Friday, November 23, 2012

EGMR: Telegraaf Media - geheimdienstliche Überwachung von Journalisten und Schutz journalistischer Quellen

Der EGMR hat im gestern verkündeten Urteil Telegraaf Media Nederland Landelijke Media B.V. u. a. gegen die Niederlande (Appl. no. 39315/06) (Pressemitteilung des EGMR) neuerlich - nach dem Urteil der Großen Kammer vom 14.09.2012 Sanoma Uitgevers (dazu hier) - eine Verletzung des Art 10 EMRK durch die Niederlande wegen unzureichenden Schutzes journalistischer Quellen festgestellt. Außerdem stellte er eine Verletzung der Art 8 und 10 EMRK wegen geheimdienstlicher Überwachung zweier Journalisten fest.

Ganz knapp zusammengefasst kommt der EGMR zum Ergebnis, dass erstens jede gezielte Überwachung von Journalisten durch besondere Ermitlungsmaßnahmen (Telefonüberwachung) einer gesetzlich vorgesehenen vorherigen Kontrolle durch eine (vorzugsweise richterliche) unabhängige Einrichtung bedarf und dass zweitens an der Rückstellung von (kopierten) Geheimdienstunterlagen, die für die Identifzierung eines "Lecks" im Geheimdienst nicht notwendig sind, kein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, das eine Durchbrechung des Redaktionsgeheimnisses rechtfertigen würde.

Zum Ausgangssachverhalt
Die niederländische Tageszeitung De Telegraaf veröffentlichte am 21.01.2006 eine Titelgeschichte über geheime Unterlagen des AIVD (niederländischer Geheimdienst), die in den Besitz der Drogenmafia gelangt seien. Aus Dokumenten, die der Zeitung vorlägen, ergebe sich, dass taatsgeheimnisse in kriminellen Kreisen in Amsterdam zirkulierten, insbesondere Ermittlungsergebnisse zu einem bekannten Drogen- und Waffenhändler. In einem weitern Artikel am Folgetag wurde auch Codenamen zweier Informanten des Geheimdienstes genannt.

Als Folge der Berichterstattung kam es zu parlamentarischen Anfragen und polizeilichen Untersuchungen. Der Telegraaf wurde von der ermittelnden Polizeieinheit zur Herausgabe der in seinem Besitz befindlichen Dokumente aufgefordert, bekämpfte das aber vor Gericht. Für die Zeit des Verfahrens wurde vereinbart, dass die von einem Notar in einem versiegelten Behälter deponierten Dokumente bei Gericht ungeöffnet aufbewahrt würden. Der Staatsanwalt brachte vor, dass es primär um die Sicherstellung und Rückgabe der Dokumente und nicht um die Feststellung der journalistischen Quelle gehe, dass die Dokumente aber untersucht würden, falls sich die Möglichkeit dazu ergäbe. Der Telegraaf bot an, die Dokumente zu zerstören, wurde aber - schließlich auch vom Obersten Gerichtshof - zur Herausgabe der Dokumente verpflichtet.

Der Telegraaf forderte daraufhin in einem Zivilverfahren die Erlassung einer Verfügung zur Einstellung der Ermittlungen und des Einsatzes besonderer Ermittlungsmethoden ("use of special powers"). Die Gerichte entschieden, dass der Einsatz von Überwachungsmethoden (des Geheimdienstes) gegen die beiden für die Artikel verantwortlichen Journalisten nicht grundsätzlich unzulässig sei (wohl aber dann, wenn sie nach Identifzierung der nicht-journalistischen Zielperson noch fortgesetzt werde). Ob die Journalisten überhaupt überwacht worden waren, legte der Geheimdienst in diesem Verfahren nicht offen.

Die Rechtmäßigkeit der Überwachung durch den Geheimdienst war in der Folge Gegenstand einer Untersuchung durch den Überwachungsrat, eines für die Kontrolle der geheimdienstlichen Tätigkeiten gesetzlich eingerichteten Kollegialorgans (funktionell vergleichbar etwa den in Österreich eingerichteten Rechtsschutzbeauftragten nach § 57 MilitärbefugnisG, § 91a SicherheitspolizeiG und § 47a StPO). Diese Untersuchung bestätigte, dass die Journalisten tatsächlich überwacht und ihre Telefone abgehört worden waren. Der Überwachungsrat kam zum Ergebnis, dass der Einsatz der besonderen Ermittlungsmethoden mit wenigen Ausnahmen gerechtfertigt gewesen sei; zu den Ausnahmen zählte das Anzapfen des Telefons einer nicht in Verdacht stehenden Person und die Aufzeichnung und Transkribierung von Gesprächen, die nicht im Zusammenhang mit den Untersuchungen standen.

Der zuständige Minister berichtete dem Parlament auszugsweise über die (grundsätzlich geheimen) Ergebnisse des Überwachungsrates und kam - nach einer Beschwerde der Journalisten - zum Ergebnis, dass die Entscheidung zum Einsatz besonderer Ermittlungsmethoden gegen die Journalisten und die Weitergabe der Ermittlungsergebnisse an die Staatsanwaltschaft rechtmäßig, die Aufzeichnung und Transkribierung von nicht zum Untersuchungsgegenstand gehörenden Telefongesprächen der Journalisten aber unrechtmäßig gewesen sei.

