Wednesday, August 27, 2014

Vorabentscheidungsersuchen: Video-Seite eines Zeitungs-Webauftritts ein audiovisueller Mediendienst auf Abruf?

Auf den Websites von Zeitungen und Zeitschriften sind - ergänzend zu Text- und Bildbeiträgen - regelmäßig auch Videos zu sehen. Werden diese Videos (auch) gesammelt auf einer Subdomain oder in einem Unterverzeichnis angeboten, so stellt sich die Frage, ob das als "audiovisueller Mediendienst auf Abruf" zu beurteilen ist - eine Frage, die nun auch den EuGH beschäftigt.

Als audiovisuellen Mediendienst auf Abruf (oder nichtlinearen audiovisuellen Mediendienst) bezeichnet die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste "einen audiovisuellen Mediendienst, der von einem Mediendiensteanbieter für den Empfang zu dem vom Nutzer gewählten Zeitpunkt und auf dessen individuellen Abruf hin aus einem vom Mediendiensteanbieter festgelegten Programmkatalog bereitgestellt wird".

Die Vorgaben der Richtlinie wurden in Österreich im Audiovisuelle Mediendienste-Gesetz (AMD-G) umgesetzt. Wer einen "audiovisuellen Mediendienst auf Abruf" anbietet, muss dies der Regulierungsbhörde anzeigen (§ 9 AMD-G; hier zur Liste der angezeigten Dienste) und unterliegt einigen (wenigen) inhaltlichen Vorgaben (zB zum Minderjährigenschutz § 39 AMD-G). In einem Streitfall hat die KommAustria als Regulierungsbehörde entschieden, dass mit dem Anbot von Videos auf der Subdomain http://video.tt.com des Webauftritts der Tiroler Tageszeitung Online, http://www.tt.com, ein anzeigepflichtiger Abrufdienst veranstaltet werde (Bescheid der KommAustria, mit Screenshot); nach Berufung des Unternehmens wurde diese Entscheidung vom Bundeskommunikationssenat bestätigt (Berufungsentscheidung des BKS [update 04.09.2014: nun mit korrektem Link!]).

Der Verwaltungsgerichtshof, an den das betroffene Unternehmen Beschwerde erhoben hat, hat mit Beschluss vom 26.06.2014 dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art 1 Abs 1 lit b der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) dahingehend auszulegen, dass von einer in Form und Inhalt erforderlichen Vergleichbarkeit eines in Prüfung stehenden Dienstes mit Fernsehprogrammen dann ausgegangen werden kann, wenn derartige Dienste auch in Fernsehprogrammen angeboten werden, die als Massenmedien angesehen werden können, welche für den Empfang durch einen wesentlichen Teil der Allgemeinheit bestimmt sind und bei dieser deutliche Wirkung entfalten können.
2. Ist Art 1 Abs 1 lit a sublit i der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) dahingehend auszulegen, dass bei elektronischen Ausgaben von Zeitungen im Zusammenhang mit der Prüfung des Hauptzweckes eines angebotenen Dienstes auf einen Teilbereich abgestellt werden kann, in dem überwiegend kurze Videos gesammelt bereitgestellt werden, die in anderen Bereichen des Webauftritts dieses elektronischen Mediums nur zur Ergänzung von Textbeiträgen der Online-Tageszeitung verwendet werden.
Das Verfahren ist beim EuGH unter C-347/14 New Media Online anhängig (da ich am Ausgangsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof als Richter beteiligt bin, kommentiere ich die Sache nicht näher).

Im UK hatte die für audiovisuelle Mediendienste zuständige Regulierungsbehörde ATVOD übrigens die Video-Website der "Sun" [die Video-Website ist mittlerweile nur mehr für zahlende Abonnenten zugänglich] auch als audiovisuellen Mediendienst auf Abruf beurteilt. In zweiter Instanz wurde diese Entscheidung jedoch vn der Ofcom "umgedreht" (Entscheidung [pdf]; die mehr als 20 Anhänge zur Entscheidung sind hier abrufbar; Anhang 1 ist eine Beschreibung der Website, Anhang 3 ein Screenshot der Video-Seite der Sun). ATVOD hat in der Folge die Entscheidungen zu anderen Zeitungswebsites zurückgenommen (siehe diesen Bericht bei Out-Law.com).

