Thursday, October 12, 2023

Die verfassungsrechtlich eingehegte Rundfunkordnung (oder: der VfGH und die beste aller Rundfunk-Welten)

Das aktuelle VfGH-Erkenntnis zu den ORF-Gremien wurde gleich nach seiner Veröffentlichung vor zwei Tagen ausführlich durchs mediale Dorf getrieben (auch ich wurde umfassend befragt, kaum dass ich Zeit gehabt hatte, es quer zu lesen). Für die Öffentlichkeit ist das Erkenntnis erstmal abgehakt, auch wenn die damit aufgegebene gesetzgeberische Arbeit (ebenso wie der ihr vorangehende politische Aushandlungsprozess) natürlich erst am Anfang steht. In der Berichterstattung stand vor allem im Fokus, dass der VfGH den Bestellungsmechanismus für die Stiftungs- und Publikumsratsmitglieder in wesentlichen Teilen als verfassungswidrig beurteilt hat. Weniger Beachtung fand das Grundsätzliche: die vom VfGH aus dem BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK abgeleitete institutionelle Garantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Nachdem ich gestern das ganze Erkenntnis in einem (zu) langen Blogbeitrag beschrieben und eine erste vorläufige Einordnung versucht habe, möchte ich heute noch gesondert ein paar Worte nur zu diesem neuen - oder zumindest neu beschriebenen - verfassungsrechtlichen Eckpunkt der Rundfunkordnung schreiben. Dazu muss ich zunächst noch auf das VfGH-Erkenntnis zum Programmentgelt eingehen, das den Boden für das aktuelle Erkenntnis zu den ORF-Gremien aufbereitet hat.

Eckpunkt 1: Funktions- und Finanzierungsverantwortung (Programmentgelt-Erkenntnis)

Im Erkenntnis zum ORF-Programmentgelt vor gut einem Jahr (VfGH 30.6.2022, G 226/2021) hat der VfGH zunächst [Rn. 23] aus Art. I Abs. 2 und 3 BVG Rundfunk eine den Gesetzgeber treffende Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeleitet. In Rn. 37 dieses Erkenntnisses spannte er sodann den Bogen auch zu Art. 10 EMRK: 

BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK konstituieren – über Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK verbunden (VfGH 6.10.2021, E 2477/2021) – eine Funktionsverantwortung des Gesetzgebers in demokratischer und kultureller Hinsicht für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung. Diese beruht auf der in Art. 10 EMRK gewährleisteten individuellen Rundfunkfreiheit ebenso wie auf den institutionellen Vorgaben des BVG Rundfunk (davon geht der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung aus, vgl. etwa VfSlg. 12.822/1991 mit Hinweisen zur Vorjudikatur) und soll umfassend die Freiheit des öffentlichen Diskurses im Wege des Rundfunks gewährleisten. Erfasst von dieser Gewährleistungspflicht ist [...] Rundfunk iSd Art. I Abs. 1 BVG Rundfunk. Für den in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen Rundfunk gelten die institutionellen Garantien des Art. I Abs. 2 und Abs. 3 BVG Rundfunk in Verbindung mit, derartigen Rundfunk ebenso von seinem Schutzbereich miteinschließend, Art. 10 EMRK. [Hervorhebung hinzugefügt]

Schon in diesem Erkenntnis hat der VfGH also institutionelle Garantien für den Rundfunk angesprochen, ohne das allerdings näher zu spezifizieren (schließlich ging es in diesem Zusammenhang vor allem um die Frage der Abgrenzung des Rundfunkbegriffs in Art. I BVG Rundfunk). Er hielt dann auch noch fest, dass "dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK funktionsadäquate Stellung zukommen" muss, bevor er sich näher mit dem Inhalt der aus dem BVG Rundfunk abgeleiteten "Finanzierungsgarantie" befasste. 

Der VfGH hat damit bereits einen großen Bogen gespannt, um die Frage der Finanzierungsverantwortung zu klären. Schon dieses Erkenntnis legte nahe, dass es nach Auffassung des VfGH nicht nur eine Pflicht des Gesetzgebers gibt, die (funktionsadäquate) Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu gewährleisten, sondern dass es auch jedenfalls einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben muss, es also nicht ins Belieben des einfachen Gesetzgebers gestellt ist, die duale Rundfunkordnung (Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk) dahin abzuändern, nur mehr privaten Rundfunk zu ermöglichen. 

Eckpunkt 2: Institutionelle Bestandsgarantie für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter

Mit dem nun gefällten Erkenntnis zu den ORF-Gremien bekräftigt der VfGH die im Programmentgelt-Erkenntnis getroffenen Aussagen: den (Bundes-)Gesetzgeber trifft eine Funktionsverantwortung für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung, die sowohl auf Art. 10 EMRK als auch auf dem BVG Rundfunk beruht [Rn. 61]. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss dabei in "der so verfassungsrechtlich eingehegten Rundfunkordnung [...] seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK funktionsadäquate Stellung zukommen." [Rn. 62] Daran anschließend konkretisiert der VfGH die Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: 

"Diese Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umfasst die Verpflichtung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass eine den Grundsätzen des  Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk entsprechende öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstaltung gewährleistet ist, ebenso wie – damit nach dem Konzept des BVG Rundfunk untrennbar  zusammenhängend – die institutionelle Verpflichtung, diese Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren." [Hervorhebung hinzugefügt]

Der VfGH nennt damit zwei Verpflichtungen des Gesetzgebers: 
  • Einerseits muss der Gesetzgeber Rahmenbedingungen schaffen, die sicherstellen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter in seiner Tätigkeit die im BVG Rundfunk festgelegten Grundsätze (Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, Ausgewogenheit der Programme, Unabhängigkeit) einhält.
  • Andererseits muss der Gesetzgeber zwingend einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter einrichten, der Rundfunk im Sinne der gerade genannten Grundsätze des BVG Rundfunk veranstaltet.
So deutlich hat der VfGH diese Verpflichtung zur Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalters bisher nicht benannt, wenngleich man sie implizit wohl auch schon aus dem Programmentgelt-Erkenntnis ableiten könnte - denn welchen Sinn hätte eine Finanzierungsgarantie, wenn es nicht zwingend eine zu finanzierende Einrichtung gäbe? 

