Thursday, March 29, 2012

EuG bestätigt Geldbuße für Telefónica wegen Margin-Squeeze - zum Verhältnis Regulierungs-/Wettbewerbsrecht

Mit den heute verkündeten Urteilen in den  Rechtssachen T-336/07, Telefónica SA und Telefónica de España SA / Kommission, sowie T-398/07, Spanien / Kommission, hat das Gericht (EuG) die Klagen gegen die Entscheidung der Kommission vom 04.07.2007 in der Sache COMP/38.784 - Wanadoo España/Telefónica (Zusammenfassung), abgewiesen und damit auch die verhängte Geldbuße in der doch beträchtlichen Höhe von 151.875.000 € bestätigt (siehe auch die Pressemitteilung des Gerichts).

Nach den EuGH-Urteilen zum Margin-Squeeze der Deutschen Telekom (C-280/08 P, dazu im Blog hier) und zum Vorabentscheidungsersuchen C-52/09 TeliaSonera (mehr dazu im Kartellblog) waren inhaltlich keine großen Überraschungen zu erwarten (wenngleich man natürlich bei derartigen komplexen Verfahren nie ausschließen kann, dass eine Klage erfolgreich einzelne Verfahrensmängel hätte aufzeigen können). Tatsächlich bestätigen die Urteile die bisherigen großen Linien, und auch wenn die nun abgewiesenen Kläger wohl noch Rechtsmittel an den EuGH erheben werden, würde ich auch von dessen Urteil keine Umwälzungen erwarten.

In ihrer Entscheidung vom 04.07.2007 war die Kommission zum Ergebnis gekommen, dass Telefónica auf zwei Großkunden-Breitbandmärkten (regionale und nationale Produkte) marktbeherrschend war und auf diesen Märkten von September 2001 bis Dezember 2006 von ihren Wettbewerbern unfaire Preise in Sinne einer Kosten-Preis-Schere zwischen den Preisen für einen Breitbandzugang auf dem spanischen "Massenmarkt" und den Preisen für den Großkunden-Breitbandzugang auf regionaler und nationaler Ebene verlangt habe. Dabei wandte die Kommission die Methode des "ebenso effizienten Wettbewerbers" (as efficient competitor-test) an und verwendete als Kostenmaßstab das Konzept der LRAIC (Long Run Average Incremental Costs, langfristige durchschnittliche Zusatzkosten).

Zunächst zum Urteil über die Klage der Telefónica (T-336/07):

1. Verfahrensfragen
Das EuG geht vorweg auf allgemeine Verfahrensaspekte ein und macht gleich einmal deutlich, dass es sich nicht durch alle umfangreichen Anlagen zur Klageschrift und zur Erwiderung wühlen möchte: diese Anlagen sind "nur insoweit zu berücksichtigen [...], als sie Klagegründe oder Argumente untermauern oder ergänzen, die die Klägerinnen in ihren Schriftsätzen ausdrücklich angeführt haben, und genau bestimmt werden kann, welche darin enthaltenen Elemente die fraglichen Klagegründe oder Argumente untermauern oder ergänzen" (RNr 63 des Urteils). Sodann fasst das EuG instruktiv zusammen, welche Grundsätze für den Umfang der Überprüfung der Kommissionsentscheidung durch das EuG und die Beweislast gelten (im Wesentlichen: ausschließlich Rechtmäßigkeitskontrolle, "beschränkte gerichtliche Kontrolle" komplexer technischer Beurteilungen, Unschuldsvermutung; siehe RNr. 67-73). Im Einzelnen werden dann die geltend gemachten Verfahrensmängel abgehandelt und verworfen.

2. Marktdefinition und Marktbeherrschung
Telefónica wandte sich auch gegen die Marktdefinition und machte ua geltend, dass die Breitband-Großkundenprodukte durch Entbündelung substituierbar wären. Das EuG folgt der Kommission, da die Umstellung auf Entbündelung äußerst kostspielig, sehr zeitaufwendig und nicht im gesamten Land möglich sei.  Die entbündelten Teilnehmeranschlüsse wurden von der Kommission daher zutreffend nicht als Teil der hier relevanten Märkte angesehen. Auch die Unterscheidung zwischen dem regionalen und lokalen Produkt wird vom EuG aufgrund der konkreten Umstände akzeptiert, unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dass "die zur Regulierung des Wettbewerbs definierten Märkte unbeschadet der Märkte definiert werden, die in bestimmten Fällen nach dem Wettbewerbsrecht definiert werden können" (RNr. 141).

Zur Marktbeherrschung hält das EuG - dem EuGH in TeliaSonera folgend - fest, dass "die Missbräuchlichkeit einer Preispolitik, die von einem vertikal integrierten Unternehmen in beherrschender Stellung auf einem relevanten Großkundenmarkt eingeführt worden ist und auf eine Beschneidung der Margen seiner Wettbewerber auf dem Endkundenmarkt hinausläuft, nicht davon [abhängt], dass dieses Unternehmen auf dem letztgenannten Markt eine beherrschende Stellung besitzt" (RNr. 146). Dass bei Marktanteilen von 100% bzw 84% auf den relevanten Märkten Marktbeherrschung zutreffend angenommen wurde, überrascht auch nicht wirklich, zumal das Argument der Telefónica, beim Großkundenmarkt handle es sich um einen "Markt ohne Zutritts- und Austrittsschranken" doch einigermaßen originell wirkt. Auch die Verpflichtung, entbündelte Teilnehmeranschlüsse kostenorientiert  bereitstellen zu müssen, ändert nichts an der Marktbeherrschung auf den Breitband-Großkundenmärkten; in RNr 166 heißt es:
"Obwohl nämlich die Fähigkeit, regelmäßige Preiserhöhungen durchzusetzen, eindeutig ein Umstand ist, der auf eine beherrschende Stellung hindeuten kann, ist sie keinesfalls ein notwendiger Umstand, da die Unabhängigkeit eines beherrschenden Unternehmens im Preisverhalten mehr mit der Fähigkeit, die Preise festsetzen zu können, ohne die Reaktion der Wettbewerber, Kunden und Lieferanten in Rechnung stellen zu müssen, als mit der Fähigkeit, die Preise zu erhöhen, zu tun hat [...]. Da sämtliche konkurrierende Großkundenprodukte auf den entbündelten Teilnehmeranschlüssen von Telefónica oder auf ihrem regionalen Großkundenprodukt aufbauen, hängt jedoch die Verfügbarkeit konkurrierender Produkte nicht nur von der tatsächlichen Verfügbarkeit entbündelter Teilnehmeranschlüsse und/oder dem regionalen Großkundenprodukt ab, sondern auch von den wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen diese angeboten werden [...]"  
3. Zum Missbrauch der beherrschenden Stellung:
Das EuG tritt der Ansicht der Klägerinnen entgegen, wonach die Kommission die Kosten-Preis-Schere als De-facto-Weigerung eines Vertragsschlusses (refusal to deal) bewertet habe. Die Kommission hat in der Entscheidung Telefónica nicht zur Gewährung des Zugangs zu den Großkundenprodukten verpflichtet; diese Verpflichtung ergab sich schon aus dem spanischen Regulierungsrahmen. Für die Annahme einer missbräuchlichen Kosten-Preis-Schere müssten nicht die Voraussetzungen für eine missbräuchliche  Lieferverweigerung (im Sinne der Rechtssache Bronner) vorliegen; in RNr. 187 heißt es:
Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die Margenbeschneidung, wenn es keine objektive Rechtfertigung für sie gibt,  bereits als solche einen Missbrauch im Sinne von Art. 82 EG darstellen kann. Die Margenbeschneidung resultiert aus der Differenz zwischen den Vorleistungs‑ und den Endleistungspreisen und nicht aus der Höhe dieser Preise als solchen. Vor allem kann sie nicht nur aus einem ungewöhnlich niedrigen Preis auf dem Endkundenmarkt, sondern auch aus einem ungewöhnlich hohen Preis auf der Vorleistungsebene resultieren [...]. Daher musste die Kommission in der angefochtenen Entscheidung nicht nachweisen, dass Telefónica zu hohe Preise für ihre Produkte für den indirekten Großkunden-Zugang oder Dumpingpreise für ihre Endkundenprodukte verlangt hat  [...]."
Die Anwendung des "as efficient competitor"-Tests wird vom EuG für richtig befunden, eine Untersuchung der Kostenstrukturen konkreter Wettbewerber ist nicht notwendig. Zitat:
190   Zur Beurteilung der Zulässigkeit der von einem beherrschenden Unternehmen angewandten Preispolitik ist grundsätzlich auf Preiskriterien abzustellen, die sich auf die dem beherrschenden Unternehmen entstandenen Kosten und seine Strategie stützen [...].
191   Insbesondere bei einer Preispolitik, die auf eine Margenbeschneidung hinausläuft, kann anhand dieser Prüfungskriterien festgestellt werden, ob das Unternehmen effizient genug gewesen wäre, um seine Endkundendienste anzubieten, ohne dabei Verluste hinnehmen zu müssen, wenn es vorher seine eigenen Vorleistungspreise für die Vorleistungen hätte zahlen müssen [...]
194    Daher hat die Kommission zu Recht die Ansicht vertreten, dass der maßgebliche Test zur Ermittlung einer Kosten-Preis-Schere darin bestanden habe, festzustellen, ob ein Wettbewerber mit der gleichen Kostenstruktur wie der nachgelagerte Geschäftsbereich des vertikal integrierten Unternehmens nachgelagerte Dienste erbringen könnte, ohne Verluste zu verzeichnen, wenn das vertikal integrierte Unternehmen den Zugangspreis auf dem vorgelagerten Markt, der seinen Konkurrenten berechnet werde, entrichten müsste, wobei sie die Selbstkosten von Telefónica zugrunde gelegt hat [...], ohne die Margen der alternativen Hauptbetreiber auf dem spanischen Markt zu untersuchen. 
Besonders nett finde ich das Vorbringen zur Investitionsleiter: Nach Ansicht der Telefónica sollte es nichts ausmachen, wenn einzelne Stufen fehlen, was gerade beim Bild einer Leiter nicht sehr überzeugend wirkt. Das EuG dazu (in RNr. 196):
"Wie die Kommission zutreffend feststellt, kann der Prozess, der den alternativen Betreibern die schrittweise Investition in die eigene Infrastruktur ermöglicht, nur eine gangbare Strategie darstellen, wenn auf den verschiedenen Stufen der Leiter keine Kosten-Preis-Schere besteht. Die den Wettbewerbern von Telefónica aufgezwungene Kosten-Preis-Schere führte jedoch wahrscheinlich zu einem verzögerten Markteintritt und Wachstum ihrer Wettbewerber und erschwerte das Erreichen von hinreichenden Größenvorteilen, die Investitionen in eine eigene Infrastruktur und die Nutzung der entbündelten Teilnehmeranschlüsse gerechtfertigt hätten" 
Die Anwendung des "as efficient competitor"-Tests gilt nur für die nachgelagerte Ebene. Wie die Kommission festgestellt habe, "setzt die Anwendung der Methode des ebenso effizienten Wettbewerbers nicht voraus, dass die Wettbewerber von Telefónica in der Lage sind, auf vorgelagerter Ebene die gleichen Vermögenswerte wie Telefónica einzubringen. Der Kosten-Preis-Scheren-Test gilt für einen ebenso effizienten Betreiber auf der nachgelagerten Ebene, d. h. einen Betreiber, der das Großkundenprodukt des beherrschenden Unternehmens verwendet, im Wettbewerb mit diesem auf dem nachgelagerten Markt steht und dessen Kosten auf diesem Markt den Kosten des beherrschenden Unternehmens entsprechen." (RNr. 209)