In der Slowakei hatte die nationale Regulierungsbehörde die Video-Website einer Tageszeitung im Jahr 2010 zunächst nicht als Abrufdienst qualifiziert, nach einigen Änderungen an der Website im Jahr 2012 aber doch (mehr dazu hier). Näheres zur Frage der Fernsehähnlichkeit von Abrufdiensten, einschließlich einer Beschreibung nationaler Regulierungspraktiken, kann man ein einem Beitrag von Francisco Javier Cabrera Blázquez in IRIS plus 2013-4 nachlesen; auch er schreibt, dass Zeitungswebsites, die Videos bereitstellen, Klassifikationsprobleme bereiten:
Die meisten Zeitungen bieten ihren Lesern elektronische Versionen an, die online zur Verfügung stehen (entweder werbefinanziert oder im Abonnement). Zusätzlich zu den normalen textbasierten journalistischen Berichten und Kommentaren werden diese Dienste oft mit audiovisuellen Inhalten angereichert. Die Schwierigkeit liegt in diesen Fällen in der Feststellung, ob die Bereitstellung derartiger audiovisueller Inhalte der Hauptzweck der Dienste ist oder nicht und ob der Videobereich einer Zeitung einen anderen Dienst darstellt als der textbasierte Dienst, den die Zeitung anbietet.
PS: Ein weiteres neues Vorabentscheidungsersuchen zur Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste stammt vom Korkein hallinto-oikeus, dem obersten finnischen Verwaltungsgericht (schwedischer Text des Vorlagebeschlusses): C-314/14 Sanoma Media Finland. Dabei geht es zunächst um die Frage, ob ein geteilter Bildschirm, in dem auf der einen Seite der Programmabspann gezeigt wird und auf der anderen Seite eine Programmvorschau, als Werbetrenner im Sinne des Art 19 Abs 1 der Richtlinie beurteilt werden kann. Weitere Fragen beziehen sich auf die Einbeziehung von Sponsorhinweisen in die höchstzulässige Werbezeit und ob die "schwarzen Sekunden" zwischen einzelnen Werbespots und am Ende einer Werbeunterbrechung der Werbezeit zuzurechnen sind (jeweils unter Berücksichtigung des Umstands, dass die AVMD-RL eine Mindestregelung ist).

Friday, August 08, 2014

Schweizer Bundesgericht: Korrespondenz mit Journalisten, gefunden bei Hausdurchung im Haus eines Politikers(!), unterliegt dem Quellenschutz

Das schweizerische Bundesgericht hat in einem gestern veröffentlichten Urteil dem journalistischen Quellenschutz einen weiten Anwendungsbereich zugebilligt: auch Korrespondenz eines Politikers mit Journalisten, die bei einer Hausdurchsuchung im Haus des Politikers (wegen des Verdachts einer Straftat des Politikers) gefunden wird, unterliegt dem Beschlagnahmeverbot nach Art 172 und 264 der schweizerischen Strafprozessordnung.

Gegen den Politiker Christoph Blocher wird "wegen des Verdachts der Gehilfenschaft und der versuchten Verleitung zur Verletzung des Bankgeheimnisses" ein Strafverfahren geführt. Er soll einen Angestellten einer Privatbank, der Informationen über Bankgeschäfte des damaligen Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank gehabt habe, empfangen und Unterstüzung zugesichert haben. In der Folge habe er  und "darauf hingewirkt, den Bankangestellten einem Journalisten zuzuführen, der im Zusammenhang mit den Bankgeschäften des Präsidenten der Nationalbank am Recherchieren gewesen sei."

Im Zuge des Strafverfahrens kam es zu einer Hausdurchsuchung bei Christoph Blocher, bei der auch Korrespondenz des Politikers mit Journalisten sichergestellt wurde. Das oberste Gericht der Schweiz hat nun einer Beschwerde des Politikers gegen diese Beschlagnahme stattgegeben (in anderen Punkten blieb die Beschwerde erfolglos; siehe zur Übersicht die Pressemitteilung des Bundesgerichts).


Nach Art 264 schwStPO dürfen Aufzeichnungen und Korrespondenzen aus dem Verkehr zwischen der beschuldigten Person und (unter anderem) Medienschaffenden, die im gleichen Sachzusammenhang nicht selbst beschuldigt sind, nicht beschlagnahmt werden, und zwar ausdrücklich "ungeachtet des Ortes, wo sie sich befinden".

