Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat heute ihr
Urteil im Fall Centro Europa 7 S.R.L. und Di Stefano gegen Italien (Appl. no. 38433/09) verkündet (
Pressemitteilung des EGMR). Das Urteil rechnet mit der italienischen Mediengesetzgebung der Berlusconi-Ära ab und betont die Verpflichtung der EMRK-Staaten, einen angemessenen rechtlichen und administrativen Rahmen zu schaffen, um effektive Medienvielfalt zu garantieren.
Die
Kernaussagen des Urteils finden sich in den Absätzen 130 und 134, die ich hier - bevor ich den Fall näher schildere - roh übersetzt wiedergebe (Hervorhebung hinzugefügt):
130. [...] hält der Gerichtshof fest, dass es zur Gewährleistung wahrer Vielfalt im audiovisuellen Sektor in einer demokratischen Gesellschaft nicht ausreicht, für die Existenz mehrerer Kanäle zu sorgen oder für die theoretische Möglichkeit potentieller Betreiber, den Markt zu betreten. Zusätzlich ist es notwendig, effektiven Marktzugang zu erlauben, um die Vielfalt des allgemeinen Programmangebots zu garantieren, die so weit als möglich die Vielfalt der Meinungen in der Gesellschaft, an die die Programme gerichtet sind, widerspiegelt. [...]
134. Der Gerichtshof hält fest, dass in einem so empfindlichen Sektor wie jenem der audiovisuellen Medien der Staat - zusätzlich zu seiner negativen Pflicht, Eingriffe zu unterlassen - auch eine positive Verpflichtung hat, einen angemessenen gesetzlichen und administrativen Rahmen zu schaffen, um effektive Vielfalt zu gewährleisten. Dies ist besonders wünschenswert, wenn das nationale audiovisuelle System, wie im vorliegenden Fall, von einem Duopol gekennzeichnet ist.
Das Urteil ist erkennbar als Grundsatzurteil zur Medienvielfalt konzipiert und wird in manchen Konventionsstaaten wohl mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen werden (ich denke da etwa an Ungarn). Bemerkenswert ist auch die extensive Zitierung "internationaler Materialien" - verschiedener nicht-bindender Erklärungen und Entschließungen sowohl aus dem Bereich des Europarats als auch des Europäischen Parlaments. [Update 11.06.2012: zu einer ergänzenden Anmerkung im Hinblick auf die EU-Grundrechtecharta siehe nun
hier]
Zur Ausgangssituation
Der italienische Fernsehsender Centro Europa 7 hatte 1999 eine Rundfunklizenz für terrestrisches Fernsehen erhalten und sollte dafür Frequenzen bekommen, um 80% des Landes abdecken zu können. Die Frequenzzuteilung sollte nach dem Frequenzzuteilungsplan von 1998 erfolgen, nach dem bestehende Fernsehveranstalter Frequenzen zugunsten von Neueinsteigern hätten freimachen müssen, wenn bestimmte Medienkonzentrationsschwellen überschritten wurden. Dieser Plan wurde jedoch nie umgesetzt, denn in der Folge kam es zu Änderungen in der Rechtslage, die es bestehenden Rundfunkveranstaltern auch bei Überschreiten der Konzentrationsschwellen ermöglichten, weiter analog auf Sendung zu bleiben, sodass die ursprünglich versprochenen Frequenzen für Centro Europa 7 nicht zugeteilt wurden.
Als Hintergrundinformation ist es in diesem Zusammenhang ganz nützlich, sich an die Regierungszeiten von Silvio Berlusconi zu erinnern: dieser war 1994-1995 Ministerpräsident, dann wieder 2001-2006 und schließlich 2008-2011. Schon in den 1980er Jahren hatte Berlusconi die drei privaten nationalen TV-Sendernetzwerke (
Canale 5,
Italia 1 und
Retequattro) aufgebaut bzw erworben, 1995 bündelte er seine Fernsehaktivitäten in der
Mediaset, die bis heute größter privater Fernsehanbieter Italiens ist (und erst durch Murdochs Sky Italia - vor allem über Satellit - nennenswerte Konkurrenz, allerdings nur im Pay-TV-Geschäft, erhielt). Die Bestimmungen zur Beschränkung der Medienkonzentration wurden 1997 - Berlusconi war gerade nicht an der Macht - geschaffen und ab 2001 - Berlusconi war wieder an der Macht - sukzessive zurückgenommen, insbesondere auch mit der
Legge Gasparri im Jahr 2004. Dass damit (unter anderem) Centro Europa 7 nicht auf Sendung gehen konnte, dürfte die Mediaset nicht besonders gestört haben.