Dass das missbräuchliche Verhalten Verbrauchern oder Wettbewerbern tatsächlich geschadet hat, ist für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art 82 EG (nunmehr: Art 102 AEUV) nicht erforderlich (im Detail dazu RNr 266- 283).

4. "Ultra-vires"-Anwendung von Art 82 EG, Subsidiarität und loyale Zusammenarbeit
Das alte und dennoch immer wiederkehrende Thema des Verhältnisses zwischen Regulierungsrecht und allgemeinem Wettbewerbsrecht wird im Urteil T-336/07 und dem sechsten Klagegrund abgehandelt, mit dem die Telefónica "Ultra-vires-Anwendung von Art. 82 EG und Verstoß gegen die Grundsätze der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit, der loyalen Zusammenarbeit und der ordnungsgemäßen Verwaltung" geltend macht. Trotz des teilweise offenbar hochgradig absurden Klagsvorbringens bemüht sich das EuG um eine solide Abhandlung (RNr. 286-316); beispielhaft zitiere ich aus RNr 290:
Was zweitens das Vorbringen der Klägerinnen betrifft, die Kommission habe bei der Bewertung des Verhaltens von Telefónica in der angefochtenen Entscheidung in die Befugnisse der nationalen Regulierungsbehörden eingegriffen und auf regulatorische Begriffe wie "Investitionsleiter" Bezug genommen, ist festzustellen, dass sich die Klägerinnen auf die Behauptung beschränken, dass dieser Begriff, dessen Verwendung im Rahmen der Anwendung von Art. 82 EG jeder Grundlage entbehre, spiegele weder die Entwicklung des spanischen Marktes noch die Entwicklung der Wettbewerbsstrategie der alternativen Betreiber wider. Auch wenn die Klägerinnen feststellen, dass dieser Begriff regulatorischer Art sei und nicht zum Wettbewerbsrecht gehöre, machen sie keine Angaben dazu, inwiefern durch die Verwendung dieses wirtschaftlichen Konzepts durch die Kommission zur Beschreibung der Entwicklung des spanischen Breitbandmarkts nach der Liberalisierung des Telekommunikationssektors dargetan werden soll, dass die Kommission ihre Befugnisse überschritten oder Art. 82 EG "zu regulatorischen Zwecken" angewandt habe; ihrer Auffassung kann daher nicht gefolgt werden. 
Das EuG hält in RNr. 293 ausdrücklich fest, dass das Art. 7-Verfahren nach der RahmenRL in keiner Weise die Zuständigkeit der Kommission zur Feststellung der Verstöße gegen die Art. 81 EG und 82 EG [nunmehr Art 101 und 102 AEUV] beeinträchtigt: "Somit ergänzen die Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrags im Wege der Ausübung einer nachträglichen Kontrolle den vom Unionsgesetzgeber gesetzten Rechtsrahmen für die Vorabregulierung der Telekommunikationsmärkte".

Telefónica konnte sich nicht in Unkenntnis darüber befinden, dass die Beachtung der spanischen Regelung im Bereich der Telekommunikation sie nicht vor einem Eingreifen der Kommission auf der Grundlage von Art. 82 EG schützte (RNr 299); der Rechtsrahmen zur elektronischen Kommunikation zwingt die Kommission auch nicht dazu, das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände nachzuweisen, um ihr Eingreifen (in einem regulierten Sektor) zu rechtfertigen (RNr 300). Die spanische Regulierungsbehörde CMT ist "jedenfalls keine Wettbewerbsbehörde, sondern eine Regulierungsbehörde; sie ist zu keinem Zeitpunkt eingeschritten, um die Einhaltung von Art. 82 durchzusetzen oder Entscheidungen zu erlassen, die sich auf die Praktiken beziehen, die von der angefochtenen Entscheidung mit einer Geldbuße belegt sind" (RNr 301).

Die Kommission war auch nicht verpflichtet, eine Vertragsverletzungsklage gegen Spanien einzuleiten (um ein Einschreiten der nationalen Regulierungsbehörde zu erreichen): "selbst wenn man unterstellt, dass die CMT eine Vorschrift des Unionsrecht verletzt hat und die Kommission daher ein Verletzungsverfahren gegen das Königreich Spanien einleiten konnte, [sind] solche Umstände in keiner Weise geeignet, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu beeinträchtigen." (RNr 307).

Zum Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verweist das EuG darauf, dass die spanische Regulierungsbehörde am Verfahren der Kommission tatsächlich beteiligt wurde (auch wenn sie dann keine Stellungnahme abgegeben hat; s. RNr 310). Allerdings sehen die von der Kommisison anzuwendenden Verfahrensvorschriften (VO 1/2003) gar keine Verpflichtung zur Konsultation der nationalen Regulierungsbehörden vor (RNr 312).

5. Geldbuße
Etwa ein Drittel des Urteils in der Rs T-336/07 befasst sich dann mit der Bemessung der Geldbuße; daraus möchte ich hier nur hervorheben, dass das EuG nochmals betont, dass es Telefónica freigestanden sei, die Endkundenpreise zu erhöhen (RNr 336), und dass der Umstand, dass die Kommission nicht gegenüber der spanischen Regulierungsbehörde eingegriffen habe, kein berechtigtes Vertrauen der Telefónica hervorrufen konnte, dass kein Verstoß gegen Art 82 EG vorliege (RNr 346).

