Monday, August 27, 2012

"GOOD NEWS" für Schleichwerber? Ist § 26 Mediengesetz zu streng?

Die strikte Trennung von Werbung und redaktioneller Berichterstattung ist eine wichtige journalistische Berufsregel (siehe zB Ziffer 7 des deutschen Pressekodex), die auch Eingang in Rechtsvorschriften gefunden hat: in Österreich insbesondere in § 26 Mediengesetz (und für Rundfunkveranstalter in § 14 Abs 1 ORF-G, § 43 AMD-G und § 19 Abs 3 PrR-G). Dass dieser Trennungsgrundsatz stets lückenlos befolgt würde, kann man schwerlich behaupten, heftige Kritik an der Praxis gab es etwa vom sogenannten PR-Ethik-Rat, der auch eine Verschärfung des § 26 Mediengesetz forderte (siehe zur "Schleichwerbungs-Studie" des PR-Ethik-Rats im Blog hier). Doch ist diese Bestimmung unter europarechtlichen Gesichtspunkten vielleicht jetzt schon zu streng? Diese Frage muss man sich vor dem Hintergrund eines aktuellen Beschlusses des deutschen Bundesgerichtshofes (BGH) stellen.

Vorlagebeschluss des BGH
Der BGH hat nämlich mit einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Beschluss vom 19. Juli 2012, I ZR 2/11, "GOOD NEWS", dem EuGH eine Frage zur Auslegung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG, "UGP-RL") vorgelegt, die sich mit dem in deutschen Landespressevorschriften enthaltenen Schleichwerbeverbot - oder besser: der Kennzeichnungspflicht für entgeltliche Veröffentlichungen - befasst (Rechtssache Rechtssache C-391/12 RLvS). Im Kern geht es um die Frage, ob die Verpflichtung, entgeltliche Veröffentlichungen mit dem Wort "Anzeige" zu kennzeichnen (im konkreten Fall gemäß § 10 Landespressegesetz Baden-Württemberg), strenger ist, als es die UGP-RL zulässt (siehe dazu auch die Blogbeiträge Der Bundesgerichtshof fragt: Sind die Landespressegesetze zu streng von David Ziegelmayer und BGH lässt Verbot der Schleichwerbung nach deutschen Pressegesetzen vom EuGH prüfen von Thomas Stadler).

Zur deutschen Rechtslage vor dem Hintergrund der UGP-RL
Das Ausgangsverfahren betrifft einen auf das UWG gestützten Unterlassungsanspruch, der von der Herausgeberin eines Wochenblattes gegen die Verlegerin des Anzeigenblattes "GOOD NEWS" erhoben wurde. Das Anzeigenblatt hatte entgeltliche Veröffentlichungen vorgenommen, die nicht - wie im Landespressegesetz vorgesehen - mit dem Wort "Anzeige" kenntlich gemacht wurden, aber den Zusatz "sponsored by" enthielten. Für den BGH ist daher fraglich, ob die uneingeschränkte Anwendung des § 10 LPresseG B-W im Rahmen von § 4 Nr. 11 UWG im Einklang mit dem Unionsrecht steht. Nach § 4 Nr 11 (dt) UWG handelt unlauter, wer "einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln."

Neben dieser Regelung (in Österreich durch die Rechtsprechung im Wesentlichen unter der Fallgruppe "Vorsprung durch Rechtsbruch" zu § 1 UWG vor der Novelle 2007 erfasst) besteht - aufgrund der Umsetzung der UGP-RL - auch eine weitere Regelung in § 3 Abs 3 (dt) UWG in Verbindung mit Nr 11 des Anhangs zu dieser Bestimmung. Demnach ist gegenüber Verbrauchern "der vom Unternehmer finanzierte Einsatz redaktioneller Inhalte zu Zwecken der Verkaufsförderung, ohne dass sich dieser Zusammenhang aus dem Inhalt oder aus der Art der optischen oder akustischen Darstellung eindeutig ergibt (als Information getarnte Werbung)" stets unzulässig.