Gerichtsverfahren in Italien und vor dem EuGH
Centro Europa 7 suchte jedenfalls Abhilfe durch die Verwaltungsgerichte. In einem ersten Verfahren vor dem TAR Lazio war Centro Europa 7 juristisch erfolgreich: das Gericht sprach aus, dass die Behörden entweder Frequenzen zuteilen oder die Lizenz widerrufen müssten. Gegen dieses Urteil erhob RTI (ein von der Mediaset kontrolliertes Netzwerk von TV-Kanälen, die Frequenzen hätten aufgeben müssen) ein Rechtsmittel, das vom Consiglio di Stato am 31.05.2008 verworfen wurde. Da das Urteil des Consiglio di Stato nicht sofort umgesetzt wurde, kam es zu einem Vollstreckungsverfahren, in dessen Zug dann die Lizenz von Centro Europa 7 verlängert wurde - allerdings nur bis zum Zeitpunkt des Abschaltens der analogen Sender. In der Folge schloss Centro Europa 7 mit dem zuständigen Ministerium eine Vereinbarung, nach der das Ministerium zusätzliche Frequenzen zuteilen und Centro Europa 7 die Einstellung eines anhängigen Verfahrens vor dem regionalen Verwaltungsgericht beantragen sollte. Centro Europa 7 beantragte später die Wiederaufnahme dieses Verfahrens, da das Ministerium die Vereinbarung nicht eingehalten habe; dieses Verfahren ist noch anhängig.
In einem zweiten Verfahren vor dem regionalen Verwaltungsgericht beantragte Centro Europa 7 die Anerkennung des Rechts auf Frequenzzuteilung und den Ersatz des erlittenen Schadens. In diesem Verfahren war Centro Europa 7 nicht erfolgreich, das TAR Lazio befand, dass Centro Europa 7 nur ein legitimes Interesse, aber kein subjektives Recht (diritto soggeTtivo) hatte. Centro Europa 7 erhob Rechtsmittel an den Consiglio di Stato, der in diesem Verfahren eine Vorabentscheidung des EuGH einholte (siehe zum
Urteil des EuGH vom 31.01.2008, C-380/05, Centro Europa 7, im Blog
hier, zu den Schlussanträgen
hier und
hier). Der EuGH hielt unter anderem (RNr 85) fest, dass
"die Dienstleistungsfreiheit, wie sie in Art. 49 EG niedergelegt ist und für den Bereich der Fernsehrundfunkübertragungen durch den NGR [neuer gemeinsamer Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste] umgesetzt wird, in diesem Bereich nicht nur die Erteilung von Sendegenehmigungen, sondern auch die Zuteilung von Sendefrequenzen verlangt." Der EuGH sprach aus, dass Art. 49 EG und – ab ihrem Anwendungsbeginn – Art. 9 Abs. 1 der RahmenRL 2002/21/EG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Unterabs. 2 und Art. 7 Abs. 3 der GenehmigungsRL 2002/20/EG sowie Art. 4 der WettbewerbsRL 2002/77/EG dahin auszulegen sind,
"dass sie im Bereich des Fernsehrundfunks nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, deren Anwendung dazu führt, dass ein Betreiber, der Inhaber einer Konzession ist, in Ermangelung von auf der Grundlage objektiver, transparenter, nichtdiskriminierender und angemessener Kriterien zugeteilten Sendefrequenzen nicht senden kann."