Zum Urteil T-398/07  Spanien / Kommission: Bitte, bitte, klag doch mich!
Dass sich Mitgliedstaaten ihren jeweiligen Incumbents besonders verbunden fühlen, ist kein spezifisch spanischen Phänomen, man denke nur beispielsweise an die deutschen "Regulierungsferien" zugunsten der Deutschen Telekom. Dennoch ist es bemerkenswert, wie sehr sich Spanien in seiner Klage gegen die Kommissionsentscheidung vom 04.07.2007 für die Telefónica ins Zeug wirft. Das EuG hat über diese Klage gesondert entschieden, konnte allerdings viele Begründungselemente übernehmen, da die Argumente doch "überraschend" ähnlich waren. Spanien beschränkte sich aber im Wesentlichen auf die Fragen der loyalen Zusammenarbeit, Subsidiarität und "ultra-vires"-Anwendung des Art 82 EG, wobei. Besonders betont wurde die Bedeutung des Regulierungsrechts mit den Möglichkeiten des Verfahrens nach Art 7 RahmenRL und die befürchteten Auswirkungen auf die Arbeit der Regulierungsbehörde.

Das EuG sprach auch gegenüber Spanien deutlich aus, was Sache ist: Das Argument, dass die Verpflichtung zur Zusammenarbeit im Sinne des Art 7 Abs 2 der RahmenRL missachtet worden wäre, war so kraus, dass das EuG nicht einmal darauf eingehen konnte ("It is clear that the Kingdom of Spain has not presented any sufficiently clear argument in support of the part of the plea relating to the infringement of Article 7(2) of the Framework Directive"; das Urteil ist bislang nicht in deutscher Sprache verfügbar, Zitate daher englisch). Auch dass die Regulierungsbehörde nicht beteiligt worden wäre, weist das EuG - wie auch im Urteil T-336/07 - zurück. Allgemein zur Zusamemnarbeit sagt das EuG in RNr 50:
50   First, the fact that the contested decision related to products and services regulated by CMT in accordance with the applicable European directives is of no relevance. As correctly stated by the Commission, in the absence of express derogation to that effect, competition law is applicable to regulated sectors [...]. Further, the applicability of the competition rules is not ruled out where the sectoral provisions concerned do not preclude undertakings from engaging in autonomous conduct which prevents, restricts or distorts competition [...]
51   Second, the Kingdom of Spain’s assertion that the Commission, in the contested decision, carried out an ‘in depth’ analysis of CMT’s regulatory activity is also of no relevance. While it is certainly true that in the contested decision the Commission made reference to the regulatory context in which Telefónica supplied the regional and national wholesale products, that is because it is necessary, in order to determine whether pricing practices are abusive, to consider all the circumstances and to investigate whether the practice tends to remove or restrict the buyer’s freedom to choose his sources of supply, to bar competitors from access to the market, to apply dissimilar conditions to equivalent transactions with other trading parties, or to strengthen the dominant position by distorting competition [...]
52   Third, it cannot be maintained that the Commission penalised Telefónica for an anti-competitive practice which had previously been analysed by CMT. [...]
Dass die Entscheidung der Kommission die Regulierungstätigkeit der CMT hindern würde, kann das EuG auch nicht nachvollziehen; der Verweis auf die Trinko-Entscheidung des US Supreme Court (die von allen einschlägigen Auftragsgutachtern der Incumbents gerne herangezogen wird) geht schon deshalb ins Leere, weil die von Sekundärrecht abgeleitete Regulierung jedenfalls nicht dem Primärrecht (hier: Art 82 EG) derogieren kann. Außerdem (RNr 56):
it is clear that ex ante regulation by a NRA and ex post review by the Commission have distinct purposes and objectives, the competition rules laid down by the EC Treaty supplementing, by ex post review, the legislative framework adopted by the European Union legislature for ex ante regulation of the telecommunications markets 
Auch die "ultra vires"-Argumente vermögen nicht zu überzeugen (RNr 100-105):
The Kingdom of Spain has however provided nothing in the way of explanation of why the Commission has, in the present case, 'applied Article 82 EC in a way which goes beyond its wording. [...]
The plea is therefore too vague to be answered, and must accordingly be declared to be inadmissible [...]
Schließlich versucht es Spanien noch mit dem Hinweis auf das Gebot der Rechtssicherheit und meint, die Kommission habe mit der angefochtenen Entscheidung eine Zuständigkeit zur Überprüfung von Entscheidungen der Regulierungsbehörde in Anspruch genommen:
106   The Kingdom of Spain claims, in essence, that, by adopting the contested decision, the Commission infringed the principle of legal certainty, since that decision involves an ex post alteration of the design of the ex ante regulatory framework. [...] By means of the contested decision the Commission has become a body with the power to review the administrative activity of the NRA, and the consequence of that is that the regulation of prices has been duplicated. [...]
108   That principle [of legal certainty] has not been infringed in the present case. As stated by the Commission, the Kingdom of Spain’s plea is based on the mistaken premiss that the Commission altered ex post the regulatory framework, which has not been demonstrated.
109   First, it is clear that the sectoral legislation to which the Kingdom of Spain refers has no effect on the competence which the Commission derives directly from [...] Article 7(1) of Regulation No 1/2003 [...]
113 Second, the Kingdom of Spain cannot claim that it was the duty of the Commission, under Article 7 of the Framework Directive, to monitor the regulatory measures adopted by CMT. [...]
114   Third, the Court cannot hold that damage to legal certainty also has ‘future consequences’, taking into account the differences expressed in the contested decision on the subject of the definition of the markets or the methodology of analysis which the NRA are permitted to use in connection with ex ante regulation. As is clear in particular from Article 15 of the Framework Directive, the identification of product and service markets within the electronic communications sector, the characteristics of which may be such as to justify the imposition of regulatory obligations set out in the Specific Directives is without prejudice to markets that may be defined in specific cases under competition law. Likewise, paragraph 28 of the Commission guidelines on market analysis and the assessment of significant market power under the Community regulatory framework for electronic communications networks and services (OJ 2002 C 165, p. 6) states that market definitions under the new regulatory framework for electronic communications networks and services may, in some cases, even in similar areas, be different from the markets as defined by the competition authorities.
115   Fourth and last, while the Kingdom of Spain claims that the Commission ought to have brought infringement proceedings against it, under Article 226 EC, if the Commission had come to the conclusion that the decisions of CMT, as an organ of the Member State, did not ensure the absence of a margin squeeze and, therefore, did not comply with that regulatory framework, it must be observed that, in the contested decision, the Commission did not make any such finding. Further, in any event, even if CMT had infringed a rule of European Union law and the Commission could on that basis have brought infringement proceedings against the Kingdom of Spain, such possibilities can have no effect on the lawfulness of the contested decision.
Das nennt man wahre Unterstützung: Spanien brachte hier ernsthaft vor, die Kommission hätte nicht gegen Telefónica, sondern gegen Spanien mit Klage vorgehen sollen!

PS:  Zum Verhältnis zwischen Regulierungs- und Wettbewerbsrecht kann ich wieder einmal auf meinen Vortrag vom August 2010 hinweisen. Dass auch die heutigen Entscheidungen des EuG meine Position bestätigen, wie ich sie etwa in meiner Replik zu einem originellen Beitrag von Potacs dargelegt habe (beides in Medien und Recht, nicht online), muss ich wohl nicht gesondert betonen.

Thursday, March 22, 2012

EuGH-Schlussanträge: Art 13 GenehmigungsRL unmittelbar anwendbar - keine Sondersteuer für Nutzung von Wegerechten

Sondersteuern und Sonderlasten verschiedenster Art für Telekom-Unternehmen sind in letzter Zeit verstärkt in den Blickpunkt gerückt. Manche Mitgliedstaaten wollen durch solche Sondersteuern Finanzierungslücken beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgleichen (Spanien, Frankreich); in anderen Fällen ist es einfach allgemeine Geldbeschaffung auf staatlicher oder kommunaler Ebene.

Die Kommission hat gegen Spanien und Frankreich bereits Klagen wegen Vertragsverletzung erhoben (C-468/11, C-485/11) und heute auch die Klage gegen Ungarn wegen einer ähnlichen Steuer angekündigt. Zudem wurde vor kurzem ein Vorabentscheidungsverfahren zu einer Sondersteuer in Malta anhängig gemacht (C-71/12 Vodafone Malta and Mobisle Communications).