Diese Bestimmung geht auf Z 11 des Anhangs I zur UGP-RL zurück, die folgenden Wortlaut hat:
Es werden redaktionelle Inhalte in Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung eingesetzt und der Gewerbetreibende hat diese Verkaufsförderung bezahlt, ohne dass dies aus dem Inhalt oder aus für den Verbraucher klar erkennbaren Bildern und Tönen eindeutig hervorgehen würde (als Information getarnte Werbung). Die Richtlinie 89/552/EWG [nunmehr: RL 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste] bleibt davon unberührt.
Die UGP-RL gilt nach ihrem Art 3 Abs 1 für unlautere Geschäftspraktiken "zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts." Für diesen Bereich erfolgt aber - anders als nach manchen anderen Verbraucherschutzrichtlinien - eine Vollharmonisierung, sodass die Mitgliedstaaten auch zugunsten der Verbraucher keine strengeren Vorschriften erlassen dürfen (siehe Art 4: "Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken"; eine begrenzte Ausnahme von der Vollharmonisierug ermöglicht Art 3 Abs 5 UGP-RL noch bis 12.06.2013).

Der EuGH hat diesen Grundsatz der Vollharmonisierung durch die UGP-RL vor allem in dem zum österreichischen Zugabenverbot ergangenen Urteil vom 09.11.2010 in der Rechtssache C-540/08 Mediaprint bestätigt (siehe im Blog dazu hier). In diesem Urteil hat der EuGH insbesondere festgehalten, dass die UGP-RL auch einer nationalen Bestimmung (im Streitfall eben dem allgemeinen Zugabenverbot) entgegensteht, die "nicht nur auf den Schutz der Verbraucher abzielt, sondern auch andere Ziele verfolgt."

Vor diesem Hintergrund scheint ein Unterlassungsgebot, das sich allein auf § 4 Nr 11 (dt) UWG in Verbindung mit § 10 LPresseG B-W stützt, tatsächlich schwer mit der UGP-RL vereinbar, jedenfalls soweit eine Einzelfallprüfung im Sinne nach den Kriterien des Art 5 UGP-RL unterbleibt (siehe dazu RNr 46 des Urteils C-540/08); daran ändert es - im Sinne des Mediaprint-Urteils - wohl nichts, dass die Bestimmung des § 10 LPresseG B-W nicht (nur) dem Schutz der Verbraucher, sondern auch anderen Zielen (laut BGH: der "Unabhängigkeit der Presse") dient. Dies gilt allerdings nur mit einer - hier meines Erachtens entscheidenden - Einschränkung: die UGP-RL erfasst nur Handlungen von Gewerbetreibenden (im Sinne des Unionsrechts) gegenüber Verbrauchern. Kennzeichnungspflichten zur Gewährleistung des journalistischen Trennungsgrundsatzes, die der Gesetzgeber (nur) Medienunternehmen auferlegt, betreffen in diesem Sinne aber in der Regel*) nicht Geschäftspraktiken "zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts."**) Der Streitfall - in dem es um eine Auseinandersetzung zwischen Medienunternehmern über die Einhaltung einer presserechtlichen Ordnungsvorschrift geht - scheint mir daher gar nicht nach der UGP-RL zu beurteilen sein.

Ich würde daher auch nicht erwarten, dass das Urteil des EuGH zu diesem Vorlagebeschluss des BGH dazu führen könnte, dass in Hinkunft in Deutschland nicht kommerzielle - zB politische - Schleichwerbung (weiter als bisher) zulässig sein könnte (wie hier und hier angedacht wird).

