Tuesday, February 26, 2013

Etwas off topic: EuGH zu Anwendungsbereich und Durchsetzung der Grundrechtecharta

Der EuGH hat heute in zwei Urteilen der Großen Kammer zu Vorlagefragen betreffend die Grundrechtecharta Stellung genommen (C-617/10 Åkerberg Fransson und C-399/11 Melloni).

In beiden Verfahren geht es zwar um strafrechtliche Fragen, die für die Themen dieses Blogs keine Bedeutung haben. Vor allem das Urteil in der Rechtssache C-617/10 Åkerberg Fransson enthält aber wesentliche Aussagen zum Anwendungsbereich der Grundrechtecharta und zur Verpflichtung der nationalen Gerichte, entgegenstehendes nationales Recht unangewandt zu lassen, sodass ich hier - etwas off topic - doch kurz darauf hinweisen möchte.

Anwendungsbereich der Grundrechtecharta
Der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta ist in ihrem Art 51 festgelegt; sie gilt "für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union." Das war für manche - durchaus auch namhafte - Juristen Anlass, über eine mögliche Einschränkung des Grundrechtsschutzes zu spekulieren. Denn man unterstellte den Mitgliedstaaten (vielleicht nicht ganz unbegründet), dass sie mit der Charta keinen ausufernden Grundrechtsschutz durch den EuGH hatten schaffen wollen, der schließlich in weite Teile des nationalen Rechts "überschwappen" würde. Die Worte "ausschließlich" und "Durchführung" wären demnach als Einschränkung gegenüber der früheren Grundrechtsjudikatur des EuGH zu sehen, die sich auf einen weit verstandenen "Anwendungsbereich des Unionsrechts" bezog - der EuGH solle damit gewissermaßen auf den Kernbereich des (von den Mitgliedstaaten durchgeführten) Unionsrechts beschränkt bleiben sollen.

Mit dem heutigen Urteil in der Rechtssache C-617/10 Åkerberg Fransson hat der EuGH - dabei über die eher zurückhaltenden Schlussanträge von Generalanwalt Cruz Villalón hinausgehend - solchen Spekulationen über eine mögliche Einschränkung des Grundrechtsschutzes ein Ende gesetzt. Der EuGH setzt  "Durchführung des Unionsrechts" und "Anwendungsbereich des Unionsrechts" gleich, indem er Art 51 Abs 1 der Charta als Bestätigung der Rechtsprechung des EuGH (auch vor der Grundrechtecharta) sieht und dazu auf eine Reihe einschlägiger Urteile verweist (beginnend mit dem Urteil ERT zu dem auch für dieses Blog interessanten Thema der Reichweite des früheren griechischen Fernsehmonopols). Dann heißt es knapp:
20   Diese Definition des Anwendungsbereichs der Grundrechte der Union wird durch die Erläuterungen zu Art. 51 der Charta bestätigt, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta für deren Auslegung zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB, C‑279/09, Slg. 2010, I‑13849, Randnr. 32). Gemäß diesen Erläuterungen „[gilt d]ie Verpflichtung zur Einhaltung der im Rahmen der Union definierten Grundrechte für die Mitgliedstaaten … nur dann, wenn sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts handeln“.
21   Da folglich die durch die Charta garantierten Grundrechte zu beachten sind, wenn eine nationale Rechtsvorschrift in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, sind keine Fallgestaltungen denkbar, die vom Unionsrecht erfasst würden, ohne dass diese Grundrechte anwendbar wären. Die Anwendbarkeit des Unionsrechts umfasst die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte. [Hervorhebung hinzugefügt]
Das mag hier ein wenig abstrakt klingen, aber am konkreten Anlassfall zeigt sich, dass damit ein sehr weites Feld für die Grundrechtsjudikatur des EuGH eröffnet wird: Herr Åkerberg Fransson hatte Mehrwertsteuer-Erklärungen nicht abgegeben und wurde dafür von der Finanzverwaltung mit einem Strafzuschlag zu der von ihm zu leistenden Steuer belegt; später wurde ein gerichtliches Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung gegen ihn eingeleitet. Strittig war vor dem EuGH, ob dieser Sachverhalt dem Doppelbestrafungsverbot (Art 50 der Charta) unterliegt. Für den EuGH reichte es im Wesentlichen aus, dass das Strafverfahren "teilweise im Zusammenhang mit der Nichteinhaltung von Mitteilungspflichten auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer" stand und dass die Mitgliedstaaten nach Unionsrecht verpflichtet sind, Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der Mehrwertsteuer zu gewährleisten und den Betrug zu bekämpfen:
27   Folglich sind steuerliche Sanktionen und ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung wegen unrichtiger Angaben zur Mehrwertsteuer, wie im Fall des Angeklagten des Ausgangsverfahrens, als Durchführung von Art. 2, Art. 250 Abs. 1 und Art. 273 der Richtlinie 2006/112 (früher Art. 2 und 22 der Richtlinie 77/388) sowie von Art. 325 AEUV und somit als Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta anzusehen.
28   Die Tatsache, dass die nationalen Rechtsvorschriften, die den steuerlichen Sanktionen und dem Strafverfahren zugrunde liegen, nicht zur Umsetzung der Richtlinie 2006/112 erlassen wurden, vermag dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen, da durch ihre Anwendung ein Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie geahndet und damit die den Mitgliedstaaten durch den Vertrag auferlegte Verpflichtung zur wirksamen Ahndung von die finanziellen Interessen der Union gefährdenden Verhaltensweisen erfüllt werden soll. [Hervorhebung hinzugefügt]
Auch das Finanzstrafrecht ist daher, wenn es im Zusammenhang mit einem Mehrwertsteuerdelikt zur Anwendung kommt, "Durchführung des Unionsrechts" und an der Grundrechtecharta zu messen.