Der Consiglio di Stato sprach daraufhin am 31.05.2008 aus, dass er nicht anstelle der Regierung Frequenzen zuteilen oder die Regierung zur Zuteilung zwingen könne; der dahingehende Antrag von Centro Europa 7 sei unzulässig. Im Hinblick auf die noch offene Entscheidung über den beantragten Schadenersatz legte Centro Europa 7 eine Expertise einer Bank vor, wonach der erlittene Schaden mehr als 2 Milliarden Euro betragen habe (dies gestützt auf die Gewinne des Mediaset-Senders Retequattro, der die Frequenzen zugunsten von Centro Europa 7 hätte aufgeben sollen). Der Consiglio di Stato sprach schließlich mit Urteil vom 20.01.2009 Schadenersatz in der Höhe von etwas über einer Million Euro zu. Begründend er fest, dass das schuldhafte Unterlassen einer Frequenzzuteilung durch die Behörden (Fahrlässigkeit, kein schweres Verschulden) für den eingetretenen Schaden kausal war; der Schaden sei auf der Basis der legitimen Erwartung der Frequenzzuteilung zu ersetzen.
"Relevantes internationales Material"
Unter der Überschrift "Relevantes internationales Material" zitiert der EGMR in seinem Urteil ausführlich aus folgenden Europaratsdokumenten:
Auch die
Entschließung des Europäischen Parlaments zu Gefahren der Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (Artikel 11 Absatz 2 der Charta der Grundrechte) in der EU, vor allem in Italien (2003/2237(INI)) wird vom EGMR umfassend zitiert.
Zur Zulässigkeit der Beschwerde
In den rechtlichen Ausführungen stellt der EGMR vorweg klar, dass das Verfahren ausschließlich den Zeitraum zwischen 28.07.1999 (Lizenzerteilung an Centro Europa 7) und 30.06.2009 (Genehmigung zur Frequenznutzung und erstmalige Sendemöglichkeit) betrifft.
Umstritten war schon der
Opferstatus von Centro Europa 7: Dass diese Gesellschaft zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung vor dem EGMR schließlich "schon" Frequenzen zugeteilt erhalten hatte, nahm ihm - selbst unter der Annahme, dass die letztlich vom Consiglio di Stato zuerkannte Entschädigung ausreichend gewesen wäre - nicht den Opferstatus, zumal in den nationalen Verfahren weder ausdrücklich noch implizit eine Verletzung des Art 10 EMRK anerkannt worden war und die italienische Regierung das Vorliegen einer Verletzung auch vor dem EGMR noch verneinte.
Hingegen wurde die von Francesco Di Stefano, satzungsmäßiger Vertreter von Centro Europa 7, eingebrachte Beschwerde vom EGMR zurückgewiesen, da er nicht selbst Opfer der behaupteten Verletzung war (Di Stefano war auch nicht alleiniger Anteilseigner an Centro Europa 7, anders als dies bei Anatoliy Elenkov in der Rechtssache
Glas Nadezhda EOOD und Elenkov gegen Bulgarien der Fall war). [Update 08.06.2012: es stimmt daher auch nicht, dass Italien
"dem Medienunternehmer Francesco Di Stefano, Besitzer des TV-Kanals Europa 7, eine Entschädigung von zehn Mio. Euro zahlen" muss, wie dies in der APA-Meldung -
hier auf derstandard.at - steht].
Entgegen dem Vorbringen der italienischen Regierung konnte der EGMR auch nicht erkennen, dass Centro Europa 7 das
Beschwerderecht missbraucht oder innerstaatliche
Rechtsmittel nicht ausgeschöpft hätte.
Zur Frage der
Rechtzeitigkeit der Beschwerde hatte die italienische Regierung vorgebracht, dass die endgültige Entscheidung des Consiglio di Stato bereits am 31.05.2008 erfolgt sei; auch diese Ansicht wird vom EGMR nicht geteilt - schließlich bestand die Unmöglichkeit, den Sendebetrieb aufzunehmen, bis zum 30.06.2009 fort und die Beschwerde wurde am 16.07.2009 beim EGMR eingebracht. Die Beschwerde von Centro Europa 7 wurde daher als zulässig beurteilt (nicht zulässig erwies sich die Beschwerde nur insoweit, als sie eine Verletzung des Rechts auf ein gerichtliches Verfahren nach Art. 6 EMRK geltend machte).