Geheimdienstliche Überwachung der Journalisten
Der meines Erachtens rechtlich spannendere Teil des Urteils betrifft die Überwachung (insbesondere das Abhören der Telefone) der Journalisten durch den Geheimdienst. Hier untersucht der EGMR den Fall gemeinsam unter Art 8 (Schutz des Privat- und Familienlebens) und - im Hinblick auf die Stellung der Beschwerdeführer als Journalisten - unter Art 10 (Freiheit der Meinungsäußerung). Die Überwachung stellte jedenfalls einen Eingriff in die durch diese Bestimmungen eingeräumten Rechte dar. Auch wenn das Hauptziel der Überwachung die Feststellung und dann Schließung des "Lecks" im Geheimdienst und die Identifizierung der Person, die die Dokumente den Journalisten gegeben hatte, diesem Ziel untergeordnet gewesen sei, so habe der Geheimdienst doch versucht, durch den Einsatz der besonderen Ermittlungsmethoden den Schutz journalistischer Quellen zu umgehen.

Das allein muss freilich noch nicht unzulässig sein; zu prüfen war daher als nächster Schritt, ob der Eingriff auch gesetzlich vorgesehen ist ("prévue(s) par la loi", wie es sowohl in Art 8 als auch Art 10 EMRK heißt). Dies setzt nicht nur ein Gesetz im formellen Sinn voraus, sondern verlangt eine bestimmte Qualität des Gesetzes, wozu etwa die ausreichende Klarheit (und damit Vorhersehbarkeit des Eingriffs) und der rechtliche Schutz gegen willkürliche Eingriffe in die nach Art 8 und 10 geschützten Rechte durch öffentliche Organe gehören:
Especially where, as here, a power of the executive is exercised in secret, the risks of arbitrariness are evident. Since the implementation in practice of measures of secret surveillance is not open to scrutiny by the individuals concerned or the public at large, it would be contrary to the rule of law for the legal discretion granted to the executive to be expressed in terms of an unfettered power. Consequently, the law must indicate the scope of any such discretion conferred on the competent authorities and the manner of its exercise with sufficient clarity, having regard to the legitimate aim of the measure in question, to give the individual adequate protection against arbitrary interference [...]
Der EGMR akzeptiert, dass die Journalisten sich dessen bewusst sein mussten ("could not reasonably be unaware"), dass die ihnen zugekommene Information authentisches geheimes Material waren, das dem Geheimdienst unrechtmäßig entzogen worden war, und dass die Veröffentlichung dazu führen würde, dass der Geheimdienst Maßnahmen ergreifen würde, um die Herkunft des Materials festzustellen. In diesem Sinne war die Überwachung für die Journalisten nach Ansicht des EGMR also vorhersehbar gewesen.

Der EGMR grenzt den vorliegenden Fall sodann vom Fall Weber und Saravia gegen Deutschland (Appl. no 54934/00) ab, in dem eine Beschwerde gegen das strategische Monitoring von Telefonverbindungen durch den deutschen Bundesnachrichtendienstes als unzulässig beurteilt wurde (sodass keine Verletznug der Art 8 und/oder 10 EMRK festgestellt wurde). Die Überwachung durch den BND war, auch wenn eine Journalistin betroffen war, nicht auf die Identifizierung journalistischer Quellen gerichtet:
Surveillance measures were, in particular, not directed at uncovering journalistic sources. The interference with freedom of expression by means of strategic monitoring could not, therefore, be characterised as particularly serious [...]. Although admittedly there was no special provision for the protection of freedom of the press and, in particular, the non-disclosure of sources once the authorities had become aware that they had intercepted a journalist’s conversation, the safeguards in place, which had been found to satisfy the requirements of Article 8, were considered adequate and effective for keeping the disclosure of journalistic sources to an unavoidable minimum [...].
Demgegenüber sei der Fall Telegraaf gerade durch die gezielte Überwachung von Journalisten charakterisiert. Beim Einsatz geheimer Überwachungsmaßnahmen, wo der Missbrauch im Einzelfall leicht möglich sei und schädliche Folgen für die demokratische Gesellschaft haben könne, sei grundsätzlich eine Kontrolle durch Richter anzustreben. In den Fällen Klass ua gegen Deutschland und Kennedy gegen Vereinigtes Königreich habe der EGMR aber auch die dort jeweils bestehende unabhängige Kontrolle als adäquat akzeptiert. Demgegenüber sei im Fall Sanoma die dort ohne gesetzliche Verpflichtung vom Staatsanwalt erfolgte Beiziehung eines Richters wegen der fehlenden gesetzlichen Basis nicht als ausreichend angesehen worden; die richterliche Kontrolle im Nachhinein habe diese Mängel nicht beseitigen können.

Im vorliegenden Fall sei der Einsatz spezieller Ermittlungsmaßnahmen zwar vom Innenminister (oder dem Geheimdienstchef oder dessen Vertreter) genehmigt worden, dies aber jedenfalls ohne vorherige Kontrolle durch eine unabhängige Einrichtung mit der Befugnis, den Einsatz zu verhindern oder zu beenden. Eine "post factum"-Kontrolle könne aber die einmal zerstörte Vertraulichkeit journalistischer Quellen nicht mehr herstellen:
100. In the instant case [...] the use of special powers would appear to have been authorised by the Minister of the Interior and Kingdom Relations, if not by the head of the AIVD or even a subordinate AIVD official, but in any case without prior review by an independent body with the power to prevent or terminate it [...].
101. Moreover, review post factum, whether by the Supervisory Board, the Committee on the Intelligence and Security Services of the Lower House of Parliament or the National Ombudsman, cannot restore the confidentiality of journalistic sources once it is destroyed.
102. The Court thus finds that the law did not provide safeguards appropriate to the use of powers of surveillance against journalists with a view to discovering their journalistic sources. There has therefore been a violation of Articles 8 and 10 of the Convention.
Was folgt daraus?
Für spezifisch gegen Journalisten gerichtete besondere Ermittlungsmaßnahmen - wie insbesondere das Abhören von Telefonen - ist zwingend eine gesetzlich eingerichtete vorherige unabhängige Kontrolle erforderlich (zumindest wenn diese Überwachungsmaßnahmen - auch - der Identifizierung von Quellen dienen können). Die Kontrollfunktion sollte vorzugsweise von einem Richter ausgeübt werden, aber der Hinweis auf die Fälle Klass und Kennedy deutet darauf hin, dass der EGMR auch die Kontrolle durch nicht-richterliche unabhängige Rechtsschutzeinrichtungen mit entsprechender Qualifikation (der EGMR erwähnt die Qualifikation für das Richteramt bzw die frühere Ausübung hoher richterlicher Ämter oder entsprechende Erfahrung als Anwalt) akzeptieren würde; dies aber jedenfalls nur, wenn diese Einrichtungen die Ermittlungsmaßnahmen von sich aus verhindern bzw beenden können (zur österreichischen Rechtslage vgl dazu insbesondere § 147 StPO und § 91c SPG).