Durchsetzung der Grundrechtecharta durch nationale Gerichte
Nicht überraschend und auch nicht wirklich neu, aber doch klarstellend sind die Aussagen des EuGH zur Frage, wie die Unionsgrundrechte von nationalen Gerichten gegen entgegenstehendes nationales Recht oder Gerichtspraxis durchgesetzt werden können. Im Falle eines Widerspruchs zwischen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts und den durch die Charta verbürgten Rechten ist das nationale Gericht gehalten, "für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste"

Damit stellt der EuGH - erstmals ausdrücklich auch zur Grundrechtecharta - klar, dass die nationalen Gerichte (und das betrifft alle Gerichte, vom Bezirksgericht bis zu den Höchstgerichten!) nationale Rechtsvorschriften, die mit der Grundrechtecharta unvereinbar sind, erforderlichenfalls unangewandt lassen müssen (bei Zweifeln über die Auslegung der Charta ist zuvor natürlich eine Vorabentscheidung durch den EuGH einzuholen). Eine Verpflichtung, zuvor die nationale Rechtsvorschrift durch ein verfassungsgerichtliches Verfahren aus dem nationalen Rechtsbestand zu beseitigen, besteht nicht. In Österreich prüft der Verfassungsgerichtshof neuerdings - seit seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, U 466/11 und U 1836/11 - zwar nationale Rechtsvorschriften im Anwendungsbereich des Unionsrechts auch am Maßstab (mancher Bestimmungen) der Grundrechtecharta und kann damit eine gewisse Bereinigungsfunktion wahrnehmen. Eine Verpflichtung anderer Gerichte, Rechtsnormen wegen eines Widerspruchs zur Grundrechtecharta anzufechten, besteht freilich nicht - und dürfte nach der Melki-Rechtsprechung des EuGH, die nun auch für die Charta bestätigt wurde, auch nicht eingeführt werden. Zitat aus dem heutigen Urteil:
46   Mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen ist nämlich jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis unvereinbar, die dadurch zu einer Schwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führt, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Unionsnormen bilden (Urteil Melki und Abdeli, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
PS (update 01.03.2013): Der österreichische Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 17.12.2012, 9 Ob 15/12i, dem EuGH eine Vorlagefrage im Zusammenhang mit Art 47 GRC gestellt, die im Hinblick auf das oben dargestellte Urteil C-617/10 Åkerberg Fransson meines Erachtens nicht schwer zu beantworten ist (beim EuGH anhängig zu C-112/13 Aliyev (update 02.04.2014: mittlerweile zu "A." anonymisiert). Dem OGH will (in seiner ersten Frage) wissen, ob für das österreichische System - in dem die ordentlichen Gerichte eine gegen manche Bestimmungen der GRC verstoßende nationale Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof anfechten können - aus dem "Äquivalenzprinzip" abzuleiten ist, "dass die ordentlichen Gerichte beim Verstoß eines Gesetz es gegen Art 47 GRC während des Verfahrens auch den Verfassungsgerichtshof zur allgemeinen Aufhebung des Gesetzes anrufen müssen und nicht bloß das Gesetz im konkreten Fall unangewendet lassen können."

Dass dieser Beschluss des OGH  ein Akt besonderer Freundlichkeit gegenüber dem VfGH wäre, kann man nicht wirklich behaupten; das wird auch in seiner Bergründung (ab Punkt 5.5) deutlich, in der nicht nur die in der Rechtswissenschaft geübte Kritik am oben erwähnten "Grundechtecharta-Erkenntnis" des VfGH erwähnt wird, sondern dem VfGH auch, etwas verklausuliert, ein Verstoß gegen die Vorlageverpflichtung vorgeworfen wird. Freilich: dass umgekehrt der VfGH in letzter Zeit gegenüber dem OGH besonders freundlich gewesen wäre (siehe etwa das Erkenntnis vom 13.12.2011, G 137/11), ist genausowenig zu erkennen.

Update 02.04.2014: in seinen heute veröffentlichten Schlussanträgen kommt Generalanwalt Bot zu folgendem Ergebnis (zur hier interessierenden Frage):
Im Geltungsbereich des Unionsrechts verpflichtet der Äquivalenzgrundsatz unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die nationalen Gerichte nicht, die Frage, ob ein nationales, ihrer Meinung nach gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßendes Gesetz mit der Charta vereinbar ist, einem Verfassungsgerichtshof zwecks genereller Aufhebung dieses Gesetzes vorzulegen.
Eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine solche Verpflichtung vorsieht, verstößt nicht gegen Unionsrecht, sofern die Aufgabe des nationalen Richters, die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden und deren volle Wirksamkeit zu gewährleisten, indem er erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, sowie seine Befugnis, den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung zu ersuchen, weder beseitigt noch ausgesetzt, geschmälert oder aufgeschoben werden.

Wednesday, February 20, 2013

Auskunftspflicht und Pressefreiheit (aus Anlass eines BVerwG-Urteils)

"Bundesrichter schränken Auskunftsanspruch von Journalisten ein" schreibt Zeit online über ein heute verkündetes Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts (vorbereitet wurde diese Berichterstatttung schon mit einer Vorschau unter dem Titel "Schränkt der deutsche Staat die Pressefreiheit ein?"*).

Dabei ist das, was das Bundesverwaltungsgericht heute entschieden hat (BVerwG 6 A 2.12; vorerst liegt nur die Pressemitteilung vor) jedenfalls aus österreichischer Sicht zunächst recht unspektakulär: die Pressegesetze der Länder sind auf eine Bundesbehörde nicht anwendbar (auch wenn die Praxis bislang offenbar von der Anwendbarkeit der landesrechtlichen Auskunftsansprüche auch auf Bundesbehörden ausging, so hätte mich eine andere Entscheidung des BVerwG viel mehr überrascht, aber wahrscheinlich kenne ich mich einfach im deutschen Föderalismus zu wenig aus).