Das Untergericht wollte den Passus "ungeachtet des Ortes, wo sie sich befinden" auf jene Gegenstände beschränken, die sich in der Sphäre der Journalisten befinden. Das Bundesgericht ist dem - mit ausführicher Begründung - nicht gefolgt (siehe dazu im Detail den Abschnitt 6 des Urteils). Ganz grob zusammengefasst: der Wortlaut ist klar, weder aus der Entstehungsgeschichte der Norm noch aus ihrem Zweck ergeben sich Gründe für eine den Gesetzeswortlaut einschränkende Auslegung, eher im Gegenteil: 
Art. 17 Abs. 3 BV [schweizerische Bundesverfassung] gewährleistet das Redaktionsgeheimnis. Ein entsprechender Schutz journalistischer Quellen ergibt sich aus der Freiheit auf Meinungsäusserung gemäss Art. 10 EMRK (BGE 136 IV 145 E. 3.1 S. 149 mit Hinweisen). Sowohl das Bundesgericht als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte messen dem Quellenschutz als Eckpfeiler der Pressefreiheit erhebliches Gewicht zu (BGE 132 I 181 E. 2.1 S. 185; 123 IV 236 E. 8a/aa S. 247; Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 12. April 2012 i.S. Martin und andere gegen Frankreich, § 59 ff.; ZELLER, [in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. Aufl. 2013], N. 10 zu Art. 28a StGB; je mit Hinweisen).
Dies spricht für einen tendenziell weiten Quellenschutz und damit gegen eine einengende Auslegung von Art. 264 Abs. 1 lit. c StPO entgegen dem Wortlaut.
In der historischen Herleitung wird übrigens die parlamentarische Debatte anlässlich der letzten einschlägigen Änderung der StPO ausführlich dargelegt. Der hier beschuldigte Politiker Christoph Blocher war damals zuständiges Regierungsmitglied,  - und sprach sich dagegen aus, den - ihm nun zum Vorteil gereichenden - Passus "ungeachtet des Ortes, wo sie sich befinden", in das Gesetz aufzunehmen (allerdings bloß, weil er der Auffassung war, dies "sei eine Selbstverständlichkeit, die nicht ausdrücklich festgehalten werden müsse.")

Und in Österreich?
Eine ausdrückliche Regelungwie in der Schweiz fehlt. Das Redaktionsgeheimnis ist in § 31 Mediengesetz geregelt, der Schutz vor Umgehung durch die im 8. Hauptstück der StPO vorgesehenen Ermittlungsmaßnahmen - ua Sicherstellung bzw Beschlagnahme - findet sich auch in § 144 in Verbindung mit § 157 StPO. Dabei geht es um die Umgehung des Schutzes des Zeugnisverweigerungsrechts des Medienmitarbeiters: durch die Beschlagnahme soll nicht seine Quelle, über die er vor Gericht schweigen darf, offengelegt werden. Unterlagen von Journalisten sind daher geschützt, auch wenn sie nicht in der Redaktion aufbewahrt werden. Bei Unterlagen Dritter - zB eben der von einem Politiker mit einem Journalisten geführte Korrespondenz, die der Politiker selbst aufbewahrt - liegt die Umgehungsabsicht jedenfalls nicht auf der Hand, wenn diese Unterlagen im Zuge eines gegen den Politiker geführten Strafverfahren bei einer Hausdurchsuchung bei ihm gefunden werden. Jedenfalls für den Regelfall würde ich daher nicht davon ausgehen, dass diese Korrespondenz des Politikers, die bei einer Hausdurchsuchung in einem gegen ihn geführten Strafverfahren gefunden wird, geschützt wäre und im Strafvefahren (bei sonstiger Nichtigkeit: § 281 Abs 1 Z 3 StPO) nicht verwertet werden dürfte.

Der Politiker als Hilfsorgan der Presse?
Nach dem Urteil des Bundesgerichts ist mir sachverhaltsmäßig nicht klar, ob die Identität des tatsächlichen Informanten - des Bankangestellten - bekannt war, oder ob die Hausdurchsuchung bei Blocher nicht vielleicht gerade darauf abzielte, diesen Bankangestellten zu identifizieren. Dann könnte man aber den Bankangestellten als "Letzt-Quelle" ansehen, deren - durch den Politiker vermittelter - Kontakt mit Journalisten eigentlich geschützt werden soll. Das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden wäre dann so etwas wie ein "Man-in-the-Middle-Angriff": die Letzt-Quelle selbst kennen sie nicht, beim Journalisten können sie die wahre Letzt-Quelle nicht ermitteln, wohl aber kennen sie den Politiker, der sich vielleicht sogar seiner vertraulichen Informationen rühmt. Ein eigentlicher "Quellenschutz" von Politikern besteht nicht, auch wenn sie - etwa als Oppositionspolitiker - eine Art watchdog-Funktion beanspruchen könnten. Für diese Zwecke gibt es allerdings die Immunität (etwa nach § 10 des Geschäftsordnungsgesetzes für den Nationalrat), durch die sie in gewissem Rahmen vor behördlicher Verfolgung wegen strafbaren Handelns geschützt werden.