In den verbundenen Verfahren C-55/11 Vodafone España, C-57/11 Vodafone España und C-58/11 France Telecom España geht es nicht um eine allgemeine "Telekom-Steuer", sondern um eine Abgabe, die in Spanien auf kommunaler Ebene für eine Sondernutzung von Gemeindeeigentum eingehoben werden kann. Ungefähr 1390 von insgesamt 8000 spanischen Gemeinden heben eine solche Abgabe ein. Betroffen sind insbesondere auch Mobilfunkunternehmen, die Antennen, Basisstationen und andere Einrichtungen auf kommunalem Grund installieren oder nutzen, wobei de facto eine Art Steuer auf der Grundlage des Marktanteils erhoben wird, deren Bemessungsgrundlage sich vor allem an der Zahl der in der Gemeinde installierten Festnetz(!)-Telefone richtet (weil - so offenbar die Argumentation - auch Mobilfunkunternehmen, die ja mit den Festnetzunternehmen zusammengeschaltet sind, damit die [Festnetz-]Installationen auf öffentlichem Grund in den Gemeinden nutzen).

Drei Mobilfunkunternehmen haben solche Satzungen gerichtlich angefochten, da sie die Abgabenerhebung als mit Art 13 der GenehmigungsRL unvereinbar ansehen. Der spanische Oberste Gerichtshof (Tribunal Supremo), der über diese Anfechtungen zu entscheiden hat, legte dem EuGH drei Fragen zur Auslegung des Art 13 der GenehmigungsRL 2002/20/EG vor, zu denen Generalanwältin Sharpston heute ihre Schlussanträge erstattet hat. Art 13 der RL lautet:
Die Mitgliedstaaten können der zuständigen Behörde gestatten, bei Nutzungsrechten für Funkfrequenzen oder Nummern oder bei Rechten für die Installation von Einrichtungen auf, über oder unter öffentlichem oder privatem Grundbesitz Entgelte zu erheben, die eine optimale Nutzung dieser Ressourcen sicherstellen sollen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Entgelte objektiv gerechtfertigt, transparent, nichtdiskriminierend und ihrem Zweck angemessen sind, und tragen den in Artikel 8 der [Rahmenrichtlinie] genannten Zielen Rechnung.
Mit der ersten Frage will das vorlegende Gericht wissen, ob es mit Art 13 der GenehimgungsRL vereinbar ist, wenn ein Entgelt für die Installation der Einrichtungen von Mobilfunkunternehmen erhoben wird, die das Netz nutzen, ohne aber dessen Inhaber zu sein. Generalanwältin Sharpston lehnt dies - recht weit ausholend - ab: Mit dem Begriff "Einrichtungen" in Art 13 der RL seien nur physische Infrastrukturen gemeint. Art 13 biete keine Rechtsgrundlage für die Erhebung von Entgelten bei allen Personen, denen die auf öffentlichem Grundbesitz installierten Einrichtungen zugutekommen.

Mit seiner zweiten Frage will das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die in den Gemeindesatzungen geregelten Voraussetzungen für die Erhebung des Entgelts den in Art 13 GenehmigungsRL niedergelegten Erfordernissen der Objektivität, Verhältnismäßigkeit und Nichtdiskriminierung sowie der Notwendigkeit der Gewährleistung einer optimalen Nutzung der betroffenen Ressourcen entsprechen. Ausgehend von der Antwort auf die erste Frage könnte eine Antwort darauf unterbleiben, die Generalanwältin geht aber vorsichtshalber dennoch darauf ein (Abs. 76 bis 92). Aus meiner Sicht handelt es sich dabei um den spannendsten Teil der Schlussanträge, vor allem weil diese Überlegungen natürlich auch für Entgelte für die Nutzung von Funkfrequenzen (und Rufnummern) gelten.

Zur objektiven Rechtfertigung:
76. Ein unter Art. 13 der Genehmigungsrichtlinie fallendes Entgelt ist meines Erachtens dann nicht objektiv gerechtfertigt, wenn seine Höhe nicht an die Intensität der Nutzung der 'knappen' Ressource und den aktuellen und zukünftigen Wert dieser Nutzung anknüpft. [...]
77. Meiner Meinung nach sind die Mitgliedstaaten bei Rechten für die Installation von Einrichtungen nicht zur Erhebung von Entgelten befugt, die angeblich eine optimale Nutzung von 'Wegerechten' sicherstellen sollen, die aber nicht auf der Grundlage von Kriterien festgesetzt werden, die einen Bezug zu diesem Ziel aufweisen, wie etwa Intensität, Dauer und Wert der von dem Unternehmen vorgenommenen Nutzung des fraglichen Eigentums oder vorgesehene alternative Nutzungen des Eigentums [...].
79. Entgelte, die sich nach den Bruttoeinkünften eines Unternehmens richten, dürften wohl in erster Linie der Erzielung von Haushaltseinnahmen dienen, was keine objektive Rechtfertigung eines Entgelts im Sinne von Art. 13 darstellt.
Zur Verhältnismäßigkeit:
80. Entgelte sind nicht verhältnismäßig, wenn sie anhand von Kriterien und in einer Höhe festgesetzt werden, die über das hinausgehen, was zur Sicherstellung der optimalen Nutzung der 'knappen' Ressourcen, die durch die Entgelte geschützt werden sollen, erforderlich ist.
81. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Entgelte entweder so hoch sind, dass sie von Investitionen in die Installation von Netzen und Einrichtungen abhalten und den Wettbewerb behindern, oder so niedrig, dass sie nicht zur effizienten Verwaltung der Ressourcennutzung beitragen.
Zur Nichtdiskriminierung legt die Generalwältin dar, dass sich Unternehmen, die Einrichtungen installieren, wohl nicht in einer vergleichbaren Situation mit jenen Mobilfunkbetreibern befinden, die Einrichtungen anderer Unternehmen nutzen:
91. [...] Die Nutzung öffentlicher Grundstücke durch die erstgenannten Unternehmen wirkt sich unmittelbar auf die Verfügbarkeit des Zugangs zu dieser Ressource aus und schränkt die dem Eigentümer daran zustehenden Ausschließlichkeitsrechte ein. Die Nutzung durch die letztgenannten Unternehmen wirkt sich nicht in dieser Weise aus. In wirtschaftlicher Hinsicht können diese beiden Nutzungsformen nicht als gleichwertig angesehen werden.
Zur unmittelbaren Wirkung von Art 13 GenehmigungsRL:
Zur Frage, ob Art 13 GenehmigungsRL inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist und damit unmittelbare Wirkung hat, verweist die Generalanwältin knapp auf das Urteil Connect Austria, mit dem entschieden wurde, dass die "Vorgängerbestimmung", Art. 11 Abs. 2 der RL 97/13 unmittelbare Wirkung hatte. Der Wortlaut von Art 13 der GenehmigungsRL sei noch klarer und präziser als der von Art 11 Abs 2 der RL 97/13; für die Generalanwältin ist daher eindeutig: "Art. 13 der Genehmigungsrichtlinie hat unmittelbare Wirkung."

Nun ist abzuwarten, ob der Gerichtshof den Schlussanträgen folgt. Tut er dies, so wird er wohl auf die zweite Frage keine ausdrückliche Antwort geben, auch wenn mich diese Frage am meisten interessiert. Festhalten kann man aber, dass zumindest nach Ansicht der Generalanwältin Entgelte - für die Nutzung von Frequenzen, Rufnummern oder für Installationen auf öffentlichem Grund - jedenfalls unverhältnismäßig sind, wenn sie in einer Höhe festgesetzt werden, die über das hinausgeht, was zur Sicherstellung der optimalen Nutzung der 'knappen' Ressourcen erforderlich ist. Fiskalpolitische Überlegungen bei der Festlegung von Entgelten zB für Frequenznutzungen wären damit nicht zulässig.

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PS - zu etwas ganz anderem: das EuG hat heute die verbundenen Rechtssachen T-458/09 und T-171/10, jeweils Slovak Telekom / Kommission entschieden. Es ging dabei um die Nichtigerklärung der Entscheidungen C(2009) 6840 und C(2010) 902 betreffend Auskunftsverlangen der Kommission in Verfahren zur Untersuchung eines möglichen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung im Hinblick auf die Verweigerung des Zugangs zu Infrastruktur und auf das Vorliegen einer Preis-Kosten-Schere im Zusammenhang mit der Entbündelung der Teilnehmeranschlussleitung. Das EuG hat die Klagen der Slovak Telekom gegen die Entscheidungen der Kommission abgewiesen (Urteil, Pressemitteilung).

