen über "Remedies"
Bei Entscheidungen über "remedies" hat die Kommission zwar kein echtes Vetorecht, aber sie kann den Maßnahmenentwurf einer nationalen Regulierungsbehörde zumindest für drei Monate aufhalten, um in dieser Zeit gemeinsam mit BEREC*) und der betreffenden nationalen Regulierungsbe­hörde "die am besten geeignete und wirksamste Maßnahme im Hinblick auf die Ziele des Artikels 8 [RahmenRL] zu ermitteln, wobei die Ansichten der Marktteilnehmer und die Notwendigkeit, eine einheit­liche Regulierungspraxis zu entwickeln, berücksichtigt werden."

Dieses "Aussetzen" einer Maßnahme, wie es die Kommission gern bezeichnet, erfolgt durch den sogenannten "serious doubts letter", einer Mitteilung an die nationale Regulierungsbehörde und an BEREC innerhalb eines Monats nach Notifizierung des Maßnahmenentwurfs. Darin teilt die Kommission mit, "warum sie der Auffassung ist, dass der Maßnahmenentwurf ein Hemmnis für den Binnen­markt darstellen würde, oder warum sie erhebliche Zweifel an dessen Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht hat."

Das - im Detail etwas unübersichtliche - Verfahren endet dann entweder mit Zurückziehung des Maßnahmenentwurfs durch die Regulierungsbehörde (oder Abänderung im Sinne der Bedenken der Kommission) oder mit einer Empfehlung der Kommission an die Regulierungsbehörde, den Maßnahmenentwurf zurückzuziehen oder zu ändern. Theoretisch könnte das Verfahren auch dadurch enden, dass die Kommission ihre Bedenken zurückzieht - das ist freilich noch nie vorgekommen und es hat nicht den Anschein, als würde die Kommission diese Option ernsthaft überhaupt in Erwägung ziehen.

Beispiele aus den Niederlanden und Deutschland
Die Möglichkeiten und Grenzen der Kommission im Verfahren nach Art 7a RahmenRL werden erst langsam ausgetestet: als die niederländische Regulierungsbehörde bei der Regulierung der Mobilterminierungsentgelte entgegen der abschließenden Empfehlung der Kommission bei ihrem Maßnahmenentwurf blieb (Verfahren NL/2012/1285**), Beschluss der Kommission mit der Empfehlung, die Maßnahme zu ändern oder zurückzuziehen [siehe auch zum vorangegangene Verfahren NL/2010/1080 den Comments letter der Kommission]), um einer nationalen Gerichtsentscheidung Rechnung zu tragen, stellte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren in den Raum (die Situation dürfte mittlerweile bereinigt sein, weil die neue niederländische Regulierungsbehörde nun in der nächsten Marktanalyserunde den Bedenken der Kommission Rechnung tragen will, siehe den Konsultationsentwurf [in niederländischer Sprache]).

Eine weitere interessante Zuspitzung zeichnet sich gerade - ebenfalls bei der Mobilterminierung - in einem Verfahren betreffend einen Maßnahmenentwurf der deutschen Regulierungsbehörde ab (Verfahren DE/2013/1424; ZIP-Ordner der Maßnahmenentwürfe; "serious doubts letter"; siehe dazu die Pressemitteilung der Kommission [die Links in der Pressemitteilung gehen ins Leere]; siehe auch die BEREC-Stellungnahme). Die deutsche Bundesnetzagentur macht jedenfalls derzeit offenbar keine Anstalten, den Bedenken der Kommission Rechnung zu tragen, und die üblichen juristischen Auftragsgutachter der Branchen haben sich auch schon in Stellung gebracht (so etwa Christian Koenig, in Kommunikation & Recht 4/2013). Vielleicht wird schließlich der EuGH einmal Gelegenheit bekommen, zur Frage Stellung zu nehmen, wie weit die nationalen Regulierungsbehörden ihre Entscheidungen über Abhilfemaßnahmen tatsächlich "unter der Kontrolle der Kommission" treffen, wie dies Generalanwalt Pedro Cruz Villalón jüngst in RNr 72 seiner Schlussanträge in der Rechtssache C-518/11 UPC Nederland gemeint hat (siehe dazu im Blog hier).

Serious Doubts zum österreichischen Mietleitungs-Maßnahmenentwurf
Nun hat die Kommission jedenfalls einen "serious doubts letter" auch nach Österreich gerichtet, und zwar im Verfahren AT/2013/1442 betreffend den Vorleistungsmarkt für Abschluss-Segmente von Mietleitungen (wie üblich gibt es dazu auch eine Pressemitteilung und eine Einladung zur Stellungnahme an Marktteilnehmer). Formal handelt es sich bei dieser Mitteilung um einen Beschluss der Kommission, und solche Beschlüsse sind - gemäß Art 288 AEUV - "in allen ihren Teilen verbindlich. Sind sie an bestimmte Adressaten gerichtet, so sind sie nur für diese verbindlich."

