Sunday, June 29, 2014

EGMR zum Redaktionsgeheimnis: Bekennerbrief zu Bombenanschlag ist keine geschützte journalistische Quelle

Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) - seit dem Fall Goodwin - ist der Schutz journalistischer Quellen "eine der Grundvoraussetzungen der Pressefreiheit"; die Aufforderung zur Offenlegung einer Quelle ist daher "mit Artikel 10 [EMRK] unvereinbar, wenn sie nicht durch ein zwingendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist."

Was aber ist eine journalistische Quelle? Mit dieser Frage befasste sich der EGMR in seiner vor zehn Tagen bekannt gegebenen Entscheidung vom 27. Mai 2014, Stichting Ostade Blade gegen Niederlande (Appl. no. 8406/06; siehe auch die Pressemitteilung des EGMR sowie das "legal summary"). Das Ergebnis: Der Verfasser eines Bekennerbriefs zu einem Bombenanschlag ist keine journalistische Quelle. Die Durchsuchung von Redaktionsräumen, um den einer Zeitschrift zugegangenen Bekennerbrief zu finden, verletzte die beschwerdeführende Medieninhaberin daher nicht in ihrem Recht nach Art 10 EMRK.

Zum Ausgangsfall
Der Sachverhalt reicht zurück in eine Zeit, in der die Auswertung von Schreibmaschinen-Farbbändern noch kriminalistische Standardaufgabe war: Nach drei Bombenanschlägen auf eine chemische Fabrik in Arnhem im Jahr 1996 veröffentlichte eine "militante" Zeitschrift eine Pressemitteilung. Sie teilte darin mit, dass die Gruppe "Earth Liberation Front" in einem Schreiben an die Zeitschrift die Verantwortung für die Anschläge übernommen habe. Zugleich wurde der Text des Bekennerschreibens veröffentlicht.

Am folgenden Tag wurde auf Grund richterlicher Anordnung und unter Aufsicht eines Untersuchungsrichters eine Durchsuchung in den Räumen der Zeitschrift durchgeführt. Vor der Durchsuchung wurde der anwesende Redakteur informiert, dass der Bekennerbrief gesucht wird; er antwortete, dass dieser Brief nicht in den Räumen der Redaktion sei. Der Untersuchungsrichter ordnete darauf hin an, dass nach dem Brief, aber auch nach Verbindungen zwischen der "Earth Liberation Front" und dem Magazin gesucht werden solle; dazu wurden von der Polizei schließlich vier Computer (unter anderem mit der Abonnenten-Datenbank), sowie unter anderem Adressverzeichnisse, ein Kalender und eine Schreibmaschine sichergestellt und mitgenommen. Das war gar nicht so einfach, denn inzwischen waren die Redaktionsräume versperrt worden und die Polizei musst schließlich die Tür aufbrechen; beim Verlassen der Redaktion wurden sie von Gegnern der Durchsuchung bedrängt, die den Polizisten auch einige der sichergestellten Unterlagen entrissen.

Wenige Tage später wurden die Gegenstände wieder retourniert - mit Ausnahme eines Schreibmaschinen-Farbbands, das noch ausgewertet werden sollte (immerhin: der Untersuchungsrichter ordnete an, dass die Schreibmaschine mit einem neuen Farbband zurückgegeben wurde).

In der nächsten Ausgabe der Zeitschrift wurde ein Bericht über die Durchsuchung veröffentlicht. Darin stand auch, dass der Bekennerbrief von den Redakteuren noch am Tage des Einlangens vernichtet worden sei, wie es bei dieser Zeitschrift üblich sei. Die Redaktion weigere sich, einer gerichtlichen Untersuchung gegen "direkte Aktionen" zu helfen.

Die Medieninhaberin und ein verantwortlicher Redakteur verlangten den Ersatz materieller und immaterieller Schäden, blieben aber vor den nationalen Gerichten - die Angelegenheit ging zweimal bis zum obersten Gerichtshof - weitgehend erfolglos. Der verantwortliche Redakteur scheiterte schon daran, das er den Ausspruch des zweitinstanzlichen Gerichts, wonach er keinen Schaden erlitten habe, nicht bekämpft hatte (aus diesem Grund wurde die Beschwerde des Redakteurs vom EGMR auch schon - mit gesonderter Entscheidung vom 05.02.2013, Stichting Ostade Blade und F.J. Kallenberg gegen die Niederlande - zurückgewiesen).

Im Hinblick auf die Medieninhaberin kamen die nationalen Gerichte zum Ergebnis, dass es zwei Ziele der Durchsuchung gegeben habe: erstens, um den Bekennerbrief zu finden, und zweitens, um mögliche Verbindungen zwischen dem Magazin und der Organisation, die sich zu den Anschlägen bekannt hatte, zu finden. Zum ersten Ziel wurde festgehalten, dass es keinen anderen Weg als die Durchsuchung gegeben hätte, um den Brief zu finden, und dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt worden sei, weil es um schwere Straftaten ging und eine Fortsetzung solcher Taten zu erwarten gewesen sei.