Streitkultur vor dem EGMR: Freiheitliche in Kärnten kein Opfer im Seebühne-Fall

Mit der heute bekanntgegebenen Entscheidung vom 06.03.2012, Die Freiheitlichen in Kärnten gegen Österreich (Appl. no. 16230/07) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine auf Art 10 EMRK gestützte Beschwerde der FPK zurückgewiesen. Die Zurückweisung erfolgte ratione personae, also wegen eines in der Person der Beschwerdeführerin gelegenen Mangels, weil der FPK kein Opferstatus im Sinne des Art 35 Abs 3 und 4 EMRK zukam.

Der Fall geht zurück auf eine Streitigkeit im Zusammenhang mit der Seebühne Klagenfurt. In einer Sendung der Reihe "Streitkultur" in Radio Kärnten hatte die damalige Vorsitzende der SPÖ Kärnten Kritik unter anderem an der Tonanlage der Seebühne geübt. Die FPK bemerkte, dass die Tonanlage von einem Unternehmen geliefert worden war, in dem der Ehemann der Parteivorsitzenden, ein ehemaliger Eishockeyspieler (Hans Schaunig, als früherer KAC-Tormann in Kärnten sehr bekannt), "general manager" (Prokurist) war. Das wurde nicht nur auf der Website des ORF so dargestellt, sondern auch in einem von der FPK geschalteten Inserat in drei Tageszeitungen. Die Inserate waren zwar als Anzeige gekennzeichnet, aber redaktionell gestaltet: mit einem Kommentar, einem Artikel und einem Foto der SPÖ-Kärnten-Vorsitzenden und ihres Ehemannes; darunter stand: "Seebühne: Schaunig-Kandut kritisiert - ihr Mann kassiert" (siehe Berichte aus dieser Zeit etwa hier und hier).

Hans Schaunig ging gegen die Veröffentlichung des Bildes nach § 78 UrhG vor. Nach dieser Bestimmung dürfen Bildnisse von Personen "weder öffentlich ausgestellt noch auf eine andere Art, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, verbreitet werden, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten [...] verletzt würden." Das Verfahren über die beantragte einstweilige Verfügung gewann Schaunig in allen Instanzen, im Hauptverfahren kam es danach - wie in solchen Fällen nach einem verlorenen eV-Verfahren üblich - zu einem Anerkenntnisurteil des LG Klagenfurt: die FPK erkannte den Anspruch von Hans Schaunig als begründet an, das Urteil wurde rechtskräftig.

Die FPK brachte dennoch Beschwerde beim EGMR ein, da sie sich in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt fühlte. Die einstweilige Verfügung sei bindend gewesen, das Anerkenntnisurteil bedeute nicht, dass sie dem Kläger zugestimmt hätte, sondern hätte nur prozeduralen Wert gehabt "and was based on the consideration of avoiding additional costs by continuing the main proceedings in which the applicant party had little prospect of success."

Unter Hinweis auf die - zu österreichischen Fällen ergangene - Vorjudikatur (Standard Verlags GmbH gegen Österreich, Appl. no. 13071/03, und Standard Verlags GmbH gegen Österreich [Nr 2], Appl. no. 21277/05) kam der EGMR auch in diesem Fall - wenig überraschend - zum Ergebnis, dass sich die FPK aufgrund des Anerkenntnisurteils nicht mehr auf den Opferstatuts im Sinne der EMRK berufen konnte.

Thursday, March 08, 2012

Alarmjournalismus: Lebendfalle zur Jagd auf Journalisten?

Update 15.03.2012: die Regierungsvorlage (ua) zur Novellierung der StPO, um die es im folgenden Text geht, wurde im Justizausschuss am 13.03.2012 beraten; dabei kam es zu einem im Vorfeld ausverhandelten Abänderungsantrag, der den in der Diskussion geäußerten Bedenken von Berufsgeheimisträgern Rechnung trägt. Es ist daher zu erwarten, dass die Novelle entsprechend der im Ausschuss beschlossenen Fassung (Justizausschussbericht 1700 BlgNR 24. GP; Bericht, Gesetzestext) auch im Nationalrat beschlossen wird. Der hier folgende Beitrag ist damit historisch.

"Der österreichische Rechtsstaat hat die Jagd auf Journalisten freigegeben." Das schrieb Rubina Möhring im September 2010 (aus Anlass einer - knapp drei Monate später vom OGH aufgehobenen - Gerichtsentscheidung zum Redaktionsgeheimnis).

Doch die JournalistInnen erwiesen sich offenbar als zäh. Denn eineinhalb Jahre später geht die Jagd weiter, wenn auch mit differenzierten Methoden: von einer "Lebendfalle für Journalisten" schreibt Rubina Möhring jetzt (wieder geht es um das Redaktionsgeheimnis).*

Möhring ist mir ihrem Alarmismus nicht allein, und schon gar nicht die Erste. Da die geplante Änderung auch andere Berufsgruppen mit besonderen Verschwiegenheitsrechten (oder -pflichten) - zB RechtsanwältInnen und WirtschaftstreuhänderInnen - trifft, haben sich diese Berufsgruppen natürlich kritisch zu Wort gemeldet (OTS ÖRAK, OTS KWT) und in ihrem Gefolge Vertreter aller Parteien (SPÖ, ÖVP, Grüne, FPÖ, BZÖ, nochmals BZÖ).

Worum geht es?
Ich versuche hier die inhaltliche von der prozeduralen Frage zu trennen; zunächst zum Inhalt:

§ 112 der Strafprozessordnung (StPO) regelt den Widerspruch gegen die Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern im Zuge des Ermittlungsverfahrens. Wenn von der Sicherstellung Betroffene - egal ob sie Beschuldigte sind oder ob sie nur zufällig im Besitz von Unterlagen sind - der Sicherstellung "unter Berufung auf eine gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit" (nach der Rechtsprechung auch, wenn es keine Pflicht, sondern bloß ein Recht auf Verschwiegenheit ist, wie insbesondere beim "Redaktionsgeheimnis") widersprechen, dann werden die Unterlagen versiegelt und dem Gericht vorgelegt, das zu entscheiden hat, ob und in welchem Umfang sie zu beschlagnahmen oder den Betroffenen zurückzustellen sind. Ein Rechtsmittel hat aufschiebende Wirkung.

Das hat in letzter Zeit zu Kritik geführt, weil die Auswertung durch das Gericht (samt Rechtsmittelverfahren) recht lange dauern konnte, vor allem wenn in komplexen Wirtschaftscausen umfangreiche Unterlagen sichergestellt wurden und beteiligte Steuerberater oder Anwälte sich auf die berufliche Verschwiegenheitspflicht beriefen, und zwar auch dann, wenn Ermittlungen (auch) gegen sie geführt wurden. Kurt Kuch von News etwa hat sich in der Vergangenheit auch mal kritisch geäußert, wenn ein Verfahren gegen einen Anwalt seiner Ansicht nach nicht rasch und hartnäckig genug geführt wurde (siehe zB diesen Kommentar), was - unter anderem - wohl auch daran lag, dass der Betroffene sich auf sein Berufsgeheimnis berufen hat.

In der nun diskutierten Regierungsvorlage (1677 BlgNR 24. GP; siehe auch die Erläuterungen dazu: RV 1677 BlgNR 24. GP) wurde dafür eine andere Lösung gefunden: im Fall eines Widerspruchs ist zunächst zu versiegeln und der Betroffene muss innerhalb von maximal 14 Tagen jene Teile der Aufzeichnungen oder Datenträger konkret bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung seiner Verschwiegenheit bedeuten würde. Tut er das nicht, kann alles ausgewertet werden. Bezeichnet er die Unterlagen konkret, kann die Staatsanwaltschaft "gegebenenfalls unter Beiziehung geeigneter Hilfskräfte oder eines Sachverständigen und des Betroffenen" die Unterlagen sichten und anordnen, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen. Dagegen kann der Betroffene weiterhin Einspruch erheben, über den des Gericht zu entscheiden hat; bis zur Entscheidung dürfen die Unterlagen nicht eingesehen werden. Auch einer Beschwerde gegen den Beschluss des Gerichts kommt weiterhin aufschiebende Wirkung zu.

