Thursday, May 18, 2023

"Medieninhaber ist Karl Nehammer als Person." Der Bundeskanzler (und andere Regierungsmitglieder) auf TikTok

Das von der Bundesregierung beschlossene TikTok-Verbot auf Dienstgeräten von Mitarbeiter*innen des Bundes ändert nichts an den (privaten oder von der jeweiligen Partei verantworteten ) TikTok-Kanälen von Regierungsmitgliedern - und auch nicht an den damit verbundenen Problemen.

Vorweg: Das "TikTok-Verbot"

Am Mittwoch, 10. Mai 2023, war die "Einschränkung der Nutzung von TikTok in der öffentlichen Verwaltung" Thema im Ministerrat. Die Bundesregierung beschloss aufgrund des von gleich vier Regierungsmitgliedern eingebrachten Ministerratsvortrags vier Punkte: 

  1. die Mitglieder der Bundesregierung untersagen die private Nutzung und Installation von TikTok auf Dienstgeräten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundes in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich. 
  2. Die Bundesregierung empfiehlt, dass die Nutzung und Installation von TikTok auf Dienstgeräten für die Landes- und Gemeindeverwaltung untersagt werden sollte. 
  3. Für die dienstlich notwendige Nutzung der Plattform (z.B. zur Erfüllung von Informationsaufträgen oder Ermittlungstätigkeiten) sollen rasch sichere Alternativen (durch bspw. Dienstgeräte ohne Zugriff auf die hauseigene IKT-Infrastruktur und zur ausschließlichen Nutzung für diese Plattform) geschaffen werden, damit Datenschutz, digitale Souveränität und die staatliche Sicherheit gewährleistet werden können. 
  4. Die "Geschäftsstelle der Digitalen Kompetenzoffensive" wird mit der Ausarbeitung von Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung im Umgang mit mobilen Anwendungen und deren  datenschutzrechtlichen Implikationen betraut.

Nur der erste und dritte Punkt sind interessant. 
[Der vierte Punkt ist bloße Rhetorik - die einzige Frage, die ich mir dazu stelle ist, ob es wohl Menschen gibt, die ohne zu googeln wissen, wer die "Geschäftsstelle der Digitalen Kompetenzoffensive" ist? Ich wusste es nicht, habe nachgeforscht, und siehe da: es ist die OeAD GmbH. Auch der zweite Punkt ist nicht wirklich operativ, denn Länder und Gemeinden können und werden sich auch ohne Empfehlung der Bundesregierung überlegen, was sie auf den Dienstgeräten ihrer Mitarbeiter*innen zulassen.]

TikTok-Verbot auf Dienstgeräten

Damit zurück zum ersten Punkt: Die private Nutzung und die Installation von TikTok auf Dienstgeräten (das sind nicht nur Handys, sondern auch sonstige elektronische Geräte wie Tablets, Notebooks, PCs) wird untersagt. Klar ist damit, sofern die jeweiligen Regierungsmitglieder das per Weisung in ihrem Verantwortungsbereich auch tatsächlich umsetzen, dass die TikTok-App auf Dienstgeräten nicht heruntergeladen und installiert werden darf. Aber das Wort "Nutzung" könnte auch die Nutzung von TikTok im Browser am PC erfassen (für die keine App installiert werden muss), wobei hier den Sicherheitsbedenken wohl schon durch eine entsprechende Konfiguration des Browsers auf den Dienstgeräten Rechnung getragen werden könnte. 

Unmittelbar nicht erfasst sind durch den Bundesregierungsbeschluss natürlich auch jene Bundeseinrichtungen, die nicht im Weisungszusammenhang zu einem Mitglied der Bundesregierung stehen. Das betrifft zB weisungsfreie Behörden, aber auch den gesamten Bereich der Gesetzgebung samt deren Hilfsorganen Rechnungshof und Volksanwaltschaft, die Präsidentschaftskanzlei und VfGH und VwGH. Ebenfalls vom Wortlaut nicht erfasst sind ausgegliederte Gesellschaften, da die dortigen Mitarbeiter*innen nicht solche "des Bundes" sind, sondern der jeweiligen Gesellschaft. Es ist aber wohl davon auszugehen, dass in diesen Bereichen ähnliche Anweisungen erfolgen werden. 

Der Beschluss betrifft schließlich formal nur die Dienstgeräte "von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern" des Bundes, sodass zwar zB auch Kabinettsangehörige betroffen wären, nicht aber die Bundesminister*innen und Staatssekretär*innen selbst. Es wäre freilich widersinnig, wenn gerade bei den Dienstgeräten jener Personen, die am stärksten Sicherheitsrisiken ausgesetzt sind, die Installation von TikTok weiter möglich sein sollte, und ich gehe - auch nach den ersten Reaktionen von Politiker*innen - davon aus, dass das "TikTok-Verbot" daher auch für die Dienstgeräte der Minister*innen und Staatssekretär*innen umgesetzt wird. 

