Vorlagebeschluss des BGH
Der BGH hat nämlich mit einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Beschluss vom 19. Juli 2012, I ZR 2/11, "GOOD NEWS", dem EuGH eine Frage zur Auslegung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG, "UGP-RL") vorgelegt, die sich mit dem in deutschen Landespressevorschriften enthaltenen Schleichwerbeverbot - oder besser: der Kennzeichnungspflicht für entgeltliche Veröffentlichungen - befasst (Rechtssache Rechtssache C-391/12 RLvS). Im Kern geht es um die Frage, ob die Verpflichtung, entgeltliche Veröffentlichungen mit dem Wort "Anzeige" zu kennzeichnen (im konkreten Fall gemäß § 10 Landespressegesetz Baden-Württemberg), strenger ist, als es die UGP-RL zulässt (siehe dazu auch die Blogbeiträge Der Bundesgerichtshof fragt: Sind die Landespressegesetze zu streng von David Ziegelmayer und BGH lässt Verbot der Schleichwerbung nach deutschen Pressegesetzen vom EuGH prüfen von Thomas Stadler).
Zur deutschen Rechtslage vor dem Hintergrund der UGP-RL
Das Ausgangsverfahren betrifft einen auf das UWG gestützten Unterlassungsanspruch, der von der Herausgeberin eines Wochenblattes gegen die Verlegerin des Anzeigenblattes "GOOD NEWS" erhoben wurde. Das Anzeigenblatt hatte entgeltliche Veröffentlichungen vorgenommen, die nicht - wie im Landespressegesetz vorgesehen - mit dem Wort "Anzeige" kenntlich gemacht wurden, aber den Zusatz "sponsored by" enthielten. Für den BGH ist daher fraglich, ob die uneingeschränkte Anwendung des § 10 LPresseG B-W im Rahmen von § 4 Nr. 11 UWG im Einklang mit dem Unionsrecht steht. Nach § 4 Nr 11 (dt) UWG handelt unlauter, wer "einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln."
Neben dieser Regelung (in Österreich durch die Rechtsprechung im Wesentlichen unter der Fallgruppe "Vorsprung durch Rechtsbruch" zu § 1 UWG vor der Novelle 2007 erfasst) besteht - aufgrund der Umsetzung der UGP-RL - auch eine weitere Regelung in § 3 Abs 3 (dt) UWG in Verbindung mit Nr 11 des Anhangs zu dieser Bestimmung. Demnach ist gegenüber Verbrauchern "der vom Unternehmer finanzierte Einsatz redaktioneller Inhalte zu Zwecken der Verkaufsförderung, ohne dass sich dieser Zusammenhang aus dem Inhalt oder aus der Art der optischen oder akustischen Darstellung eindeutig ergibt (als Information getarnte Werbung)" stets unzulässig.
Diese Bestimmung geht auf Z 11 des Anhangs I zur UGP-RL zurück, die folgenden Wortlaut hat:
Es werden redaktionelle Inhalte in Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung eingesetzt und der Gewerbetreibende hat diese Verkaufsförderung bezahlt, ohne dass dies aus dem Inhalt oder aus für den Verbraucher klar erkennbaren Bildern und Tönen eindeutig hervorgehen würde (als Information getarnte Werbung). Die Richtlinie 89/552/EWG [nunmehr: RL 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste] bleibt davon unberührt.Die UGP-RL gilt nach ihrem Art 3 Abs 1 für unlautere Geschäftspraktiken "zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts." Für diesen Bereich erfolgt aber - anders als nach manchen anderen Verbraucherschutzrichtlinien - eine Vollharmonisierung, sodass die Mitgliedstaaten auch zugunsten der Verbraucher keine strengeren Vorschriften erlassen dürfen (siehe Art 4: "Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken"; eine begrenzte Ausnahme von der Vollharmonisierug ermöglicht Art 3 Abs 5 UGP-RL noch bis 12.06.2013).
Der EuGH hat diesen Grundsatz der Vollharmonisierung durch die UGP-RL vor allem in dem zum österreichischen Zugabenverbot ergangenen Urteil vom 09.11.2010 in der Rechtssache C-540/08 Mediaprint bestätigt (siehe im Blog dazu hier). In diesem Urteil hat der EuGH insbesondere festgehalten, dass die UGP-RL auch einer nationalen Bestimmung (im Streitfall eben dem allgemeinen Zugabenverbot) entgegensteht, die "nicht nur auf den Schutz der Verbraucher abzielt, sondern auch andere Ziele verfolgt."
Vor diesem Hintergrund scheint ein Unterlassungsgebot, das sich allein auf § 4 Nr 11 (dt) UWG in Verbindung mit § 10 LPresseG B-W stützt, tatsächlich schwer mit der UGP-RL vereinbar, jedenfalls soweit eine Einzelfallprüfung im Sinne nach den Kriterien des Art 5 UGP-RL unterbleibt (siehe dazu RNr 46 des Urteils C-540/08); daran ändert es - im Sinne des Mediaprint-Urteils - wohl nichts, dass die Bestimmung des § 10 LPresseG B-W nicht (nur) dem Schutz der Verbraucher, sondern auch anderen Zielen (laut BGH: der "Unabhängigkeit der Presse") dient. Dies gilt allerdings nur mit einer - hier meines Erachtens entscheidenden - Einschränkung: die UGP-RL erfasst nur Handlungen von Gewerbetreibenden (im Sinne des Unionsrechts) gegenüber Verbrauchern. Kennzeichnungspflichten zur Gewährleistung des journalistischen Trennungsgrundsatzes, die der Gesetzgeber (nur) Medienunternehmen auferlegt, betreffen in diesem Sinne aber in der Regel*) nicht Geschäftspraktiken "zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts."**) Der Streitfall - in dem es um eine Auseinandersetzung zwischen Medienunternehmern über die Einhaltung einer presserechtlichen Ordnungsvorschrift geht - scheint mir daher gar nicht nach der UGP-RL zu beurteilen sein.
