Thursday, April 29, 2021

VfGH: wo sich die Justiz nicht einmal mehr auf der Ersatzbank findet

Wenn man Zeitungsberichten glauben darf  - und hier hätte ich jetzt keine besonderen Zweifel - dann war es zuletzt offenbar nur mehr die Frage, ob der von ÖVP-Seite favorisierte Prof. Michael Mayrhofer oder die von Grünen-Seite bevorzugte Prof.in Iris Eisenberger dem Herrn Bundespräsidenten zur Ernennung als Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes vorgeschlagen wird. Ich kenne und schätze beide und hätte Iris Eisenberger ebenso für ausgezeichnet geeignet gehalten wie Michael Mayrhofer, der gestern von der Bundesregierung vorgeschlagen wurde

[Dass derartige Entscheidungen politisiert sind und den Bewerber*innen - ob berechtigt oder nicht - Parteinähe zugeschrieben wird, ist dem System der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit geschuldet; den Bewerber*innen sollte man das nicht vorwerfen, solange - was hier außer Zweifel steht - Personen ausgewählt werden, die fachlich qualifiziert und persönlich geeignet sind. Was nun, nach offenbar längerer Blockade in der Regierung, den Ausschlag für die Entscheidung gegeben hat, werden wir wohl nicht erfahren; auffällig ist, dass im gestrigen Ministerrat auch die Beschlussfassung über die Regulierungskommission und den Aufsichtsrat der E-Control erfolgte, wo man vielleicht eine etwas akzentuierte "grüne Handschrift" erkennen könnte.]

Gratulation also an Prof. Mayrhofer, aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, um auf zwei Aspekte aufmerksam zu machen, die aus meiner Sicht perspektivisch Beachtung verdienen würden: die - vielleicht auch nur symbolische - personelle Verbindung zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und ordentlicher Justiz einerseits, und die Frage der fachlichen Diversität im VfGH andererseits. 

"Mir wern kan Richter brauchn"?

Nach Art. 147 Abs. 2 B-VG ernennt der Bundespräsident "den Präsidenten, den Vizepräsidenten, sechs weitere Mitglieder und drei Ersatzmitglieder" auf Vorschlag der Bundesregierung; diese Mitglieder und Ersatzmitglieder sind "aus dem Kreis der Richter, Verwaltungsbeamten und Professoren eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität zu entnehmen" (für die weiteren Mitglieder ist kein bestimmter Herkunftsberuf erforderlich, diese müssen das Studium der Rechtswissenschaften oder die rechts- und staatswissenschaftlichen Studien abgeschlossen haben und über eine zehnjährige juristische Berufserfahrung verfügen). 

Auch wenn die Aufzählung in Art. 147 Abs. 2 B-VG nicht als bewusste Reihung ("1. Richter, 2. Verwaltungsbeamte, 3. Professoren") anzusehen ist, so macht sie doch deutlich, dass der Verfassungsgesetzgeber von einem Leitbild ausgeht, nach dem Berufsrichter*innen aus dem Verfassungsgerichtshof nicht wegzudenken sind. Dennoch sind Justiz-Richter*innen seit langem nicht mehr als (Haupt)Mitglieder im Gremium des Verfassungsgerichtshofes vertreten (wenn ich jetzt nichts übersehen habe*) [Anm. 1.5.2021: natürlich habe ich etwas übersehen, siehe Fußnote unten], war Kurt Gottlich, der 2002 in Pension ging, der letzte Justizrichter im VfGH, wenngleich auch er eigentlich nur kurze Zeit judiziert hatte und vor seiner Tätigkeit am VfGH vor allem als Staatsanwalt tätig war; auch Peter Jann, der 1995 ausschied und zum Richter am EuGH ernannt wurde, war vor seiner Ernennung an den VfGH nicht mehr als Richter aktiv, sondern im ÖVP-Parlamentsklub tätig). Bis 2017 war noch Rudolf Müller Mitglied des Verfassungsgerichtshofes, der bis 2012 zugleich Berufsrichter war (allerdings nicht in der ordentlichen Justiz, sondern am Verwaltungsgerichtshof).

Es ist verständlich, dass neben einer richterlichen Tätigkeit in der Justiz eine "Nebentätigkeit" als Verfassungsrichter*in schon aus Gründen der zeitlichen Belastung praktisch nicht in Betracht kommt - ganz abgesehen davon, ob und welche Richter*innen so sehr in die Nähe der Politik kommen, dass sie für eine Ernennung an den VfGH in Betracht gezogen würden. 