Das zweite Ziel der Durchsuchung (Aufspüren möglicher Verbindungen zwischen dem Magazin und der kriminellen Organisation) habe hingegen die Rechte der Medieninhaberin nach Art 10 EMRK verletzt, weil auch nicht dargelegt worden sei, dass es gelindere Mittel gegeben hätte, um solche Verbindungen aufzuklären. Eine Entschädigung wurde jedoch nicht gewährt, auch musste die Medieninhaberin die Kosten des Verfahrens tragen, weil sie mit dem Großteil ihrer Forderungen unterlegen war.

Der tatsächliche Täter, der die Bombenanschläge verübt hatte, wurde übrigens 2007 festgenommen und wegen Mordes, mehrerer bewaffneter Banküberfälle und Brandstiftung (ua in den Fällen von Arnhem) zu lebenslanger Haft verurteilt. Er gestand auch, den Bekennerbrief (mit Fax) an das Magazin geschickt zu haben.

Entscheidung des EGMR

- Empfehlung Nr R(2000) 7
Bei der Darlegung der relevanten Rechtsquellen zitiert der EGMR - wie in solchen Fällen mittlerweile üblich - ausführlich auch die Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates Nr R(2000) 7 über das Recht der Journalisten, ihre Informationsquellen nicht offenzulegen. Darin heißt es unter den Definitionen:
the term "source" means any person who provides information to a journalist
In einem "Explanatory Memorandum" zu dieser Empfehlung wird der Begriff der Quelle so beschrieben:
Source
Any person who provides information to a journalist shall be considered as his or her "source". The protection of the relationship between a journalist and a source is the goal of this Recommendation, because of the "potentially chilling effect" an order of source disclosure has on the exercise of freedom of the media (see, Eu. Court H.R., Goodwin v. the United Kingdom, 27 March 1996, para. 39). Journalists may receive their information from all kinds of sources. Therefore, a wide interpretation of this term is necessary. The actual provision of information to journalists can constitute an action on the side of the source, for example when a source calls or writes to a journalist or sends to him or her recorded information or pictures. Information shall also be regarded as being "provided" when a source remains passive and consents to the journalist taking the information, such as the filming or recording of information with the consent of the source.
- Eingriff
Der EGMR hält fest, dass die Anordnung, den Bekennerbrief zu übergeben und die - nach der Verweigerung der Herausgabe des Briefes folgende - Durchsuchung einen Eingriff in das nach Art 10 EMRK geschützte Recht der Medieninhaberin, Informationen zu empfangen und mitzuteilen, darstellte.

- "Quelle"?
Noch vor der Prüfung, ob der Eingriff nach den Kriterien des Art 10 Abs 2 EMRK gerechtfertigt ist, befasst sich der EGMR mit der Art des Eingriffs, da sich die beschwerdeführende Medieninhaberin im Wesentlichen auf den Schutz journalistischer Quellen stützte. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist jedermann frei, der Presse Informationen offenzulegen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Öffentlichkeit zugänglich sein sollten. Daraus folgt aber nicht, so der EGMR (in Abs 62 des Urteils), dass jede Person, die von einem Journalisten für Informationen gebraucht werde, eine "Quelle" in diesem Sinne sei (der EGMR verweist dazu auf den Fall Nordisk Film & TV A/S [dazu im Blog hier], in dem undercover gefilmte Personen nicht als Quellen beurteilt wurden).

Auch wenn es hier nicht um den Schutz echter journalistischer Quellen gehe, könne die Anordnung an einen Journalisten, Material herauszugeben, "chilling effects" haben. Im Original heißt es in Abs 64 des Urteils:
64. It is undeniable that, even though the protection of a journalistic “source” properly so-called is not in issue, an order directed to a journalist to hand over original materials may have a chilling effect on the exercise of journalistic freedom of expression. That said, the degree of protection under Article 10 of the Convention to be applied in a situation like the present one does not necessarily reach the same level as that afforded to journalists when it comes to their right to keep their “sources” confidential. The distinction lies in that the latter protection is twofold, relating not only to the journalist, but also and in particular to the “source” who volunteers to assist the press in informing the public about matters of public interest (see Nordisk Film, cited above).
Im vorliegenden Fall sei der "Informant" des Magazins nicht vom Wunsch motiviert gewesen, Informationen zu liefern, auf die die Öffentlichkeit ein Anrecht hatte. Im Gegenteil: der Informant habe sich (im Namen einer fiktiven Organisation) zu Straftaten bekannt, die er selbst begangen habe. Sein Ziel sei es gewesen, sich hinter der Anonymität zu verstrecken und seiner eigenen strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen. Er (der Informant!) habe daher kein Anrecht auf den selben Schutz wie die Quellen in den Fällen Goodwin, Roemen und Schmit, Ernst ua, Voskuil, Tillack, Financial Times [im Blog dazu hier], Sanoma [im Blog dazu hier] und Telegraaf [im Blog dazu hier].

Der EGMR stellt hier also darauf ab, dass das Redaktionsgeheimnis bzw der sogenannte Quellenschutz tatsächlich auch dem Schutz der "Quelle" dienen soll (obwohl sich die "Quelle" nicht darauf berufen kann, sondern vertrauen muss, dass die Journalisten nicht leichtfertig die Quelle identifizieren). Die mangelnde Schutzwürdigkeit des anonymen Bekennerbrief-Schreibers schlägt dann gewissermaßen auf das Redaktionsgeheimnis durch: weil sich der Bekennerbrief-Schreiber nicht an den Journalisten gewandt hat, um eine Information mitzuteilen, auf die die Öffentlichkeit ein Anrecht hat, besteht demnach auch kein absolutes Recht des Journalisten, die Quelle geheim zu halten. (Die Prämisse, dass die Öffentlichkeit kein Recht an der Information hat, dass sich jemand zu Bombenanschlägen "bekennt", halte ich nicht - jedenfalls nicht in jedem Fall - für zwingend).