Meines Erachtens deutlich spannender ist hingegen die zweite wesentliche Aussage des Urteils: "mangels einer bundesgesetzlichen Regelung des presserechtlichen Auskunftsanspruchs [kann] dieser aber unmittelbar auf das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gestützt werden" (zitiert nach der Pressemitteilung des BVerwG). Das BVerwG erkennt damit einen Auskunftsanspruch unmittelbar gestützt auf das Grundrecht der Pressefreiheit an - was ich, anders als Zeit online, gerade nicht als Einschränkung des Auskunftsanspruchs sehen kann.** 
[Zu diesem Urteil siehe auch die Blog-Beiträge von Thomas Stadler auf Internet-Law und von Fabian Rack auf Telemedicus]

Österreich: kein unmittelbar auf die Pressefreiheit gestützter Auskunftsanspruch
Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat einen unmittelbar auf das Grundrecht des - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Art 10 EMRK bislang in ständiger Rechtsprechung verneint. Nun ist zwar Art 5 des deutschen Grundgesetzes, in dem neben der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit ausdrücklich auch die "Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film" gewährleistet wird, nicht undifferenziert mit dem Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK zu gleichzusetzen (siehe dazu auch die Entscheidung des EGMR, Annen gegen Deutschland), aber im materiellen Kern der Pressefreiheit, wie er eben gerade durch Art 10 EMRK auch völkerrechtlich verbrieft ist, sehe ich hier wenig relevante Unterschiede.

Der VfGH hat sich mit Auskunftsansprüchen primär unter dem Gesichtspunkt der Auskunftspflicht nach Art 20 Abs 4 B-VG befasst und ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass diese Verfassungsbestimmung "kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Auskunftserteilung seitens der mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe bzw. seitens der Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts" verbürgt (Erkenntnis vom 03.10.1991, B 4/91, VfSlg 12.838/1991). Auch Art 10 EMRK sei keine Verpflichtung des Staates zu entnehmen, den Zugang zu Informationen zu gewährleisten oder selbst Informationen bereitzustellen (so bereits im Erkenntnis vom 16.03.1987, B 154/85, VfSlg 11.297/1987; in diesem Erkenntnis führte der VfGH auch aus, dass die Informationsfreiheit im Medienbereich "den gleichen Inhalt und Umfang hat wie in jenen Fällen, bei denen die Informationsbeschaffung nicht dem Zweck der Verwertung durch ein Massenmedium dient.").

Bei dieser sehr zurückhaltenden Auslegung ist der VfGH auch in jüngster Zeit geblieben. In einem Erkenntnis vom 02.12.2011, B 3519/05, VfSlg 19.571/2011, in dem ein recht weit gehendes Auskunftsersuchen (nicht von der Presse) zu beurteilen war, wird dies besonders deutlich:
Eine Verletzung von Art 10 EMRK, wie sie von der beschwerdeführenden Partei behauptet wird, kommt schon aus folgender Erwägung nicht in Betracht:
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verbietet Art 10 EMRK hinsichtlich des Rechtes auf Zugänglichkeit und Empfang von Informationen in erster Linie die Beschränkung des Empfanges von Informationen, die andere einer Person zukommen lassen oder beabsichtigen zukommen zu lassen (EGMR 26.3.1987, Fall Leander, Appl. 9248/81, Z74). Der Staat ist in diesem Zusammenhang nach herrschender Ansicht verpflichtet, sein Informationssystem so einzurichten, dass man sich tatsächlich über wesentliche Fragen informieren kann (vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 [2009], 269; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2009], 348). Eine Verpflichtung des Staates zu einem aktiven Tun dahingehend, dass der Staat vertrauliche Informationen veröffentlichen oder den Zugang zu Informationen allgemein gewährleisten müsste, kann aus Art 10 EMRK dagegen nicht abgeleitet werden (EGMR 19.2.1998, Fall Guerra, Appl. 14.967/89, NL 1998, 59).

Auch der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung (zB VfSlg. 11.297/1987, 12.104/1989, 12.838/1991) die Ansicht, dass aus Art 10 EMRK keine Verpflichtung des Staates resultiert, den Zugang zu Informationen zu gewährleisten oder selbst Informationen bereitzustellen. Die Zurückweisung eines Antrages auf Anonymisierung und Übermittlung von Bescheiden der belangten Behörde, die in einem bestimmten Zeitraum erlassen wurden, stellt - entgegen der Ansicht der beschwerdeführenden Partei - keinen Eingriff in Art 10 EMRK dar, da in diesem Fall keine Behinderung der Beschaffung oder der Ermittlung öffentlich zugänglicher Informationen durch (aktives) Eingreifen von Staatsorganen vorliegt, die ausschließlich unter den Voraussetzungen des Art 10 Abs 2 EMRK zulässig wäre (vgl. VfSlg. 11.297/1987, 12.104/1989). [Hervorhebung hinzugefügt]
Diese doch sehr apodiktische Ablehnung durch den VfGH ist vielleicht vor dem Hintergrund des konkret entschiedenen Falles zu verstehen, in dem die Information erst zu beschaffen gewesen wäre (insofern vergleichbar dem vom VfGH zitierten EGMR-Urteil im Fall Guerra). Allerdings hat der EGMR in jüngerer Zeit auch bereits anerkannt, dass die Weigerung eines staatlichen Organs, ein Dokument herauszugeben, eine Verletzung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK darstellen kann (Urteil Társaság a Szabadságjogokért gegen Ungarn, siehe dazu im Blog hier).

Die Rechtsprechung zur Frage, inwieweit ein Recht auf Zugang zu staatlichen Informationen auf Art 10 EMRK gestützt werden kann, ist jedenfalls noch im Fluss (siehe auch - aus Anlass des Falls Gillberg [dazu im Blog hier] einen Beitrag von Dirk Voorhoof und Rónán Ó Fathaigh) - interessante Antworten erwarte ich mir vom EGMR in dem derzeit anhängigen Fall Bubon gegen Russland (siehe dazu das statement of facts).