Das alles scheint mir noch kein großes Drama, sondern schlicht der Versuch, das Verfahren etwas zu fokussieren, unter verstärkter Mitwirkungspflicht des Betroffenen (die im Ergebnis wohl nicht allzu viel bringen wird, da gerade in kritischen Fällen damit zu rechnen ist, dass eben alle Unterlagen "konkret bezeichnet" würden und es nach dem routinemäßig eingelegten Widerspruch wieder zu einer Überprüfung aller Unterlagen kommen müsste).

Eine wesentliche Änderung ist allerdings, dass das gesamte Widerspruchsverfahren nur mehr für Betroffene, die nicht selbst der Tat beschuldigt sind, Platz greifen soll. Mit anderen Worten: ein Anwalt, eine Journalistin, eine Wirtschaftstreuhänderin oder ein Priester, der/die selbst einer Straftat beschuldigt ist, soll der Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen und Datenträgern nicht mehr widersprechen können. "Einfach, wenn jemand jemanden nicht mag", wie dies Alarmjournalistin Rubina Möhring schreibt, wird man natürlich nicht "Beschuldigter" - Beschuldigter ist nämlich "eine Person, die auf Grund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig ist, eine strafbare Handlung begangen zu haben, sobald gegen sie wegen dieses Verdachts ermittelt oder Zwang ausgeübt wird" (§ 48 Abs 1 Z 1 StPO; Hervorhebung hinzugefügt).

Damit ist man an einem heiklen Punkt: denn natürlich gibt es auch unter den genannten Berufsgruppen gelegentlich Personen, die Straftaten begehen, und es besteht ein öffentliches Interesse an der Aufklärung und Sanktionierung solcher Straftaten. Manchmal ist der Eingriff in Geheimnisse sogar verlangt, um den Schutz anderer gewährleisten zu können (siehe zum Urteil des EGMR im Fall K.U. gegen Finnland hier). Um ein extremes Beispiel zu nehmen: Sollte sich ein Journalist, Anwalt oder Priester, der aufgrund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig wäre, Kinderpornos auf einer Festplatte zu horten, auf das Redaktionsgeheimnis, die anwaltliche Verschwiegenheit oder das Beichtgeheimnis berufen können?

(Update 08.03.2012: Ergänzend sollte ich vielleicht noch darauf hinweisen, dass sich durch die vorgeschlagene Novelle nichts daran ändert, dass für eine Durchsuchung bei Geheimnisträgern gemäß § 144 StPO weiterhin ein dringender Tatverdacht notwendig ist.)

Man mag mit gutem Grund besorgt sein, dass die nun vorgeschlagene Regelung - die Beschuldigten das Recht nimmt, der Sicherstellung unter Berufung auf Verschwiegenheitspflichten zu widersprechen - missbraucht werden könnte. Dass man InvestigativjournalistInnen mit dem Vorwurf der Beitragstäterschaft zum Amtsmissbrauch zu Beschuldigten machen könnte, um dadurch die Quellen zu knacken, sollen manche ja schon überlegt und auch versucht haben. Ähnliches ist bei AnwältInnen und SteuerberaterInnen denkbar, wo die Grenze zwischen umfassender Beratung und Betreuung der MandantInnen und Beitragstäterschaft zB zu Steuerhinterziehung oder Korruptionsdelikten nicht immer ganz so schwarz/weiß klar erkennbar ist, wie man sich das vielleicht wünschen würde.
Ein derartiger Missbrauchsversuch ist nie auszuschließen, und wie der Fall "am Schauplatz" gezeigt hat, kann man auch bei der aktuell noch geltenden Rechtslage nicht ausschließen, dass einzelne Gerichtsentscheidungen unzulässig weit in das Redaktionsgeheimnis eingreifen. Gerade der Fall "am Schauplatz" hat aber auch gezeigt, dass die Fehlentscheidung eines Gerichts binnen kurzer Zeit auf Grund von Rechtsmitteln sowohl der Generalprokuratur als auch des betroffenen Mediums vom OGH korrigiert wurde. Ich verstehe die journalistische Lust an der Zuspitzung, aber so wie nicht jede Übertretung des Mediengesetzes durch ein Medium ein Generalangriff von JournalistInnen auf den Rechtsstaat ist, so kann bei einer einzelnen gerichtlichen Fehlentscheidung noch keine Rede davon sein, dass der Rechtsstaat "die Jagd auf Journalisten freigegeben" habe.

Zusammenfassend würde ich (auch) bei der vorgeschlagenen Neuregelung
  • erstens nicht ausschließen, dass eine Umgehung des Berufsgeheimnisschutzes in Einzelfällen versucht werden könnte, aber
  • zweitens darauf vertrauen, dass die Rechtsprechung grundsätzlich gefestigt und klar genug ist, um solche allfälligen Ausrutscher abzustellen; ich kann mir nicht vorstellen, dass es der OGH akzeptieren würde, wenn etwa InvestigativjournalistInnen, die unter Anwendung der erforderlichen journalistischen Sorgfalt aus vertraulichen Akten oder Mails zitieren, deshalb als BestimmungstäterInnen zum Amtsmissbrauch als Beschuldigte geführt würden, um so die Datenträger sicherstellen und auswerten zu können.
Zum Prozeduralen:
Heftigst kritisiert wurde auch, dass die Änderung "heimlich" erfolgt sei, oder - in der gewohnten Skurrilität eines Wiener Zeitung-Gastkommentars - "vermutlich auf Basis einer Täuschung des Ministerrats, dass dieser Entwurf positiv begutachtet sei". Besonders hervorzuheben ist ein Beitrag im Ö1-Mittagsjournal, in dem es wörtlich hieß: "Die Änderungen im Gesetzesvorschlag wurden nach der Begutachtung der Novelle eingefügt und so im Ministerrat unbemerkt durchgewunken. [...] die heikle Gesetzesänderung wurde nur per Zufall von einem aufmerksamen Mitarbeiter [der Rechtsanwaltskammer] auf der Parlamentsseite entdeckt."

Ich kann nicht auf jeden Unsinn eingehen, der in diesem Zusammenhang gesagt und geschrieben wird. Kurz anzumerken ist aber, dass ein "unbemerktes Durchwinken" im Ministerrat ziemlich schwierig ist, wird doch das Ministerratsmaterial zuvor an alle Ministerien verteilt, wo es auf Kabinettsebene und in aller Regel auch auf Fachebene gründlich daraufhin durchgesehen wird, ob es aus der Sicht des jeweiligen Ministeriums - und auf politischer Ebene aus der Sicht der jeweiligen Minister-Partei - Einwendungen gibt. Die politische Abstimmung, auch mit Klubvertretern, in der Ministerratsvorbesprechung stellt dann sicher, dass für alle zu behandelnden Vorlagen Einhelligkeit besteht. Einwendungen politischer oder fachlicher Natur, die in der Vorbesprechung nicht ausgeräumt werden können, führen in der Regel dazu, dass die jeweilige Vorlage von der Tagesordnung abgesetzt wird, da im Ministerrat nur einstimmige Entscheidungen möglich sind. Man kann also davon ausgehen, dass zwar nicht alle Regierungsmitglieder persönlich alle Vorlagen gelesen haben, dass aber in jedem Ministerium jemand geprüft hat, ob aus der Sicht des jeweiligen Ressorts zugestimmt werden kann.

Nach dem Ministerratsbeschluss geht die Regierungsvorlage an den Nationalrat und wird von der Parlamentsdirektion auf der Website des Parlaments veröffentlicht. Sehr heimlich und versteckt ist das nicht gerade, ganz abgesehen davon, dass es sich dabei noch nicht um eine Gesetzesänderung, sondern erst um den Vorschlag der Regierung für eine Gesetzesänderung handelt. Und auch wenn wieder nicht alle Abgeordneten alle Vorlagen lesen, die Abgeordneten des Justizausschusses (unterstützt von ihren parlamentarischen MitarbeiterInnen) wissen in der Regel schon, was sie beraten und worüber sie abstimmen.

Dass nach der Begutachtung - zwischen Ministerialentwurf und Regierungsvorlage - Änderungen vorgenommen werden, liegt in der Natur der Sache. Es ist ja gerade der Zweck des Begutachtungsverfahrens, dass Fehler und Verbesserungsmöglichkeiten erkannt werden können, um schließlich einen allen Einwänden möglichst gerecht werdenden und konsensfähigen Text ins Parlament schicken zu können. Die heftige Kritik daran, dass die Änderung "heimlich" und ohne Begutachtung in den Text hineingekommen sei, kann ich daher so nicht nachvollziehen.