Zur österreichischen Rechtslage
Nach dem österreichischem UWG gelten die in Z 1 bis Z 23 des Anhangs angeführten Geschäftspraktiken jedenfalls (nicht nur gegenüber Verbrauchern!) als irreführend (§ 2 UWG) und damit im Sinne des § 1 Abs 3 UWG unlauter. Z 11 dieses Anhangs lautet:
Redaktionelle Inhalte werden in Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung eingesetzt und das Unternehmen hat diese Verkaufsförderung bezahlt, ohne dass dies aus dem Inhalt oder aus für den Verbraucher klar erkennbaren Bildern und Tönen eindeutig hervorgehen würde (als Information getarnte Werbung).
Damit hat Österreich Z 11 des Anhangs I zur UGP-RL fast wörtlich umgesetzt (lediglich der Begriff des "Gewerbetreibenden", der nach österreichischem Recht enger zu verstehen ist, wurde durch "Unternehmen" ersetzt). Daneben besteht aber auch in Österreich - wie schon erwähnt - eine presserechtliche Sonderbestimmung in § 26 Mediengesetz. Demnach müssen "Ankündigungen, Empfehlungen sowie sonstige Beiträge und Berichte, für deren Veröffentlichung ein Entgelt geleistet wird, [...] in periodischen Medien als 'Anzeige', 'entgeltliche Einschaltung' oder 'Werbung' gekennzeichnet sein, es sei denn, daß Zweifel über die Entgeltlichkeit durch Gestaltung oder Anordnung ausgeschlossen werden können." Wer als Medieninhaber oder verantwortlicher Beauftragter bewirkt, dass Ankündigungen, Empfehlungen, sonstige Beiträge und Berichte entgegen den Vorschriften des § 26 Mediengesetz veröffentlicht werden, begeht eine Verwaltungsübertretung, die nach § 27 Abs 1 Z 2 MedienG mit Verwaltungsstrafe bis zu 20.000 Euro zu bestrafen ist. (Die oben schon zitierten rundfunkrechtlichen Bestimmungen lasse ich außer Betracht, zumal die entsprechenden unionsrechtlichen Regelungen auch von der UGP-RL ausdrücklich unberührt gelassen wurden.)

Diese medienrechtliche Regelung richtet sich gegen Medieninhaber, nicht gegen jene, die eine nicht gekennzeichnete "redaktionelle Einschaltung" bestellen; diese kämen zwar allenfalls nach § 7 VStG als Beitragstäter - Anstiftung oder Beihilfe - in Betracht, aber das dürfte eher totes Recht sein (wie wohl auch die verwaltungstrafrechtliche Drohung des § 27 MedienG gegen die Haupttäter selbst). In der Praxis erfolgte die Durchsetzung der Kennzeichnungspflicht, wenn man von einer solchen überhaupt reden möchte, daher (auch) in Österreich fast ausschließlich über wettbewerbsrechtliche Verfahren zwischen Medieninhabern (zB OGH 14.7.2009, 4 Ob 62/09k, OGH 14.11.2000, 4 Ob 219/00k, usw.).

Aus den oben schon zur deutschen Rechtslage dargelegten Gründen sehe ich daher auch § 26 Mediengesetz durch den Vorlagebeschluss des BGH und das dazu zu erwartende Urteil des EuGH nicht infrage gestellt. Meines Erachtens bringt der "GOOD NEWS"-Beschluss des BGH also keine good news für Schleichwerber.

Update: zu den Schlussanträgen vom 11.07.2013 siehe hier.
Update 26.11.2013: ich habe - auch wenn der Generalanwalt die Sache anders sah - im Endeffekt doch recht behalten; siehe das Urteil des EuGH vom 17.10.2013.
Update 09.02.2014/11.08.2014: Zum Urteil des BGH im fortgesetzten Verfahren siehe dessen Pressemitteilung vom 06.02.2014; zum Urteil im Volltext siehe auch Thomas Stadler auf Internet-Law
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*) Ausnahme von der Regel wäre, wenn das Medienunternehmen selbst Produkte verkaufen möchte und dafür unter Missachtung des Trennungsgrundsatzes pseudo-redaktionell berichtet (auch das soll vorkommen).
*) Dass das Mediaprint-Urteil - wie schon die Bezeichnung erkennen lässt - ein Verfahren zwischen Medienunternehmen betroffen hat, mag auf den ersten Blick verwirren; aber dabei ging es tatsächlich um Werbemaßnahmen, die von den betroffenen Medien zur Gewinnung von Käufern für die Zeitungen eingesetzt wurden!