ORF forever?

Die Bestandsgarantie heißt weder, dass es den ORF auf ewig geben muss (der Gesetzgeber könnte auch einen neuen, anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter einrichten), noch dass der Auftrag unverändert bleiben müsste. Wesentlich ist aber, dass dem ORF (oder einem allenfalls an seine Stelle tretenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Veranstalter) "seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK funktionsadäquate Stellung zukommen" muss. 

Das bedeutet insbesondere, dass dieser Rundfunkveranstalter "umfassend die Freiheit des öffentlichen Diskurses im Wege des Rundfunks gewährleisten" muss (siehe Rn. 61 im aktuellen Programmentgelt-Erkenntnis und Rn. 37 im Programmentgelt-Erkenntnis) und dass es bei den Gestaltungsvorgaben auf "die demokratische und kulturelle Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Gesamtrundfunkordnung" ankommt (siehe Rn. 62 im aktuellen Programmentgelt-Erkenntnis und Rn. 45 im Programmentgelt-Erkenntnis; siehe auch Rn. 23 des Programmentgelt-Erkenntnisses, der auf "die demokratische und kulturelle Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" abstellt). 

Eine allfällige Änderung der Aufgabenstellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (eine Änderung des öffentlich-rechtlichen Auftrags) muss diese Grenzen beachten. Änderungen, durch die der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Bedeutung für den öffentlichen Diskurs verlieren oder die ihm seine demokratische und kulturelle Bedeutung nehmen könnten, würden den verfassungsrechtlichen Rahmen, den das BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK setzen, überschreiten. 

Der VfGH, der ja über konkrete Anträge zu entscheiden hatte und nicht in der Rolle eines Gutachters ist, gibt in seinen Erkenntnissen natürlich keine konkreten Hinweise darauf, ab wann bzw. bei welchen Änderungen die "funktionsadäquate Stellung" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in diesem Sinne gefährdet wäre und damit eine verfassungswidrige Auftrags- oder Organisationsänderung vorläge. 

Eine Auftragsänderung, die den ORF (oder einen an seine Stelle tretenden öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter) etwa auf einen reinen Informationssender reduzieren oder ihm sonst wesentliche Elemente des derzeitigen Kernauftrages (vgl. § 4 ORF-G) entziehen würde, könnte meines Erachtens schon deshalb verfassungswidrig sein, weil der ORF damit seine Bedeutung im öffentlichen Diskurs verlieren würde. Ein "Zurechtstutzen" des ORF, sodass er im Ergebnis zwar noch existieren, aber nur mehr ein Nischenpublikum bedienen würde, wäre jedenfalls mit der Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ebensowenig vereinbar wie mit der institutionellen Verpflichtung, eine dem BVG Rundfunk entsprechende Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren.

Festzuhalten ist auch, dass der VfGH sehr deutlich die doppelte verfassungsrechtliche Absicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einerseits durch das BVG Rundfunk und andererseits durch Art. 10 EMRK betont. Selbst eine innerstaatliche Verfassungsänderung durch Aufhebung oder Modifikation des BVG Rundfunk hätte damit - solange Art. 10 EMRK als innerstaatliche Verfassungsnorm bestehen bleibt - wohl keinen wesentlichen Einfluss auf die Anforderungen an die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie sie der VfGH in den Erkenntnissen zum Programmentgelt und zu den ORF-Gremien dargestellt hat. 

Die Rundfunkordnung als eingezäunter Garten

Der VfGH spricht in diesem Zusammenhang von der (durch das BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK) "verfassungsrechtlich eingehegten Rundfunkordnung". Das ist ein schönes Bild: eine einfachgesetzliche Rundfunkordnung, rund um die gleich zwei stabile Zäune stehen, um Gefährdungen der Rundfunkfreiheit abzuwehren. 

Wenn also die österreichische Rundfunkordnung nun ein verfassungsrechtlich sorgsam (gleich doppelt) eingehegter Garten ist, dann wäre es nun auch an der Zeit, sich der Kultivierung des Gartens zu widmen und das ORF-Gesetz ebenso sorgsam entsprechend dem VfGH-Erkenntnis anzupassen. 

Und das Bild vom Garten erinnert mich an den Schluss von Candide ou l’optimisme von Voltaire (deutsch ursprünglich als "Candide oder die beste aller Welten" erschienen):

Cela est bien dit, répondit Candide, mais il faut cultiver notre jardin.

Das ist gut gesagt (vom VfGH), aber wir müssen unseren Garten bestellen.

Wednesday, October 11, 2023

Staatsferne light - das VfGH-Erkenntnis zu den ORF-Gremien

Der Verfassungsgerichtshof hat mit dem gestern bekanntgegebenen Erkenntnis vom 5. Oktober 2023, G 215/2022, über Antrag der burgenländischen Landesregierung Teile des ORF-Gesetzes, die die Bestellung des Stiftungsrates und des Publikumsrates regeln, als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 2025 in Kraft. In diesem Blogbeitrag versuche ich zunächst in einem eher langen ersten Teil den wesentlichen Inhalt des Erkenntnisses darzustellen, und im zweiten Teil dann eine deutlich kürzere erste Einordnung aus meiner Sicht zu geben - alles natürlich noch sehr vorläufig. [Update 12.10.2023: ich habe zu diesem VfGH-Erkenntnis noch einen weiteren Beitrag geschrieben, der sich nur mit der darin angesprochenen institutionellen Garantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk befasst.]

Dass die ORF-Gremien in ihrer gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung schon einem "Staatsferne-Schnelltest" nicht genügen (würde man die vom deutschen Bundesverfassungsgericht angelegten Kriterien anwenden), habe ich vor bald zehn Jahren hier im Blog schon mal beschrieben, und das war nach meiner  Beobachtung auch weitgehend "hM" - herrschende Meinung - in den Kreisen jener (wenigen) Menschen, die sich in Österreich mit Rundfunkrecht näher befassen. Die Frage war eher: können die deutschen - aus Art. 5 des deutschen Grundgesetzes abgeleiteten - Kriterien auch auf Österreich übertragen werden, wo das Unabhängigkeitsgebot für den Rundfunk in Art. I Abs. 2 des Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks (BVG Rundfunk) eine besondere verfassungsrechtliche Ausgestaltung erfahren hat? Und eine weitere Frage war, ob und von wem/in welcher Form der VfGH damit allenfalls befasst würde.