Das Justizministerium schreibt allerdings in seiner Aussendung, dass sich "im Zuge der Begutachtung ... anhand der Stellungnahmen Änderungsbedarf gezeigt" habe. Nun mag ich jetzt nicht mehr alle Stellungnahmen durchsehen, aber zumindest aus jenen Stellungnahmen, von denen man das am ehesten erwarten könnte (Staatsanwaltschaften, Generalprokuratur, OGH), habe ich den Wunsch nach der Neuregelung nicht entnehmen können. Interessant wäre natürlich zu wissen, wer konkret die Änderungen vorgeschlagen hat, aber vielleicht hat sich jemand alle Stellungnahmen schon durchgelesen und hilft mir hier in einem Kommentar aus (Update 09.03.2012: das BMJ bezieht sich - laut Medienberichten - auf die Stellungnahme des OLG Graz, in der die im Begutachtungsentwurf nach Ansicht des OLG zu weit gefasste Widerspruchsmöglichkeit kritisiert wurde. Das mag tatsächlich Anlass für das Überdenken des Entwurfs gegeben haben, der Textvorschlag des OLG wurde in der Regierungsvorlage aber nicht aufgegriffen).

Ob das Vorschlagen der Änderung im aktuellen Umfeld politisch-taktisch für die Justizministerin klug war, will ich nicht beurteilen. Angesichts der doch sehr vorhersehbaren Reaktionen der betroffenen Berufsgruppen verwundert es mich aber schon, dass nicht zuvor der Konsens gesucht oder zumindest umfassender konsultiert wurde, wie dies im BMJ sonst meist üblich ist. Auch die noch unter der Vorgängerin der aktuellen Justizministerin abgehaltene Fachtagung zum Redaktionsgeheimnis (dazu hier) hätte einen Ausgangspunkt für weitere Diskussionen bieten können. So aber scheint es nicht unrealistisch, dass die geplanten Änderungen am kommenden Dienstag im Justizausschuss nicht die Zustimmung der Abgeordneten finden werden, sodass entweder "nachgebessert" werden muss oder die Regeln zur Sicherstellung einfach unverändert gelassen werden, um den Rest des Gesetzgebungsvorhabens nicht zu gefährden.

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*) Ich gestehe, dass mich die ehrenwert engagierten, aber meist ziemlich verschwurbelten Beiträge von Rubina Möhring schon öfter ratlos zurückgelassen haben, so auch diesmal, weil ich einfach nicht verstehe, was sie mir ausgerechnet mit dem Begriff der "Lebendfalle" sagen will ("eine böse Falle für JournalistInnen, eine so genannte Lebendfalle" - wäre nicht eine Totfangfalle wesentlich böser?).

Update: 09.03.2012: Rainer Schüller von DerStandard.at hat mich gestern gefragt, ob er diesen Blogbeitrag im Online-Standard übernehmen könne; ich habe zugesagt und so kann man hier den etwas (nicht substantiell) modifizierten Beitrag nochmal lesen. Was man dort vor allem auch lesen kann, sind Kommentare der LeserInnen, von denen viele die politische Dimension in den Vordergrund stellen und vielleicht noch mehr ansprechen, dass sie kein Vertrauen in die Justiz haben, was häufig vor allem auf Erfahrungen aus dem sogenannten "Tierschützerprozess" gestützt ist. (Update 12.03.2011: dass der Beitrag auch - irgendwie gekürzt und mit anderem Titel - in der gedruckten Ausgabe des Standard erschienen ist, habe ich erst aus der Zeitung erfahren)

Ausgewählte in den Leserpostings auf derStandard.at (anonym) gestellte Fragen beantworte ich aber (bewusst hier, also ganz exklusiv für BlogleserInnen):
Frage: "hat der kommentierende in den letzten jahren gefehlt, keine zeitung in die hand gekriegt oder keinen fernseher???"
Antwort: ich weiß nicht, wo ich fehlen hätte sollen; Zeitungen habe ich - vielleicht mehr als genug - in die Hand bekommen; Fernsehgerät ist vorhanden.
Frage: "wurden sie vielleicht auch schon (von Regierungsseite) angefüttert?"
Antwort: Wenn man den Begriff "von Regierungsseite" weit auslegt, dann kann ich sagen: ich stehe in einem Dienstverhältnis zum Bund (allerdings nicht in einem Ministerium, also nicht zur "Regierung") und dieser "Brotberuf" nährt mich. Das ist allerdings nicht das, was man 2008/2009 im Strafgesetzbuch unter Anfüttern verstand.
Frage: "auf wessen payrole (sic) stehen Sie?"
Antwort: Für den Blogbeitrag (und dessen Übernahme in den Online-Standard) stehe ich auf keiner payroll (im Gegenteil, das kostet mich etwas, nämlich Freizeit. Ich überlege mir auch schon länger, ob mir das nicht doch zu teuer ist).
Frage: "hat man Ihnen für die nächste Legislaturperiode vielleicht schon ein politisches Amt im Justizministerium angeboten?"
Antwort: Warum erst für die nächste Legislaturperiode? Im Ernst: Das einzige politische Amt im Justizministerium ist Justizminister; und nein, das hat man mir nicht angeboten (auch kein anderes, politisches/unpolitisches/sonstiges Amt - sollte ich vielleicht einmal nachfragen, ob irgendwo eines für mich übrig wäre?)

Kommentar der Anderen von Thomas Höhne
RA Thomas Höhne hat im Standard eine lesenswerte Erwiderung zu meinem Beitrag verfasst - lesenswert natürlich schon deshalb, weil er schreibt: "der für seine klugen und querdenkerischen Einwürfe bekannte Hofrat des Verwaltungsgerichtshofs Hans Peter Lehofer", freilich um gleich darauf darzulegen, weshalb er den konkreten Beitrag als weniger klug ansieht. Und da er damit der Welt kundgetan hat, dass ich Hofrat bin, warte ich auf das erste Leserposting, in dem der schöne Begriff "Beschwichtigungshofrat" vorkommt. 

Tuesday, March 06, 2012

"Weltbank kontaktiert" und "Task Force Urheberrecht": Fortschritte auf dem österreichischen Weg "an die Spitze der IKT-Nationen"

Wieder einmal eine kleine Erinnerung: Das sogenannte "Kompetenzzentrum Internetgesellschaft" wurde vor etwa zwei Jahren als "unbürokratische und umsetzungsorientierte[!] Einrichtung" eingerichtet, und mittlerweile ist es auch schon bald ein Jahr her, dass tatsächlich eine Website geschaffen wurde, auf der man sich gelegentlich nach Fortschritten umsehen kann. Und so kann man herausfinden, dass es im vergangenen Februar wieder einen Ministerratsvortrag gab mit einem ersten Bericht über den "Stand IKT in Österreich" und mit einem zweiten Prioritätenkatalog (zum ersten Katalog siehe hier und zum sogenannten "Fortschrittsbericht" hier).

Nett finde ich den "aktuellen Fortschrittsbericht" (4.10.2011), der darauf hinweist, dass sich Österreich "auf Platz 20 unter 133 Nationen" im Networked Readiness Index [NRI] befinde. Wörtlich heißt es: "In den nächsten fünf Jahren will das KIG ['Kompetenzzentrum Internetgesellschaft'] Österreich mit gezielten Maßnahmen unter die Top 12 bringen." Ich bin nicht ganz sicher, ob da ein Zahlensturz passiert ist, denn zuletzt (übrigens schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des "Fortschrittsberichts") hatte es Österreich geschafft, noch einen Platz abzusteigen und war auf Platz 21 [nicht: 12] angelangt (womit aber nichts über die Sinnhaftigkeit dieses Indizes gesagt sein soll). Anyway: zur Priorität "A12: Indexpflege" lautet die Beschreibung im "Fortschrittsbericht":
"Der NRI, unser Maßstab, soll analysiert und den Führungskräften der öffentlichen Verwaltung nähergebracht werden. Gleichzeitig werden eine ausgewogenere Ermittlung der Rohdaten angestrebt sowie Verbesserungen der Methodologie vorgeschlagen."
Und was waren die Aktivitäten?
"WEF [World Economic Forum] Gespräch am 3.10.2011, Weltbank kontaktiert"
Damit dürfte das "Kompetenzzentrum Internetgesellschaft" seinem wichtigsten Ziel, "Österreich an die Spitze der IKT-Nationen zu positionieren", wohl einen bedeutenden Schritt näher gekommen sein.