Allerdings gab es doch in der zweiten Republik eine gewisse Tradition, dass zumindest auf der symbolischen Ebene der Ersatzmitglieder eine "Verklammerung" mit der ordentlichen Justiz erfolgte: so war zB OGH-Präsidentin Irmgard Griss Ersatzmitglied des VfGH, ebenso vor ihr schon ihr Vorgänger als OGH-Präsident Erwin Felzmann. Zuletzt war noch Liliane Hofmeister, früher Richterin am Handelsgericht Wien, Ersatzmitglied des VfGH. Nach ihrem Ausscheiden mit Ende Dezember 2020 ist damit der letzte symbolische Zusammenhang zwischen ordentlicher Justiz und VfGH auf personeller Ebene aufgelöst (zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und VfGH besteht dieser Zusammenhang durch drei Ersatzmitglieder, die zugleich Richter*innen am VwGH sind, weiter). 

Klar: der VfGH ist, so wie er ist, korrekt zusammengesetzt, nirgendwo wird verlangt, dass zB jedenfalls mindestens ein*e Richter*in Mitglied oder Ersatzmitglied des VfGH sein müsste - aber wünschen wird man es sich wohl dürfen. Immerhin werden - nicht zuletzt durch den "Parteienantrag auf Normenkontrolle" (Ex-OGH-Präsident Ratz hatte zumindest in der Diskussion um die Gesetzwerdung noch von der "Querulantenbeschwerde" gesprochen) - vermehrt auch zivilrechtliche und auch zivilprozessuale Normen zur Prüfung an den VfGH herangetragen. Es wäre wohl der Fachdiskussion nicht abträglich, könnten auch erfahrene Richter*innen, die solche Materien jahrelang judiziert haben, ihre Expertise einbringen. 

Und auch wenn es - wie schon gesagt - bei der aktuellen, vom Konzept her nebenberuflich angelegten Verfassungsgerichtsbarkeit unrealistisch ist, dass im aktiven Berufsleben stehende Richter*innen zugleich (Haupt)Mitglied des Verfassungsgerichtshofes sein können, so wäre doch meines Erachtens die Ernennung eines Ersatzmitglieds aus dem Kreis der Justizrichter*innen eine wünschenswerte Geste, die auch die notwendige Verbindung und Zusammenarbeit zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Justiz deutlich machen könnte. Im Übrigen ist die ZPO die im Verfahren vor dem VfGH subsidiär anwendbare Verfahrensnorm - und gerade einmal die Anwält*innen haben, je nach Fachgebiet, mehr oder weniger Erfahrung damit. 

Bei der Besetzung gefordert ist freilich nicht der VfGH selbst (wenngleich man den Einfluss aus dem Gerichtshof heraus auf die Bewerbungen nicht unterschätzen sollte), sondern wer gerade mit der Nominierung an der Reihe wäre. In nächster Zeit ist das ohnehin nicht der Fall - wenn nicht ein Ersatzmitglied vorzeitig ausscheidet (vielleicht zum Mitglied ernannt wird), dann wird das nächste Ersatzmitglied erst wieder in rund acht Jahren zu bestellen sein (das nächste reguläre Mitglied übrigens erst in rund vier Jahren)

Ich schreibe das dennoch jetzt, nachdem die Auswahl für die mit Ende Dezember 2020 freigewordene Funktion eines Ersatzmitglieds getroffen wurde (ich weiß ja nicht einmal, ob sich geeignete Vertreter*innen aus der Justiz beworben haben), nur damit ich das auch mal nachweislich wo gesagt habe: Ich bin schon der Meinung, dass der VfGH "an Richter [a Richterin] brauchn" würde.

Der Verfassungsgerichtshof sollte nicht nur aus Verfassungsspezialist*innen bestehen

Auf den ersten Blick scheint es klar: ein Verfassungsgerichtshof braucht Spezialist*innen des Verfassungsrechts. Gut, die hat er, und zwar reichlich: im öffentlichen Recht habilitierte Professor*innen (Grabenwarter, Madner, Lienbacher, Holoubek, Hauer) und Verwaltungsbeamt*innen aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich (Kahr, Schnizer, Hörtenhuber, Siess-Scherz) machen schon eine satte Mehrheit aus, dazu kommt ein im öffentlichen Recht spezialisierter Rechtsanwalt (Herbst), zwei ausgewiesene Strafrechtler (Brandstetter, Rami) und ein Steuerrechtler (Achatz), also ebenfalls im weiteren Sinne Öffentlich-Rechtler. Gerade einmal Sieglinde Gahleitner als Arbeitsrechtlerin ist nicht nur im öffentlichen Recht (einschließlich des Strafrechts und des Steuerrechts) zu Hause. Blickt man auf die Ersatzmitglieder, ist das Bild auch ziemlich eindeutig: drei Richter*innen des Verwaltungsgerichtshofs, nun zwei Professor*innen des öffentlichen Rechts und ein Rechtsanwalt, der laut seiner Website offenbar eher im Zivilrecht (Unternehmensrecht, Familienrecht, Erbrecht, IP- und Wettbewerbsrecht) tätig ist.

