Wednesday, April 29, 2015

Geoblocking ist das Roamingentgelt des Urheberrechts - eine kurze Anmerkung zu Günter Oettinger

Auch wenn es manchmal schwer fällt: natürlich muss man Günther Oettinger ernst nehmen, sehr ernst sogar. Denn abseits seiner etwas auffälligen Obsession mit den "Taliban" (hier oder hier; dafür muss es wohl irgendeine psychologische Erklärung geben) ist er immerhin EU-Digitalkommissar (präzise: Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft), und dass ihn Juncker auf diesem Platz (oder
jedem anderen) in der Kommission akzeptieren musste, zeigt schon, über welches politische Gewicht Oettinger - mit der vollen Rückendeckung Deutschlands - verfügt.

Zu den Aufgaben Oettingers zählen ua die "Vorbereitung ehrgeiziger Rechtsetzungsschritte zur Verwirklichung eines vernetzten digitalen Binnenmarkts durch Aufbruch der bestehenden nationalen Silostrukturen in den Telekommunikationsvorschriften, im Urheber- und Datenschutzrecht, bei der Verwaltung von Funkfrequenzen und in der Anwendung des Wettbewerbsrechts" und die
"Modernisierung des Urheberrechts" (Zitate, inklusive der Links, von Oettingers offizieller EU-Website; siehe auch den "mission letter" von Juncker an Oettinger).

Beim Roaming: nationale Grenzen weg! Bei Content: nationale Grenzen hoch!
Während Oettinger im Telekombereich das "Aufbrechen der nationalen Silostrukturen" jedenfalls beim Roaming zumindest verbal auch zu seinem Thema gemacht hat, klingt er beim Urheberrecht ganz anders: hier will er die nationalen Silos sogar stützen und traut sich zu, "mit Geoblocking zum Erfolg" zu kommen (so im gestern veröffentlichten Interview im Kurier/futurezone). 

Oettinger misst hier ganz offen mit zweierlei Maß: denn wenn er zB beim Roaming auch darauf hören würde, was die jeweilige nationale Telekomwirtschaft sagt (wie er es im futurezone-Interview beim Geoblocking im Hinblick auf die nationale Contentindustrie empfiehlt: "Fragen sie die Filmwirtschaft ihres Landes"), dann hätte er schon gegen jede Reduzierung der Roamingentgelte eintreten müssen, und mehr noch gegen ihre gänzliche Abschaffung. 

Selbstverständlich ist die Überwindung der nationalen Urheberrechts-Silos eine komplexe Aufgabe, und sie wird nicht ohne Verlierer (und nicht ohne Gewinner) abgehen - aber das unterscheidet sie nicht von der Überwindung der nationalen "Roaming-Silos". Auch das Ausphasen der Roaming-Entgelte ist technisch und rechtlich komplex, und auch hier gibt es Verlierer (das sind übrigens nicht nur die Telekom-Unternehmen, sondern vor allem auch jene ihrer Kunden, die wenig oder gar nicht ins Ausland fahren, und die daher die höheren nationalen Kosten tragen müssen, ohne von den gesenkten Roamingkosten zu profitieren). Das nimmt die Kommission (und mit ihr das Parlament und - bis jetzt zumindest ein Stück weit - auch der Rat) in Kauf, unter Hinweis auf das höhere Ziel eines digitalen Binnenmarktes ohne interne nationale Grenzen (mehr zum aktuellen Stand der Verhandlungen zum Roaming-Ende übrigens im Blog hier, am Ende).

Geoblocking ist aber wie das Roamingentgelt: ein nationales Hindernis im europäischen Binnenmarkt, das KonsumentInnen davon abhalten kann, in anderen Mitgliedstaaten Leistungen in Anspruch zu nehmen, wie sie es im Heimatstaat (oder schlicht: in anderen Mitgliedstaaten) problemlos tun können. 

"Weg mit dem Geoblocking" hat meines Erachtens das Zeug dazu, das "Weg mit den Roamingentgelten" der aktuellen Kommissionsperiode zu werden. Ich bin schon neugierig, wie Oettinger - der beim Geoblocking auch innerhalb der Kommission mit Widerstand rechnen muss - in zwei oder drei Jahren darüber sprechen wird. 