Zur Verletzung des Art 10 EMRK
a) Allgemeine Grundsätze
Nach Hinweis auf die Entscheidungen
Manole gegen Republik Moldau (dazu im Blog
hier) und
Sozialistische Partei ua gegen Türkei hält der EGMR in Absatz 130 des Urteils ganz grundsätzlich - und über das bisherige Case Law hinausgehend - fest, dass es zur Gewährleistung wahrer Vielfalt im audiovisuellen Sektor in einer demokratischen Gesellschaft nicht ausreicht, für die Existenz mehrerer Kanäle zu sorgen oder für die theoretische Möglichkeit potentieller Betreiber, den Markt zu betreten. Diese - eingangs schon in einer rohen Übersetzung wiedergegebenen - Ausführungen hier in der englischen Fassung des EGMR:
130. [...] the Court observes that to ensure true pluralism in the audiovisual sector in a democratic society, it is not sufficient to provide for the existence of several channels or the theoretical possibility for potential operators to access the audiovisual market. It is necessary in addition to allow effective access to the market so as to guarantee diversity of overall programme content, reflecting as far as possible the variety of opinions encountered in the society at which the programmes are aimed.
134. The Court observes that in such a sensitive sector as the audiovisual media, in addition to its negative duty of non-interference the State has a positive obligation to put in place an appropriate legislative and administrative framework to guarantee effective pluralism (see paragraph 130 above). This is especially desirable when, as in the present case, the national audiovisual system is characterised by a duopoly. [...]
b) Eingriff
Im allgemeinen Prüfschema nach Art 10 EMRK prüft der EGMR zunächst das Vorliegen eines Eingriffs. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von bisherigen Fällen zwar dadurch, dass es nicht um die Verweigerung einer Lizenzerteilung geht, de facto aber wurde es Centro Europa 7 durch das Unterlassen einer Frequenzzuteilung unmöglich gemacht, auf Sendung zu gehen, sodass ein Eingriff vorliegt.
c) Gesetzlich vorgesehen?
Dass die gesetzliche Lage in Italien, vorsichtig ausgedrückt, unübersichtlich war, hatte schon Generalanwalt Poiares Maduro in seinen Schlussanträgen vor dem EuGH einleitend angemerkt (ein "komplexes Amalgam" von Gesetzen und decrete-leggi sei der nationale Rechtsrahmen, schrieb er). Um einen Eingriff in das nach Art 10 EMRK gewährleistete Recht rechtfertigen zu können, muss dieser aber "gesetzlich vorgesehen" sein, was nach ständiger Rechtsprechung des EGMR nicht nur heißt, dass eine gesetzliche Grundlage bestehen muss, sondern dass die gesetzlichen Grundlagen auch mit ausreichender Genauigkeit formuliert sein müssen, sodass die Adressaten - gegebenenfalls nach entsprechender Beratung - die Konsequenzen ihrer Handlungen in einem nach den Umständen angemessenen Grad vorhersehen können.
Im vorliegenden Fall hatte die sukzessive Anwendung mehrerer Rechtsvorschriften die Wirkung, die Frequenzzuteilung zu blockieren und andere als die "over-quota"-Kanäle (das waren die bestehenden Betreiber, die über der an sich zulässigen Konzentrationsschwelle lagen) daran zu hindern, an der Frühphase des Digitalfernsehens teilnehmen zu können. Die Gesetze, so hält der EGMR in Absatz 152 des Urteils fest, seien vage gewesen und hätten Umfang und Dauer des Übergangssystems zum Digitalfernsehen nicht ausreichend genau definiert. Insgesamt habe dem nationalen Rechtsrahmen Klarheit und Genauigkeit gefehlt und die beschwerdeführende Gesellschaft habe nicht mit ausreichender Sicherheit vorhersehen können, wann ihr die Frequenzen zugeteilt würden und sie mit jener Aktivität, für die sie eine Lizenz erhalten hatte, beginnen könnte.
d) Schlussfolgerung
Der EGMR kommt zum Schluss, dass der Rechtsrahmen, wie er auf die beschwerdeführende Gesellschaft angewandt wurde, dem Vorhersehbarkeitserfordernis der EMRK nicht genügt habe. Der beschwerdeführenden Gesellschaft sei damit der notwendige Schutz gegen Willkür, der in einem demokratischen Rechtsstaat erforderlich sei, genommen worden. Dies habe unter anderem zu verringertem Wettbewerb im audiovisuellen Sektor geführt. Der Staat habe damit seine
positive Verpflichtung, einen angemessenen gesetzlichen und administrativen Rahmen zur Garantie wirksamer Medienvielfalt zu schaffen, nicht erfüllt. Diese Ergebnisse reichten aus, eine Verletzung des Art 10 EMRK festzustellen, ohne dass die weiteren Fragen im Art 10-Prüfschema (legitimes Ziel und Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft) beantwortet werden mussten.