Schutz journalistischer Quellen
Der zweite Teil der Entscheidung befasst sich mit dem "klassischen" Schutz journalistischer Quellen gegen Herausgabeanordnungen. Unstrittig war, dass ein Eingriff vorliegt, der auf einer ausreichenden gesetzlichen Basis beruht (hier besteht der wesentliche Unterschied zum ebenfalls in den Niederlanden spielenden Fall Sanoma) und ein legitimes Ziel (nationale Sicherheit, Verbrechensverhütung) verfolgt. Der EGMR wiederholt seine einschlägigen Rechtssätze, insbesondere, dass eine Verpflichtung zur Offenlegung journalistischer Quellen - im Hinblick auf die Bedeutung des Schutzes journalistischer Quellen für die Pressefreiheit in einer demokratischen Gesellschaft und die potentiell abschreckende Wirkung, die eine Verpflichtung zur Offenlegung auf die Ausübung dieser Freiheit haben könnte - nur dann mit Art 10 EMRK vereinbar ist, wenn sie durch ein überwiegendes Erfordernis im öffentlichen Interesse gerechtfertigt ist.

Im speziellen Fall habe der Staatsanwalt eingestanden, dass die Personen, die das Dokument weitergegeben hätten, auch ohne technische Untersuchung der dem Telegraaf zugespielten Dokumente herausgefunden werden könnten. Aus diesem Grund könne die Notwendigkeit, die undichte Stelle im Geheimdienst zu identifizieren, für sich allein nicht die Herausgabeanordnung rechtfertigen.

Weiters sei es sehr wahrscheinlich, dass die in den Dokumenten enthaltene Information, auch wenn sie der Öffentlichkeit nicht bekannt wurde, seit langem außerhalb des Geheimdienstes zirkuliert sei und Kriminellen (der EGMR schreibt: "persons described by the parties as criminals") bekannt gewesen sei. Die Rückstellung der Dokumente könne daher nicht mehr verhindern, dass die Information in falsche Hände gerate.

Der EGMR anerkennt das legitime Interesse des Geheimdienstes, zu überprüfen, ob alle ihm entwendeten Unterlagen wieder aus dem Verkehr gezogen worden seien. Dies sei aber nicht ausreichend, um ein überwiegendes Erfordernis im öffentlichen Interesse ("overriding requirement in the public interest") anzuerkennen, dass die Offenlegung der journalistischen Quelle rechtfertige. Der EGMR kommt zum Ergebnis, dass die tatsächliche Übergabe der Dokumente nicht notwendig sei, zumal es sich dabei um Kopien und nicht die Original handle. Eine Sichtprüfung - um festzustellen, dass sie vollständig sind - und die darauffolgende Zerstörung der Dokumente wäre daher ausreichend gewesen. Es lägen daher keine relevanten und ausreichenden Gründe für den Eingriff vor, sodass eine Verletzung des Art. 10 EMRK festgestellt wurde.

Kein absoluter Schutz des Redaktionsgeheimnisses!
Auch dieses Urteil misst dem Schutz journalistischer Quellen große Bedeutung bei, zeigt aber zugleich - wieder einmal - deutlich auf, dass dieser Schutz nach Art 10 EMRK nicht absolut ist (und weniger weitreichend als nach § 31 Mediengesetz): Wäre die Identifizierung des "Lecks" im Geheimdienst nur durch Überprüfung der Dokumente festzustellen gewesen, so hätte die Entscheidung des EGMR schon anders ausfallen können; ebenso wenn es sich tatsächlich um die Originaldokumente gehandelt hätte oder die Unterlagen sonst noch niemandem bekannt gewesen wären.

Abweichende Meinung Die Feststellung einer Verletzung des Art 10 EMRK gegenüber der beschwerdeführenden Medieninhaberin erfolgte auch - anders als die Feststellung der Verletzung der Art 8 und 10 gegenüber den beiden Journalisten - nicht einstimmig. Die Richter Myjer (Niederlande) und López Guerra (Spanien) verfassten eine dissenting opinion, die ein ungerechtfertigtes Privileg der Presse sieht:
If documents criminally obtained or photocopied in the perpetration of a criminal act can, for the sole reason that they have come into the possession of the press, no longer be seized except on conditions posed by the press itself, the press is granted a privilege for which we see no justification.
Das Recht auf Schutz journalistischer Quellen sei nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR nicht absolut; im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, dass es um die Aufklärung einer schweren Pflichtverletzung eines Geheimdienstmitarbeiters gehe und dass die geheimen Informationen noch nicht veröffentlicht worden waren. Art 10 EMRK könne nicht dahingehend interpretiert werden, dass der Verfall (die Einziehung) von illegal verwendeten Sachen unzulässig wäre; die Niederlande hätten daher das Recht gehabt, die unrechtmäßig im Besitz der Zeitung befindlichen Dokumente wieder zurückzubekommen.