Natürlich sind die aktuellen Mitglieder des VfGH als ausgezeichnete Jurist*innen in der Lage, das gesamte sich ihnen bietende Feld zu beackern. Aber es gibt Gründe, warum zB nach dem Ausscheiden des Steuerfachmanns Prof. Ruppe umgehend mit Markus Achatz wieder ein Prof. für Steuerrecht zum Mitglied des VfGH ernannt wurde. Das klassische Zivilrecht hingegen ist im VfGH seit dem Ausscheiden von Prof. Spielbüchler Ende 2009 zumindest auf "Professor*innen-Ebene" nicht mehr vertreten. Ich sage es vorsichtig: schaden würde es dem VfGH wohl nicht, wenn das bei Gelegenheit wieder geändert würde. 

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PS, in Vorwegnahme der zu erwartenden Kritik: was geht's mich an? Eh nichts, aber ich schreib es halt auf, weil ich kann, grad Lust dazu hab und auch der Meinung bin, dass dieser Gesichtspunkt ein wenig mehr Beachtung verdient hätte. Ich bilde mir nicht ein, dass meine Meinung maßgeblich wäre, aber wer bis hierher gelesen hat, den/die hat es vielleicht interessiert. Ich kann darüber auch schreiben, weil ich da ganz frei von Eigeninteressen bin: ich habe mich nicht beworben und werde mich nicht bewerben, und ich bin auch weder Justizrichter, noch kann ich angesichts meines aktuellen Berufs als Hardcore-Zivilrechtler durchgehen (auch wenn das meine juristische Herkunft ist und ich in meinem Herzen "Zivilist" geblieben bin).

PPS: Die Funktion eines Ersatzmitglieds des Verfassungsgerichtshofes sollte man nicht überbewerten: Ersatzmitglieder kommen zum Zug, wenn andere ausfallen, das eine Ersatzmitglied mehr, das andere weniger, und sie schreiben auch nicht die großen Erkenntnisse, nehmen aber natürlich, wenn sie eintreten, mit vollem Stimmgewicht an der Beratung und Abstimmung teil. Die Funktion ist vor allem eine hohe Ehre, weniger ein Beruf zum Geldverdienen: Ersatzmitglieder erhalten keine fixe Vergütung, sondern nach § 4 Abs. 3 VfGG "für jede Sitzung, an der sie teilgenommen haben, eine Entschädigung" (derzeit pro Sitzungstag, wenn ich das jetzt richtig berechnet habe, 830,52 € - das ist nicht nichts, aber zB für einen sonst gut beschäftigten Anwalt nicht das, was er sonst an einem Tag verdienen könnte). 

*) Ergänzung/Korrektur (1.5.2021): leider habe ich wirklich etwas übersehen: Brigitte Bierlein, seit 1.1.2003 Vizepräsidentin, von Februar 2018 bis Juni 2019 Präsidentin des VfGH, hatte ich offenbar im Gedächtnis so sehr als Staatsanwältin abgespeichert, dass ich übersehen habe, dass sie natürlich auch zunächst - wenn auch nur für zwei Jahre - Richterin war. Danke an einen aufmerksamen Verfassungsrichter für den Hinweis!

Thursday, April 01, 2021

20 Jahre RTR (oder: als mich Wolfgang Schüssel kurzfristig und ohne Ausschreibung zum Geschäftsführer einer Bundesgesellschaft bestellte)

Heute vor zwanzig Jahren trat das "Bundesgesetz über die Einrichtung einer Kommunikationsbehörde Austria („KommAustria“) und eines Bundeskommunikationssenates (KommAustria-Gesetz – KOG)", BGBl I 2001/32, in Kraft. Damit wurden nicht nur die zwei im Titel des Gesetzes genannten Behörden eingerichtet, sondern auch eine neue, nicht gewinnorientierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet. Diese führt die Firma „Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH“ (RTR-GmbH); ihre Anteile sind zu hundert Prozent dem Bund vorbehalten. Die RTR-GmbH gibt es - in ihrer Struktur weitgehend unverändert, aber mit einigen Veränderungen im Aufgabenbereich - heute noch. Auch die KommAustria besteht nun schon 20 Jahre, wobei deren Struktur allerdings mit der Novelle BGBl I 2010/50 ab 1.10.2010 gründlich verändert wurde; insbesondere wurde sie von einer dem Bundeskanzler weisungsgebundenen monokratischen Behörde zu einer unabhängigen Kollegialbehörde umgestaltet. Der Bundeskommunikationssenat - eine "Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag" alter Schule - hatte ein kürzeres Leben: er wurde als eine von vielen derartigen Behörden mit Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit zum 1.1.2014 aufgelöst. 