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PS: Oettinger fürchtet, dass es bei einem Ende des Geoblockings in der Union "nur noch Hollywood" gäbe und "Google und Co" (Mountainview ist das neue Hollywood?) den Markt beherrschen würden (das kann man mit gutem Grund auch anders sehen, siehe dazu jüngst etwa Cory Doctorow). Offenbar ist der Glaube an eine leistungsfähige europäische Filmwirtschaft bei Oettinger nicht sehr groß. Im Telekombereich sind der Kommission die Auswirkungen eines Endes nationaler Grenzen übrigens nicht so wichtig - im Gegenteil: der ursprüngliche Kommissionsvorschlag für die TSM-Verordnung sollte sogar darauf hinwirken, dass europaweit nur mehr wenige große Anbieter übrig bleiben. 

PPS: In der für nächste Woche geplanten Mitteilung der Kommission über die "Strategie für den Digitalen Binnenmarkt" (der geleakte Entwurf dazu ist hier nachzulesen) wird der Begriff des Geoblocking übrigens in einem etwas anderen Sinn verwendet: er bezeichnet dort nicht nur die Verweigerung des Zugangs zu Inhalten einer Website für User aus bestimmten geografischen Regionen, sondern darüber hinausgehend auch die Weigerung von Unternehmern, die auf der Website zum Verkauf angebotenen Waren in bestimmte Länder auszuliefern. Dieses Geoblocking soll nach der Mitteilung beendet werden, freilich nur soweit es "unjustified" (nicht gerechtfertigt) ist. Beim klassischen urheberrechtlich motivierten Geoblocking ist die Kommission zurückhaltender: sie will hier nur volle Portabilität legal erworbenen Contents erreichen, den Zugang zu legal bezahltem Content für grenzüberschreitende Dienste "erleichtern", dies unter Wahrung des Schutzes der Rechteinhaber, und schließlich mehr Rechtssicherheit für die grenzüberschreitende Content-Nutzung (nur) für spezifische Zwecke schaffen, zB für "Forschung, Unterricht, Text- und Datamining"(!). 

Thursday, April 16, 2015

EGMR: Armellini ua gegen Österreich - Bestechlichkeitsvorwurf gegenüber Fußball-Profis

Nach mehr als achtjähriger Verfahrensdauer hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte heute im Urteil Armellini und andere gegen Österreich (Appl. n. 14134/07) ausgesprochen, dass zwei Journalisten und die Medieninhaberin der Neuen Vorarlberger Tageszeitung durch eine Verurteilung wegen eines unrichtigen Bestechlichkeitsvorwurfs gegenüber drei Fußball-Profis nicht in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 EMRK verletzt wurden. Die Entscheidung bringt juristisch nichts wirklich Neues und wird hier nur wegen des Österreich-Bezugs kurz dargestellt.

Zum nationalen Verfahren
Vor gut zehn Jahren - am 19. Februar 2005 - veröffentlichte die Neue Vorarlberger Tageszeitung eine Aufmachergeschichte mit der Schlagzeile "Bregenz-Spieler mit 60.000 € bestochen" - darunter durckte sie ein Bild von drei Spielern, mit der Bild-Unterschrift: "Diesem Trio sind die Fahnder auf den Fersen: Es soll für Wett-Mafia Spiele manipuliert haben!". In einem Kasten, auch noch auf der Titelseite, stand weiters: "Schlimmer Vedacht gegen Fussball-Profis erhärtet". Im Hauptartikel auf Seite 29 der Zeitung wurde unter der Überschrift "Für 60.000 € Team verkauft und verraten?" berichtet, dass die drei Spieler von der Wett-Mafia in drei Spielen bestochen worden seien; Grund für die Manipulationen in den Spielen seien die finanziellen Probleme der Spieler gewesen, die seit Monaten keinen Lohn erhalten hätten. Alle Spieler hätten ein vom Vereinsmanagement vorbereitetes öffentliches Statement unterzeichnet, in dem jede Verwicklung in den Wettskandal abgestritten wurde (zu dieser Sache hier ein Bericht auf VOL.at, in dem auf den Artikel in der "Neuen" Bezug genommen wird).