PS: Zum Schutz journalistischer Quellen nach Art 10 EMRK hat der EGMR auch ein - schon mit dem aktuell entschiedenen Fall Telegraaf Media aktualisiertes! - Fact Sheet herausgegeben: Protection of journalistic sources.
Update 24.11.2012: siehe auch die Besprechung des Urteils auf dem ECHR Blog (Dirk Voorhoof)

Tuesday, November 20, 2012

Regulierungsbehörden und Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit

Vor mehr als fünf Jahren habe ich über die damals (nach über zwanzigjährigen Vorbereitungen!) recht konkret geplante Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit und die möglichen Auswirkungen auf die Regulierungsbehörden geschrieben (hier). Der damals vorliegende Entwurf wurde aber letztlich nicht beschlossen (es kam nur zu einer weniger umfassenden B-VG-Novelle BGBl I 2008/2).

Nun wird es aber doch ernst mit der Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit: seit Juni dieses Jahres gibt es mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (BGBl I 2012/51) die verfassungsrechtlichen Grundlagen, und seit letzter Woche liegen auch die Regierungsvorlagen für das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2012 (Text, Erläuterungen), das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (Text, Erläuterungen) sowie - für den Themenbereich dieses Blogs weniger wichtig - das Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012 dem Parlament vor. Auch die meisten Bundesländer haben zumindest Entwürfe für die jeweiligen landesrechtlichen Organisationsvorschriften veröffentlicht (eine Übersicht findet sich hier).

Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012
Die mit den Stimmen aller fünf Parlamentsparteien beschlossene Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (Übersichtsseite des Parlaments; Erläuterungen zur RV; Ausschussbericht) wurde mit BGBl I 2012/51 kundgemacht. Ab 1.1.2014 wird es in jedem Bundesland ein Verwaltungsgericht des Landes geben, dazu kommen noch zwei Verwaltungsgerichte des Bundes (Bundesfinanzgericht und - allgemeines - Bundesverwaltungsgericht, im Folgenden: BVerwG).

Das BVerwG wird - etwas vereinfacht gesagt - über Streitigkeiten in jenen Angelegenheiten entscheiden, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden (ausgenommen Abgabensachen, die vor das Bundesfinanzgericht kommen). Dazu gehören vor allem Angelegenheiten des Asyl- und Fremden(polizei)rechts (die ab 1.1.2014 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vollzogen werden), aber auch - für dieses Blog wesentlich - des Post- und Fernmeldewesens (einschließlich des Rundfunks). Zusätzlich können dem BVerwG auch Angelegenheiten aus dem sonstigen Vollziehungsbereich des Bundes und auch aus dem Vollziehungsbereich der Länder übertragen werden, allerdings nur mit Zustimmung der Länder.

Da eine der Hauptaufgaben des neuen BVerwG im Bereich Asyl und Migration liegt, ist es auch kein Zufall, dass Art 151 Abs 51 Z 7 B-VG in der Fassung der Novelle anordnet, dass mit 1.1.2014 der Asylgerichtshof zum BVerwG wird. Auch die Mitglieder des zum 1.1.2014 aufgelösten Bundesvergabeamts werden, sofern sie sich bewerben und geeignet sind, Mitglieder des neuen BVerwG. Für die weiteren auf das BVerwG zukommenden Aufgaben werden aber noch einige RichterInnen zu rekrutieren sein. Dazu hat der Nationalrat in einer Entschließung Folgendes festgehalten:
"Es ist sicherzustellen, dass bei der Neubestellung von Richterinnen und Richtern in ausreichender Zahl Bewerberinnen und Bewerber berücksichtigt werden, die in den wesentlichen Zuständigkeitsbereichen (insb. Umweltrecht, Sozialrecht, Dienstrecht, Wirtschafts- und Regulierungsrecht) des Bundesverwaltungsgerichts über fundierte juristische Erfahrung verfügen." [Hervorhebung hinzugefügt]
Präsident und Vizepräsident des BVerwG wurden von der Regierung übrigens bereits bestellt, wenig überraschend wurde der aktuelle Präsident des AsylGH zum Präsidenten, der Vorsitzende des Bundesvergabeamts zum Vizepräsidenten des BVerwG ernannt.

Wegfall administrativer Instanzenzüge, Auflösung von Sonderbehörden
Ganz allgemein werden mit dem neuen System der Verwaltungsgerichtsbarkeit verwaltungsinterne Instanzenzüge (bis auf wenige, im Regulierungsbereich nicht relevante Ausnahmen) beseitigt - die klassische Berufung nach dem AVG wird daher ab 1.1.2014 der Vergangenheit angehören. Zugleich werden rund 120 Rechtskontrollbehörden, die außerhalb der klassischen Verwaltung eingerichtet wurden, aufgelöst. Das betrifft vor allem unabhängige Kollegialbehörden ("Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag"), deren Aufgaben auf die neuen Verwaltungsgerichte übergehen werden.

