Über den Beschluss des OLG Wien, wonach der ORF das ungeschnittene Rohmaterial zu einer "Am Schauplatz"-Sendung herausgeben muss, wurde in den letzten Tagen weiter heftig diskutiert. Und weil ich
schon darüber geschrieben habe (wenn auch eher abstrakt, zumal ich die Entscheidung und den zugrundeliegenden Sachverhalt nicht kenne), hier nun ein kurzes Update und ein zwei Anmerkungen zu Randerscheinungen dieser Sache:
1. ORF-Generaldirektor Wrabetz entscheidet sich wieder anders
Die Entscheidung vom vergangenen Donnerstag, die Bänder herauszugeben, wurde
in einer Äußerung des ORF-Sprechers auffallend deutlich dem Informationsdirektor - also gerade nicht dem Generaldirektor - zugeordnet (so deutlich, dass sich der Informationsdirektor in der Diskussion "am runden Tisch" am Freitag in ORF 2 zu einer Klarstellung bemüßigt fühlte, dass "natürlich die gesamte Geschäftsführung" die Entscheidung mittrage). Für eine öffentlich-rechtliche Einrichtung schien es wohl auch naheliegend, einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung - wie immer man diese inhaltlich bewertet - Folge zu leisten (wie schon der Rechtsanwalt des ORF
laut Presse dazu sagte:
"Wir leben in einem Rechtsstaat und in einem Rechtsstaat sind auch falsche Gerichtsurteile zu befolgen."). Nun aber hat sich ORF-Generaldirektor Wrabetz doch wieder anders entschieden und will
"im Sinne eines Moratoriums" die angeforderten Bänder nicht übergeben.
Ich will hier weder die frühere noch die aktuelle Position des ORF kommentieren (und werde, dies sei vorsichtshalber gleich angemerkt, auch bei weiteren Positionsänderungen dazu kein Update mehr im Blog bringen), sondern bloß auf
die interessante Begründung des Generaldirektors für den Kurswechsel hinweisen:
"Wir sind wohl berechtigt der Meinung, dass dieser Beschluss das Gesetz falsch interpretiert und jetzt zeigt sich, dass die Politik das im Grunde auch so sieht und auch die Meinung der ersten Instanz untermauert wird". Hängt die Entscheidung, ob ein rechtskräftiger Gerichtsbeschluss befolgt wird, für den ORF-Generaldirektor (unter anderem) tatsächlich davon ab, wie "die Politik" (wer immer das konkret sein soll, nach aktuellem Stand dürfte
die Justizministerin wohl nicht dazuzählen) das "im Grunde" sieht?
2. Schriller die Alarmglocken nie klingeln ...
Mit Interesse beobachte ich derzeit den gepflegten Alarmismus, den gestandene JournalistInnen in dieser Sache verbreiten. Zwar betrifft das nicht nur die Entscheidung des OLG Wien, sondern auch
den - eingestandenen - Fehler der Staatsanwaltschaft, wegen des in Deutschland, nicht aber in Österreich strafbaren Zitierens aus gerichtlichen Ermittlungsakten zwei Journalisten aufgrund eines deutschen Rechtshilfeersuchens zur Einvernahme vorladen zu lassen, aber dass (bis zu einer allfälligen Änderung des Mediengesetzes) in der Zwischenzeit
"die Pressefreiheit sang und klanglos endgültig vor die Hunde" geht,
wie Rubina Möhring, die Vorsitzende von "Reporter ohne Grenzen Österreich" schreibt, muss man allein schon vor dem Hintergrund der aktuellen Aufregung ("sang- und klanglos?") nicht unbedingt teilen. Wenn ich dann bei Möhring zum Beispiel noch lese:
"Der österreichische Rechtsstaat hat die Jagd auf Journalisten freigegeben", dann frage ich mich schon, ob es auf der Aufregungsskala nicht noch andere Abstufungen als null oder hundert gibt.
Besonders eindrucksvoll in diesem Zusammenhang ist natürlich der
"Österreichische Journalisten Club". Für den Vorsitzenden dieses Vereins verliert Österreich (
laut Presseaussendung)
"langsam aber sicher den Anspruch, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein" (das Wort "langsam" wirkt da richtig beruhigend!), und natürlich klingeln wieder einmal
"alle Alarmglocken". Bedenken zu Durchbrechungen des Redaktionsgeheimnisses kann ich ja verstehen, aber für den ÖJC ist ein Mitauslöser dieses Alarmklingelns auch - ganz im Ernst -
"die neugeschaffene juristische Medien-'Behörde'" (der ÖJC setzt das Wort "Behörde" unter Anführungszeichen, obwohl doch weniger die Behördeneigenschaft in Zweifel zu ziehen wäre als das Wort "Medien", denn die KomAustria ist nicht für alle Medien, sondern nur für audiovisuelle Mediendienste zuständig). Was dabei so alarmierend sein soll, steht
in einer weiteren ÖJC-Presseaussendung:
"Die Schaffung einer juristischen Aufsichtsbehörde für den öffentlich/rechtlichen Rundfunk in Österreich erinnert an die staatliche Zensurbehörde unter Metternich". An diesem Punkt fühle ich mich ein wenig ungerecht behandelt: denn immerhin wurde ja schon die "alte" KommAustria, als sie 2001 eingerichtet wurde, als
Metternichbehörde bezeichnet - und als damaliger Leiter dieser Behörde müsste ich mich fast beleidigt fühlen, wenn nun impliziert wird, dass das noch gar keine richtige Metternichbehörde gewesen wäre ;-).
