Heute zeigt sich das sehr schön beim Thema Roaming. "Bild" publizierte unter dem Titel "Roaming-Schock | Telefonieren im Ausland bleibt teuer" einen Beitrag, der angeblich auf Dokumenten "einer Sitzung der europäischen Telekommunikationsminister" beruhte. Faktisch beruht die Information aber auf einer Note der Präsidentschaft vom 27. April 2015 (von statewatch.org hier schon am 28.04.2015 geleakt; im Blog hier auch am 28.04.2015 [siehe update am Ende] schon besprochen).
Die wesentliche Information - der Rat teilt die Position des Europäischen Parlaments zum Roaming nicht - ist ohnehin nicht neu, sie wurde von der Ratspräsidentschaft Anfang März auch offiziell kommuniziert. Auch dass die Ratsvertreter im Trilog einen Vorschlag einbrachten, der eine Minuten- bzw MB-Begrenzung für "roam like home" enthielt, stand nicht nur in diesem Blog (und sicher in vielen anderen), sondern zB auch in klassischen Mainstream-Medien (zB in der futurezone.at/Kurier).
Die Information ist aber nicht nur nicht neu, sie ist - so wie sie von Bild gebracht und von anderem Medien weitererzählt wurde - auch falsch: es gab keine "Sitzung der europäischen Telekommunikationsminister" am 27. April 2015, schon gar nicht gab es eine Sitzung des "Europäischen Rates".
Nun kann man vielleicht von "Bild"-JournalistInnen nicht erwarten, dass sie eine Vorstellung davon hätten, was der Europäische Rat ist (wahrscheinlich haben sie auch keine Ahnung, was Ratsformationen sind). Aber dass dann Agenturen diesen Nonsense einfach übernehmen und weiterverbreiten, ist schon erschreckend (Reuters war die Quelle zB des Stern und der FAZ, wohl auch - nicht ausgewiesen - der Süddeutschen Zeitung; die APA war Quelle etwa für den Standard).
Wäre es wirklich zuviel verlangt, einmal kurz eine Suchmaschine zu bedienen, um die Behauptungen der "Bild" zu überprüfen, vor allem wenn sie schon beim ersten Blick unglaubwürdig sind? Hätte nicht irgendjemand auf die Idee kommen können, sich das "Geheimpapier" einmal anzuschauen? Man muss mit der konkreten Materie auch nicht im Geringsten vertraut zu sein, um einen einfachen Blick auf den Sitzungskalender des Rates zu werfen (hier findet man zB, dass die nächste Sitzung des Rates in der Formation Verkehr, Telekommunikation und Energie, bei der Telekomthemen behandelt werden, am 12.06.2015 stattfindet); dasselbe gilt für den Europäischen Rat, von dem man als JournalistIn doch zumindest die ungefähre Sitzungshäufigkeit und auch die Themen kennen sollte, die dort behandelt werden (ganz sicher ist es nicht die Frage, ob eine Roaminggrenze 50 oder 100 MB ausmachen soll).
Nun haben wir also heute eine Debatte über einen im informellen Trilog eingebrachten, seit mehr als zwei Wochen bekannten Vorschlag der lettischen Ratspräsidentschaft, der aufbauend auf dem vom COREPER (Ausschuss der Ständigen Vertreter) erteilten Verhandlungsmandat für die Ratsvertreter Kompromissmöglichkeiten aus der Sicht der Ratspräsidentschaft auslotet. Dass das keine Basis für einen tatsächlichen Kompromiss mit dem Parlament sein kann, ist ziemlich klar, aber das ist eben das Wesen von Verhandlungen, dass sich Standpunkte erst annähern müssen (oder - das ist hier durchaus noch denkbar - dass Verhandlungen auch scheitern können).
Es gibt jedenfalls heute keine relevanten Neuigkeiten zum Roaming. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht auch ausgerechnet heute darüber einmal berichten kann (wenn man es schon vorher verschlafen hat). Aber braucht es wirklich die "Bild", damit das Thema aufgegriffen wird? Und wenn es schon die "Bild" braucht, könnte man dann nicht trotzdem auch einmal die Fakten richtig bringen?
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PS: zum konkreten Gesetzgebungsverfahren habe ich zuletzt hier geschrieben (da ist - am Ende - auch das "Geheimpapier" der Bild schon behandelt); was der Trilog ist und wie so etwas abläuft, habe ich hier (gegen Ende des Beitrags) beschrieben.
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PPS: Drei nachträgliche Anmerkungen vom 17.05.2015
1. Plötzliche Meinungsänderung?
"Tatsächlich sind die EU-Minister plötzlich nicht mehr mit der Abschaffung einverstanden", hieß es in einem Bericht der ZIB24 vom Freitag im ORF (hier noch bis 22.05. nachzusehen) - als ob sie das bisher je gewesen wären. Und das einzig "Plötzliche" an dieser Sache ist nur das Aufwachen der Medien, weil sie in der "Bild" etwas gelesen haben.