Zu diesen aufzulösenden Sonderbehörden zählen auch der Bundeskommunikationssenat und die Schienen-Control Kommission. Das ist beim Bundeskommunikationssenat insofern verständlich, als er seit der am 1.10.2010 in Kraft getretenen Novelle des ORF-Gesetzes keine erstinstanzlichen Aufgaben mehr wahrnimmt, sondern ausschließlich als Berufungsbehörde tätig ist. Die Schienen-Control Kommission ist allerdings überwiegend als erstinstanzliche Regulierungsbehörde tätig; ihre Auflösung "verdankt" sie dem Umstand, dass sie auch Berufungsbehörde gegen Bescheide der Schienen-Control GmbH ist. Solche Bescheide sind zwar selten (falls sie überhaupt vorkommen; auf der Website der Schienen-Control habe ich keine gefunden), aber bei der Auflösung der Sonderbehörden sollten möglichst keine Ausnahmen gemacht werden, die ein Fortbestehen administrativer Instanzenzüge ermöglicht hätten.

Nun muss das Verkehrsministerium eine Novelle zum Eisenbahngesetz vorbereiten, in der wohl die Schienen-Control Kommission oder eine vergleichbare Einrichtung als (ausschließlich) erstinstanzliche Behörde wieder eingerichtet wird (denkbar wäre allerdings auch, die bisherigen Aufgaben der Schienen-Control Kommission auf die Schienen-Control GmbH zu übertragen, da zur Gewährleistung eines "Tribunals" keine unabhängige Kommission mehr erforderlich ist, wenn ab 1.1.2014 durch das BVerwG Rechtsschutz durch ein Gericht mit voller Kognitionsbefugnis sichergestellt ist)

Die Telekom-Control-Kommission, die Post-Control-Kommission und die KommAustria werden durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 nicht aufgelöst.

Neue Rechtsbehelfe und Instanzenzüge
Grundsätzlich gilt, dass gegen Bescheide aller (Bundes-)Regulierungsbehörden ab 1.1.2014 einheitlich der Rechtsbehelf der Beschwerde an das BVerwG möglich ist. Die Beschwerde muss innerhalb von zwei Wochen eingebracht werden; ist sie rechtzeitig eingebracht und zulässig, so hat sie aufschiebende Wirkung (für den Bereich des Telekommunikationsrechts muss diesbezüglich aber wegen Art 4 Abs 1 UAbs 2 der RahmenRL eine Ausnahmebestimmung im TKG geschaffen werden). Die bescheiderlassende Behörde kann innerhalb von zwei Monaten eine "Beschwerdevorentscheidung" treffen (ähnlich der derzeit nach dem AVG möglichen Berufungsvorentscheidung).

Das BVerwG entscheidet grundsätzlich durch Einzelrichter, die Materiengesetze können aber Senatsentscheidungen (Senate mit drei Mitgliedern) vorsehen. Auch die Beteiligung fachkundiger Laienrichter ist möglich. Dabei dürfte aber weniger an die derzeit in den kollegialen Regulierungsbehörden vorgesehenen fachkundigen Mitglieder (etwa mit besonderen technischen oder ökonomischen Kenntnissen) gedacht sein, als vielmehr an die Möglichkeit sozialpartnerschaftlicher Beteiligung (wie sie etwa im Bereich des Arbeitslosenversicherungsrechts in der derzeitigen Berufungsbehörde - dem Leistungsausschuss bei der Landesgeschäftsstelle - gegeben ist und wohl auch im BVerwG, das die Aufgaben des Leistungsausschusses übernimmt, wieder eingerichtet werden soll).

Gegen Erkenntnisse des BVerwG ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof (und die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof) zulässig, "wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird." Das BVerwG hat in seinem Erkenntnis auszusprechen, ob die Revision zulässig ist.

Ist die Revision nach Ansicht des BVerwG unzulässig, kann dennoch außerordentliche Revision an das BVerwG erhoben werden, die auch die Gründe zu enthalten hat, "warum, entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes, die Revision für zulässig erachtet wird."

Telekomregulierung
Für den Bereich der Telekomregulierung bedeutet dies im Wesentlichen die Einführung einer weiteren Rechtsbehelfsinstanz zwischen Regulierungsbehörde und Verwaltungsgerichtshof. Sowohl gegen Bescheide der RTR-GmbH als auch der Telekom-Control-Kommission wird ab 1.1.2014 keine direkte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof mehr möglich sein. Stattdessen kann Beschwerde an das BVerwG erhoben werden (allerdings innerhalb der doch deutlich kürzeren Frist von zwei Wochen). Neu ist auch, dass die RTR-GmbH und die Telekom-Control-Kommission nach der Beschwerdeerhebung noch die Möglichkeit haben, die Entscheidung abzuändern (Beschwerdevorentscheidung). Der Verwaltungsgerichtshof wird nach der Entscheidung durch das BVerwG nicht in jedem Fall, sondern nur bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung angerufen werden.

Rundfunkregulierung
Im Bereich der Rundfunkregulierung sind die Änderungen weniger weitreichend: hier bleibt es bei zwei Rechtsbehelfsinstanzen nach der Regulierungsbehörde, allerdings wird - grob vereinfacht ausgedrückt - der Bundeskommunikationssenat (der bisher als zweite administrative Instanz entschied) durch das BVerwG (als erste gerichtliche Instanz) ersetzt.

Eine ganz reduzierte grafische Darstellung der Änderungen für Rundfunk- und Telekomregulierung ist hier zu sehen.

Offene Fragen - "Gesetzesbeschwerde"
Noch sind natürlich nicht alle Fragen gelöst. Die Regierungsvorlagen für das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2012 und das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz sind noch nicht beschlossen, für die notwendigen Änderungen der Materiengesetze gibt es noch nicht einmal Entwürfe (insgesamt dürften mehr als hundert Gesetze anzupassen sein). Dieser Beitrag ist daher auch nur als erste grobe Orientierung zu verstehen, ohne Bedachtnahme auf Details und Zweifelsfragen.