Da eine Verletzung des Art 10 EMRK festgestellt wurde, musste auch die von Centro Europa 7 weiters geltend gemachte Verletzung des Art 14 EMRK in Verbindung mit Art 10 EMRK wegen Diskriminierung gegenüber der Mediaset nicht mehr geprüft werden.
Verletzung des Eigentumsrechts?
Centro Europa 7 hatte auch eine Verletzung des Art 1 1. ZP EMRK (Achtung des Eigentums) geltend gemacht. Der EGMR kam zum Ergebnis, dass die beschwerdeführende Gesellschaft seit 28.07.1999 über eine Lizenz für landesweites terrestrisches Fernsehen verfügte und damit eine "legitime Erwartung" im Sinne der Rechtsprechung des EGMR hatte. Der Entzug einer Lizenz sei eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Eigentums ("peaceful enjoyment of possessions" im Sinne des Art 1 1. ZP EMRK). Im vorliegenden Fall sei die Lizenz nicht entzogen, aber ihrer Substanz beraubt worden. Es handle sich zwar nicht um eine Enteignung, aber da auch für sonstige Eigentumseingriffe das Erfordernis einer vorhersehbaren gesetzlichen Grundlage bestehe, liege eine Verletzung des Art 1 1. ZP EMRK vor.
Schadenersatz
Centro Europa 7 forderte 10 Mio € Entschädigung für immaterielle Schäden, rund 1 Mio € an Kosten für das nationale Verfahren und 200.000 € an Kosten des Verfahrens vor dem EGMR. Der EGMR sprach eine Pauschalsumme von 10 Mio € zuzüglich 100.000 € Kosten zu.
Dissenting opinions
Dem Urteil sind vier Sondervoten angeschlossen, davon ein zustimmendes Votum der kroatischen Richterin Vajić zu einem Aspekt des Art 1 1. ZP EMRK (sie hält es nicht für erforderlich, auf "legitime Erwartungen" abzustellen).
Richter Sajó (Ungarn) und die Richterinnen Karakaş (Türkei) und Tsotsoria (Georgien) verfassten eine teilweise abweichende Meinung (nur) zum zugesprochenen Schadenersatz (die österreichsiche Richterin Steiner trat dieser abweichenden Meinung teilweise bei). Sie halten den zugesprochenen Ersatz weder für exzessiv noch für unzureichend, sondern meinten, dass die Frage der Höhe des Ersatzes ohne Sachverständigengutachten noch nicht spruchreif sei.
Richter Popović (Serbien) und Richterin Mijović (Bosnien und Herzegowina) verfassten eine abweichende Meinung, in der sie den Opferstatus der beschwerdeführenden Gesellschaft verneinten; diese wäre zudem jedenfalls nicht berechtigt, ein Verfahren vor dem EGMR zu führen, um den auf nationaler Ebene zugesprochenen Schadenersatz zu korrigieren.
Zur vom EGMR festgestellten Verletzung des Art. 10 EMRK gab es allerdings nur eine Gegenstimme, nämlich von Richterin Steiner (Östererich). In ihrer abweichenden Meinung schreibt sie, dass die "alleged[!] inablility to broadcast" aufgrund der 1999 getroffenen Grundsatzentscheidung außerhalb der Beschwerdefrist liege; außerdem sei der italienischen Regierung darin zu folgen, dass jedenfalls die Entscheidung des Consiglio di Stato vom 31.05.2008 die Frage der Nichtzuteilung von Frequenzen endgültig geregelt habe.
Update 21.06.2012: siehe nun auch eine ausführliche Analyse von Oreste Pollicino:
Has the never-ending Europa 7 saga finally ended?