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*) Dass im konkreten Fall dennoch der Auskunftsanspruch abgewiesen wurde, weil sich der Auskunftsanspruch nur auf Informationen bezieht, die bei der auskunftspflichtigen Behörde aktuell vorhanden sind und das Auskunftsrecht nicht zu einer Informationsbeschaffungspflicht der Behörde führt, wäre übrigens nach österreichischem Recht nicht anders; nach den deutschen Landespressegesetzen scheint eine weitergehende Auskunftsverpflichtung zu bestehen.

**) Etwas untergriffig finde ich auch, wie in mehreren Medien einem Mitglied des am BVerwG entscheidenden Senats, Prof. Jan Hecker, ein Aufsatz vorgeworfen wird, den er vor 7 Jahren in einer juristischen Fachzeitschrift veröffentlicht hat (Landesrechtliche Bindungen von Bundesbehörden - skizziert am Beispiel der pressegesetzlichen Auskunftspflichten; DVBl 2006, 1416).

Tuesday, February 05, 2013

Regulierungsbehörden und neue Verwaltungsgerichtsbarkeit: die Begutachtungsentwürfe

Im vergangenen November habe ich eine erste Übersicht über absehbare Auswirkungen der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Regulierungsbehörden (vor allem im Telekom- und Rundfunkbereich) geschrieben (hier). Mittlerweile haben sowohl das Bundeskanzleramt als auch das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie Ministerialentwürfe für "Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetze" zur Begutachtung versandt und der Nationalrat hat das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 beschlossen, sodass eine kurze Zwischen-Bestandsaufnahme angebracht ist.

Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz
Am Grundkonzept, wie im vorigen Blogpost zu diesem Thema beschrieben, hat sich natürlich nichts geändert. Das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz (Nationalratsbeschluss mit den gekennzeichneten Änderungen gegenüber der Fassung nach dem Ausschussbericht) wird am kommenden Donnerstag die Zustimmung des Bundesrates finden  - damit ist dann das allgemeine Verfahrensrecht für die Verwaltungsgerichte samt den damit zusammenhängenden Änderungen insbesondere des Verwaltungsgerichtshofgesetzes sowie der Verwaltungsverfahrensgesetze (bis auf weiteres) fixiert - Inkrafttreten mit 01.01.2014 (Update: kundgemacht am 13.02.2013 mit BGBl I 2013/33) .

Das Verfahrensrecht für die Verwaltungsgerichte wird im Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt (zur etwas deutlicheren Bezeichnung "Verwaltungsprozessordnung" konnte man sich nicht durchringen), nur in geringem Umfang können Materiengesetze dann noch Sonderregelungen enthalten. Hier hervorzuheben ist, dass im Plenum des Nationalrates die Beschwerdefrist von den ursprünglich vorgesehenen zwei Wochen (entsprechend der bisherigen Berufungsfrist nach dem AVG) auf vier Wochen verlängert wurde, was den Betroffenen gerade bei Beschwerden in den oft komplexen Regulierungsangelegenheiten die Arbeit sicher erleichtert. Abweichungen von den grundsätzlichen Regelungen, wonach die neuen erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte durch Einzelrichter entscheiden und Beschwerden gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden aufschiebende Wirkung haben, sind in den Materiengesetzen zu Regulierungsangelegenheiten zu erwarten.

Rundfunkregulierung
Nach Art 151 Abs 51 Z 8 in Verbindung mit Z 27 der Anlage zum B-VG (BGBl I 2012/51) wird der Bundeskommunikationssenat mit 01.01.2014 aufgelöst. Dann bei ihm anhängige Verfahren gehen auf das Bundesverwaltungsgericht über. Der vom Bundeskanzleramt nun zur Begutachtung versandte Entwurf für ein Bundesgesetz, mit dem das KommAustria-Gesetz, das ORF- Gesetz, das Audiovisuelle Mediendienste-Gesetz und das Parteiengesetz geändert werden (Gesetzestext, Erläuterungen), sieht daher den Wegfall der Regeln über den Bundeskommunikationssenat im KommAustria-Gesetz vor; stattdessen wird festgelegt, dass das Bundesverwaltungsgericht in jenen Fällen, in denen die KommAustria belangte Behörde ist, durch Senat zu entscheiden hat (§ 36 KOG in der Entwurfsfassung) und dass dem Bundesverwaltungsgericht die der KommAustria in erster Instanz zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse als Regulierungsbehörde ebenfalls zustehen (§ 37 KOG in der Entwurfsfassung). Diese Ergänzung zielt nach den Erläuterungen "darauf ab, dem Bundesverwaltungsgericht im selben Ausmaß jene verfahrensrechtlichen Sonderbefugnisse zukommen zu lassen, die – ratione materiae – auch der KommAustria als Regulierungsbehörde schon bislang über den Rahmen des AVG hinaus in sondergesetzlichen Bestimmungen eingeräumt sind. Es betrifft dies insbesondere die Absicherung umfassender Auskunfts- und Ermittlungsbefugnisse (vgl. z.B. § 36 Abs. 4, § 38a Abs. 3, § 38b Abs. 2, § 40 Abs. 5 ORF-G)". Beibehalten wird auch, dass nach § 39 KOG Rechtsmittel (in Zukunft: Beschwerden) gegen bestimmte Entscheidungen der KommAustria abweichend von bisher § 64 AVG, in Zukunft § 13 VwGVG keine aufschiebende Wirkung haben, was im Wesentlichen unionsrechtlich (Art 4 RahmenRL) begründet ist  [Update 01.03.2013: siehe nun auch die Regierungsvorlage 2169 BlgNR 24.GP].