Aber im Ernst: es gibt natürlich eine Reihe sinnvoller Aktionen, auch im zweiten Prioritätenkatalog, doch möchte ich manches erst sehen, um daran glauben zu können. So soll es (als "Priorität B4") eine Task Force Urheberrecht geben mit dem Justizministerium als Träger und folgender Kurzbeschreibung (wörtlich und vollständig zitiert):
  • Einrichtung eines Dialog zwischen den beteiligten Interessensgruppen 
  • Möglichst früh zu gemeinsamen Lösungen zu finden 
  • Zermürbende Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden 
  • Klärung von praktischen Streitfragen, zu legislativen Projekten, die von allen Betroffenen mitgetragen werden
  • Formulierung österreichischer Interessen in der europäischen und internationalen urheberrechtlichen Diskussion
Das klingt erstmal noch nicht sehr konkret, und die bisherigen Erfahrungen mit der österreichischen Urheberrechtspolitik verleiten auch nicht gerade dazu, nun auf einmal gleich großen Gestaltungs- und Erneuerungswillen zu erwarten. Aber es ist wenigstens ein kleines Zeichen, dass man auf eines der heißesten rechtspolitischen Themen der "Internetgesellschaft" wenigstens nicht ganz vergessen hat.

Dass das Thema Urheberrecht auch für das "Kompetenzzentrum" Bedeutung haben könnte, zeigt der Urheberrechtshinweis" im Impressum der Website; Zitat: "Kein Teil dieser Seiten darf in irgendeiner Form in welchem Verfahren auch immer ohne schriftliche Genehmigung der Kompetenzzentrums reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, bearbeitet, vervielfältigt, verbreitet oder zur Verfügung gestellt werden. Der Download von Texten zum persönlichen, privaten und nicht-kommerziellen Gebrauch ist jedoch gestattet." Das klingt ein wenig, als wolle man damit sogar die freien Werknutzungen nach §§ 41 ff Urheberrechtsgesetz beschränken, etwa das Betrachten der - zugegeben nicht besonders spannenden - Bilder der Website, was ja eine Zwischenspeicherung "unter Verwendung elektronischer Systeme" voraussetzt, die aber nach § 41a UrhG zulässig ist. Und wer sich die "schriftliche Genehmigung des Kompetenzzentrums" einholen möchte, steht auch vor Problemen: das "Kompetenzzentrum" hat nämlich keine Rechtspersönlichkeit und zudem sollen die Rechte eigentlich - nach anderen Angaben auf der Website - bei der RTR GmbH liegen (Nebenaspekt: so hält also die RTR-GmbH nach eigenen Angaben Urheberrechte auch am Ministerratsvortrag 131/6 vom 15. Februar 2012. Ob das die MinisterInnen wissen?).

PS: Die A1-Priorität "Best Practise Plattform: iktprojekte.at" dümpelt weiter vor sich hin, obwohl sie laut Fortschrittsbericht seit Oktober 2011 abgeschlossen ist. Als Fortschritt zur Priorität "A10 KIG Informationsstrategie" wird auch der Abschluss der Website des Kompetenzzentrums ausgwiesen - leider brachte der Fortschritt auch mit sich, dass alle früheren Links (etwa in meinem früheren Blog-Beitrag) tot sind.

Update 13.03.2012: nun hat das "Kompetenzzentrum Internetgesellschaft" den großartigen 2. Prioritätenkatalog auch per APA OTS-Aussendung verkündet; Ziel ist wie immer: "Österreich an der IKT-Spitze zu positionieren". Das war übrigens schon 2005 beim IKT-Masterplan so: damals war Österreich an 19. Stelle im Networked Readiness Index und wollte binnen 5 Jahren unter die ersten 5 kommen. 2010 - also fünf Jahre später - war Österreich 20. (und 2011 schon 21.)

Sunday, March 04, 2012

Google gegen spanische Datenschutzbehörde vor dem EuGH - oder: C.G. will vergessen werden und bleibt dennoch unvergessen

Herr C.G. aus El Escorial in Spanien möchte nicht, dass jemand, der seinen vollen Namen in Google sucht, einen Link auf die Website der katalanischen Zeitung "La Vanguardia" findet, genauer: einen Link auf die Seite 23 der Ausgabe vom 19. Jänner 1998. Denn dort ist zu lesen, dass wegen rückständiger Sozialabgaben eine im Miteigentum von C.G. stehende Wohnung versteigert werden sollte (wozu es in der Folge nicht gekommen ist). Also widersprach C.G. der Verarbeitung seiner persönlichen Daten: Google solle sicherstellen, dass bei einer Suche kein Link mehr auf die alte Geschichte ausgeworfen wird.

Die spanische Datenschutzbehörde hatte Google schon in anderen Fällen aufgefordert, Links zu Zeitungsmeldungen zu entfernen (siehe einen Bericht des Guardian hier), und auch im Fall von C.G. wurde Google Spanien und Google Inc. aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zu setzen, um die Daten aus dem Index zu entfernen und sicherzustellen, dass kein Zugang mehr möglich ist. Google setzte sich dagegen zur Wehr, und über das Rechtsmittel hat nun die Audiencia Nacional, das oberste spanische Gericht (ua) in Verwaltungssachen, zu entscheiden. In diesem Verfahren "Google Spain S.L. und Google Inc. gegen die Datenschutzbehörde und C.G." hat die Audiencia Nacional beschlossen, den EuGH mit Fragen zur Auslegung der Datenschutzrichtlinie zu befassen (siehe dazu den Beschluss und die Pressemitteilung des Gerichts, jeweils in spanischer Sprache; den Beitrag von Miquel Peguera in englischer Sprache mit Übersetzung der Vorlagefragen und einen Bericht im Guardian; Update 31.03.2012: beim EuGH anhängig unter C-131/12).

Das "Recht auf Vergessenwerden" (so ausdrücklich Art 17 des Vorschlags der Kommission für eine Datenschutz-Grundverordnung) ist derzeit wegen der anstehenden Reform des EU-Datenschutzrechts natürlich ein besonders spannendes Thema, bei dem sich nicht nur eine Konfliktlinie mit den USA, sondern auch ein Spannungsverhältnis zum Recht auf Informationsfreiheit auftut (siehe zB Joris van Hoboken, 9 Reasons Why a ‘Right to be Forgotten’ is Really Wrong oder Jeffrey Rosen, The Right to Be Forgotten, der die Auffassung vertritt, das "Recht auf Vergessenwerden" sei "the biggest threat to free speech on the Internet in the coming decade"; dazu auch Robert Krulwich auf seinem NPR-Blog).

Wie schwer es aber ist, im Internet vergessen zu werden, zeigt ausgerechnet der Beschluss der Audiencia Nacional selbst: denn das Gericht hat in der pdf-Veröffentlichung des Beschlusses auf seiner Website Namen und Wohnort des Betroffenen (Mitbeklagten) C.G. zwar "geschwärzt" - allerdings einfach mit der "Hervorheben"-Funktion im pdf-Dokument, sodass der volle  Name mit zwei Mausclicks von jedermann leicht sichtbar gemacht werden kann. Vor allem aber findet auch Google natürlich insbesondere dieses pdf, wenn man den vollständigen Namen von C.G. als Suchbegriff eingibt! Und sozusagen als Draufgabe wurde beim "Schwärzen" offenbar nur der vollständige Name von C.G. (mit den Spanien-typischen zwei Familiennamen) gesucht, sodass die Erwähnung des Betroffenen bloß mit einem Familiennamen in der Aufzählung der Beilagen (Anexo III.- Contestación a la demanda) gänzlich ungeschwärzt bleibt.

So wird es wohl nichts mit dem Vergessenwerden für Herrn C.G. (vollständiger Name, wie erwähnt, bekannt, und zB auch in diesem aktuellen Zeitungsbeitrag ausgeschrieben; Update 10.09.2012: wie ich bei einem Aufruf heute feststellen konnte, wurde das mittlerweile geändert).
Update 30.05.2013: die Schlussanträge des Generalanwalts werden am 25.06.2013 vorgelegt. Einen Bericht über die mündliche Verhandlung gibt es auf dem Blog von Jef Ausloos (demnach haben Österreich, Spanien und die Kommission den Kläger im Ausgangsverfahren gegen Google unterstützt).

Update 25.07.2013: zu den Schlussanträgen des Generalanwalts siehe hier.
Update 20.05.2014: zum Urteil des EuGH siehe hier.

PS: ich befasse mich in diesem Blog nur sehr am Rande mit Datenschutz; wer an einer laufenden Beobachtung von Datenschutzfragen aus österreichischer Perspektive interessiert ist, sollte das Blog von Markus Kastelitz verfolgen.