Tuesday, August 21, 2012

Gesetzliche Verankerung der Netzneutralität in Österreich?

Gestern wies die ÖVP-Abgeordnete zum Nationalrat Eva-Maria Himmelbauer (wie das Bild nebenan zeigt, ist der Betrieb ihrer Eltern seit immerhin 1883 in der EDV tätig!) auf  Twitter auf einen Bericht der Tiroler Tageszeitung hin, wonach die ÖVP nun für Netzneutralität eintrete (der von Himmelbauer verlinkte Schnappschuss des Berichts in der Tiroler Tageszeitung ist hier, online ist der Artikel nicht zu finden).

Die Tiroler Tageszeitung ist da offenbar in ein Zeitloch gefallen, denn im Artikel heißt es: "Lange wurde nur in den USA darüber debattiert, jetzt kommt die Diskussion endlich auch nach Österreich." Ich will mich da ja nicht vordrängen, aber ich kann mich zumindest noch daran erinnern, dass ich vor rund vier Jahren beim 4. Österreichischen Rundfunkforum (September 2008) dazu ein Referat gehalten habe, über das durchaus auch diskutiert wurde (Manuskript, Folien dazu). Und spätestens im Jahr 2009 war die bis dahin tatsächlich in Österreich etwas ruhigere Diskussion auch hierzulande ernsthaft angekommen. 

Insbesondere war Netzneutralität nämlich ein wesentliches Thema bei der Reform des europäischen Rechtsrahmens für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, die mit der Kundmachung der neuen Rechtsvorschriften im Dezember 2009 auf europäischer legislativer Ebene vorerst abgeschlossen war. Der europäische Gesetzgeber wählte dabei allerdings bloß einen  "Informationsansatz", der auf der Überlegung beruht, dass ISPs ihre Kunden über Einschränkungen der Netzneutralität informieren müssen, sodass die solcherart aufgeklärten Konsumenten frei wählen könnten zwischen Anbietern, die verschiedene Qualitäten des Internetzugangs zu wohl auch unterschiedlichen Preisen anbieten würden. Ich habe aktuell weder Zeit noch Lust, das im Detail hier auszuführen, eine Übersicht dazu kann man zB in diesem Vortragsmanuskript von mir (auf Seiten 4-9) finden. 

Die österreichische Umsetzung der Richtlinienbestimmungen im TKG 2003 ist erwartungsgemäß zu spät und erwartungsgemäß eher buchstabengetreu ausgefallen, Anregungen für einen weitergehenden Schutz der Netzneutralität - wobei ich hier auch dahingestellt lassen will, wie weit das europarechtlich möglich wäre - wurden abgeblockt. ÖVP-Telekomsprecherin Karin Hakl beispielsweise meinte, dass es "nicht sinnvoll und zum Glück noch nicht notwendig" sei, Netzneutralität "derzeit im TKG festzuschreiben" (wie in diesem Artikel auf der ORF-Website berichtet wurde; eine ähnliche Meinung kam dazu auch aus dem SPÖ-geführten Infrastrukturministerium, etwas differenziertere Worte von SP-Abgeordneter Ablinger; für eine gesetzliche Festschreibung sprach sich der Abgeordnete der Grünen Albert Steinhauser aus; FPÖ und BZÖ wurden offenbar nicht befragt; die Telekom Austria war klarerweise dagegen).

Vor diesem Hintergrund ist natürlich der nun kryptisch via Tiroler Tageszeitung angekündigte Schwenk der ÖVP durchaus interessant, zumal darin auch - wohl nicht ohne entsprechende Signale aus der ÖVP - von einer möglichen Festschreibung der Netzneutralität nach dem Vorbild der Niederlande - siehe dazu bei Bits of Freedom, mit einer englischen Übersetzung der relevanten Bestimmungen) in einer Novelle zum Telekommunikationsgesetz die Rede ist. 