Telekomregulierung
Auch das BMVIT hat einen Begutachtungsentwurf für Anpassungen an die neue Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Begutachtung versandt: das "Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz-Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie" (Gesetzestext, Erläuterungen). Die Telekom-Control-Kommission hat - da ihr nur erstinstanzliche Zuständigkeiten zukamen - den Kahlschlag der Auflösung von rund 120 Sonderbehörden durch BGBl I 2012/51 überstanden und bleibt zentrale Regulierungsbehörde nach dem TKG. Anstelle des bisherigen Rechtszugs direkt zum Verwaltungsgerichtshof wird ab 01.01.2013 die Beschwerde aber an das Bundesverwaltungsgericht zu richten sein, das - wie schon bei Angelegenheiten der Rundfunkreglierung - in Senaten zu entscheiden hat (§ 121a Abs 2 TKG 203 in der Entwurfsfassung; allerdings nur, wenn sich die Beschwerde gegen eine Entscheidung der Telekom-Control-Kommission richtet, nicht bei Beschwerden gegen Bescheide der RTR-GmbH). Beschwerden gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörden nach dem TKG 2003 (also auch der RTR-GmbH) haben nach § 121a Abs 1 TKG 203 in der Entwurfsfassung "abweichend von § 14 [richtig § 13] VwGVG" keine aufschiebende Wirkung.

Bemerkenswert ist, dass das nach § 121 Abs 4 TKG 2003 vorgesehene Neuerungsverbot nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor der Regulierungsbehörde auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren gelten soll (§ 121a Abs 3 TKG 2003 in der Entwurfsfassung). [Update 01.03.2013: siehe nun auch die Regierungsvorlage 2194 BlgNR 24. GP]

Postregulierung
Für den Bereich der Postreglierung gilt im Wesentlichen dasselbe wie für die Telekomregulierung: Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes durch Senat (wenn die Post-Control-Kommission belangte Behörde ist), keine aufschiebende Wirkung von Beschwerden, Neuerungsverbot auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§ 44a Postmarktgesetz in der Entwurfsfassung) [Update 01.03.2013: siehe nun auch die Regierungsvorlage 2194 BlgNR 24. GP]

Eisenbahnregulierung - oder:
Die Schienen-Control Kommission ist tot, es lebe die Schienen-Control Kommission

Anders als Post-Control-Kommission und Telekom-Control-Kommission hat die Schienen-Control Kommission den Kahlschlag durch BGBl I 2012/51 nicht überlebt: Nach Art 151 Abs 51 Z 8 in Verbindung mit Z 8 der Anlage zum B-VG (BGBl I 2012/51) wird sie nämlich mit 01.01.2014 aufgelöst. Die dahinterliegende Überlegung war, dass die Schienen-Control Kommission nicht nur (wenn auch überwiegend) erstinstanzliche Zuständigkeiten hatte, sondern auch Berufungsbehörde über Entscheidungen der Schienen-Control GmbH war.

Da man aber auch in Zukunft eine Regulierungsbehörde im Eisenbahnbereich braucht, die jene Aufgaben fortführt, die der Schienen-Control Kommission bisher erstinstanzlich übertragen waren, muss eine neue Behörde geschaffen werden. Im Begutachtungsentwurf für das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz-BMVIT (Gesetzestext, Erläuterungen) ist nun vorgesehen, dass dafür wieder eine Schienen-Control Kommission zu errichten ist. In den Erläuterungen heißt es dazu :
Um zu vermeiden, dass es keine den Vorgaben entsprechende Regulierungsstelle in Österreich mehr gibt [...], wird hier vorgeschlagen, die mit 1. Jänner 2014 aufgelöste Schienen-Control Kommission durch eine gleichartige und mit denselben Aufgaben versehene Behörde mit derselben Bezeichnung zu ersetzen. Um einen reibungslosen Übergang von der aufzulösenden Schienen-Control Kommission auf die neu einzurichtende Schienen-Control Kommission zu ermöglichen, ist vorgesehen, dass die derzeitigen Mitglieder der aufzulösenden Schienen-Control Kommission bis zum Ablauf der Dauer ihrer Bestellung Mitglieder der neu einzurichtenden Schienen-Control Kommission sein werden. 
Auch Beschwerden gegen Entscheidungen der neuen (=alten) Schienen-Control Kommission sollen keine aufschiebende Wirkung haben und in den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht soll eine Art Neuerungsverbot zum Tragen kommen: "Neue Tatsachen oder Beweise können in einer Beschwerde gegen einen Bescheid der Schienen-Control Kommission nur insofern vorgebracht werden, als sie der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht vorbringen konnte" (§ 84 Eisenbahngesetz in der Entwurfsfassung). Dasselbe gilt auch für Beschwerden gegen Bescheide der Schienen-Control GmbH (§ 78 Eisenbahngesetz in der Entwurfsfassung). Anders als bei Beschwerden gegen Entscheidungen der KommAustria, der Telekom-Control-Kommission oder der Post-Control-Kommission sieht der Entwurf bei Beschwerden gegen Bescheide der Schienen-Control Kommission (wie auch der Schienen-Control GmbH) nicht vor, dass das Bundesverwaltungsgericht durch Senate zu entscheiden hätte. [Update 01/03.03.2013: nach der Regierungsvorlage 2194 BlgNR 24. GP soll nicht ausdrücklich das Bundesverwaltungsgericht, sondern bloß das "Verwaltungsgericht" zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide der Schienen-Control Kommission und der Schienen-Control GmbH zuständig sein - ob damit das Bundes- oder Landesverwaltungsgericht bezeichnet wird, soll in Anwendung des Art 131 B-VG in der ab 1.1.2014 geltenden Fassung dann wohl von der Rechtsprechung geklärt werden.]

Energieregulierung
Das Wirtschaftsministerium hat noch keinen Entwurf für die Anpassung an die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit versandt.
Update 08.03.2013: nun hat auch das BMWFJ einen Entwurf zur Anpassung an die neue Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Begutachtung versandt (Gesetzestext, Erläuterungen, WFA); interessant ist dabei, dass die sukzessive Gerichtszuständigkeit in Schlichtungsangelegenheiten nach § 12 Abs 1 Z 2 und 3 E-Control-Gesetz neuerlich unverändert - und unverändert mit Verfassungsbestimmung - vorgesehen wird, obwohl Art 94 Abs 2 B-VG ab 01.01.2014 einen echten Instanzenzug von der Regulierungsbehörde zu den ordentlichen Gerichten ermöglichen würde. Außerdem wird der "interne Instanzenzug" vom Vorstand zur Regulierungskommission bei Entscheidungen über die Feststellung der Kostenbasis nach § 9 Abs 2 E-Control-Gesetz aufgegeben; auch gegen diese Bescheide des Vorstands ist dann unmittelbar die Beschwerde an das Verwaltungsgericht zulässig.