Die zweite Frage beantwortete die burgenländische Landesregierung mit ihrem Normenkontrollantrag vom Juni vergangenen Jahres, der nun zum aktuellen Erkenntnis des VfGH geführt hat. Die - nicht triviale - Hürde der Zulässigkeit hat zumindest der zweite Eventualantrag der burgenländischen Landesregierung genommen, und so war der VfGH gestellt, sich mit den in diesem Antrag geäußerten Bedenken inhaltlich auseinanderzusetzen. Diese Bedenken fasst der VfGH in Rn. 14 des Erkenntnisses so zusammen: "dass die (Bestellung der) Kollegialorgane des ORF, der Stiftungs- und der Publikumsrat, nicht die verfassungsmäßig gebotene Unabhängigkeit (aufweist bzw.) aufweisen, sondern dem maßgeblichen Einfluss der (Mitglieder der) Bundes- bzw. Landesregierung(en) (unterliegt bzw.)  unterliegen."

Zum Prüfungsumfang:

Vorweg: die im Antrag geltend gemachten Bedenken grenzen auch den Prüfumfang des VfGH ab - der VfGH prüft also nicht amtswegig, ob die Bestimmungen allenfalls aus anderen Gründen verfassungswidrig wären (so hat die burgenländische Landesregierung etwa keine Bedenken zur direkten Bestellung der Publikumsratsmitglieder durch bestimmte Einrichtungen nach § 28 Abs. 3 ORF-G - zB Sozialpartner, Kirchen, Parteiakademien - vorgebracht, sodass diese Bestellungen nicht geprüft wurden).

Teil 1: Was steht im VfGH-Erkenntnis?

Allgemeines - Funktionsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Der VfGH stellt in Rn. 32 bis 46 im Wesentlichen die gegenwärtige gesetzliche Situation dar, was angesichts der eher unübersichtlichen Regelungen im ORF-G eine durchaus schätzenswerte Serviceleistung ist. Die beschreibende Darstellung hat freilich auch ihre Tücken: dass sich etwa der Publikumsrat "aus Vertretern wesentlicher gesellschaftlicher Bereiche bzw. Gruppen" zusammensetze (so in Rn. 42), ist eher die Umschreibung dessen, was die Norm wohl leisten sollte, klingt aber nach einer Beschreibung der Realität - die man durchaus anzweifeln könnte. Nach Darlegung der Bedenken der burgenländischen Landesregierung und der Gegenargumente der Bundesregierung macht der VfGH im Abschnitt 5 dann ein paar Eckpunkte fest: 

Der VfGH hält zunächst fest, dass den Gesetzgeber eine "Funktionsverantwortung" für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung trifft (und greift damit die im Erkenntnis zur  ORF-Finanzierung, VfGH 30.6.2022, G 226/2021, bereits angesprochene "Funktions- und Finanzierungsverantwortung" auf), die "umfassend die Freiheit des öffentlichen Diskurses im Wege des Rundfunks gewährleisten" soll. Im Rahmen dieser Funktionsverantwortung ist u.a. auch die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Besorgung von Rundfunk betraut sind, zu  gewährleisten. Bemerkenswert ist dabei eine implizit angesprochene Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: 

"In der so verfassungsrechtlich eingehegten Rundfunkordnung muss dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK funktionsadäquate Stellung zukommen. [...] Diese Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umfasst die Verpflichtung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass eine den Grundsätzen des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk entsprechende öffentlich-rechtliche  Rundfunkveranstaltung gewährleistet ist, ebenso wie – damit nach dem Konzept des BVG Rundfunk untrennbar zusammenhängend – die institutionelle Verpflichtung, diese Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren." [Rn. 62]

"Form und Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", so der VfGH weiter, "müssen also aufeinander abgestimmt den Anforderungen des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk Rechnung tragen". Für die Organe ist dabei das Unabhängigkeitsgebot des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk von besonderer Bedeutung. Die Unabhängigkeit der Leitungsorgane soll auch "gewährleisten, dass weder staatliche noch private Kräfte über Einflussnahme auf die Tätigkeit der Leitungsorgane die Tätigkeit der programmgestaltenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF für ihre Zwecke beeinflussen können", wobei dies insbesondere gegenüber jenen politischen Kräften von Bedeutung ist, die an der Bestellung der Gremien mitzuwirken haben. 

Hier macht der VfGH auch sehr deutlich, dass er grundsätzlich kein Problem darin sieht, dass oberste staatliche Organe an der Bestellung (zumindest) mitwirken, denn diese sind "in den demokratischen Institutionen entsprechend repräsentiert" bzw. erfolgt dies "aus Gründen der Repräsentation der Allgemeinheit". Allerdings tut sich hier ein - vom VfGH auch so bezeichnetes "Spannungsfeld" auf: 

"Ist aus Gründen der Repräsentation der Allgemeinheit und damit entsprechender demokratischer Legitimation die Bestellung der Mitglieder von Stiftungs- und Publikumsrat obersten staatlichen Organen anvertraut, muss die Unabhängigkeit der laufenden Tätigkeit der (kollegialen) Leitungsorgane des ORF gerade auch gegenüber den, deren Mitglieder bestellenden staatlichen Organen und den politischen Kräften, die sie repräsentieren, im Interesse der Allgemeinheit, in dessen Dienst der öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter und seine Tätigkeit steht, gewährleistet sein." [Rn. 64]

Mit anderen Worten: wenn schon (zB) die Bundesregierung Organe bzw. Organmitglieder bestellt, dann müssen diese gerade auch von der Bundesregierung unabhängig sein. (Und noch eine Anmerkung: die Formulierung "Ist ... die Bestellung ... obersten staatlichen Organen anvertraut" lässt das Verständnis zu, dass dies nicht zwingend so sein muss, es also denkbar wäre, diese Bestellung nicht obersten staatlichen Organen anzuvertrauen). 