- Rechtfertigung des Eingriffs
Im Folgenden handelt der EGMR den Fall nach dem klassischen Prüfschema ab: der Eingriff war im niederländischen Recht gesetzlich vorgesehen und er diente dem legitimen Ziel der Verbrechensverhütung. Das Bekennerschreiben wurde gesucht, um eine mögliche Spur zur Identifikation der Person(en) zu finden, die mehrere Bombenanschläge durchgeführt hatten. Es sei jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass das Originaldokument nützliche Information hätte bieten können, sodass es auch nicht entscheidend sei, dass der Brief im Magazin ohnehin wörtlich zitiert worden war oder dass andere Spuren zu den Tätern verfügbar gewesen seien (wie die beschwerdeführende Medieninhaberin behauptete).

Alle sichergestellten Gegenstände - mit Ausnahme des Schreibmaschinen-Farbbandes - wurden zurückgegeben, alle nicht relevanten Informationen wurden vernichtet, und es gibt keine Anhaltspunkte, dass durch die Suche die Vertraulichkeit von Informationen, die dem Magazin anvertraut worden waren, verletzt worden wäre: aus all diesen Umständen, die noch weiter dadurch charakterisiert werden, dass die Suche durch die absichtliche Zerstörung des Bekennerbriefs ausgelöst wurde, sei der EGMR - so der etwas moralische Abschluss in Abs 72 des Urteils - nicht dazu bereit, die Schuld bei den Behörden zu finden:
In the circumstances, which are further characterised by the fact that the search was occasioned by the wilful destruction of the letter, the Court is not disposed to lay the blame on the authorities.
Die Beschwerde wurde daher als offensichtlich unbegründet und damit unzulässig zurückgewiesen. Die Entscheidung erfolgte allerdings nur mehrheitlich; wie groß die Mehrheit im Senat von sieben RichterInnen war, wird nicht offengelegt (das passiert nur bei Urteilen, nicht auch bei Unzulässigkeitsentscheidungen wie hier; anders als Kammerurteile sind solche Entscheidungen auch sofort endgültig).

PS: siehe zu dieser Entscheidung auch den Blogpost von Hugh Tomlinson auf Inforrm's Blog.

Friday, June 27, 2014

VfGH hebt nationale Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung auf - Zugriff auf Betriebsdaten weiter möglich

Nach der Feststellung der Ungültigkeit der Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten durch den EuGH (dazu im Blog hier und hier) war es keine große Überraschung, dass der Verfassungsgerichtshof nun die österreichischen Regelungen, die zur Umsetzung dieser Richtlinie geschaffen wurden, als verfassungswidrig aufgehoben hat. Das Erkenntnis wurde heute mündlich verkündet, schriftlich ist vorerst nur eine Pressemitteilung des VfGH verfügbar, in der immerhin der konkrete Spruch des Erkenntnisses - zumindest betreffend die aufgehobenen Bestimmungen - wiedergegeben wird; im übrigen werden darin aber nur sehr allgemeine Hinweise auf die Begründung des Erkenntnisses gegeben (nach einer Pressemeldung wurde zudem der Antrag der Kärntner Landesregierung zurückgewiesen, "da dieser nicht ausreichend formuliert worden war" - ich nehme an, dass die aufzuhebenden Normen nicht präzise bezeichnet waren Update 29.06.2014: nach einem Gespräch mit jemandem, der bei der Verkündung zugehört hat, dürfte es so gewesen sein, dass die Kärntner Landesregierungen nur Bestimmungen des TKG 2003 angefochten hat, der VfGH jedoch der Auffassung war, dass diese mit den Bestimmungen der StPO und des SPG, die die Auskunftserteilung regeln, in einem untrennbaren Zusammenhang stehen).
Update 30.07.2014: nunmehr ist die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses verfügbar.
Update 31.07.2014: siehe nun zur schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses im Blog hier.

Zwar ist das Erkenntnis nach § 26 VfGG "mit den wesentlichen Entscheidungsgründen" zu verkünden, dennoch lässt sich leider aus der Meldungen, die ich bis jetzt durchgesehen habe, nicht allzuviel erkennen. Auch der Live-Ticker auf netzpolitik.org gibt dazu nicht viel her, außer dass sich die Aufhebung auf Art 1 (§ 1) DSG und Art 8 EMRK stützt, was jetzt auch nicht wirklich überraschen kann. Ob zB auch Erwägungen zu Art 10 EMRK erfolgten oder welche Rolle die GRC spielte, lässt sich damit nicht feststellen. Eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Erkenntnis kann aber ohnehin erst nach Vorliegen der schriftlichen Ausfertigung erfolgen. Daher vorerst hier nur kurze Anmerkungen zu den aufgehobenen Rechtsvorschriften und zur Frage, auf welche Daten nun weiter zugegriffen werden kann.