Aber irgendwie ist sich der Österreichische Journalisten Club vielleicht auch gar nicht so sicher, was er wirklich will, denn in einem
offenen Brief an alle Abgordneten schreibt er:
"Der Österreichische Journalisten Club (ÖJC) hat in den vergangenen Jahren mehrmals ... vor einer dramatischen Verschärfung der Pressefreiheit in Österreich gewarnt."
3. "Ahnungslosigkeit wird zum Markenzeichen"*
Aber auch abseits der offensichtlichen Formulierungs- und Rechtschreibfehler in den ÖJC-Aussendungen stellt man sich in diesen Tagen als juristischer Beobachter manchmal die Frage nach der Qualität der journalistischen Arbeit, wenn es um wichtige journalistische Anliegen geht. Da wird nicht nur der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, in Straßburg) schnell einmal zum Europäischen Gerichtshof (EuGH, Sitz in Luxemburg), aus einem amtswegig geführten Strafverfahren wird die Klage eines Politikers, in einer Diskussion wird die Justizministerin gleich als Gesetzgeberin bezeichnet, von einer früheren Justizministerin wird behauptet, sie habe einen Mediensenat beim OGH eingerichtet, etc. etc. Ich werde bei diesen Kleinigkeiten jetzt absichtlich nicht konkreter und verlinke das nicht, denn es geht mir nicht um das Aufzeigen einzelner Fehler, sondern eher um die Frage, ob JournalistInnen nicht gerade dann, wenn sie anderen handwerkliche Fehler vorwerfen (wie etwa dem in der konkreten Sache erkennenden Senat des OLG Wien eine falsche Rechtsanwendung, Aktenwidrigkeit, "Abschreiben" etc.) besonders sorgsam auf die handwerkliche Qualität der eigenen journalistischen Arbeit achten sollten.
Und dann gibt es noch Forderungen, die ans Absurde grenzen. Besonders nett ist auch hier wieder der ÖJC, der
nicht nur die Verankerung des Redaktionsgeheimnisses in der Verfassung fordert (darüber ließe sich wohl reden, wenngleich es ohnedies über Art 10 EMRK verfassungsrechtlich geschützt ist, und auch eine Verankerung in der Verfassung nicht vor allfälligen Fehlurteilen schützen kann). Nein, nach Ansicht des ÖJC wäre dringend gleich
"ein neues Medienrecht zu schaffen. Dies soll ein umfassendes Gesetz werden, dass [sic] im Verfassungsrang steht."
Ich bin mir nicht ganz sicher, wie genau sich der ÖJC im Medienrecht auskennt, aber vielleicht wäre es ja wirklich reizvoll, zum Beispiel ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Kennzeichnung entgeltlicher Veröffentlichungen (siehe derzeit
§ 26 MedienG) zu haben! Im Ernst: nicht alles, was im Mediengesetz steht, eignet sich wohl als materielles Verfassungsrecht. Und abgesehen davon: die Einräumung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts bedeutet - anders als dies gelegentlich in den letzten Tagen verbreitet wurde - auch nicht nicht notwendiger Weise, dass man dieses Recht vor dem Verfassungsgerichtshof geltend manchen kann (gerade in Angelegenheiten nach dem MedienG liegt die Verantwortung für die Achtung der Grundrechte - wie man im aktuellen Fall sieht - innerstaatlich in der Regel bei den ordentlichen Gerichten).
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*) Die obige Zwischenüberschrift hat keinen unmittelbaren Bezug zum Text, auch wenn ich beim Lesen mancher Meldungen der letzten Tage wieder daran gedacht habe. Der Satz stammt aus einem Standard-Artikel vom 14.04.2003, er betraf einen zwischendurch als Fußball-Manager tätig gewordenen Politiker, und er war Gegenstand eines Medienverfahrens, in dem der Oberste Gerichtshof - zum Schutz der in Art 10 EMRK garantierten Meinungsäußerungsfreiheit - über Antrag der Generalprokuratur die Wiederaufnahme des Strafverfahrens verfügt hat (
OGH 29.4.2008, 11 Os 124/07f); der Beschluss ist wegen des Sachverhalts, aber auch wegen der inhaltlichen Entscheidung sehr lesenswert, aber wie gesagt ohne Bezug zu den aktuell diskutierten Verfahren.