Das KommAustria-Gesetz war - darüber wurde schon viel geschrieben - eher eine Verlegenheitslösung, weil der zunächst in Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP, dann auch von der Koalition aus ÖVP und FPÖ angepeilte große Wurf (siehe die Regierungsvorlage 400 BlgNR 21. GP) eine Verfassungsmehrheit gebraucht hätte, die schließlich nicht erzielt werden konnte (ich habe die in der Regierungsvorlage vorgesehene Konstruktion als "eher hypertroph" angesehen und diese Ansicht auch nie verheimlicht; in einem späteren Vortrag habe ich die dort geplante KommAustria als "pseudo-konvergente Behörde mit kompliziertem Zusammenspiel mehrerer Kommissionen plus einer Art Frühstücksdirektor" bezeichnet). 

Das Gesetz war aber auch dringlich: denn der VfGH hatte mit Erkenntnis vom 29.6.2000, G 175-266/99, § 13 des Regionalradiogesetzes aufgehoben und damit der bisherigen Behördenkonstruktion im Rundfunkbereich den Boden entzogen. In der Folge wurden zahlreiche Zulassungsbescheide von Privatradioveranstaltern aufgehoben. Weitersenden war nur aufgrund einer schnell geschaffenen Behelfskonstruktion bis Ende Juni 2001 möglich, und die nächste Aufhebung durch den VfGH stand auch schon bevor (erfolgte dann mit 21.6.2001, G 141/00 ua). 

Eile war also geboten, und so trat das KommAustria-Gesetz nur zwei Tage nach Kundmachung am 1. April 2001 in Kraft. Die damit geschaffenen Funktionen waren erst auszuschreiben, mussten aber umgehend provisorisch besetzt werden, denn so eine neue GmbH muss schließlich auch handlungsfähig sein. Zudem wurde die Gesellschaft zwar juristisch aus dem Nichts erschaffen, aber unmittelbar mit ihrer Einrichtung wurde die Telekom-Control GmbH kraft Gesetzes auf sie verschmolzen - die schon bestehende Telekom-Regulierungsbehörde musste ja weiter tätig sein können. Auch die Verschmelzung war natürlich beim Firmenbuch anzuzeigen, und auch dazu brauchte man Geschäftsführer für die neue GmbH (je einen für den Bereich Telekommunikation, zu bestellen von der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie, und für den Bereich Rundfunk, zu bestellen vom Bundeskanzler). 

Ich war damals Leiter der Rechtsabteilung der Telekom-Control GmbH (TKC) und als solcher im Vorfeld häufig mit den Legisten im BKA und BMVIT in Kontakt gestanden, weil es schließlich auch um die möglichst reibungsfreie Integration der TKC in die neue RTR und die dazu notwendigen Anpassungen im TKG (und im KommAustria-Gesetz) ging. Als sich dann die Frage stellte, wer die provisorische Geschäftsführung für die neue GmbH für den Rundfunkbereich übernehmen sollte (für den Bereich Telekommunikation war klar, dass der bisherige TKC-Geschäftsführer bleiben sollte), kam man im BKA auf mich. Ich konnte glaubhaft versichern, das wirklich nur übergangsweise machen zu wollen, und man traute mir offenbar auch zu, die neue GmbH halbwegs unfallfrei über die ersten paar Monate zu bringen, bis nach der Ausschreibung der definitive Geschäftsführer bestellt werden sollte. 

Und so kam es, dass ich vom damaligen Bundeskanzler kurzfristig zum Geschäftsführer einer neu geschaffenen Bundesgesellschaft bestellt wurde, an deren gesetzlicher Ausgestaltung ich zuvor (ein wenig) mitbeteiligt war. 

Im Unterschied zu anderen Organbestellungen in bundeseigenen Unternehmen, die derzeit diskutiert werden, gingen dieser Bestellung freilich keine Chats mit dem Bundeskanzler oder seinem Kabinett voraus (ganz abgesehen davon, dass das mit den Emojis damals noch nicht gebräuchlich war). Andererseits: bei der RTR ging es auch nicht um Milliarden.