Aufgehobene Rechtsvorschriften
Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von Daten wurde in Österreich mit der Novelle BGBl I 2011/27 zum TKG 2003 umgesetzt. Begleitet wurde diese Umsetzung durch Anpassungen in der Strafprozessordnung (StPO) und im Sicherheitspolizeigesetz (SPG), beides mit der Novelle BGBl I 2011/33. Die tragenden Teile dieser Novellen wurden nun vom VfGH aufgehoben.

Im TKG 2003 sind von der Aufhebung folgende Bestimmungen betroffen:
  • § 102a ("Vorratsdaten") zur Gänze: dies betrifft die Verpflichtung zur Speicherung von Vorratsdaten
  • § 102b ("Auskunft über Vorratsdaten") zur Gänze: in dieser Bestimmung war geregelt, dass eine Auskunft über Vorratsdaten ausschließlich aufgrund einer gerichtlich bewilligten Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Aufklärung und Verfolgung von - näher umschriebenen - schweren Straftaten zulässig ist.
  • § 102c Abs 2, 3 und 6: Regeln zur Protokollierung von Zugriffen auf Vorratsdaten.
  • Die Definition des Begriffs "Vorratsdaten" in § 92 Abs 3 Z 6b ("Daten, die ausschließlich aufgrung der Speicherverpflichtung gemäß § 102a gespeichert werden")
  • Die sich auf Vorratsdaten beziehenden Wortfolgen in einer Reihe von Bestimmungen (§ 93 Abs 3, § 94 Abs 1, 2 und 4, § 98 Abs 2, § 99 Abs 5 Z 2, 3 und 4), in denen im Wesentlichen festgelegt wurde, dass von bestimmten Regeln nicht nur "normale" Daten, sondern auch Vorratsdaten betroffen sind.
  • Die Strafbestimmungen bei Verletzung von Pflichten im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung (§ 109 Abs 3 Z 22 bis 26).
Damit verbleiben im TKG 2003 nur mehr sehr bruchstückhafte Regelungen zu Vorratsdaten (zB die "2 Container-Lösung" in § 102c Abs 1), die aber angesichts des Wegfalls aller tragenden Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung ins Leere laufen. Der Gesetzgeber wird sie wohl bei nächster Gelegenheit beseitigen, ebenso wie den auch noch verbliebenen Hinweis in § 1 Abs 4 Z 7 TKG 2003, wonach mit dem TKG 2003 auch die - nicht mehr gültige - RL über die Vorratsspeicherung von Daten umgesetzt wird.

In der StPO sind folgende Bestimmungen von der Aufhebung betroffen.
  • § 134 Z 2a: Definition der "Auskunft über Vorratsdaten"
  • § 135 Abs 2a: Festlegung, in welchen Fällen die Auskunft über Vorratsdaten zulässig ist
Im SPG wurde die Wortfolge "auch wenn hiefür die Verwendung von Vorratsdaten gemäß § 99 Abs. 5 Z 4 iVm § 102a TKG 2003 erforderlich ist," sowohl in § 53 Abs 3a Z 3 als auch in § 53 Abs. 3b aufgehoben. Auch in den dort geregelten Fällen (im Wesentlichen: Abwehr einer konkreten Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit, eines gefährlichen Angriffs oder einer kriminellen Verbindung bzw bei "Vermissten", wenn eine gegenwärtige Gefahr anzunehmen ist) kann also nicht mehr auf Vorratsdaten zurückgegriffen werden - die allerdings ohnehin nicht mehr gespeichert werden dürfen.

Ab wann?
Der Bundeskanzler ist nach Art 140 Abs 5 B-VG zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet. Da der VfGH keine Frist für das Außerkrafttreten bestimmt hat, tritt die Aufhebung "mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft". Mit einer baldigen Kundmachung ist zu rechnen, sodass auch die juristisch interessante Frage, ob die - wohl auch unionsrechtswidrigen - Normen wegen des Vorrangs des Unionsrechts allenfalls auch schon bis zur Kundmachung des VfGH unangewendet bleiben müssten (zu einem derartigen Fall siehe etwa das VwGH-Erkenntnis vom 23.10.2013, 2012/03/0102), nicht beantwortet werden muss.
Update 30.06.2014: Die Aufhebung wurde kundgemacht am 30.06.2014 mit BGBl I 2014/44.

Keine Auskunft über Vorratsdaten - aber weiterhin Zugriff auf "Betriebsdaten"
Dass die Regeln über die Vorratsdatenspeicherung aufgehoben wurden, bedeutet nicht, dass die Strafverfolgungs- bzw Sicherheitsbehörden nicht dennoch auf Daten einer Nachrichtenübermittlung zugreifen könnten. Allerdings sind sie dabei auf die betriebsnotwendig anfallenden Daten, soweit diese (zulässigerweise) gespeichert sind, beschränkt (vgl die Definition von "Betriebsdaten" in § 2 Datensicherheitsverordnung TKG-DSVO]).