Eine konkrete SPÖ-Position, die zwischen SPÖ-Verkehrsministerin und Parlamentsklub abgestimmt wäre, ist mir nicht bekannt. Ein relativ aktuelles "Positionspapier für eine progressive Netzpolitik der SPÖ-Parlamentsfraktion" enthält unter "Garantie der Netzfreiheit" auch ein allgemeines Bekenntnis zur "Neutralität der Internet-Infrastruktur (Technologie- und Serviceneutralität)" und den Wunsch, Zugangsanbietern "Diskriminierungen bestimmter Dateninhalte, mittels der Übertragung mit verschiedenen Geschwindigkeiten, gesetzlich" zu verbieten (was allerdings offen lässt, ob ein vollständiges Blocken - nicht nur Verlangsamen - des Zugangs zu Inhalten und Diensten erlaubt sein soll).

Stimmt der Bericht in der TT, könnte sich also eine Annäherung zwischen ÖVP und SPÖ im Bereich Netzneutralität abzeichnen. Was die TelekomsprecherInnen der Regierungsparteien dazu sagen, wäre jetzt durchaus interessant - aber wer wäre das nun eigentlich? Laut der Website des ÖVP-Klubs (wie auch des Parlaments) ist Karin Hakl immer noch Telekomsprecherin ihrer Fraktion (auch wenn sie laut eigener Website von einer "Ruhestellung" dieser Funktion spricht; dies im Zusammenhang mit den hier berichteten, von ihr zurückgewiesenen Vorwürfen). Die Situation auf Seiten der SPÖ ist nicht viel anders, hier war (ist?) Kurt Gartlehner zuständig (der auf der Klub-Website weiterhin als Bereichssprecher für Industrie und Technologie genannt wird), und auch er hat seine Funktion angeblich ruhend gestellt - womit die doch einigermaßen bemerkenswerte Situation eingetreten ist, dass beide Regierungsparteien seit immerhin etwa einem halben Jahr keine aktiven TelekomsprecherInnen mehr haben. 

Insofern ist es auch schwer abzusehen, woher in nächster Zeit eine entsprechende Initiative für eine Novelle des Telekommunikationsgesetzes zur Verankerung der Netzneutralität kommen könnte. Zwar liegt dem Nationalrat ein - recht allgemein gehaltener - Entschließungsantrag des grünen Abgeordneten Steinhauser vor, der schon im März 2011 eingebracht wurde. Dieser wurde allerdings im vergangenen Dezember im zuständigen Ausschuss kurz anberaten und dann vertagt, in der nächsten Auschusssitzung steht er nicht auf der Tagesordnung, die nächste Sitzung ist dann erst für 22. November 2012 anberaumt - zudem ist kaum vorstellbar, dass ein grüner Entschließungsantrag von SPÖ und ÖVP aufgegriffen würde. Noch viel weiter weg ist man allerdings von einem realistischen Vorschlag für einen konkreten Gesetzestext - und die Lobbying-Maschinerie der Telekom-Branche ist auch noch nicht einmal angeworfen (auch wenn dabei nicht nicht mehr all jene Mittel eingesetzt werden können, die in letzter Zeit im Korruptionsuntersuchungsausschuss diskutiert wurden, so sollte man doch die Überzeugungskraft der gesamten Branche nicht unterschätzen). 