Erstes Zwischenergebnis (nach der für mich überraschend grundsätzlichen Bestandsgarantie) daher: "Die gesetzlichen Regelungen über die Bestellung und Zusammensetzung seiner Organwalter müssen Gewähr dafür bieten, dass keinem staatlichen Organ bei der Bestellung der Mitglieder eines kollegialen Leitungsorgans des ORF ein einseitiger Einfluss auf die Zusammensetzung des Organs zukommt, der dessen Unabhängigkeit insgesamt gefährden kann." [Rn. 65; Hervorhebung hinzugefügt]. Das sagt noch nicht viel darüber aus, wann ein derartiger einseitiger Einfluss zukommen würde, der die Unabhängigkeit "insgesamt" (also nicht bloß punktuell) gefährden kann, und dazu wird der VfGH dann auch in weiterer Folge nicht mehr sehr konkret (was man ihm freilich nicht vorwerfen kann, weil er ja eine konkrete gesetzliche Situation - und nicht auch alle möglichen anderen Konstellationen - zu beurteilen hat).

Die Zusammensetzung der kollegialen Leitungsorgane muss daher "einem gewissen Pluralismusgebot" [Rn. 66] Rechnung tragen. Diese Gremien dürfen nicht einseitig durch faktisch oder rechtlich zu einer Gruppe verbundene Personen dominiert werden (hier folgt auch das Zitat des EGMR-Urteils Manole und der Ausführungen Grabenwarters zu Art. 5 GG im Dürig/Herzog/Scholz-Kommentar zum GG, die auch einen Anstoß zur Anfechtung gegeben haben dürften, wenn man der Legende folgt). 

Der VfGH sieht ein "rundfunkverfassungsrechtliche[s] Gebot einer pluralistischen Zusammensetzung der kollegialen Leitungsorgane" (zusätzlich zum ebenfalls rundfunkverfassungsrechtlichen Gebot der der Unabhängigkeit dieser Organe bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben) und nennt dazu zwei Anforderungen:

  • Kein zu weitgehender Einfluss eines staatlichen Organs auf die Bestellung: es ist sicherzustellen, dass keinem staatlichen Organ bei der Bestellung der Mitglieder der Leitungsorgane ein zu weitgehender Einfluss auf deren Zusammensetzung zukommt. 
  • Abkehr davon, dass Bestellungen durch das staatliche Organ in dessen Belieben stehen: zudem ist zu gewährleisten, dass die Bestellungsentscheidung des staatlichen Organs "soweit verfassungsrechtlich zulässig" (die interessante Frage: wie weit ist dies verfassungsrechtlich zulässig, bleibt hier offen) gesetzlich gebunden und nicht in das Belieben des staatlichen Organs gestellt wird (dies könnte nach Auffassung des VfGH durch Anforderungen an die Qualifikation der zu bestellenden Mitglieder oder durch Rückkoppelung an Vorschlagsrechte staatsferner Einrichtungen bewirkt werden).
Wie das konkret geregelt werden soll? Der VfGH gesteht dem Gesetzgeber dabei ausdrücklich einen Gestaltungsspielraum zu, verweist aber gleich auch auf zwei traditionelle Mechanismen [Rn. 68]: 

  • "Repräsentation wesentlicher gesellschaftlicher Bereiche bzw. Gruppen, die so das Spektrum der Nutzerinnen und Nutzer der Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abbildet"
  • "unterschiedliche fachliche Anforderungen an die Mitglieder in Bezug auf die Aufgaben des Kollegialorgans zur Sicherung einer aufgabenadäquaten Entscheidungsfindung."

Zum Stiftungsrat

Hier macht der VfGH gleich noch einmal klar, dass die Bestellung der Stiftungsratsmitglieder durch staatliche Organe an sich keinen Bedenken begegnet ("entscheidend ist die konkrete gesetzliche Ausgestaltung"), im Gegenteil:  

"Demokratisch legitimierte (oberste) staatliche Organe repräsentieren die im Staat zusammengeschlossene Gemeinschaft. Dass gerade sie die Organe des ORF bestellen, steht den rundfunkverfassungsrechtlichen Anforderungen der Pluralismussicherung und der Unabhängigkeit nicht nur nicht entgegen, sondern trägt auf Grund der demokratischen Legitimation dieser Organe mit zur Sicherstellung dieser Vorgaben bei." [Rn. 70]

Mit anderen Worten und etwas zugespitzt zur Verdeutlichung: dass die Bundesregierung und die Landesregierungen Stiftungsratsmitglieder bestellen, trägt zur Sicherstellung der Pluralismussicherung und Unabhängigkeit bei (oder noch anders gewendet: würde man diesen obersten staatlichen Organe n hier keine Ingerenz ermöglichen, müsste dies gegebenenfalls wohl durch andere Rückbindungsmechanismen an demokratisch legitimierte Organe - denkbar zB den Nationalrat oder, systematisch deutlich schwieriger, den Bundespräsidenten - aufgewogen werden). 
Etwas verloren und ohne weiteren unmittelbaren systematischen Zusammenhang findet sich in der Rn. 70 des Erkenntnisses dann auch noch der Satz, dass das Vorhandensein politischer Parteien und die Möglichkeit der Änderung der Mehrheitsverhältnisse Ausdruck des dem B-VG zugrundeliegenden demokratischen Prinzips sind.

Der VfGH differenziert beim Stiftungsrat danach, wer die Mitglieder bestellt bzw. vorschlägt. Er akzeptiert zunächst uneingeschränkt die Bestellung von 6 Mitgliedern des Stiftungsrates über Vorschlag der im Hauptausschuss des Nationalrats vertretenen Parteien (§ 20 Abs. 1 Z 1 ORF-G); dies steht "unter dem Gedanken demokratischer Repräsentation."

Als nächstes hält er fest, dass es grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, wenn der Gesetzgeber die "Repräsentation der Allgemeinheit" der Bundesregierung sowie obersten Organen der Länder zuweist (bei letzteren kommt laut VfGH "ein Aspekt föderaler Vielfalt in der Auswahl dieser neun Mitglieder des Stiftungsrates zum Ausdruck"). Auch die Bestellung von Stiftungsratsmitgliedern durch den Publikumsrat beanstandet der VfGH nicht grundsätzlich, denn er sieht darin einen "Ausdruck des Gedankens der Staatsferne" (weil der Publikumsrat ein nicht-staatliches Organ ist; außerdem verweist der VfGH hier auf die Rechtskontrolle, der der Publikumsrat - anders als Bundesregierung und Landesregierungen - bei der Bestellung der von ihm zu entsendenden Stiftungsratsmitglieder unterliegt). 