Für Verkehrsdaten gilt gemäß § 99 TKG 2003 - wie in der RL 2002/58 festgelegt - der Grundsatz, dass sie "nach Beendigung der Verbindung unverzüglich zu löschen oder zu anonymisieren sind". Eine - gewichtige - Ausnahme von diesem Grundsatz ist freilich, dass diese Daten zu speichern sind, wenn dies für Zwecke der Verrechnung von Endkunden- oder Vorleistungsentgelten (also zB auch für die Interconnection-Abrechnung) erforderlich ist. Sie sind zu löschen, "sobald der Bezahlvorgang durchgeführt wurde und innerhalb einer Frist von drei Monaten die Entgelte nicht schriftlich beeinsprucht wurden." Je nach Rechnungskreislauf liegen solche Daten also zumindest etwa vier Monate, oft auch sechs Monate vor. Auf diese Daten kann natürlich weiterhin insbesondere nach § 135 StPO in den dort geregelten Fällen (vereinfacht: Aufklärung oder Aufenthaltsermittlung bei schwereren Straftaten) zugegriffen werden.

Der wesentliche Unterschied zum Zugriff auf Vorratsdaten ist, dass die Strafverfolgungsbehörden damit nur mehr auf jene Daten zugreifen können, die betriebsnotwendig vorliegen und noch nicht gelöscht sind. Das wird bei den klassischen "Verbindungsdaten" in der Telefonie in der Regel kaum einen Unterschied machen, wohl aber bei all den Daten, die nach den Regeln über die Vorratsdatenpeicherung zusätzlich zu den verrechnungsrelevanten Daten zu speichern waren oder bei E-Mail-Diensten, bei denen die bisher nach § 102 Abs 4 TKG 2003 zu speichernden Daten in der Regel wohl nicht verrechnungsrelevant waren.

Monday, June 23, 2014

Von Fakten ungezähmte Kreativität: my two cents zu Meldungen über Roamingentgelte und EuGH-Verfahren

"Pünktlich zum 1. Juli hat die EU-Kommission eine weitere Absenkung der Auslandstarife für mobiles Telefonieren und Datenabfrage angeordnet." Mit dieser Einleitung beginnt ein Beitrag zu Roamingentgelten, der am Wochenende - als übernommene Agenturmeldung - flächendeckend in vielen Online-Medien zu finden war, von FAZ über Standard, Salzburger Nachrichten, Kleine Zeitung oder Wirtschaftsblatt bis zu Krone und Heute und vielen anderen. Den meisten Quellenangaben zufolge kam die Story offenbar zuerst von der dpa und  - einen Tag später in Österreich - von der APA.

Roamingverordnung (2012): von Parlament und Rat beschlossen
Wahrer Kern der Geschichte ist, dass die Höchstentgelte für Roaming innerhalb der EU ab 1. Juli sinken werden - weil das in der vor zwei Jahren beschlossenen Roamingverordnung des Europäischen Parlaments und des Rates (siehe Artikel 8 und 9) so vorgesehen ist. Die Kommission kann da natürlich gar nichts anordnen, auch nicht "pünktlich zum 1. Juli", was ja so klingt, als sei das gerade erst geschehen (im Kommissionsvorschlag, der zur Roamingverordnung führte, hatte die Kommission übrigens deutlich höhere Entgelte vorgesehen, als Parlament und Rat schließlich beschlossen haben).

Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie man auf die Idee kommt, dass die Kommission eine Senkung der Roamingentgelte anordnen könnte, noch dazu wo in der selben Meldung von Plänen der Kommission die Rede ist, dass die "Extrakosten gänzlich entfallen" sollen, was "inzwischen auch vom EU-Parlament abgesegnet" worden sei: das wäre ja wohl nicht notwendig, wenn die Kommission so etwas einfach anordnen könnte. Dass die Pläne der Kommission vom Parlament "abgesegnet" worden wären, stimmt übrigens auch nicht, es gab da ziemlich gravierende Änderungen zum Kommissionsvorschlag in der ersten Lesung, und für eine verbindliche Regelung braucht es natürlich noch eine Einigung mit dem Rat, die noch aussteht (laut Pressemitteilung zur jüngsten Ratssitzung, in der der Vorschlag diskutiert wurde, wurde die Roamingfrage noch nicht im Detail geprüft).

My two cents one cent zu den Roamingentgelten
Ein Fehler hat sich auch bei den angegebenen Entgelten eingeschlichen: das Höchstentgelt für ankommende Sprachanrufe beträgt nämlich nicht 6 Cent, sondern 5 Cent (wie alle anderen in den Meldungen genannten Entgelte zuzüglich Mehrwertsteuer). Das alles kann man einfach auf der Kommissionswebsite lesen, wenn man sich schon den Blick in die Rechtsvorschrift dazu nicht antun will. Auf futurezone.at ist das immerhin jemand aufgefallen; dort steht zwar noch die Einleitung mit der Kommissions-Anordnung, aber das richtige Entgelt.