Jedenfalls nicht erfasst sind Privatgeräte von Mitarbeiter*innen wie auch von Politiker*innen. Was also auf dem Partei- oder Privathandy eines Regierungsmitglieds bzw eines/einer Staatssekretär*in installiert ist, unterliegt weiterhin nur der Kontrolle der Partei bzw. der jeweiligen Person. Dass hier die Sensibilität gering ist, haben zumindest zwei Personen schon deutlich gemacht: sowohl BM Edtstadler als auch StS Plakolm werden TikTok mit ihren - jeweils von Parteiorganisationen verantworteten  - "persönlichen" Accounts weiter auf ihren Privatgeräten nutzen. Mehr dazu etwas weiter unten.

"Dienstlich notwendige" TikTok-Nutzung

Der Beschluss er Bundesregierung sieht vor, dass für die "dienstlich notwendige Nutzung der Plattform" sichere Alternativen geschaffen werden sollen, im Wesentlichen stand alone-Geräte, die nur für diesen Zweck verwendet werden. Interessant ist, was als dienstlich notwendige Nutzung angesehen wird: neben den - nur im Beschlussteil erwähnten - Ermittlungstätigkeiten soll das auch "zur Erfüllung von Informationsaufträgen" der Fall sein; in der Begründung des Beschlusses wird das auch noch näher ausgeführt, demnach soll das Betreiben von Kanälen auf TikTok durch öffentliche Stellen "auch in Zukunft schon zur Gewährleistung eines breiten Informationsangebotes an Menschen mit unterschiedlicher Mediennutzung weiterhin möglich sein." 

Welche "Informationsaufträge" das sein sollen, deren Erfüllung öffentlichen Stellen nur auf TikTok möglich sein kann, verrät der Ministerratsvortrag leider nicht. Ich habe ein wenig gesucht und nur einen Kanal gefunden, der offiziell betrieben wird: "diepolizei", betrieben vom Innenministerium. Das ist ein Kanal, mit dem TikTok-Nutzer*innen motiviert werden sollen, sich für den Polizeidienst zu bewerben. Der in einer Anfragebeantwortung vor einiger Zeit weiters genannte TikTok-Account "Gemeinsam Geimpft" ist auf TikTok - zumindest für mich - nicht (mehr) zu finden, auch die Website von "Gemeinsam Geimpft" verlinkt nur mehr zu Facebook, Instagram und YouTube, nicht (mehr) zu TikTok.

Allzu drängend dürften die "Informationsaufträge", die der Bund auf TikTok zu erfüllen hätte, daher nicht sein (falls ich etwas übersehen habe: ich bin wirklich für jeden Hinweis auf weitere offizielle TikTok-Accounts dankbar!). 

TikTok-Accounts von Regierungsmitgliedern und Staatssekretär*innen

Deutlich prominenter als offizielle Informationskanäle von Bundesstellen sind die "persönlichen" Accounts von Regierungsmitgliedern. Wobei nicht immer klar ist, wie "persönlich" diese Accounts sind. So teilte am 13. November 2022 der "Pressesprecher und stv. Kabinettschef von Bundeskanzler @KarlNehammer" auf Twitter einen Link auf oe24.at(!) und schrieb dazu: "Bundeskanzler ⁦@karlnehammer ⁩ist ab sofort auch auf TikTok".

Header des TikTok-Accounts @karlnehammer
Und tatsächlich, auf TikTok findet man einen Account, bei dem in der Bio zwei Funktionen von Karl Nehammer angegeben sind: "Bundeskanzler der Republik Österreich" und "Bundesparteiobmann der Volkspartei". 

Da weitere Links, zB auf ein Impressum, fehlen und daher nicht klar ist, wer für diesen Account als Medieninhaber verantwortlich ist, habe ich auch versucht, vom Pressesprecher des Bundeskanzlers in einer Reply auf seinen Tweet Antwort auf die Frage zu bekommen, ob das ein BKA- oder Parteiaccount ist (und dieselbe Frage auch zum TikTok-Account der Bundesministerin für Verfassung und EU im Bundeskanzleramt gestellt, bei dem zu diesem Zeitpunkt in der Bio ein Link auf eine Unterseite der BKA-Website zu finden war). Leider erhielt ich trotz Nachfrage darauf zunächst keine Antwort vom Pressesprecher des Bundeskanzlers. 