1. Zu viele von der Bundesregierung bestellte Stiftungsratsmitglieder
Bei den von der Bundesregierung zu bestellenden neun Mitgliedern des Stiftungsrats bemängelt der VfGH, dass für deren Auswahl keine Bindungen bestehen, die eine Vielfalt im Stiftungsrat bewirken sollen. zudem sind neun "eine relativ große Gruppe", und der Bundesregierung kommt damit "ein deutliches Übergewicht im Vergleich zu der, [...] für die Vielfalt innerhalb des Stiftungsrates besonders relevanten, Gruppe der vom Publikumsrat zu bestellenden Mitglieder des Stiftungsrates" zu. Damit erweist sich § 20 Abs. 1 Z 3 ORF-G auch schon als verfassungswidrig: einfach weil mehr Stiftungsratsmitglieder von der Bundesregierung bestellt werden als vom Publikumsrat. Während die Anzahl der auf Vorschlag der Parteien zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder "unter den spezifischen Vielfaltsaspekten" naheliegt (?) und die Anzahl der von den Ländern zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder vorgegeben ist (gemeint wohl: es müssen neun sein, weil es neun Länder gibt), ist ein Überhang der neun (weiteren) von der Bundesregierung zu bestellenden Mitgliedern gegenüber den vom Publikumsrat zu bestellenden Mitgliedern nach Auffassung des VfGH nicht zu rechtfertigen. Es müsse "zumindest gewährleistet sein, dass der Publikumsrat nicht weniger Mitglieder bestellt als die Bundesregierung gemäß § 20 Abs. 1 erster Satz Z 3 ORF-G."

2. Neubestellung bei Regierungswechsel beeinträchtigt (bei manchen) die Unabhängigkeit
Der zweite Aspekt, den der VfGH im Hinblick auf die Bestellung der Stiftungsratsmitglieder näher prüft, ist die Frage, inwieweit die Möglichkeit, die von der Bundesregierung und den Ländern bestellten Stiftungsratsmitglieder vorzeitig abzuberufen, wenn eine neue Regierung bestellt wurde, die gebotene Unabhängigkeit beeinträchtigt. Er beurteilt dies unterschiedlich für jene Stiftungsratsmitglieder, die zwar von der Bundesregierung, allerdings auf Vorschlag der Parteien, bestellt werden und jenen Mitgliedern, die von der Bundesregierung ohne Bindung an Vorschläge bestellt werden. Hinsichtlich der auf Vorschlag der Parteien zu bestellenden Mitglieder "wiegt der demokratische Vielfaltsaspekt, insbesondere auch im Hinblick auf die Sicherstellung, dass jede im Hauptausschuss des Nationalrates vertretene Partei durch mindestens ein Mitglied im Stiftungsrat vertreten sein soll, schwer und rechtfertigt diese Einschränkung der an sich feststehenden Funktionsperiode der so bestellten (kleineren) Zahl von Mitgliedern des Stiftungsrates."

Für die von der Bundesregierung zu bestellenden neun (weiteren) Stiftungsratsmitglieder, ebenso hinsichtlich der von den Ländern zu bestellenden neun Mitgliedern auch auch der vom Publikumsrat zu bestellenden Mitglieder sieht es der VfGH nun anders: bei diesen kommt es "nicht auf die Auswirkungen demokratischer Wahlen zu allgemeinen Vertretungskörpern an." Für diese Mitglieder müsse daher (?) "dem Aspekt der Sicherung der Unabhängigkeit ihrer Tätigkeit durch eine feststehende Funktionsdauer für die Mitglieder des Stiftungsrates vorrangige Bedeutung zukommen." Mit anderen Worten: die auf Vorschlag der Parteien von der Bundesregierung bestellten Mitglieder sollen weiterhin nach Neubestellung der Bundesregierung (der in der Regel eine Neuwahl des Nationalrats vorangeht) neu bestellt werden können, die weiteren von der Bundesregierung bestellten Mitglieder sollen ebenso wie die von den Ländern und vom Publikumsrat bestellten Mitglieder eine volle Funktionsperiode (von derzeit vier Jahren) ausdienen können, auch wenn zuvor eine neue Bundesregierung oder Landesregierung bestellt wird oder sich der Publikumsrat neu konstituiert. 

Bei den vom Zentralbetriebsrat bestellten 5 Mitgliedern des Stiftungsrates hat der VfGH (wegen der unmittelbaren Repräsentation der zu vertretenden Arbeitnehmerinteressen) keine Bedenken, dass diese bei Neukonstituierung neu bestellt werden.

3. Keine Kriterien für die von der Bundesregierung und vom Publikumsrat zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder
Der VfGH befasst sich dann auffallend ausführlich mit den persönlichen und fachlichen Anforderungen an die Stiftungsratsmitglieder (Rn. 90 bis 93), ohne daraus konkret etwas abzuleiten, um dann recht abrupt festzuhalten, dass Hinsichtlich der sechs vom Publikumsrat sowie der neun durch die Bundesregierung zu bestellenden Mitglieder "keine näheren gesetzlichen Vorgaben [bestehen], wie Pluralitätsaspekte im Zusammenhang mit den Qualifikationsanforderungen" zu beachten wären (Rn. 94). 