Woher kommt die Geschichte?
Auslöser für die Meldung scheint eine Pressemitteilung eines deutschen "Vergleichsportals" zu sein, in der aber die sachlichen Fehler der dpa/APA-Meldung noch gar nicht enthalten sind. In der Pressemitteilung wird vergleichsweise nüchtern darauf hingewiesen, dass die Roaming-Entgelte damit "zum insgesamt achten Mal" sinken, woraus in den Agenturmeldungen folgender Satz wird: "Das ist der achte Preisschritt nach unten, wie das Vergleichsportal Verivox ausgerechnet hat." - als ob das "Ausrechnen" eine besondere Leistung wäre, für die es das "Vergleichsportal" gebraucht hätte. Andererseits: dass die Agenturen, wenn sie die Anzahl der Preissenkungsschritte schon für relevant und nachrichtenwürdig halten, das selbst hätten "ausrechnen" (= selbst kurz auf einer einschlägigen Website nachschauen) hätten können, ist angesichts der sonstigen Qualität dieser Meldung wohl eher fraglich. Egal, das "Vergleichsportal" kann sich über gelungene Gratis-PR freuen.

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Das Vorabentscheidungsverfahren, ein unbekanntes Wesen
Ich habe schon einmal über die Berichterstattung zu Vorabentscheidungsverfahren geschrieben (hier), und ich wiederhole neuerlich, dass ich journalistische Verkürzungen und Vereinfachungen durchaus für notwendig halte, um zielgruppenadäquat berichten zu können; hinzu kommt natürlich der Zeitdruck, unter denen Meldungen verfasst werden, sodass wahrlich nicht alles auf die Goldwaage zu legen ist. Als Jurist sollte man also nicht empfindlich sein, solange die Kernaussage zutrifft. Die Eckpunkte einer juristischen Geschichte aber sollte man - gerade als Nachrichtenagentur - nicht einfach erfinden.

Aktuelles Beispiel: anlässlich der Entscheidung des irischen High Court, 2013 765JR, Schrems v Data Protection Commissioner, gab es eine APA-Meldung, wiedergegeben etwa auf Presse online oder Heute, die mit folgenden drei Sätzen eingeleitet wird:
Das irische Höchstgericht in Dublin hat eine Beschwerde des Österreichers Max Schrems wegen der Zusammenarbeit von Facebook mit dem US-Geheimdienst NSA abgelehnt. Das Gericht empfahl in einer Entscheidung am Mittwoch, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu bringen. Schrems will den Fall nun dort einbringen.
Dazu folgende Anmerkungen
  1. der High Court ist nicht das irische Höchstgericht (das sollte man aus der Geschichte über die Vorratsdatenspeicherung wissen, aber da wurde auch immer wieder vom Höchstgericht geschrieben; ein kleiner Hinweis: "High" heißt nicht "Supreme")
  2. die "Beschwerde" von Schrems wurde nicht abgelehnt (auch nicht abgewiesen), sondern das Verfahren ruht bis zur Entscheidung des EuGH (wie bei Vorabentscheidungsverfahren europaweit Standard); leicht ersichtlich in Absatz 72 des Urteils: "the present proceedings must stand adjourned pending the outcome of the Article 267 reference."
  3. Das Gericht "empfahl" dem Kläger nichts (Gerichte geben in Urteilen selten Empfehlungen), schon gar nicht etwas, wozu der Betroffene rechtlich überhaupt nicht in der Lage wäre: denn natürlich kann Schrems den Fall nicht selbst vor den EuGH bringen, das Vorabentscheidungsersuchen wird vom Gericht gestellt.
  4. Dass Schrems den Fall "nun dort [beim EuGH] einbringen" wolle, kann nur erfunden sein, aus keiner in den Medien wörtlich zitierten Aussage von Schrems wäre das abzuleiten (Schrems selbst hat unrichtige Medienberichte kritisiert, siehe dazu zB ein Interview mit ihm auf netzpolitik.org)
  5. Schrems stellte das Urteil des High Court unmittelbar nach seinem Bekanntwerden auf eine Website und wies zB auf Twitter darauf hin; der nicht allzu lange Originaltext war also rechtzeitig für jedermann leicht einsehbar (ich sehe jetzt gerade, dass "Europe versus facebook" unter dem Stichwort "Myth Busting" auch Fehler der Berichterstattung über das Urteil korrigiert).
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Kleinliche Kritik?
Klar: Fehler passieren, unter Spar- und Zeitdruck öfter als wenn ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen und Zeit keine Rolle spielt. Das Aufzeigen von Fehlern wirkt da schnell kleinlich und besserwisserisch, gerade wenn es wie beim Roaming zB um ein nur um einen Cent zu hoch angegebenes Entgelt geht. Mir geht es aber nicht um solche verzeihlichen Flüchtigkeitsfehler oder Ungenauigkeiten  - der Cent-Fehler bei den Entgelten wäre kein Blogpost und nicht einmal eine Twitter-Nachricht wert.

Was mich aber irritiert, ist der oft - und auch in den beiden hier gezeigten Fällen - zu beobachtende Zugang, eine vielleicht zu trocken scheinende Meldung mit einer frei assoziierten Einleitung behübschen zu wollen. Es ist ein wiederkehrendes Muster: im Hauptteil der Meldung finden sich im Wesentlichen realitätsnahe Informationen, im "Anreißer" - in den ersten Einleitungssätzen - aber schlägt die von Fakten ungezähmte Kreativität zu. Ich weiß nicht, ob sich die JournalistInnen der Gefahr bewusst sind, in die sie sich damit bringen, denn für sachkundige LeserInnen beweisen solche Einleitungen oft, dass die VerfasserInnen selbst nicht wirklich verstanden haben, was sie gleich nach der "kreativen" Einleitung in ihrer Meldung wiedergeben.