Auch von europäischer Seite ist kaum Rückenwind für neue gesetzliche Regelungen zu erwarten. BEREC hat zwar einen Bericht vorgelegt, der - obwohl er nur auf Informationen der Anbieter basiert - masive Einschränkungen der Netzneutralität belegt, allerdings keine konkreten länderbezogenen Angaben veröffentlicht.*) Die zuständige Kommissarin hat dazu gleich mitgeteilt, dass es keinen Grund für gesetzliche Regelungen gäbe und sie weiterhin zuschauen "monitoren" wird und dass sie sicherstellen wird, dass die Konsumenten die notwendige Information bekommen (Chris Marsden hat das so auf den Punkt gebracht: "the market's not working, consumers don't read - so let's give them even more info they won't read..."). In ihrer Stellungnahme übt Kommissarin Kroes auch - dezent versteckt hinter einem Link - Kritik am Vorpreschen der Niederlande: 
"I also asked European national legislators and regulators to wait for better evidence before regulating on an uncoordinated, country-by-country basis that slows down the creation of a Digital Single Market." [Der Link führt auf die Website des niederländischen Parlaments mit den Änderungen des Telekommunikationsgesetzes]
Was auch immer also hinter dem nun kolportierten Schwenk der ÖVP in Sachen Netzneutralität steht: eine gesetzliche Neuregelung in Österreich würde ich nächster Zeit jedenfalls nicht erwarten. Im Übrigen sollte ich vielleicht noch anmerken, dass eine gesetzliche  Regelung, jedenfalls soweit sie über allgemeine Glaubenssätze hinausgehen soll, auch legistisch alles andere als einfach ist (ganz abgesehen von der Frage der Vereinbarkeit mit Unionsrecht).
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*) BEREC wurde von Anders Comstedt übrigens (in einem Kommentar auf dem Blog von Susan Crawford) so beschrieben: "one more illustrous congregation of yet another group of frequent fliers where there is always room for a next meeting and for the slowest, most incumbent friendly regulator to water out anything spicy."

Thursday, August 02, 2012

Drohung auf Twitter als missbräuchliche Verwendung von Funkanlagen oder Endgeräten? Anmerkung zum #twitterjoketrial

Paul Chambers - "a well educated young man of previous good character" (laut High Court) - wollte am 15. Jänner 2010 vom Robin Hood Airport in Doncaster, England, nach Nordirland fliegen, um seine Freundin zu besuchen. Am 6. Jänner erfuhr er, dass der Flughafen wegen Schlechtwetters geschlossen wurde - und reagierte auf Twitter: sein Tweet (siehe Bild links) dokumentiert seinen Ärger über die Schließung, und enthielt noch eine "Drohung", auf deutsch etwa: "Ihr habt etwas mehr als eine Woche, um euren Scheiß in Ordnung zu bringen, sonst jage ich den Flughafen in die Luft". Das war - man sollte meinen: für jeden - erkennbar scherzhaft gemeint; jedenfalls kam niemand seiner etwa 600 Follower auf die Idee, es auch nur im geringsten bedrohlich zu finden.