2. "Die Abschaffung der Roaminggebühren wackelt"
In anderen Medien - etwa im profil - hieß es allgemein, dass die Abschaffung der Roaminggebühren "wackelt". Das zeigt aus meiner Sicht ein grundsätzliches Problem der Berichterstattung über Themen der EU-Gesetzgebung: oft wird nämlich schon mit der Entschließung des Europäischen Parlaments in erster Lesung - wenn nicht gar schon mit der Vorstellung des Vorschlags durch die Kommission - so getan, als sei damit die Sache "gegessen": "EU-Parlament beschließt Abschaffung der Roaming-Gebühren" hieß es da gelegentlich vor einem Jahr, als das EU-Parlament über den Vorschlag in erster Lesung abstimmte und dabei einige gravierende Änderungen gegenüber dem Kommissionsvorschlag machte. Dabei war jedem halbwegs informierten Beobachter klar, dass diese Entschließung - nicht nur, aber auch, im Hinblick auf die Roaming-Regelungen - niemals eine Chance hatte, vom Rat akzeptiert zu werden (ich könnte wieder einmal "I told you so" sagen, weil ich zwei Tage nach der Abstimmung im Parlament hier im Blog geschrieben habe, dass die vom Parlament eingenommene Position "eine Zustimmung des Rates zu diesem Text meines Erachtens aus[schließt].")
Wer aber nach einem Parlamentsbeschluss schon so schreibt, als sei der dort beschlossene Text Gesetz, muss bei einer abweichenden Position des Rates dann so tun, als sei (plötzlich?) etwas scheinbar völlig Gefestigtes wieder ins Wanken (oder "Wackeln") gekommen. Das EU-Gesetzgebungsverfahren ist tatsächlich im Detail kompliziert, aber zumindest den einen Eckpfeiler des ordentlichen Verfahrens - dass es einen übereinstimmenden Beschluss von Parlament und Rat braucht - sollte man als JournalistIn nicht nur kennen, sondern auch zu vermitteln versuchen.
3. Die Legendenbildung
Rund um Roaming blühen die Heldenlegenden (siehe zu früheren Beispielen bereits im Blog hier und hier). Das Schlimme daran: sie werden bei jeder Gelegenheit fortgeschrieben. So schreibt "Die Presse" vom 16.05.2015 davon, dass es "die wohl letzte publikumswirksame Initiative der [...] EU-Kommission von José Manuel Barroso" gewesen sei, dass die damalige Digital-Kommissarin Neelie Kroes am 30. Juni 2014 "die bis dato letzte Senkung der Roaminggebühren" präsentiert habe, und dass es das Ziel "Brüssels" (hier wohl gemeint: der Kommission) gewesen sei, dass mobile Kommunikation in einem EU-Land nicht teurer sein sollte als im Heimatland.
Dazu sollte man wissen, dass die Kommission zwar die Senkung der Roamingentgelte per 1. Juli 2014 in einer Pressemeldung "verkauft" hat, dass diese Senkung aber per Verordnung des Parlamentes und des Rats erfolgte - keine Rede von widerspenstigen Telekomministern, die hier gegen die heldenhafte Kommission blockierend aufgetreten wären. Im Gegenteil: die von der Kommission in ihrem Vorschlag für die Verordnung vorgesehene Absenkung der Roamingentgelte wäre geringer ausgefallen, als es Parlament und Kommission schließlich beschlossen haben.
Neelie Kroes, die sich wie Viviane Reding gerne als heldenhafte Kämpferin für die Abschaffung der Roamingentgelte positioniert, hätten den Telekomunternehmen also noch höhere Tarife zugestanden (im Übrigen ist es bemerkenswert, wie sehr ausgerechnet Kroes und Reding als liberale bzw konservative Politikerinnen auf das Mittel staatlicher Preisregulierung setzen).
Auch der aktuelle Vorschlag der Kommission - wäre er von Parlament und Rat angenommen worden - hätte übrigens keineswegs zum völligen Ende von Roamingentgelten geführt: insbesondere sah auch der Kommissionsvorschlag vor, dass die "Nutzung regulierter Endkundenroamingdienste zu geltenden Inlandspreisen unter Bezugnahme auf ein Kriterium der üblichen Nutzung [...] begrenzt" werden kann - das hätte also im Wesentlichen bedeutet, dass die Telekomunternehmen Ähnliches hätten tun können, was nun mit Minuten- bzw MB-Grenzen in den Dokumenten des Rates bzw der Ratspräsidentschaft legistisch zu fassen versucht wird.