Ein Thema, das im Paket um die neue Verwaltungsgerichtsbarkeit mitverhandelt wurde, ist allerdings noch offen: die Einführung der sogenannten "Gesetzesbeschwerde" (vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofs auch "Querulantenbeschwerde" genannt) an den Verfassungsgerichtshof. Dem Nationalrat liegen dazu zwei auf Entwürfen des Bundeskanzleramtes basierende Anträge vor (2031/A und 2032/A). Ob die vom Verfassungsgerichtshof gewünschte Erweiterung seiner Kompetenzen kommen wird (und wie die Debatte darüber sich allenfalls noch auf die neue Verwaltungsgerichtsbarkeit auswirkt), ist derzeit noch offen; auf die mit der "Gesetzesbeschwerde" verbundenen Probleme weist etwa die Stellungnahme des Obersten Gerichtshofes nachdrücklich hin.

Sunday, November 18, 2012

Die "Internetoffensive Österreich" scheitert an ihrem Internetauftritt (wieder einmal)

Dass die sogenannte "Internetoffensive Österreich" trotz ihres martialisch klingenden Namens bislang nicht gerade durch besondere Dynamik aufgefallen ist, kann ich als bekannt voraussetzen - zumindest bei jenen, denen die "Internetoffensive Österreich" überhaupt bekannt ist (was ein doch recht überschaubarer Kreis von Personen sein dürfte).

Dabei ist die "Internetoffensive Österreich" im März 2008 mit großem Anspruch angetreten (siehe dazu hier). Gestützt auf große Namen der einschlägigen Unternehmenswelt wie etwa A1 Telekom Austria, T-Mobile, HP, Microsoft, IBM usw wollte und will sie immer noch "als Interessenvertretung aller Stakeholder im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)" gelten.

Nun sollte man glauben, dass dass die geballte Kompetenz führender IKT-Unternehmen wenigstens ausreichen könnte, um der "Internetoffensive" einen vernünftigen Internetauftritt zu ermöglichen.

Weit gefehlt: Zwar hat die "Internetoffensive" durchaus eine Website, die vielleicht nicht gerade atemberaubend ist, aber immerhin die wesentlichen Grundfunktionen erfüllt (dass es kaum interessante Inhalte gibt, liegt ja nicht an der technischen Umsetzung).

Aber auch die "Internetoffensive" selbst erwartet (und plant) offensichtlich mehr: seit Monaten wird nämlich "sowohl eine optische als auch eine technische Rundum-Erneuerung" der Website angekündigt und auf einen angeblich bevorstehenden Relaunch hingewiesen.

Als erster Relaunch-Termin war - zumindest seit Mai 2012 - der 15. Juli 2012 angekündigt. Dieser Tag kam und verging, der Countdown auf der Website begann den Relaunch für die Vergangenheit anzukündigen ("Relaunch in - [minus!] 1, 2, 3 ... Tagen"), und irgendwann fiel das dann doch jemandem auf. Also wurde ein neuer Relaunch-Termin angegeben: 1. September 2012.

Auch dieser Tag kam, verging, der Relaunch-Countdown drehte ins Negative, bis abermals ein neuer Relaunch-Termin angegeben wurde: 15. November 2012.

Und tatsächlich: auch der 15. November kam, verging - und der Relaunch war noch immer nicht erfolgt. Mittlerweile wird wieder ein  "Relaunch in minus 4 Tagen" angekündigt.

Vielleicht ist das mit der Website bloß Zufall, und hinter den Kulissen funktioniert die "Internetoffensive" ganz ausgezeichnet. Immerhin wird sie ja von einem bekannten Lobbyingunternehmen koordiniert (Partner sind u.a. Dietmar Ecker, Maria Rauch-Kallat und Wolfgang Rosam; Update 13.12.2012: Gregor Schönstein hat mich kontaktiert und mitgeteilt, dass Ecker, Rauch-Kallat und Rosam seit Oktober 2012 nicht mehr Partner sind. Als ich am 18.11. den Beitrag schrieb, waren sie noch prominent als Partner auf der Website genannt), das die Interessen der "Stakeholder" sicher bestens betreut. Vielleicht ist einfach für die Website zu wenig Geld und zu wenig Zeit übrig geblieben, und vielleicht war das Internet den "Stakeholdern" auch einfach nicht wichtig genug.

Dennoch: eine "Internetoffensive", die ihren Internetauftritt so nachhaltig - dreimal mit angekündigtem Anlauf - nicht hinbekommt, erweckt jedenfalls nicht gerade großes Vertrauen.

Update 19.11.2012, 14:30: heute früh war der Zähler noch zu sehen ("Relaunch in minus 5 Tagen"), aber jetzt wurde die Website offline genommen.
Update 30.11.2012: jetzt war auf der Seite mehr als 10 Tage neben dem Logo der "Internetoffensive Österreich nur folgender Hinweis zu sehen: "Wir überarbeiten gerade unsere Homepage, um Sie demnächst noch besser informieren zu können" - heute wurde dieser Hinweis um einen kurzen Text ergänzt, der die "Internetoffensive" als "Interessensvertretung aller IKT-Stakeholder" vorstellen soll; zusätzlich wird ein Video gezeigt mit einem wilden Zusammenschnitt diverser wichtiger Aussagen diverser wichtiger Herren zur "Internetoffensive", zum sogenannten "Kompetenzzentrum Internetgesellschaft" und zu allem, was ihnen sonst gerade im weiteren Zusammenhang mit IKT einfiel. Nett finde ich, dass dabei ÖIAG-Chef Kemler weiterhin als Generaldirektor von Hewlett Packard Österreich bezeichnet wird und Ex-T-Mobile Austria CEO Chvátal immer noch als CEO von T-Mobile Austria auftritt. Aber Aktualität war ja noch nie eine Stärke der Internetoffensive.
Update 05.04.2013: die Website der "Internetoffensive Österreich" wird immer noch überarbeitet!