Erst fünf Tage später wurde der Tweet von einem Flughafen-Mitarbeiter gelesen, der seinen Vorgesetzten informierte. Der stufte das zwar als nicht glaubwürdige Drohung ein, meldetes es aber - "as a matter of standard practice" - der Flughafenpolizei. Auch die schritt nicht ein, leitete die Meldung aber an die regionale Polizeieinheit weiter. Diese wiederum nahm Paul Chambers eine Woche nach dem Tweet an seinem Arbeitsplatz fest. Auch die Polizei sah "no evidence ... to suggest that there is anything other than a foolish comment posted on 'Twitter' as a joke". Das Crown Prosecution Service (Staatsanwaltschaft) wollte dennoch eine Anklage, und Chambers wurde zunächst tatsächlich (in erster und zweiter Instanz) verurteilt, und zwar nach s.127(1)(a) und (3) Communications Act 2003. Diese Bestimmungen lauten:
Improper use of public electronic communications network
(1) A person is guilty of an offence if he—
(a) sends by means of a public electronic communications network a message or other matter that is grossly offensive or of an indecent, obscene or menacing character; [...]
(3) A person guilty of an offence under this section shall be liable, on summary conviction, to imprisonment for a term not exceeding six months or to a fine not exceeding level 5 on the standard scale, or to both.
Das Verfahren erhielt recht große Medienöffentlichkeit (und natürlich Öffentlichkeit auf Twitter, meist unter dem hashtag #twitterjoketrial) und endete schließlich vergangene Woche mit einem Freispruch für Chambers durch den High Court of Justice (Urteil: [2012] EWHC 2157). Der High Court befasst sich in seinem Urteil im Wesentlichen mit der Frage, ob der Tweet tatsächlich als Drohung zu beurteilen war, und kommt zum wenig überraschenden Ergebnis, dass es dazu auf den Kontext der Nachricht ankommt:
In any event, the more one reflects on it, the clearer it becomes that this message did not represent a terrorist threat, or indeed any other form of threat. It was posted on 'Twitter' for widespread reading, a conversation piece for the appellant’s followers, drawing attention to himself and his predicament. Much more significantly, although it purports to address 'you', meaning those responsible for the airport, it was not sent to anyone at the airport or anyone responsible for airport security, or indeed any form of public security. The grievance addressed by the message is that the airport is closed when the writer wants it to be open. The language and punctuation are inconsistent with the writer intending it to be or to be taken as a serious warning. [...]
It seems to us unsurprising, but not irrelevant, that none of those who read the message during the first days after it appeared thought anything of it. 
Mich interessiert hier nicht so sehr das konkrete britische Urteil (siehe dazu zB im Blog eines der Verteidiger von Chambers, John Cooper QC [der auch die sehr nach Harry Potter klingende Funktion eines Master of the Bench at Middle Temple bekleidet], auf Inforrm's Blog und bei Head of Legal), sondern der telekommunikationsrechtliche Hintergrund. Denn es ging hier nicht um eine Frage des allgemeinen Strafrechts (etwa im Sinn unseres StGB  schwere Nötigung, gefährliche Drohung, vielleicht sogar Landzwang), sondern es wurde eine spezifisch telekommunikationsrechtliche Strafnorm herangezogen, die missbräuchliche Verwendung von elektronischen Kommunikationsnetzen.

Missbräuchliche Verwendung von Funkanlagen und Endgeräten
Eine im weiteren Sinne vergleichbare Norm gibt es auch in Österreich, sie bezieht sich aber nicht auf den Missbrauch von Kommunikationsnetzen, sondern von Funkanlagen und Endgeräten, und sie enthält auch keine gerichtliche Strafdrohung, sondern ist als bloße Verwaltungsstrafnorm ausgestaltet. § 78 Abs 1 TKG 2003 lautet:
§ 78. (1) Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen dürfen nicht missbräuchlich verwendet werden. Als missbräuchliche Verwendung gilt
1. jede Nachrichtenübermittlung, welche die öffentliche Ordnung und Sicherheit oder die Sittlichkeit gefährdet oder welche gegen die Gesetze verstößt;
2. jede grobe Belästigung oder Verängstigung anderer Benützer; [...]
§ 109 Abs 1 Z 5 TKG 2003 sieht für Übertretungen des § 78 Abs 1 TKG 2003 eine Geldstrafe bis zu 4.000 Euro vor. Diese Bestimmung diente - wie auch die Vorgängerbestimmungen - vor allem zur Bekämpfung des klassischen "Telefonterrors", bei dem zB verflossene Lieben, unliebsame Nachbarn und viele andere durch häufige Anrufe belästigt werden. Gegen echtes Stalking half aber die Verwaltungsstrafdrohung nicht wirklich (seit 1.1.2008 gibt es daher auch eine strafrechtliche Norm, die verschiedenste Formen des Stalking unter gerichtliche Strafdrohung stellt: § 107a StGB, "Beharrliche Verfolgung"; der typische "Telefonterror" ist dabei in § 107a Abs 2 Z 2 StGB erfasst). Höchstgerichtliche Rechtsprechung aus jüngerer Zeit gibt es dazu nur zu einem Fall, in dem jemand von einem Mobiltelefon ohne SIM-Card wiederholt den Notruf 112 angerufen hat "und nach Melden des diensthabenden Gendarmeriebeamten entweder die Telefonverbindung sofort getrennt oder den Beamten beschimpft und dadurch die Gendarmeriebeamten grob belästigt" hat (194 protokollierte Fälle in etwa zweieinhalb Monaten). In seinem Erkenntnis vom 18.11.2003, 2003/03/0079, konnte der Verwaltungsgerichtshof immerhin klarstellen, dass die Verwaltungsübertretung entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - auch mit einem "Handy" begangen werden kann.