"Das Gesetz enthält damit keine Vorkehrungen dafür, dass die in § 20 Abs. 1 letzter Satz ORF-G zum Ausdruck kommende, Pluralismusaspekten Rechnung tragende Anforderung einer gewissen Vielfalt an persönlicher und fachlicher Qualifikation der Mitglieder des Stiftungsrates bei der Bestellung gesichert oder zumindest angestrebt wird. [...] Damit ist aber der Spielraum der Bundesregierung bei ihrer Entscheidung, welche – grundsätzlich persönlich und fachlich geeigneten – Personen sie gemäß § 20 Abs. 1 erster Satz Z 3 ORF-G als Mitglieder des Stiftungsrates bestellt, zu weit gezogen, weil der im Hinblick auf Art. I Abs. 2 BVG Rundfunk bedeutsame Pluralismusaspekt unterschiedlicher persönlicher und fachlicher Qualifikation leerlaufen kann. Derartige Bindungen sind aber gerade hinsichtlich der von der Bundesregierung aus eigenem, das heißt ohne weitere Bindung an Vorschläge, zu bestellenden Mitglieder besonders bedeutsam [...]."

Vergleichbares gilt laut VfGH auch für den Publikumsrat, und zwar im Wesentlichen deshalb, weil "obersten staatlichen Organen derzeit ein mit den rundfunkverfassungsrechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbarender Einfluss auf die Auswahl der Mitglieder des Publikumsrates zukommt", was "in Verbindung mit der auch für den Publikumsrat fehlenden weiteren gesetzlichen Determinierung seines Auswahlermessens" auf die verfassungsrechtliche Beurteilung (des § 20 Abs. 1 Z 4 ORF-G) durchschlägt.

An sich sieht der VfGH kein Problem damit, dass 20 Abs. 1 letzter Satz ORF-G verlangt, dass die Stiftungsratsmitglieder "über Kenntnisse des österreichischen und internationalen Medienmarktes verfügen oder sich auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit im Bereich der Wirtschaft,
Wissenschaft, Kunst oder Bildung hohes Ansehen erworben haben" müssen, aber es fehlt ihm "eine, die unterschiedlichen allgemeinen persönlichen und fachlichen Anforderungen effektuierende Berücksichtigungsverpflichtung bei der Bestellung der einzelnen Mitglieder gemäß § 20 Abs. 1 erster Satz Z 3 und 4 ORF-G". Das klingt ein wenig kompliziert (und ist es wohl auch); wenn ich einen Übersetzungsversuch wagen soll, würde ich sagen: das Gesetz müsste festlegen, dass die Bundesregierung und (vielleicht in geringerem Maße) der Publikumsrat bei der Auswahl der von ihnen jeweils zu bestellenden Mitglieder sicherzustellen haben, dass Pluralismusaspekten Rechnung getragen wird, etwa indem Personen mit vielfältigen, einander ergänzenden und für die Tätigkeit im Stiftungsrat maßgeblichen Qualifikationen bestellt werden. Denkbar sind freilich auch andere Pluralismusaspekte, etwa von Geschlechterparität bis zu einem Gebot der Berücksichtigung bestimmter fachlicher Repräsentationsbereiche. 

Zum Publikumsrat

Auch hier betont der VfGH zunächst, dass gegen das Modell gesellschaftlicher Repräsentation bei der Zusammensetzung des Publikumsrates rundfunkverfassungsrechtlich angesichts der gesetzlichen Aufgaben des Publikumsrates grundsätzlich keine Bedenken bestehen. Er hält es auch "(weiterhin) für verfassungsrechtlich zulässig, dass der Gesetzgeber die Frage, welche Einrichtungen bzw. Organisationen für bestimmte, gesetzlich umschriebene Bereiche bzw. Gruppen repräsentativ sind, für die Zwecke der Bestellung der Mitglieder des Publikumsrates der Beurteilung durch das zuständige oberste Verwaltungsorgan des Bundes überlässt, solange gesetzlich Transparenz und eine Ausrichtung des Bestellungsverfahrens an seinen Zielsetzungen gewährleistet sind." (Rn. 106, Hervorhebung hinzugefügt)

1. Keine Kriterien für die Auswahl durch die Medienministerin
Die konkrete derzeitige Ausgestaltung trägt dem allerdings nicht ausreichend Rechnung. Der Bundeskanzler (bzw. aktuell die Medienministerin) kann nämlich derzeit im Ergebnis "nicht nur zwischen unterschiedlichen Dreier-Vorschlägen je gesellschaftlich relevantem Bereich bzw. je gesellschaftlich relevanter Gruppe, sondern auch für drei Mitglieder frei aus allen eingelangten Vorschlägen auswählen" und die Repräsentativität unterlaufen kann. "Eine gesetzliche Regelung zur Bestellung der Mitglieder des Publikumsrates, die solches ermöglicht, verletzt die Vorgaben des Art. I Abs. 2 BVG Rundfunk im Hinblick auf die gebotene Pluralität und dadurch mitgesicherte Unabhängigkeit des Publikumsrates."

[Anmerkung: der VfGH beurteilt hier natürlich nur die gesetzliche Regelung, nicht auch die tatsächliche Vorgangsweise der Medienministerin. Selbst wenn die Medienministerin also gesetzmäßig vorgehen würde - was sie meines Erachtens zuletzt bei der Bestellung zumindest von zwei Publikumsratsmitgliedern nicht getan hat (siehe dazu ausführlich hier) - würde dies nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen.]

2. Überhang der von der Medienministerin zu bestellenden Mitglieder 
Der Gedanke, dass durch die von der Medienministerin aus einer Vielfalt gesellschaftlich relevanter Bereiche bzw. Gruppen zu bestellenden Mitglieder eine Flexibilisierung bewirkt werden kann, die "im Dienste einer auch aktuell adäquaten Abbildung gesellschaftlicher Gruppen und Bereiche steht", rechtfertigt nicht, "den unter erheblichem Auswahlspielraum von obersten staatlichen Organen bestellten Mitgliedern ein Übergewicht in der Zusammensetzung des Publikumsrates zukommen zu lassen." [Rn. 112] Der Gesetzgeber muss die Regelung "so austarieren, dass der unmittelbare Einfluss gesetzlich festgelegter repräsentativer Einrichtungen sich jedenfalls im selben Ausmaß in der Zusammensetzung des Publikumsrates niederschlägt wie der eines obersten staatlichen Organs, das (zwar in Bindung an verfassungsrechtliche Vorgaben, aber doch) mit einem Auswahlspielraum aus Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen bzw. Organisationen Mitglieder dieses Leitungsorgans bestellt."