Ich würde daher auch nicht erwarten, dass das Urteil des EuGH zu diesem Vorlagebeschluss des BGH dazu führen könnte, dass in Hinkunft in Deutschland nicht kommerzielle - zB politische - Schleichwerbung (weiter als bisher) zulässig sein könnte (wie hier und hier angedacht wird).
Zur österreichischen Rechtslage
Nach dem österreichischem UWG gelten die in Z 1 bis Z 23 des Anhangs angeführten Geschäftspraktiken jedenfalls (nicht nur gegenüber Verbrauchern!) als irreführend (§ 2 UWG) und damit im Sinne des § 1 Abs 3 UWG unlauter. Z 11 dieses Anhangs lautet:
Redaktionelle Inhalte werden in Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung eingesetzt und das Unternehmen hat diese Verkaufsförderung bezahlt, ohne dass dies aus dem Inhalt oder aus für den Verbraucher klar erkennbaren Bildern und Tönen eindeutig hervorgehen würde (als Information getarnte Werbung).Damit hat Österreich Z 11 des Anhangs I zur UGP-RL fast wörtlich umgesetzt (lediglich der Begriff des "Gewerbetreibenden", der nach österreichischem Recht enger zu verstehen ist, wurde durch "Unternehmen" ersetzt). Daneben besteht aber auch in Österreich - wie schon erwähnt - eine presserechtliche Sonderbestimmung in § 26 Mediengesetz. Demnach müssen "Ankündigungen, Empfehlungen sowie sonstige Beiträge und Berichte, für deren Veröffentlichung ein Entgelt geleistet wird, [...] in periodischen Medien als 'Anzeige', 'entgeltliche Einschaltung' oder 'Werbung' gekennzeichnet sein, es sei denn, daß Zweifel über die Entgeltlichkeit durch Gestaltung oder Anordnung ausgeschlossen werden können." Wer als Medieninhaber oder verantwortlicher Beauftragter bewirkt, dass Ankündigungen, Empfehlungen, sonstige Beiträge und Berichte entgegen den Vorschriften des § 26 Mediengesetz veröffentlicht werden, begeht eine Verwaltungsübertretung, die nach § 27 Abs 1 Z 2 MedienG mit Verwaltungsstrafe bis zu 20.000 Euro zu bestrafen ist. (Die oben schon zitierten rundfunkrechtlichen Bestimmungen lasse ich außer Betracht, zumal die entsprechenden unionsrechtlichen Regelungen auch von der UGP-RL ausdrücklich unberührt gelassen wurden.)
Diese medienrechtliche Regelung richtet sich gegen Medieninhaber, nicht gegen jene, die eine nicht gekennzeichnete "redaktionelle Einschaltung" bestellen; diese kämen zwar allenfalls nach § 7 VStG als Beitragstäter - Anstiftung oder Beihilfe - in Betracht, aber das dürfte eher totes Recht sein (wie wohl auch die verwaltungstrafrechtliche Drohung des § 27 MedienG gegen die Haupttäter selbst). In der Praxis erfolgte die Durchsetzung der Kennzeichnungspflicht, wenn man von einer solchen überhaupt reden möchte, daher (auch) in Österreich fast ausschließlich über wettbewerbsrechtliche Verfahren zwischen Medieninhabern (zB OGH 14.7.2009, 4 Ob 62/09k, OGH 14.11.2000, 4 Ob 219/00k, usw.).
Aus den oben schon zur deutschen Rechtslage dargelegten Gründen sehe ich daher auch § 26 Mediengesetz durch den Vorlagebeschluss des BGH und das dazu zu erwartende Urteil des EuGH nicht infrage gestellt. Meines Erachtens bringt der "GOOD NEWS"-Beschluss des BGH also keine good news für Schleichwerber.
Update: zu den Schlussanträgen vom 11.07.2013 siehe hier.
Update 26.11.2013: ich habe - auch wenn der Generalanwalt die Sache anders sah - im Endeffekt doch recht behalten; siehe das Urteil des EuGH vom 17.10.2013.
Update 09.02.2014/11.08.2014: Zum Urteil des BGH im fortgesetzten Verfahren siehe dessen Pressemitteilung vom 06.02.2014; zum Urteil im Volltext siehe auch Thomas Stadler auf Internet-Law
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*) Ausnahme von der Regel wäre, wenn das Medienunternehmen selbst Produkte verkaufen möchte und dafür unter Missachtung des Trennungsgrundsatzes pseudo-redaktionell berichtet (auch das soll vorkommen).
*) Dass das Mediaprint-Urteil - wie schon die Bezeichnung erkennen lässt - ein Verfahren zwischen Medienunternehmen betroffen hat, mag auf den ersten Blick verwirren; aber dabei ging es tatsächlich um Werbemaßnahmen, die von den betroffenen Medien zur Gewinnung von Käufern für die Zeitungen eingesetzt wurden!