Die inhaltliche Komponente des § 78 Abs 1 TKG 2003 ist dagegen fast totes Recht: Bestrafungen wegen Nachrichtenübermittlungen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit oder die Sittlichkeit gefährden, sind mir jedenfalls in den letzten 15 Jahren nicht untergekommen; bei ernsthafter Gefährdung gehen da die einschlägigen Bestimmungen des gerichtlichen Strafrechts vor (nach § 109 Abs 6 TKG 2003 liegt eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn die Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist).

Der lange Schatten des internationalen Fernmelderechts
Warum aber gibt es überhaupt eine solche - eigentlich die Inhalte der Telekommunikation regelnde - Bestimmung im TKG? Sollte das Telekomrecht nicht nur die Wege der Übertragung, nicht aber die Inhalte regeln, wie es heute meist heißt (die EU-Kommission unterscheidet "regulating the pipes ... and what flows through them", das eine erfolgt durch den Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, das andere durch die Regeln für audiovisuelle Mediendienste)? Historischer Hintergrund der Bestimmung im TKG, wie auch jener im britischen Communications Act, ist das internationale Fernmeldevertragsrecht, das seit seinem Beginn Mitte des 19. Jahrhunderts immer das Recht der Mitgliedstaaten anerkannt hat, aus inhaltlichen Gründen den Fernmeldeverkehr einzuschränken. Auch heute noch enthält die Satzung der ITU in ihrem Art 34 eine entsprechende Bestimmung:
Stoppage of Telecommunications
1 Member States reserve the right to stop, in accordance with their national law, the transmission of any private telegram which may appear dangerous to the security of the State or contrary to its laws, to public order or to decency, provided that they immediately notify the office of origin of the stoppage of any such telegram or any part thereof, except when such notification may appear dangerous to the security of the State.
2 Member States also reserve the right to cut off, in accordance with their national law, any other private telecommunications which may appear dangerous to the security of the State or contrary to its laws, to public order or to decency.
Das verpflichtet die ITU-Mitgliedstaaten freilich nicht dazu, innerstaatlich solche Bestimmungen vorzusehen, aber die Mitte des 19. Jahrhunderts begründeten Traditionen sterben nur sehr langsam.

PS: zur medialen Berichterstattung in Deutschland und Österreich
Das Justizsystem im Vereinigten Königreich ist zwar ziemlich komplex (allein schon wegen der unterschiedlichen Zuständigkeiten für England, Wales, Scotland und Northern Ireland), aber dass der High Court auch in Strafsachen für England und Wales nicht das höchste Gericht ist, wie es im Zeitonline-Bericht heißt (und dem folgend in zahlreichen anderen Medien und Blogs), könnte man als Journalist schon herausfinden.
Die futurezone in Österreich hat den Fehler der Zeit nicht gemacht, dafür aber einen netten anderen Fehler in ihren Bericht eingebaut: "Zwei Richter", so meint die futurezone, hätten befunden, dass der Tweet keine Bedrohung dargestellt habe. Tatsächlich haben natürlich drei Richter am High Court entschieden ("Zweiersenate", wie es sie in Österreich am AsylGH gibt, sind auch international eine eher skurrile Ausnahme). Vielleicht war die futurezone einfach vom Deckblatt des Urteils verwirrt, in dem die Richter so aufgezählt werden:
The Lord Chief Justice of England and Wales, 
Mr Justice Owen 
Mr Justice Griffith Williams
Der Namen des Lord Chief Justice wird dort traditionell nicht angeführt (er ist ja eindeutig bestimmt). Und die Verwirrung wird für Fachfremde gesteigert, wenn auf Seite zwei dann doch noch der Name des Lord Chief Justice genannt wird: er heißt nämlich, kein Scherz, Lord Judge