Der VfGH macht also die Verfassungswidrigkeit der Regeln über die Bestellung der Publikumsratsmitglieder nicht nur daran fest, dass die Medienministerin derzeit frei auswählen kann, wen sie aus den Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen auswählt, sondern auch am Überhang der von ihr (aus Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen) auszuwählenden Mitglieder gegenüber jenen Mitgliedern, die aufgrund gesetzlich festgelegter Bestellungsrechte (wie sie in § 28 Abs. 3 ORF-G bestimmten Einrichtungen, etwa den Sozialpartnern, der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche oder der Akademie der Wissenshaften, eingeräumt sind) bestellt werden. 

Teil 2: Eine erste - sehr vorläufige - Einordnung 

Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Der VfGH hat mit diesem Erkenntnis einen weiteren Eckpunkt seiner rundfunkrechtlichen Rechtsprechung gesetzt und nach dem ORF-Finanzierungserkenntnis neuerlich die Funktionsverantwortung des Staates für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung betont. Er erkennt ausdrücklich eine aus dem BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK abgeleitete Verpflichtung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass eine den Grundsätzen des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk entsprechende öffentlich-rechtliche  Rundfunkveranstaltung gewährleistet ist und damit untrennbar zusammenhängend eine "institutionelle Verpflichtung, diese Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren" - das ist eine überraschend klare Ansage in Richtung einer verfassungsrechtlich abgesicherten Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die umso bemerkenswerter ist, als sie im konkreten Kontext zur Entscheidung der Rechtssache nicht zwingend erforderlich gewesen wäre.

Staatsferne light

Es fällt aber nicht nur auf, was das Erkenntnis sagt, sondern auch, was fehlt: der VfGH hat keinen Grundsatz der Staatsferne (oder der Regierungsferne) aufgestellt. Der Antrag der burgenländischen Landesregierung hat sich sehr ausführlich auf dieses Thema gesetzt, unter umfassender Zitierung der deutschen Rechtsprechung (und auch meines Blogs) - im Erkenntnis des VfGH wird dies nicht aufgegriffen: 23 mal kommt der Wortstamm "staatsfern" vor, davon allerdings 21 mal in der Darlegung des Antragsvorbringens und nur zweimal, eher kursorisch, in den eigenen Worten des VfGH. Einmal geht es um die Möglichkeit, Bestellungsentscheidungen staatlicher Organe an Vorschlagsrechte staatsferner Einrichtungen rückzukoppeln [Rn. 67] und einmal sieht der VfGH in der Bestellung von Mitgliedern des Stiftungsrates durch den Publikumsrat als nicht-staatliches Organ einen "Ausdruck des Gedankens der Staatsferne" [Rn. 74]. Beides ist bloß beschreibend, nicht normativ: Staatsferne verlangt der VfGH in seinem Erkenntnis nicht, er hängt - aufbauend auf dem Text des BVG Rundfunk - die Entscheidung ganz zentral am Begriff der Unabhängigkeit auf. 

Unabhängigkeit und Staatsferne sind nicht dasselbe. Der VfGH sieht zwar ein "Spannungsfeld" [Rn. 64], wenn die Unabhängigkeit gerade auch gegenüber jenen politischen Kräften zu wahren ist, die an der Bestellung der Gremienmitglieder mitzuwirken haben. Er geht allerdings davon aus, dass es möglich ist, die (auch maßgebliche) Mitwirkung oberster Organe des Staates an der Gremienbestellung vorzusehen und zugleich die Unabhängigkeit der so bestellten Gremien von den bestellenden Organen zu sichern. Wesentlich ist dem VfGH dabei - durchaus in Übernahme der Manole-Rechtsprechung des EGMR - dass die Gremien "nicht einseitig durch faktisch oder rechtlich zu einer Gruppe verbundene Personen dominiert werden" (worin man vielleicht einen kleinen Wink an die Freundeskreise sehen kann, die im Erkenntnis sonst nicht thematisiert werden). Er sieht aber die Möglichkeit, dies durch eher übersichtliche Änderungen im Bestellungsmodus sicherzustellen. 

Tatsächlich könnte man das Erkenntnis in einer Minimalvariante etwa so umsetzen: 
  • Anhebung der vom Publikumsrat bestellten Stiftungsratsmitglieder auf neun 
  • Absenkung der von der Medienministerin auszuwählenden Publikumsratsmitglieder auf 13
  • Festlegung von Auswahlkriterien für die von der Bundesregierung zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder (ergänzt: und - wenngleich etwas abgeschwächt (siehe "grundsätzlich" in Rn. 97) auch für die vom Publikumsrat zu bestellenden Stiftungsratsmitlgieder)
  • genauere Leitlinien für die von der Medienministerin vorzunehmende Auswahl von Publikumsratsmitgliedern
  • Fixierung der Funktionsperiode der von der Bundesregierung, den Ländern oder vom Publikumsrat zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder
Natürlich sind es heikle Fragen, welche Auswahlkriterien für die Bundesregierung festgelegt werden und wie die Auswahl von der Medienministerin zu bestellenden Publikumsratsmitglieder näher determiniert wird. Aber das sind keine unüberwindbaren Hindernisse, und es ist vor allem keine Systemumstellung, sondern bloß eine Weiterentwicklung / Anpassung erforderlich. Staatsferne verlangt der VfGH nicht, höchstens eine Art "Staatsferne light", indem die Dominanz der obersten staatlichen Organe bei der Bestellung der Gremienmitglieder etwas "eingehegt" wird (um mir ein vom VfGH in anderem Zusammenhang verwendetes Wort auszuborgen). 

Keine "Politikfreiheit"

Durchaus erwartungsgemäß hat der VfGH keine Bedenken hinsichtlich der grundsätzlichen Konstruktion, bei der etwa politische Parteien oder demokratisch legitimierte oberste staatliche Organe an der Bestellung von Gremiumsmitgliedern mitwirken. Ein vollständige "Entpolitisierung", bei der politischen Parteien und (politisch handelnden) obersten staatlichen Organen jeder Einfluss genommen würde, stand nie zur Debatte. Dass hier ein Spannungsfeld besteht, ist dem VfGH bewusst, und er betont in diesem Zusammenhang auch die Entstehungsgeschichte des BVG Rundfunk, die gerade auf dieses Spannungsfeld hinweist - aber ein Patentrezept, wie man diese Spannungen auflösen kann, hat der VfGH freilich genausowenig wie andere. 