Die Verfasser des Artikels wurden wegen übler Nachrede (§ 111 StGB) zu bedingt nachgesehenen Geldstrafen von 3.680 € bzw. 5.040 € verurteilt, die Medieninhaberin zu einer Entschädigung (nach § 6 Mediengesetz) von 12.000 € pro Spieler (zum Urteil des OLG Innsbruck vom 6. April 2006 siehe zB diesen Bericht auf orf.at).

Die Entscheidung des EGMR
Dass die Verurteilung einen Eingriff in das nach Art 10 EMRK geschützte Recht darstellt, war unstrittig; ebenso dass der Eingriff gesetzlich vorgesehen war (§ 111 StGB, § 6 MedienG) und einem legitimen Ziel (Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer) diente. Damit bleibt die Frage, ob der Eingriff im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" war.

Der EGMR hält fest, dass der Artikel eine Angelegenheit von beträchtlichem öffentlichen Interesse - die Manipulation von Spielen und damit zusammenhängender Betrug - betraf. Das Interesse der Öffentlichkeit besteht dabei nicht nur am Verein, sondern auch an den - den Lesern des Sportteils bekannten - konkreten Spielern. Der Vorwurf der Bestechlichkeit wiegt aber schwer und berührt die "zentrale ethische Idee des Sports" ("the central ethical conption of sports").

Die Zeitung hat direkt drei Spieler angegriffen und ihnen vorgeworfen, Geld im Austausch für die Manipulation von Spielen genommen zu haben. Der Charakter des Artikels wurde vom nationalen Gericht sorgfältig geprüft, wobei nicht nur der Text, sondern auch Layout und Gesamtpräsentation berücksichtigt wurden. Dabei entstand der Gesamteindruck, dass es sich um Tatsachen handle, nicht bloß um die Äußerung eines echten Verdachts. Der vor dem nationalen Gericht angebotene Tatsachenbeweis misslang ebenso wie der Nachweis, dass die notwendige journalistische Sorgfalt eingehalten wurde (nach dem vom LG Feldkirch herangezogenen § 111 Abs 3 StGB "ist der Täter auch dann nicht zu bestrafen, wenn Umstände erwiesen werden, aus denen sich für den Täter hinreichende Gründe ergeben haben, die Behauptung für wahr zu halten."; an sich wäre für dieses Medieninhaltdelikt § 29 Mediengesetz ["Wahrnehmung journalistischer Sorgfalt"] einschlägig gewesen).

Der EGMR hält dazu fest, dass das nationale Gericht keine unverhältnismäßigen Anforderungen an den Wahrheitsbeweis gestellt hat. Auch die Anforderungen an den Nachweis der journalistischen Sorgfalt waren nicht überzogen. Insbesondere war es nicht unangemessen, dass die von den Spielern unterzeichnete öffentliche Erklärung nicht als ausreichend erkannt wurde, um den betroffenen Spielern eine angemessene Möglichkeit zur Stellungnahme zu den Vorwürfen zu geben.

Schließlich wurden auch die (bedingt nachgesehenen) Geldstrafen und die Entschädigung - angesichts der Länge des Artikels und des schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche und berufliche Ehre - nicht als unverhältnismäßig beurteilt.

Conclusio
Was kann man aus dieser Sache allenfalls lernen: zunächst (wieder einmal), dass Fragezeichen am Ende einer Schlagzeile (hier: "Für 60.000 € Team verkauft und verraten?") nicht ausreichen, um eine in der Schlagzeile und der Gesamtaufmachung eines Berichts enthaltene Unterstellung so zu relativieren, dass eine reine Verdachtsberichterstattung übrig bleibt. Und zweitens, dass es zum Nachweis der journalistischen Sorgfalt notwendig ist, den Betroffenen tatsächlich Gelegenheit zu geben, konkret zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, auch wenn es bereits eine allgemeine öffentliche Erklärung von ihnen gibt.