Bevor die Urlaubs- und damit die Roamingzeit so richtig beginnt, hat der EuGH heute in der Rechtssache
C-58/08 Vodafone ua die Zweifel an der Gültigkeit der
Roaming-Verordnung (insbesondere deren Art. 4) ausgeräumt. Schon Generalanwalt Poiares Maduro war in seinen Schlussanträgen (siehe dazu in diesem Blog näher
hier) zum Ergebnis gekommen, dass die Prüfung der vom High Court of Justice (England & Wales) vorgelegten Fragen nichts ergeben habe, was die Gültigkeit der
Roaming-Verordnung berühren könnte. Interessant an seinen Ausführungen war, dass er bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders auf die begrenzte Dauer der Maßnahme hingewiesen hatte.
Der EuGH weist in seiner
Presseaussendung nun bereits auf die Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Verordnung (statt früher bis zum 30.06.2010 nun bis zum 30.06.2012) hin, aber auch darauf, dass die Maßnahmen außergewöhnlichen Charakter haben und zeitlich begrenzt sind. [ab hier Update, 8.6.2010, 11:20, nach der mittlerweile erfolgten Veröffentlichung des
Urteils].
1. Zur
Rechtsgrundlage (Art 95 EG, nunmehr Art 114 AEUV) verweist der EuGH, im Wesentlichen wie schon der Generalanwalt, auf mehrere Punkte:
- Zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung bestand ein hohes Niveau der Endkundenentgelte; das Verhältnis zwischen Kosten und Entgelten war nicht so, "wie es auf Märkten mit wirksamem Wettbewerb der Fall wäre." (RNr 39)
- Das hohe Niveau der Endkundenentgelte wurde von den NRB, staatlichen Einrichtungen und Verbraucherschutzverbänden gemeinschaftsweit als anhaltendes Problem betrachtet; Versuche, dieses Problem innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens zu lösen, hatten keine Senkung der Entgelte bewirkt (RNr 40)
- der bestehende Rechtsrahmen hatte keine ausreichenden Instrumente zur Verfügung gestellt; NRB konnten Betreiber in anderen Mitgliedstaaten nicht kontrollieren (RNr 41)
- Wirksamkeit etwaiger von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage ihrer Kompetenzen im Verbraucherschutz könnte durch "die diesen Kontext kennzeichnenden Umstände" untergraben werden (RNr 43), dennoch standen Mitgliedstaaten unter Druck, Maßnahmen zu ergreifen (RNr 44); "Der Gemeinschaftsgesetzgeber sah sich demnach konkret einer Situation gegenüber, in der der Erlass nationaler Maßnahmen zur Senkung der hohen Endkundenentgelte für gemeinschaftsweite Roamingdienste mit Hilfe von Regeln für die Festsetzung der Endkundenentgelte wahrscheinlich erschien." (RNr 45) (Hervorhebung hinzugefügt)
Der EuGH kommt daher zum Ergebnis, dass
"in Anbetracht der Funktionsweise der Roamingmärkte [...] und angesichts der erheblichen Wechselwirkungen zwischen den Endkunden- und den Großkundenentgelten für Roamingdienste [...] eine heterogene Entwicklung nationaler Rechtsvorschriften, die nur auf die Senkung der Endkundenentgelte zielen, ohne gleichzeitig die mit der Erbringung gemeinschaftsweiter Roamingdienste verbundenen Großkundenentgelte zu regeln, spürbare Wettbewerbsverzerrungen verursachen und das ordnungsgemäße Funktionieren des Markts für gemeinschaftsweites Roaming empfindlich stören [hätte] können. In einer solchen Situation war der Gemeinschaftsgesetzgeber berechtigt, das in Randnr. 38 des vorliegenden Urteils festgestellte Ziel der Förderung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts zu verfolgen." (RNr. 47)
Damit stellt der EuGH ausdrücklich nicht auf bestehende Unterschiede in nationalen Rechtsvorschriften ab, sondern auf die Möglichkeit, dass solche entstehen könnten (einschlägige mitgliedstaatliche Regelungen bestanden ja tatsächlich nicht und meines Erachtens wären solche Regelungen im Hinblick auf den bestehenden Unions-Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste auch nur in sehr begrenzten Umfang möglich gewesen).
2. Zur Frage der
Verhältnismäßigkeit der Regelung verweist der EuGH zunächst auf das dem Gemeinschaftsgesetzgeber zukommende weite Ermessen (RNr 52) und dessen Pflicht, seine Entscheidung auf objektive Kriterien zu stützen (RNr 53). Er hat verständlicherweise keine Zweifel daran, dass die Festlegung von Höchstgrenzen für Endkundenentgelte zum Schutz gegen überhöhte Entgelte geeignet ist (Rnr 63) und betont zur Erforderlichkeit dieser Maßnahme auch, dass
"eine Regulierung nur der Großkundenentgelte keine unmittelbaren und sofortigen Wirkungen zugunsten der Verbraucher hervorgerufen hätte. Vielmehr konnte allein eine Regulierung der Endkundenentgelte ihre Lage unmittelbar verbessern." (RNr 66). Die Schlussfolgerung des EuGH zur Verhältnismäßigkeit:
"In Anbetracht der Bedeutung schließlich, die dem Ziel des Verbraucherschutzes im Rahmen von Art. 95 Abs. 3 EG zukommt, steht ein Eingriff auf einem dem Wettbewerb unterliegenden Markt, der zeitlich begrenzt ist und die Verbraucher unverzüglich vor überhöhten Entgelten schützt, wie er im Ausgangsverfahren in Rede steht, selbst wenn er möglicherweise negative wirtschaftliche Folgen für einzelne Betreiber hat, in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel." (RNr 69 - Hervorhebung hinzugefügt)
Aus meiner Sicht bemerkenswert ist, dass der EuGH die zeitliche Begrenzung der Maßnahme in seiner rechtlichen Würdigung sonst nicht aufgreift, also insbesondere auch keinen Hinweis darauf gibt, ab welcher Dauer des Eingriffs allenfalls doch Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit entstehen könnten. Demgegenüber hatte der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen (RNr 42) noch betont:
"Sollte der Gemeinschaftsgesetzgeber die zeitliche Geltung der Preiskontrollen ausdehnen oder die Kontrollen dauerhaft machen wollen, müsste auch diese Entscheidung die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit erfüllen und bedürfte zu ihrer Rechtfertigung zusätzlicher Gründe." Die Prüfung durch den EuGH umfasste noch die Stammfassung der Roaming-VO; das Urteil erwähnt die Verlängerung der Geltungsdauer auch nicht. Dennoch deutet meines Erachtens die im Vergleich zu den Schlussanträgen sehr zurückhaltende Erwähnung der zeitlichen Begrenzung im Urteil des EuGH doch darauf hin, dass diesem Aspekt keine tragende Bedeutung zukam und damit wohl auch die verlängerte Gültigkeitsdauer bis 30.06.2012 (noch) kein Problem für die Verhältnismäßigkeit darstellen dürfte.
3. Das
Subsidiaritätsprinzip wird eher knapp abgehandelt: Da erhebliche Wechselwirkungen zwischen den Endkunden- und den Großkundenentgelten für Roamingdienste bestehen, "so dass jede Maßnahme, die nur auf die Senkung der Endkundenentgelte zielt, ohne gleichzeitig die mit der Erbringung gemeinschaftsweiter Roamingdienste verbundenen Großkundenentgelte zu regeln, das ordnungsgemäße Funktionieren des Markts für gemeinschaftsweites Roaming empfindlich hätte stören können", habe das mit der Roaming-VO verfolgte Ziel besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.