Was im Erkenntnis nicht vorkommt 

Der VfGH ist (wie schon weiter oben erwähnt) an den Antrag und die darin geäußerten Bedenken gebunden - es ist daher kein Versäumnis, dass nicht alle irgendwie einschlägigen Fragen behandelt werden (nur als Beispiel etwa die Frage, ob die Berücksichtigung von Vertretern nur bestimmter Religionen verfassungskonform ist). Ebenso überrascht es nicht, dass Fragen des faktischen Verhaltens von Organmitgliedern oder bestellenden Organen nicht Thema eines Verfahrens sind, in dem es um die abstrakte Normenkontrolle geht - also ob bestimmte Bestimmungen verfassungswidrig sind. Ob die Medienministerin die gesetzlichen Vorgaben ignoriert, ist kein Maßstab für die Beurteilung dieser Vorgaben durch den VfGH. Auch ein allfälliges Fehlverhalten einzelner Stiftungsratsmitglieder (die sich vielleicht nicht so unabhängig verhalten, wie es gesetzlich geboten wäre) kann in der Regel nicht herangezogen werden, um die Verfassungswidrigkeit einer Norm, die sie missachtet haben, zu begründen. 

Gewisse Hinweise darauf, dass die "Freundeskreise" problematisch sind, gibt der VfGH aber in Rn. 66 ("faktisch oder rechtlich zu einer Gruppe verbundene Personen", die nicht dominieren dürfen) und in Rn. 80, wo gesondert darauf hingwiesen wird, dass die Verschwiegenheitsverpflichtung der Mitglieder des Stiftungsrates in § 19 Abs. 4 ORF-G "insbesondere auch gegenüber den sie bestellenden oder vorschlagenden Organen bzw. Einrichtungen" besteht (ein Aspekt, der den kolportierten Freundeskreistreffen im Beisein politischer Funktionäre oder Manager entgegensteht). Der VfGH ist keineswegs blind gegenüber diesen Themen, sie sind bloß nicht unmittelbar Gegenstand seines Verfahrens.

Wie wirkt sich das Erkenntnis auf die aktuelle Zusammensetzung oder die Tätigkeit des Stiftungsrats oder Publikumsrats aus? 

Gar nicht. Der VfGH hat - mit Wirkung ab 1.4.2025 - bestimmte Bestimmungen zur Bestellung der Gremiumsmitglieder aufgehoben, bis dahin bleiben sie in Kraft. Die Bestellungsakte, die auf der Basis des (noch bis 31.3.2025 geltenden) Bestimmungen erfolgten, sind durch die Aufhebung nicht weggefallen oder unwirksam geworden. Das betrifft freilich nur jene Bestellungsakte, die rechtskonform vorgenommen wurden, die Bestellung etwa der Professoren Markus Hengstschläger und Michael Meyer, die von der Medienministerin meines Erachtens rechtswidrig vorgenommen wurden (siehe dazu nochmals hier), werden auch durch das nun vorliegende Erkenntnis selbstverständlich nicht saniert. 

Was nun?

Der VfGH hat mehrere Bestimmungen zur Bestellung der Stiftungsrats- und Publikumsratsmitglieder mit Wirkung zum Ablauf des 31.3.2025 aufgehoben (die Aufhebung ist noch im BGBl kundzumachen). Die Reparatur des Gesetzes ist meines Erachtens nicht komplex - die Einschnitte sind zwar durchaus bedeutsam, aber nicht so umfassend, dass eine gesetzliche Neuregelung ein vollständiges Neudenken  der Rechtsgrundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erfordern würde. Natürlich könnte man das Erkenntnis auch zum Anlass nehmen, weitreichendere Reformen anzudenken, aber es würde mich sehr überraschen, wenn ein derartiges umfassendes Projekt entweder von der aktuellen Koalition in der noch verbleibenden Legislaturperiode oder von einer zukünftigen Regierung in der dann schon sehr knappen Zeit bis zum 31.3.2025 umgesetzt werden könnte. Also bleibt letztlich die Hoffnung, dass sich zumindest die oben schon skizzierte Minimalumsetzung bis zum Wirksamwerden der Aufhebung ausgehen wird. 

Wenn keine Neuregelung erfolgt, könnte die nach der kommenden Nationalratswahl neu zu bestellende Bundesregierung - wenn sie rasch bestellt wird und sich beeilt - nochmals "alle Neune" bestellen und ebenso der/die zukünftige Bundeskanzler:in (Medienminister:in) noch 17 Publikumsratsmitglieder auswählen - und diese würden dann (nach dem 31.3.2025) die gesamte Funktionsperiode im Amt bleiben, selbst wenn es vorher zu Neuwahlen und zur Neubestellung der Bundesregierung kommen sollte. 

Der VfGH hat am Ende seines Erkenntnisses ausdrücklich "auf die – für die im Hinblick auf Art. I Abs. 2 und 3 BVG Rundfunk notwendige Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalters ORF wesentlichen – Bestimmungen der § 20 Abs. 4 erster Satz und Abs. 5 ORF-G sowie § 29 Abs. 1 und Abs. 4 dritter Satz ORF-G" hingewiesen - das sind jene Bestimmungen, die für Stiftungsrat und Publikumsrat vorsehen, dass ihre Funktionsperiode jedenfalls bis zu dem Tag dauert, an dem der neu bestellte Stiftungsrat bzw. Publikumsrat zusammentritt. 

Der Hinweis wäre für die Entscheidung der Sache nicht erforderlich gewesen, und er wirkt ein wenig, als hätte der VfGH durchaus Zweifel, ob sich die (gegenwärtige oder zukünftige) Koalition rechtzeitig auf eine Neuregelung einigen wird. Auch ich habe durchaus Zweifel, aber ein - wahrscheinlich zu geringer - Anreiz für eine rechtzeitige Neuregelung noch in der aktuellen Legislaturperiode könnte sein, dass die dann noch vor der Wahl von der aktuellen Bundesregierung neu bestellten Organe von der nächsten Bundesregierung nicht gleich wieder abberufen werden könnten.