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PS - Update 27.06.2014: Es überrascht nicht wirklich, dass die Heldenlegenden über den Kampf der Kommission (und speziell der nun für die digitale Agenda verantwortlichen Kommissarin Kroes) auch Eingang in Printmedien finden. Der Falter kürte Kroes gleich zum Hero der Woche, weil sie "erfolgreich gegen diese Zusatzkosten" gekämpft habe. Dass ab 1. Juli die Roaminggebühren für ausgehende Anrufe auf maximal 19 Cent, "für eingehende sechs Cent" (richtig: fünf Cent) sinken, sei von den "vermeintlichen 'Bürokraten' in Brüssel und vor allem Neelie Kroes" durchgesetzt worden. Richtig ist allerdings, dass die Kommission - mit Kroes - in ihrem Verordnungsvorschlag höhere Tarife vorgesehen hatte und Parlament und Rat eine weitergehende Absenkung gegenüber dem ursprünglichen Wunsch der Kommission beschlossen haben.

Thursday, June 19, 2014

EuGH: Zugangsverpflichtung kann auch Pflicht zum Legen neuer Anschlussleitungen umfassen

Eine nationale Telekom-Regulierungsbehörde kann einen Netzbetreiber mit beträchtlicher Marktmacht nach Art 8 und Art 12 der Zugangsrichtlinie 2002/19/EG (in der Fassung der RL 2009/140/EG) unter bestimmten Umständen dazu verpflichten, auf Antrag konkurrierender Betreiber Anschlussleitungen von seiner Glasfaserinfrastruktur zum Endverbraucher zu verlegen. Zu diesem Ergebnis kam der EuGH in seinem heute verkündeten Urteil in der Rechtssache C-556/12, TDC A/S; er folgt damit vollinhaltlich den Schlussanträgen von Generalanwalts Cruz Villalón (siehe zu diesen näher hier im Blog).

Der Ausgangsfall
Die dänische Regulierungsbehörde hatte festgestellt, dass TDC auf dem Vorleistungsmarkt für Breitbandzugang über Kupfer-, Koaxialkabel- und Glasfasernetze über beträchtliche Marktmacht verfügte und dem Unternehmen verschiedene Verpflichtungen auferlegt, darunter auch die Verpflichtung, berechtigten Anträgen auf Zugang zu Breitbandverbindungen über das Glasfasernetz stattzugeben. Dies umfasste unter anderem auch die Pflicht, neue Anschlussleitungen über eine maximale Länge von 30 Metern zu verlegen, um Endkunden an das Glasfasernetz anzuschließen. TDC klagte dagegen, da damit eine Verpflichtung zur Errichtung neuer Infrastruktur verbunden sei, was dem Konzept des Zugangs nach der ZugangsRL nicht entspreche. Das damit befasste Gericht richtete ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH.

Zugang
Der EuGH hielt zunächst fest, dass Art 12 iVm Art 8 der ZugangsRL der nationalen Regulierungsbehörde die Befugnis gibt, Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht die Verpflichtung aufzuerlegen, berechtigten Anträgen auf Zugang zu bestimmten Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen und auf deren Nutzung stattzugeben. "Zugang" bedeeutet nach Art 2 lit a der ZugangsRL "die ausschließliche oder nicht ausschließliche Bereitstellung von Einrichtungen und/oder Diensten für ein anderes Unternehmen unter bestimmten Bedingungen zur Erbringung von elektronischen Kommunikationsdiensten, auch bei deren Verwendung zur Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft oder Rundfunkinhaltsdiensten." Zugang umfasst unter anderem "Zugang zu Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen, wozu auch der feste oder nicht feste Anschluss von Geräten gehören kann (dies beinhaltet insbesondere den Zugang zum Teilnehmeranschluss sowie zu Einrichtungen und Diensten, die erforderlich sind, um Dienste über den Teilnehmeranschluss zu erbringen)".

Aus dem Wortlaut von Art 2 lit a der ZugangsRL ist daher erstens abzuleiten, dass das Konzept des Zugangs auch Adaptierungen umfasst, damit Netzeinrichtungen oder Dienste von anderen Unternehmen zum Zweck der Erbringung elektronischer Kommunikationsdienste genutzt werden können. Zweitens ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung auch, dass die darin enthaltene Aufzählung der Formen des Zugangs nicht abschließend ist.

Als nächstes nimmt der EuGH die Systematik der ZugangsRL in den Blick und stellt fest, dass in Art 2 lit b der RL für den Begriff der Zusammenschaltung (als Sonderfall des Zugangs) auf die physische und logische Verbindung zweier Netze abgestellt wird, und dass nach Art 5 Abs 1 der RL eine nationale Regulierungsbehörde in begründeten Fällen Netzbetreibern auch die Verpflichtung auferlegen kann, ihre Netze zusammenzuschalten. Diese Bestimmungen zeigten, dass das Konzept des "Zugangs" im Sinne der ZugangsRL auch eine Anpassung an eine bestehendes Netzwerk beinhalten könne, um eine Verbindung zwischen diesem Netz und dem Endkunden zu ermöglichen.