Finanzmarktaufsicht
Auch der Entwurf für das "Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz - Bundesministerium für Finanzen" (Gesetzestext, Erläuterungen) sieht vor, dass Beschwerden gegen Bescheide der FMA keine aufschiebende Wirkung zukommt und dass das Bundesverwaltungsgericht durch Senat zu entscheiden hat (§ 22 Abs 2 und Abs 2a FMABG in der Entwurfsfassung); zur aufschiebenden Wirkung sagen die Erläuterungen
Eine grundsätzlich aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln nach nationalem Verfahrensrecht birgt in diesem Zusammenhang die Gefahr, die genannten Regulierungsziele zu vereiteln, indem eine verspätet vollziehbare Aufsichtsmaßnahme das europarechtlich vorgegebene Regulierungsziel aufgrund der Volatilität des Finanzmarktes nicht mehr erreichen kann oder zumindest das Ziel eines gleichmäßiges aufsichtsrechtlichen Vorgehens in ganz Europa untergräbt. Eine solche Folge wäre als Verstoß gegen das europäische Effektivitätsprinzip in Gestalt des Vereitelungsverbots zu werten.
Außerdem sieht der Entwurf vor, dass über eine Beschwerde gegen Bescheide der FMA, ausgenommen in Verwaltungsstrafsachen, innerhalb der Frist zu erkennen ist, innerhalb der in erster Instanz zu entscheiden ist, spätestens jedoch nach sechs Monaten (§ 22 Abs 2a FMABG in der Entwurfsfassung). Damit soll, so die Erläuterugen, "eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes des Bundes durch Senat binnen angemessen kurzer Fristen sichergestellt werden, um eine gegenüber der bisherigen Rechtslage deutlich längere gerichtliche Klärung von Rechtsstreitigkeiten wegen Bescheiden der FMA zu vermeiden." [Update 01.03.2013: siehe nun auch die Regierungsvorlage 2196 BlgNR 24. GP] 

Datenschutz
Eigentlich kein Regulierungsthema im engeren Sinne, aber weil auch die Datenschutzkommission mit 01.01.2014 aufgelöst wird (Art 151 Abs 51 Z 8 in Verbindung mit Z 25 der Anlage zum B-VG idF BGBl I 2012/51), und diese zugleich bisher Aufgaben hatte, die als erstinstanzliche Tätigkeiten nicht auf das Bundesverwaltungsgericht übergehen können, sei hier noch darauf verwiesen, dass auch eine Entwurf für eine Novelle zum Datenschutzgesetz 2000 derzeit in Begutachtung ist (Gesetzestext, Erläuterungen).

Anders als bei der Schienen-Control Kommission soll die Datenschutzkommission am 01.01.2014 nicht zugleich Begräbnis und Wiederauferstehung feiern, vielmehr wird eine neue Datenschutzbehörde eingerichtet, die den überraschend nüchternen, geradezu generischen Namen "Datenschutzbehörde" haben soll (wäre die Datenschutzbehörde im Wirkungsbereich des BMVIT einzurichten, wäre sie wohl als Data-Control-Kommission bezeichnet worden, obwohl der Begriff "[data] controller" nach Art 2 lit b der DatenschutzRL  den "für die Verarbeitung Verantortlichen" bezeichnet, also nicht die Kontrollstelle iSd Art 28 der DatenschutzRL [englisch: supervisory authority]; zur Geschichte der "Control-Kommissionen" siehe im Blog hier).

Besonderheit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach dem Entwurf zur DSG-Novelle soll sein, dass das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegene Bescheide der Datenschutzbehörde im Senat zu entscheiden hat, dem allerdings "fachkundige Laienrichter" aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer anzugehören haben, vorgeschlagen von Wirtschafts- bzw Arbeiterkammer. Das Datenschutzrecht bleibt also gewissermaßen als Refugium der Sozialpartner, auch wenn sich natürlich nicht alle zu entscheidenden Fragen im Datenschutzrecht im Zusammenhang mit der Arbeitswelt auftun werden.[Update: siehe nun - im Wesentlichen unverändert - die Regierungsvorlage 2168 BlgNR 24. GP]

Monday, February 04, 2013

"Gebührenrefundierung": ORF behandeln wie Telekom oder ÖBB?

Zwei Anmerkungen zu einem Bericht über die "Strategieklausur" des ORF-Stiftungsrates

