Bei der Eröffnungsveranstaltung sprachen unter anderem Peta Buscombe, die Vorsitzende der britischen Press Complaints Commission, und Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserats. Bei deren Referaten wurde deutlich, wie sehr sich die österreichische Variante des Presserats von anderen Modellen unterscheidet. Peta Buscombe betonte etwa für die PCC:
- die Erhöhung der nicht dem Medienbereich zugehörigen Mitglieder der PCC, die nun die Anzahl der Medienvertreter übersteigt - in Österreich werden alle Mitglieder des Presserats von den Trägerorganisationen nominiert, in den entscheidenden Senaten müssen 6 der 7 Mitglieder Berufsjournalisten sein;
- den kostenlosen Zugang für Beschwerdeführer - in Österreich hat der Beschwerdesenat als Schiedsgericht auch eine Kostenentscheidung "nach seinem Ermessen" (§ 609 ZPO) zu treffen, sodass die Beschwerdeführer bei Abweisung ihrer Beschwerde wohl eine Kostenersatzpflicht treffen wird;
- die Selbstfinanzierung (Buscmobe: "we are not a burden on the taxpayer") - in Österreich ist eine staatliche Förderung in der Höhe von € 150.000 pro Jahr vorgesehen (§ 12a Presseförderungsgesetz)
- die Transparenz und Raschheit des Verfahrens - dazu kann man für Österreich noch nicht viel sagen, außer dass die bislang einzige Entscheidung - laut Verfahrensordnung - nicht veröffentlicht werden darf und der Herausgeber des betroffenen Mediums laut Standard bzw APA sagt, dass er die - anbgeblich am 20. Dezember 2010 getroffene - Entscheidung noch nicht bekommen hat (sie aber ohnehin "nicht auspacken" werde);
- Flexibiliät und Anpassungsfähigkeit, da die PCC selbst über ihren "remit" (Zuständigkeitsbereich) entscheidet - in Österreich müsste dazu wohl eine Statutenänderung des Trägervereins erfolgen, zumindest aber eine - in der Mitgliederversammlung des Trägervereins zu beschließende - Änderung der Verfahrensordnung; wenn man bedenkt, wie schwierig es schon war, überhaupt Einigung über den neuen Presserat zu erzielen, lässt das jedenfalls prima facie keine besondere Flexibilität erewarten.
- dass die Beschwerde ein Jedermannsrecht ist und keine Verletzung in Persönlichkeitsrechten voraussetzt - in Österreich kann sich nur beschweren, wer eine "Verletzung von schutzwürdigen Rechten, insbesondere Persönlichkeitsrechten, des Beschwerdeführers" behauptet;
- dass Beschwerde an den Presserat vor, nach oder parallel zu einem gerichtlichen Verfahren erhoben werden kann - in Österreich muss ein Beschwerdeführer auf die Anrufung der Gerichte verzichten.
In einem Punkt - der freilich bei der Eröffnungsveranstaltung nicht angesprochen wurde - könnte man allerdings auch eine gewisse Annäherung des österreichischen an das britische Modell sehen: nämlich bei der gerichtlichen Kontrolle von Entscheidungen des Presserats. Die britische Press Complaints Commission unterliegt als "public authority" im Sinne des Human Rights Act einer (eingeschränkten) gerichtlichen Kontrolle (siehe etwa Ford v PCC, [2001] EWHC Admin 683); in Österreich, wo die gerichtliche Überprüfung von Selbstregulierungsentscheidungen bislang keine Tradition hat, gibt es durch die Ausgestaltung des Presserats als Schiedsgericht im Sinne der ZPO erstmals die Möglichkeit eines - im Wesentlichen auf gröbste Verfahrensmängel und "ordre public"-Fragen beschränkten - gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen Presserats-Sprüche (§ 611 ZPO; meine Zweifel betreffend die Schiedsvereinbarung im Hinblick auf § 617 ZPO habe ich schon hier angemerkt). Das alles wird wohl Theorie bleiben: denn dass ein Fall, für den es sich lohnen würde, zu Gericht zu gehen, überhaupt vor den Presserat kommt, ist nach seiner derzeitigen Konstruktion wohl auszuschließen.
Noch eine Anmerkung zur Eröffnungsveranstaltung: Journalistik-Professorin Dr. Irene Neverla versprach, in ihrem Referat nicht viel Neues zu sagen, und es wäre unhöflich zu behaupten, sie hätte ihr Versprechen nicht gehalten. Aufhorchen ließ mich aber ihre Ansage, sie sehe keinen vernünftigen Grund, weshalb sich ein seriöses Medium der Teilnahme am (österreichischen) Presserat verweigern solle - und wer sich verweigere, verwirke (!) ihres Erachtens das Recht auf die besonderen Rechte der Presse wie zB den Informantenschutz, ebenso wie auf wirtschaftliche Privilegien wie die Presseförderung.
Nun könnte man über eine Verknüpfung von Presseförderung und "Wohlverhalten" (Unterwerfung unter Entscheidungen einer repäsentativen Selbstregulierunsgeinrichtung) vielleicht diskutieren - dass aber die im Kern die Pressefreiheit berührenden Schutzbestimmungen etwa zum Redaktionsgeheimnis nur jenen Medien zugute kommen sollten, die sich den Entscheidungen eines privaten Vereins unterwerfen, wäre meines Erachtens mit Art. 10 EMRK jedenfalls nicht vereinbar. Irgendwie bemerkenswert, wie man zur Verteidigung einer Einrichtung, die statutengemäß der Förderung der Pressefreiheit dienen soll, einen Vorschlag ins Spiel bringt, der eben diese einschränken würde.