Das aber macht den vorliegenden Fall interessant: denn der Beschluss ist ausdrücklich an die
Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) adressiert und erwähnt auch im Text der Stellungnahme stets nur die RTR, nicht aber die tatsächlich zuständige Regulierungsbehörde, nämlich die Telekom-Control-Kommission (TKK), die den Maßnahmenentwurf beschlossen und - wenn auch im Wege der RTR als ihres Hilfsapparats (Geschäftsstelle) - notifiziert hat. In der Pressemitteilung der Europäischen Kommission wird sogar Kommissionsvizepräsidentin Kroes mit den Worten zitiert "Ich fordere die RTR dringend auf, einen neuen Vorschlag vorzulegen". Diese Aufforderung richtet sich also - ebenso wie der, juristisch entscheidende, Beschluss der Kommission über den "serious doubts letter" - an eine unzuständige Behörde. Die RTR hat den Maßnahmenentwurf nicht beschlossen, sie kann ihn nicht ändern oder einen neuen "Vorschlag" vorlegen - dazu wäre eben nach den diesbezüglich eindeutigen und der Kommission notifizierten Rechtsvorschriften die Telekom-Control-Kommission zuständig. An diese ist aber der Beschluss der Kommission nicht adressiert. Ist damit - unter dem Blickwinkel des Art 288 AEUV - die Phase II des Verfahrens nach Artikel 7a der RahmenRL überhaupt wirksam eröffnet?

Die Kommission kann sonst durchaus zwischen RTR und TKK unterscheiden, wie sie gerade unlängst in ihrer Stellungnahme in den Verfahren AT/2013/1435 und 1436 gezeigt hat, in der die Mitteilung zwar an die RTR (als Geschäftsstelle der TKK) gesandt wurde, aber ausdrücklich die TKK als zuständige Regulierungsbehörde Adressatin der Anmerkungen ist und aufgefordert wird, der Stellungnahme Rechnung zu tragen (dass in diesem Fall zunächst in Fußnote 2 noch die Rechtslage vor der Novelle 2011 angesprochen wurde, ist ein vergleichsweise lässliches Versehen, dass von der Kommission umgehend berichtigt wurde [siehe den Anhang zur Stellungnahme]).

Die Kommission ist übrigens nicht allein mit ihren Problemen, in der etwas merkwürdigen Konstruktion der österreichischen Regulierungsbehörden den Durchblick zu bewahren: auch der EuGH hatte damit schon Schwierigkeiten (siehe im Blog dazu hier).

Update 09.06.2013: auch BEREC schafft es nicht, in seiner Stellungnahme die richtige Regulierungsbehörde zu identifzizieren! (Inhaltlich ist BEREC übrigens der Auffassung, dass die "serious doubts" der Kommission berechtigt seien)

Update 03.07.2013: Die Kommission hat - laut ihrer heutigen Pressemitteilung - nun "die österreichische Regulierungsbehörde (TKK) aufgefordert, ihren Vorschlag zur Regulierung des Vorleistungsmarkts für Abschluss-Segmente von Mietleitungen zurückzuziehen". In der Pressemitteilung (die Entscheidung der Kommission ist noch nicht öffentlich verfügbar; update 09.07.2013: siehe nun den Volltext des Beschlusses) kommt die RTR nicht mehr vor, dafür umso prominenter die (tatsächlich zuständige) TKK - das zeugt von Lernfähigkeit!
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*) Body of European Regulators for Electronic Communications (die deutsche Bezeichnung GEREK - Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation - ist kaum gebräuchlich). BEREC hat den Sitz in Riga; ein nettes Sittenbild zu BEREC zeichnet diese Pressemitteilung, die es tatsächlich für notwendig erachtet, über den Umstand zu informieren, dass der BEREC-Vorsitzende das BEREC-Büro in Riga besucht hat.
**) Die Verfahren werden in der circa-eCCTF-Datenbank dokumentiert, leider ist aber die direkte Verlinkung auf einen Verfahrensordner nicht möglich, nur auf jeweils einzelne Dokumente.

Monday, May 06, 2013

Vorabentscheidungsersuchen des VwGH zu Art 4 RahmenRL

Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hat dem EuGH mit dem heute bekanntgegebenen Beschluss vom 24.04.2013 aus Anlass der Beschwerde der T-Mobile Austria folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind die Artikel 4 und 9b der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), ABl L 108 vom 24. April 2002, S. 33 und Art 5 Abs 6 der Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste (Genehmigungsrichtlinie), ABl L 108 vom 24. April 2002, S. 21, dahin auszulegen, dass sie einem Mitbewerber in einem nationalen Verfahren nach Art 5 Abs 6 der Genehmigungsrichtlinie die Stellung eines Betroffenen im Sinne des Art 4 Abs 1 der Rahmenrichtlinie einräumen?
Im Kern geht es um die Frage, ob die beschwerdeführende T-Mobile Austria von Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörde über die Zustimmung zur Änderung der Eigentümerstruktur anderer Netzbetreiber und zur Übertragung von Frequenznutzungsrechten (siehe die Bescheide F 1/12 und F 6/12 der TKK, in der Folge der Übernahme von Orange Austria durch Hutchison 3G Austria) im Sinne des Art 4 Abs 1 der RahmenRL "betroffen" ist und daher einen Rechtsbehelf einlegen kann.