Thursday, November 15, 2012

Vermischte Lesehinweise (37): Telekom, Internet, Datenschutz, Regulierung

Weitere vermischte Lesehinweise - aus den Bereichen Telekom, Internet, Datenschutz und Regulierungsbehörden/allgemeine Regulierungsfragen

1. Telekom

Vermischte Lesehinweise (36): Medien

Nach längerer Pause wieder einige bunt gemischte (weder chronologisch noch sonst sortierte) Lesehinweise, zunächst aus dem Bereich Rundfunk /  Medien:

Wednesday, November 07, 2012

Beitrag, Abgabe, Gebühr? Und was heißt "günstiger" im Zusammenhang mit der "Haushaltsabgabe"?

Wie schon beschrieben, wünscht sich der ORF eine Modifikation seines Finanzierungssystems: in Hinkunft sollen auch Haushalte (und wohl auch Betriebe), die keine Rundfunkempfangsgeräte betreiben, einen vom ORF - unter Kontrolle der Regulierungsbehörde - festzusetzenden Beitrag an den ORF entrichten. Außerdem sollen die bisher gemeinsam mit dem Programmentgelt eingehobenen Landes- und Bundesabgaben abgeschafft und durch eine "Medienabgabe" ersetzt werden, die zu etwa einem Viertel wieder dem ORF zufließen soll. Das ist, auf das Wesentlichste zusammengefasst, der Wunsch des ORF (Näheres dazu siehe in dieser ORF-Aussendung und in meinem Blogbeitrag).

Nun hat ORF-Generaldirektor Wrabetz, nach ersten politischen Reaktionen auf die Wünsche des ORF, in einer Publikumsratssitzung seine Vorschläge ein wenig modifiziert: anders als noch bei der Vorstellung des Modells im Oktober soll es nun für die Haushalte doch günstiger werden; in einer Aussendung des Publikumsrates heißt es:
Zur Diskussion um die geplante Haushaltsabgabe sagte ORF-Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz: "Das geplante System soll für 97 Prozent der Haushalte eine Vergünstigung bringen. Bei der Festsetzung eines neuen Beitrags besteht die Möglichkeit, die Abgabe günstiger zu gestalten und jene Mittel aus der ORF-Gebühr, die nun an Bund und Länder gehen, als Medienabgabe zweckzuwidmen." [Hervorhebung hinzugefügt]
Daran ist zunächst schon bemerkenswert, dass von einer "geplanten Haushaltsabgabe" und einem "geplanten System" die Rede ist, obwohl bislang nicht viel mehr als der Wunsch des ORF bekannt ist und einige mehr oder weniger positive politische Reaktionen. Ich nehme durchaus an, dass ein haushaltsbezogenes System auch in Österreich kommen wird, aber von einem "geplanten System" zu sprechen, wenn man die eigenen Wünsche beschreibt, scheint mir doch noch recht mutig.

Außerdem fällt auf, dass von einem neuen Beitrag die Rede ist, weiters von der Möglichkeit, die Abgabe günstiger zu gestalten, und schließlich davon, dass "jene Mittel aus der ORF-Gebühr, die nun an Bund und Länder gehen", zweckgewidmet werden könnten (zum Teil eben wieder für den ORF). Das Wort Programmentgelt, das die derzeitige Hauptfinanzierungsquelle des ORF ist, kommt in diesem Zusammenhang nicht vor (wird aber in derselben Presseaussendung in anderem Zusammenhang durchaus genannt).

Der ORF scheint sich also in seinen Wünschen nach einem neuen Beitrag ein wenig vom Konzept des Programmentgelts zu entfernen, das jedenfalls dem Grundsatz nach auf eine Leistungs-/Gegenleistungsbeziehung hinweist. Der Begriff "Beitrag (oder, wie die deutsche Bezeichnung ab 1.1.2013: "Rundfunkbeitrag") setzt diese Austauschbeziehung nicht voraus. (Sicherheitshalber merke ich hier nur noch an, dass es natürlich keine "ORF-Gebühr" gibt und daher auch keine Mittel aus der "ORF-Gebühr" an Bund und Länder fließen).

Dass die Möglichkeit besteht, die Abgabe günstiger zu machen, bedeutet - im Gesamtkonzept des ORF-Vorschlags - nicht notwendigerweise, dass der dem ORF zufließende Beitrag günstiger im Sinne von "für den einzelnen Haushalt billiger als jetzt" sein muss. Damit könnte zum einen auch gemeint sein, dass das Gesamtssystem (inklusive der dem ORF vorschwebenden "Medienabgabe") "günstiger" sein müsse. Zum anderen - und vor allem - aber sagt das Wort "günstiger" nichts aus ohne Vergleichsbasis.

Die Frage ist also: günstiger als was? Wenn ein feststehender Betrag X nicht mehr durch 97% der Haushalte, sondern durch 100% der Haushalte aufgebracht werden muss, dann kann der auf den einzelnen Haushalt entfallende Betrag natürlich sinken. Geht man aber davon aus, dass im ersten Jahr der "Haushaltsabgabe" nicht bloß der Betrag X, sondern ein Betrag von X+Y erforderlich ist, dann muss die Belastung des einzelnen Haushalts in Vergleich zum zuletzt bezahlten Betrag nicht sinken.