1. Die in Kauf genommene Katastrophe:
Horizont.at berichtete am 01.02.2013 unter der Überschrift "ORF denkt über neue Sender nach" über eine "Strategieklausur" des ORF-Stiftungsrates am 31.01.2013. Dabei seien unter anderem auch Sparmaßnahmen erörtert worden, falls die "Gebührenrefundierung" (gemeint sind die für die Jahre 2010 bis 2013 nach § 31 Abs 11 bis 16 ORF-G vorgesehenen Zahlungen des Bundes an den ORF in der Höhe von jeweils 50 Mio. € 2010 und 2011 bzw jeweils 30 Mio. € 2012 und 2013) nicht verlängert  - das ORF-Gesetz also diesbezüglich nicht geändert - werden sollte. Dazu heißt es im Artikel wörtlich:
Im Stiftungsrat kamen diese Szenarien nicht gut an: Josef Kirchberger, Leiter des SPÖ-„Freundeskreises“, nannte diesen sogenannten Plan B „eine wirkliche Katastrophe“. [...] Der Stiftungsrat sei „immer einhellig für die Fortsetzung der Refundierung eingetreten“ und es sei wichtig, dass der ORF dieses Geld von der Politik „nicht gnadenhalber“ erhalte, sondern dass der ORF behandelt werde, wie andere Unternehmen - etwa die Telekom und die ÖBB - auch.
Daran ist zunächst bemerkenswert, dass diese "wirkliche Katastrophe" vom Stiftungsrat vor etwas mehr als einem Jahr (am 15.12.2011) sehenden Auges in Kauf genommen wurde: denn die Höhe des Programmentgelts ist vom Stiftungsrat nach § 31 Abs 2 ORF-Gesetz so festzulegen, "dass unter Zugrundelegung einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung der öffentlich-rechtliche Auftrag erfüllt werden kann; hierbei ist auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Bedacht zu nehmen. Die Höhe des Programmentgelts ist mit jenem Betrag begrenzt, der erforderlich ist, um die voraussichtlichen Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags angesichts der zu erwartenden Zahl der zur Entrichtung des Programmentgelts Verpflichteten in einem Zeitraum von fünf Jahren ab Festlegung des Programmentgelts (Finanzierungsperiode) decken zu können. Der Berechnung der Höhe des Programmentgelts zu Grunde liegende Annahmen über zu erwartende Entwicklungen haben begründet und nachvollziehbar zu sein."

Mit anderen Worten: bei der Festlegung des Programmentgelts hatte der Stiftungsrat den Finanzbedarf für die Periode bis 2016 zu berücksichtigen; die Mitglieder des Stiftungsrates (zu deren Sorgfaltspflicht siehe § 20 Abs 2 ORF-G) konnten dabei angesichts der klaren Gesetzeslage nicht davon ausgehen, dass es nach 2013 weitere Subventionen des Bundes geben würde - und sie teilten offenbar die Auffassung des Generaldirektors, der in einer ORF-Aussendung zu den Beschlüssen des Stiftungsrates über das Programmentgelt für die Finanzierungsperiode 2012 bis 2016 und den Finanzplan 2012 so zitiert wurde:
"Die Beschlüsse schaffen die Basis für eine nachhaltige Weiterentwicklung der umfassenden Programmleistungen des ORF"
Die nun so bezeichnete "Katastrophe" (Einsparungen, wenn die Subventionen nicht fortgesetzt werden) war nicht nur abzusehen, sie musste Grundlage des Beschlusses des Stiftungsrates über die Höhe des Programmentgelts sein. Hätte der Stiftungsrat diese nun offenbar notwendigen weiteren Einsparungen nicht als annehmbar angesehen, dann hätte er das Programmentgelt höher festlegen müssen. (Theoretisch könnte es natürlich auch sein, dass der Stiftungsrat bei seiner Beschlussfassung nicht über die notwendigen Informationen verfügt oder diese nicht sorgfältig genug geprüft hat - beides Szenarien, die man bei einem professionellen aufsichtsratsähnlichen Aufsichtsgremium, wie es der Stiftungsrat sein soll, eigentlich nicht annehmen sollte.)

Aber natürlich kann man sich immer mehr Geld vom Bund und größeres Spielzeug neue Programme wünschen; beides geht aber nicht ohne Novellierung des ORF-Gesetzes (um Missverständnisse zu vermeiden: ich will hier nicht kommentieren, ob eine Fortsetzung der "Refundierung" oder eine Ausweitung des Programmangebotes kommen soll). Da derzeit gerade eine eher technische ORF-Gesetz-Novelle in Begutachtung ist (es geht um Anpassungen im Zuge der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit, mehr dazu hier), gibt es auch eine passende Gelegenheit, diese Wünsche in den Gesetzgebungsprozess einzubringen.

Es ist Wahljahr, daher nehme ich an, dass die ORF-Wünsche zur "Gebührenrefundierung" zwar noch nicht Bestandteil der Regierungsvorlage sein werden, wohl aber in der Ausschussdiskussion im Nationalrat (oder vielleicht auch erst in der Plenardebatte) Eingang ins Gesetz finden werden, vielleicht auch im Abtausch gegen eine Erhöhung der Presseförderung, und beides angesichts der Budgetnöte eher nicht ganz so hoch wie von ORF bzw VÖZ gewünscht. Außerdem könnte dabei auch das sogenannte "facebook-Verbot" (§ 4f Abs 2 Z 25 ORF-G), das von VÖZ- und ORF-Vertretern vor der letzten größeren ORF-G-Novelle 2010 ausgehandelt wurde, fallen,*) auch hier vielleicht im Abtausch gegen ein Zugeständnis an die Verleger (zB Übernahme von ORF-Content auf Zeitungsportalen, wie hier im Standard angedeutet - mit einer gesetzlichen Festlegung dazu könnte man kartellrechtliche Probleme leichter umgehen). Dass auch die weitere allgemein diskutierte Baustelle im ORF-Gesetz - die Gremienstruktur - bei dieser Gelegenheit bereits geändert wird, würde ich aber eher nicht erwarten.
[Update 28.04.2013: meine Einschätzung war falsch - der Gesetzesbeschluss erfolgte am 26.04.2013 im Nationalrat ohne sogenannte "Gebührenrefundierung" - vor den Wahlen wird eine Neuregelung nun vom zuständigen Staatssekretär als unwahrscheinlich beurteilt]