Schließlich prüft der EuGH den Zweck der RL und verweist dazu auf Art 1 Abs 1 der ZugangsRL (wo insbesondere nachhaltiger Wettbewerb genannt wird) und Art 8 Abs 1 der RahmenRL, der von den nationalen Regulierungsbehörden verlangt, "alle angezeigten Maßnahmen" zu treffen, die den in Art 8 Abs 2 bis 4 genannten Zielen dienen, darunter insbesondere die Förderung des Wettbewerbs.

Die nationalen Regulierungsbehörden müssen daher im Einklang mit den Bestimmungen der ZugangsRL einen angemessenen Zugang und eine geeignete Zusammenschaltung sowie die Interoperabilität der Dienste sicherstellen und ihre Befugnisse in einer Weise nutzen, durch die Effizienz, nachhaltiger Wettbewerb, effiziente Investitionen und Innovationen gefördert werden. Die Verpflichtungen, berechtigten Anträgen auf Zugang zu bestimmten Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen und auf deren Nutzung stattzugeben, sind in der ZugangsRL nicht abschließend definiert, sondern sind - so der EuGH - von der Regulierungsbehörde im Einzelfall im Lichte der Ziele des Art 8 der RahmenRL festzulegen.

Daher kann das Konzept des Zugangs zu "bestimmten Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen" im Sinne des Art 2 lita bzw Art 12 Abs 1 ZugangsRL auch die Errichtung von Anschlussleitungen vom Verteiler eines Zugangsnetzwerks zum Netzabschlusspunkt in den Endkundenräumlichkeiten umfassen.

Bedingungen
Nach Art 8 Abs 4 der ZugangsRL müssen die auferlegten Verpflichtungen der Art des aufgetretenen Problems entsprechen und im Hinblick auf die Ziele des Art 8 der RahmenRL angemessen und gerechtfertigt sein. Diese Beurteilung überlässt der EuGH dem nationalen Gericht, aber nicht ohne vorher darzulegen, dass im Ausgangsfall nach dem Sachverhalt des Vorabentscheidungsersuchens die Verlegung der strittigen Anschlussleitungen eine notwendige Voraussetzung sei, dass andere Betreiber mit TDC konkurrieren könnten.

Berücksichtigung von Investitionen
Das vorlegende Gericht fragte auch, ob bei einer derartigen Verpflichtung die Anfangsinvestitionen des Betreibers zu berücksichtigen seien. Der EuGH verweist dazu auf die Aufzählung der Faktoren, denen die Regulierungsbehörde bei Auferlegung von Zugangsverpflichtungen Rechnung zu tragen hat (Art 12 Abs 2 lit a bis d der ZugangsRL) und auf die Regeln, die bei der Auferlegung von Verpflichtungen zur Preiskontrolle nach Art 13 der ZugangsRL zu beachten sind (dort heißt es: "Um zu Investitionen der Betreiber auch in Netze der nächsten Generation anzuregen, tragen die nationalen Regulierungsbehörden den Investitionen des Betreibers Rechnung und ermöglichen ihm eine angemessene Rendite für das entsprechend eingesetzte Kapital, wobei gegebenenfalls die spezifischen Risiken im Zusammenhang mit einem bestimmten neuen Netzprojekt, in das investiert wird, zu berücksichtigen sind."). Schließlich verweist der EuGH auch auf Art 8 Abs 5 lit d der RahmenRL, wonach die Regulierungebehörden ua "effiziente Investitionen und Innovationen im Bereich neuer und ver­besserter Infrastrukturen" fördern, und zwar auch dadurch, dass sie dafür sorgen, dass bei jeglicher Zugangsverpflichtung dem Risiko der inves­tierenden Unternehmen gebührend Rechnung getragen wird.

Der EuGH kommt daher zum Ergebnis, dass die Regulierungsbehörde, wenn sie die Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Verpflichtung im Lichte der Ziele nach Art 8 Abs 1 der RahmenRL prüft, unter anderem auch die Anfangsinvestition des Eigentümers der Einrichtung und das Bestehen eines Preiskontrollsystems berücksichtigen muss. Will die Regulierungsbehörde dem Netzeigentümer eine Verpflichtung zur Anpassung des bestehenden Netzwerks auferlegen, so muss sie die Kosten dieser Anpassung berücksichtigen.

Fazit
Der EuGH folgt mit diesem Urteil einer sehr weiten Auslegung des Begriffs "Zugang" in Art 2 lit a der ZugangsRL: Die Verpflichtung, Zugang zu gewähren, kann demnach insbesondere auch die Verpflichtung umfassen, neue Infrastruktur erst zu errichten, um Netze zu verbinden oder Endkunden (konkurrierender Betreiber) anzuschließen. Zugleich hat der EuGH aber auch klargestellt, dass dabei die Kosten für die Errichtung derartiger Infrastrukturen von der Regulierungsbehörde "zu berücksichtigen" sind (auch wenn das nicht zwingend eine vollständige Abgeltung dieser Kosten bedeuten muss, ihr aber wohl in der Regel nahekommen dürfte).

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PS: derzeit gibt es keine deutsche Sprachfassung des Urteils, ich habe mich an der englischen Fassung orientiert, es kann daher sein, dass in der in den nächsten Tagen zu erwartenden deutschen Sprachfassung nicht exakt die gleichen Begriffe verwendet werden wie hier.