Angesichts der sonstigen Botschaften des ORF im Zusammenhang mit dem Vorstoß für eine "Haushaltsabgabe" (zB "Valorisierung", "Nachhaltigkeit" und "Refundierung der Gebührenbefreiung") würde ich nicht annehmen, dass die "Haushaltsabgabe" für die einzelnen Haushalte zu einer Verbilligung gegenüber dem derzeit als Programmentgelt gezahlten Betrag führen wird - aber es lässt sich natürlich allemal darstellen, dass die neue Regelung insofern "günstiger" für die einzelnen (derzeit schon Programmentgelt zahlenden) Haushalte ist, als der zu finanzierende Gesamtbetrag sich dann eben auf eine größere Grundgesamtheit von Haushalten verteilen wird.

Auch nach der vom Generaldirektor nun dem Publikumsrat präsentierten Modifikation des ORF-Modells, die der Standard auf "eine kleine Kampagne in der Krone, Widerspruch der ÖVP und [vom] eigenen, bürgerlichen Finanzdirektor" zurückführt, sollte man die APA-Schlagzeile "Wrabetz: Haushaltsabgabe soll Verbilligung bringen" daher nicht unbedingt wörtlich verstehen. Im Zweifel sollte man wohl eher die von der ORF-Unternehmenskommunikation verantwortete Aussendung lesen: "billiger" kommt dort jedenfalls nicht vor - nur "günstiger".

Die wirkliche Grenze: das Nettokostenprinzip
Vor allem aber ist bei der gesamten Diskussion um die Finanzierung des ORF per "Haushaltsabgabe" (Beitrag?) oder Programmentgelt zu beachten, dass es nicht nur darum geht, § 31 ORF-Gesetz zu novellieren, sondern dass die derzeit darin getroffenen Regelungen ihre Grundlage im Beschluss der Europäischen Kommission vom 28.10.2009 (Staatliche Beihilfe E 2/2008 - Finanzierung des ORF) finden und die in diesem Beschluss gesetzten Grenzen auch bei jeder Neuregelung eingehalten werden müssen.

Der Kommissionsbeschluss - ebenso wie die Rundfunkmitteilung der Kommission (im Blog dazu zB hier) - begrenzt die Beihilfenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks jedenfalls nach dem Nettokostenprinzip: der "Betrag der öffentlichen Ausgleichszahlung" (dazu zählen die Einnahmen aus Programmentgelten oder "Haushaltsabage") darf demnach "grundsätz­lich die Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags auch unter Berücksichtigung anderer direkter oder indirek­ter Einnahmen aus diesem Auftrag nicht übersteigen" (Rundfunkmitteilung, Abs 71); Überkompensierungen sind nur sehr beschränkt - in der Regel nicht mehr als 10% - zum Ausgleich von Kosten- und Einnahmenschwankungen zulässig (zur konkreten österreichischen Situation siehe dazu die Absätze 244 bis 258 in der Kommissionsentscheidung zur ORF-Finanzierung).

Effizienzsteigerung?
Nach der ORF-Aussendung vom 17.10.2012 soll das neue Modell auch "effizient sein (Senkung der Kosten der Einhebung)". Auf den ersten Blick scheint es auch naheliegend, dass die Umstellung von einem geräte- zu einem haushaltsbezogenen Entgelt/Beitrag Ressourcen bei der bisherigen "Schwarzseher"-Fahndung einsparen kann. Die ersten Erfahrungen im Prozess der Umstellung in Deutschland sind da aber offenbar nicht allzu ermutigend: die Gebühreneinzugszentrale GEZ (sozusagen die deutsche GIS) stockt angeblich Personal auf, was den Ökonomen Justus Haucap zu recht drastischer Kritik veranlasste (man muss aber anmerken, dass diese Kritik auf einem Blog der Industrielobby INSM veröffentlicht wurde; die INSM ist seit Auffliegen ihrer Schleichwerbung in der ARD-Serie "Marienhof" deutlich kritisch gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk).

Derzeit gibt es in Österreich keine Abgabe oder Steuer, die bundesweit einheitlich am "Haushalt" ansetzt, und daher existiert auch keine entsprechende verlässliche Datenbasis (die beste bundesweite Übersicht darüber dürfte tatsächlich die GIS haben). Die Abgrenzung, wann ein eigenständiger Haushalt vorliegt (etwa in Wohngemeinschaften, Nebenwohnsitzen, Zusammenleben mehrerer Generationen unter einem Dach etc.) ist aber keineswegs immer trivial - auch dazu würden bei einer Umstellung also wohl Ressourcen der bisherigen "Schwarzseher"-Fahndung gebraucht. Wie groß die Effizienzsteigerung bei der Einhebung einer haushaltsbezogenen Abgabe statt des bisher gerätebezogenen Programmentgelts daher sein würde, lässt sich daher nur sehr schwer einschätzen.

Zusammenfassend:
Ein System, in dem 100% der Haushalte für die ORF-Beihilfenfinanzierung aufkommen, muss zwangsläufig für den einzelnen zahlenden Haushalt günstiger sein im Vergleich zu einem System wie dem aktuellen, in dem dafür nur ca. 97% der Haushalte aufkommen (unter der Annahme, dass sich bei den Betrieben, von denen der ORF derzeit nicht spricht, keine Änderungen ergeben). Dass es "billiger" wird (in dem Sinne, dass der geleistete Betrag absolut sinkt), das kann man aber wohl nicht erwarten.