Ich verweise auf die Pressemitteilung des VwGH und den auf der VwGH-Website verfügbaren Text des Vorlagebeschlusses (im Hinblick auf meine Mitwirkung als Richter in diesem Verfahren enthalte ich mich jeder weiteren Anmerkung oder Kommentierung).

Update 28.05.2013: das Verfahren ist beim EuGH als Rechtssache C-282/13 T-Mobile Austria anhängig.
Update 09.09.2014: die Schlussanträge von Generalanwalt Szpunar (dazu hier).

Thursday, May 02, 2013

Vermischte Lesehinweise (39) - Schwerpunkt Karol Jakubowicz

Karol Jakubowicz ist am 28.04.2013 verstorben -  "a giant of media policy reform, true believer in free speech and all-round nice man", wie ihn Peter Noorlander von der Media Legal Defence Initiative auf Twitter beschrieb (ein etwas förmlicherer Nachruf kommt vom Generalsekretär des Europarats Thorbjørn Jagland). Mir gefällt die Beschreibung als "all-round nice man" besonders, denn so habe auch ich Karol Jakubowicz in Erinnerung: als einen ausgesucht freundlichen, umfassend interessierten Intellektuellen mit Bodenhaftung, der sich nicht in den Vordergrund drängte, aber mit Expertise und Erfahrung viel zur Entwicklung freier Medien vor allem in Osteuropa beigetragen und diese Entwicklung stets kritisch begleitet hat. Glaubwürdigkeit und Respekt dabei verschaffte ihm sicher auch sein Lebenslauf, denn er war kein aus dem Westen importierter Besserwisser, sondern kam selbst aus Polen und war dort schon vor dem Umbruch journalistisch und wissenschaftlich tätig gewesen, ohne sich dabei kompromittiert zu haben (in diesem schon etwas älteren CV kann man seine beruflichen Stationen nachlesen).

Ich beginne diese "vermischten Lesehinweise" daher im Gedenken an Karol Jakubowicz mit einer Auswahl seiner im Web verfügbaren Aufsätze oder Reden:
Und nun weitere vermischte Hinweise, zunächst aus dem Bereich Medien:
Telekom:
Und zum Schluss noch ein paar US-bezogene Aufsätze:
  • Christopher M. Fairman, Institutionalized Word Taboo: The Continuing Saga of FCC Indecency Regulation "This article (1) traces the rise of indecency regulation, (2) explains the invalidity of the assumptions used to justify it, (3) introduces word taboo as an explanation for the resilience of regulation, and (4) offers preferable options providing a path for science and reason to triumph over institutionalized word taboo."
  • Deven R. Desai, Speech, Citizenry, and the Market: A Corporate Public Figure Doctrinepublic figures don’t and can’t own their reputations. Yet, through trademark and commercial speech doctrines corporations have powerful control over their reputations. If corporations are people for free speech purposes, as a constitutional matter, their control over their reputations can be no greater than the control other public figures have.
  • Douglas B. McKechnie, The Death of the Public Figure Doctrine: How the Internet and the Westboro Baptist Church Spawned a KillerThis Article suggests that the U.S. Supreme Court’s public figure/private figure dichotomy announced in Gertz v. Robert Welch, Inc. should be abandoned in light of the Internet and Supreme Court jurisprudence that predates and postdates Gertz.
  • James Grimmelmann, Speech Engines"search engines are not primarily conduits or editors, but advisors. [...] The advisor theory yields fresh insights into long-running disputes about Google. It suggests, for example, a new approach to deciding when Google should be liable for giving a website the 'wrong' ranking."
  • Alexander Tsesis, Inflammatory Speech: Offense Versus Incitement, "The commonly accepted notion that content regulations on speech violate the First Amendment is misleading. In three recent cases - Snyder v. Phelps, Brown v. Entertainment Merchants Ass’n, and United States v. Stevens - the Court made clear that free speech includes the right to express scurrilous, disgusting, and disagreeable ideas. A different set of cases, however, concluded that group defamation, intentional threats, and material support for terrorist organizations are not protected forms of expression. This Article seeks to make sense of this doctrinal dichotomy and to develop clearer guidelines for regulating incitements that are posted on the Internet and in public areas."