2. ORF behandeln wie "Telekom oder ÖBB"
Damit zurück zum eigentlichen Thema dieses Blogposts: der von einem Mitglied des Stiftungsrates angesprochene Wunsch, der ORF möge gleich wie "Telekom und ÖBB" behandelt werden (im Hinblick auf die "Refundierung der Gebührenbefreiung", also wohl nicht was zB die mehrheitliche Privatisierung der A1 Telekom Austria betrifft, nehme ich an). Ähnliches hat auch der Publikumsrat schon in einer vom Stiftungsrat einstimmig unterstützten Erklärung gesagt:
Der Publikumsrat des ORF hat sich seit der Einführung der Befreiung vom Rundfunkentgelt für Personen mit niedrigem Einkommen immer dafür eingesetzt, dass - wie von Anfang an ja auch vorgesehen - der Bund die Kosten der von ihm beschlossenen Befreiung trägt. Wie er das ja auch in vollem Umfang bei der Gebührenbefreiung beim Telefon macht.
Schon im ersten Satz sind übrigens drei Fehler: erstens gibt es kein Rundfunkentgelt, zweitens gibt es die Befreiung [vom Programmentgelt und von den Rundfunkgebühren] schon sehr viel länger als es überhaupt einen Publikumsrat gibt, und drittens war natürlich nicht "von Anfang an ja auch vorgesehen", dass der Bund die Kosten der Befreiung trägt (die stetige Wiederholung solcher Behauptungen macht sie nicht richtiger; ich habe zu ähnlichen Behauptungen schon im Jahr 2008 hier im Blog dazu etwas geschrieben). 

Wie werden also "Telekom und ÖBB" vom Bund behandelt?
Beide Unternehmen (ich nehme jetzt an, Kirchberger meint die A1 Telekom Austria AG und die ÖBB Personenverkehr AG) erbringen, auch wenn sie österreichweit Marktführer sind, Leistungen im Wettbewerb, wobei anders als beim ORF auch die Finanzierung im Wettbewerb erfolgt und Entgelte nur von jenen zu bezahlen sind, die einen Vertrag mit A1 oder ÖBB eingehen. Der Gesetzgeber sieht, im Unterschied zur Situation beim ORF, nicht vor, dass jeder, der ein Telefon bereithält, schon deshalb jedenfalls auch an A1 ein von diesem Unternehmen festzusetzendes Entgelt zu bezahlen hat (selbst wenn er zB nur UPC oder Tele2-Kunde ist). Dasselbe gilt auch bei den ÖBB: kein Gesetz ermächtigt die ÖBB, ein Entgelt festzulegen, das von allen Eisenbahnnutzern (oder sonst mobilen Personen, denn die Bahn steht ja im Wettbewerb zB auch zu Bus, PKW oder Flugzeug) unabhängig davon zu bezahlen ist, ob sie die ÖBB nutzen oder nicht.

"Gebührenbefreiungen" bei den ÖBB sind mir nicht bekannt, falls damit gemeinwirtschaftliche Leistungen gemeint sein sollen, die von Gebietskörperschaften bestellt und bezahlt werden, so haben jedenfalls die ÖBB kein Monopol auf diese Leistungen; die Vergabe solcher Leistungen hat nach der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 zu erfolgen. Sollten die Schüler- und Lehrlingsfreifahrten nach dem Familienlastenausgleichsgesetz gemeint sein, so ist auch dabei festzuhalten, dass erstens keine Verpflichtung der Schüler bzw Lehrlinge besteht, die ÖBB in Anspruch zu nehmen, und zweitens, dass die konkrete Vergütung vertraglich zwischen dem Bund und den jeweiligen Verkehrsträgern geregelt wird. Auch hier hätten es die Verkehrsträger (wie zB die ÖBB Personenverkehr AG) nicht in der Hand, durch die Erhöhung  von Tarifen, die von allen ohne Rücksicht auf die Inanspruchnahme der Leistung der Verkehrsträger zu zahlen wären, die Einnahmenentfälle aus Freifahrten zu kompensieren.

Zur Telefonie: Das Fernsprechentgeltzuschussgesetz regelt "Zuschussleistungen zu den Fernsprechentgelten bestimmter Personen und Institutionen" (zuvor ähnlich wie beim ORF als "Gebührenbefreiung" bekannt). Diese Zuschussleistungen sind nicht nur seit ihrer Einführung gesunken (auf nunmehr 10 € pro Monat), sie werden vor allem nicht nur für Leistungen der A1 Telekom Austria AG erbracht, sondern auch für Leistungen anderer Telekommunikationsunternehmen, die mit dem Bund (vertreten durch die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie) einen Vertrag abgeschlossen haben (die Kundmachung auf der Website des BMVIT dürfte nicht mehr ganz auf dem letzten Stand sein, zeigt aber jedenfalls, dass es neben der "Telekom" auch andere Unternehmen gibt, bei denen der "Fernsprechentgeltzuschuss" eingelöst werden kann).

Nähme man die Forderung des Stiftungsratsmitglieds Dr. Kirchberger also ernst und sollte die "Politik" (hier wohl gemeint: in der Form des Gesetzgebers) den ORF gleich behandeln "wie andere Unternehmen - etwa die Telekom und die ÖBB - auch", dann würde dies bedeuten, die Verpflichtung zur Entrichtung von Programmentgelten auch durch jene, die Programme des ORF nicht sehen bzw hören, abzuschaffen und  sodann für Personen mit geringem Einkommen Zuschüsse vorzusehen, damit sie sich ein ORF- (oder wenn ihnen das lieber wäre, vielleicht auch ein Sky-)Abo leisten können. Ganz so dürfte die Forderung aber wohl nicht gemeint sein.

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*) Zum "facebook-Verbot" hat Niko Alm übrigens einen Individualantrag zur (teilweisen) Aufhebung des § 4f Abs 2 Z 25 ORF-G beim Verfassungsgerichtshof eingebracht (siehe dazu die Beiträge in seinem Blog hier und hier sowie den Antrag hier). Seine Antragslegitimation leitet er daraus ab, dass seine "Möglichkeiten, Meinungen gegenüber dem ORF in der Kommunikationsform 'soziale Netzwerke' kundzutun und zu empfangen", eingeschränkt seien. Ich will das hier nicht weiter kommentieren (Update 02.04.2013: der VfGH hat den Individualantrag mittlerweile zurückgewiesen, aufgrund der Beschwerde des ORF aber einen Prüfungsbeschluss gefasst).