Also habe ich an das Bundeskanzleramt eine Anfrage nach dem Auskunftspflichtgesetz gestellt, mit meines Erachtens recht einfach zu beantwortenden Fragen:


Auch auf diese Anfrage erhielt ich zunächst keine Antwort, und so urgierte ich nach Ablauf der gesetzlich festgelegten Frist für die Auskunftserteilung. Inzwischen antwortete mir der Pressesprecher des Bundeskanzlers nach einer neuerlichen Anfrage doch auch auf Twitter:

"Medieninhaber ist die Volkspartei, Inhalte, die mit der Arbeit als Bundeskanzler zu tun haben, werden u.a. auch aus dem Kabinett mitbetreut." 

Meine Nachfrage, zu welchen Bedingungen andere Parteiaccounts (zB SP, FP, Grüne, Neos etc.) eine derartige "Mitbetreuung" aus dem Kabinett des Herrn Bundeskanzlers in Anspruch nehmen können, blieb leider unbeantwortet. Mittlerweile hat der Pressesprecher des Bundeskanzlers seinen Tweet auch wieder - aus mir nicht bekannten Gründen - gelöscht. 

(Bundeskanzler) Karl Nehammer "als Person" auf TikTok

Ende Jänner erhielt ich dann endlich doch eine Antwort auf meine Auskunftsersuchen aus dem Bundeskanzleramt. Interessant daran war, dass diese Antwort nicht mit der Antwort übereinstimmte, die der Pressesprecher des Bundeskanzlers zunächst auf Twitter gegeben hatte. Das BKA schreibt nämlich:

Der TikTok Kanal von Bundeskanzler Karl Nehammer wird nicht vom Bundeskanzleramt (Republik Österreich – Bund, vertreten durch den Bundeskanzler) betreut. Medieninhaber ist Karl Nehammer als Person. Die veröffentlichten Inhalte wurden von einem Mitarbeiter aus dem Kabinett des Bundeskanzlers erstellt, sofern die Inhalte im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Karl Nehammer als Bundeskanzler stehen. [Hervorhebung von mir]

Das ist aus zwei Gründen interessant: 
Erstens wird hier offiziell die Praxis bestätigt, dass Inhalte auf diesem Kanal (auch) "von einem Mitarbeiter aus dem Kabinett des Bundeskanzlers erstellt" werden, also von einer Person, deren Tätigkeit öffentlich finanziert wird, um eine Tätigkeit für den Bund zu erbringen. 
Und zweitens soll der Account nicht von der Partei, sondern von Karl Nehammer "als Person" (also wohl: privat) als Medieninhaber verantwortet werden. Das hat gerade im Hinblick darauf Bedeutung, dass Inhalte für den Kanal von einem Mitarbeiter des Bundes erstellt werden. Wäre die Partei Medieninhaberin, wäre eine kostenlose Inhalteerstellung für den Account durch diesen Bundesmitarbeiter nämlich eine unzulässige Parteispende nach § 6 Abs. 6 Z 3 Parteiengesetz.

(Bundesministerin) Karoline Edtstadler als Parteipolitikerin auf TikTok

Allzu aktiv ist Karl Nehammer ("als Person") auf TikTok nicht. Das unterscheidet ihn von Karoline Edtstadler, Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt, die auf TikTok immerhin mehr als 20.000 Followers hat und dort (wie auch auf Instagram) im permanenten Wahlkampfmodus (zuletzt Salzburg, jetzt Europa) regelmäßig Videos postet. Nicht nur die klar erkennbare Wahlwerbung und die parteipolitischen Äußerungen zeigen, dass es sich nicht um einen offiziellen Account als Bundesministerin handelt - mittlerweile erkennt man das auch an der (impliziten) Offenlegung im Sinne des Mediengesetzes: sowohl der TikTok- als auch der Instagram-Account von Karoline Edtstadler verlinken nämlich auf www.karo-edtstadler.at, eine Seite, für die das Impressum "Medieninhaber und Herausgeber: ÖVP (Österreichische Volkspartei) - Bundespartei" angibt. 

Sollten für den TikTok-Kanal (oder auch den Instagram-Kanal) von Karoline Edtstadler Mitarbeiter*innen des Bundes ohne Gegenverrechnung Leistungen erbringen, wären das (unzulässige) Parteispenden im Sinne des § 6 Abs. 6 Z 3 Parteiengesetz. Darüber hinaus (und auch sofern tatsächlich eine Leistungsverrechnung zwischen dem Bund und der ÖVP stattfinden sollte) wäre natürlich die Frage zu stellen, ob derartige Leistungen auch Dritten erbracht würden: könnten zB auch SPÖ, FPÖ , Grüne oder NEOS Videomaterial aus dem BKA oder von Dienstreisen der Frau Bundesministerin für ihre jeweiligen Social Media-Accounts bekommen? 

Ich finde es jedenfalls gut, dass der Rechnungshof bereits im letzten Jahr angekündigt hat, eine Prüfung zum Thema „Social Media Accounts von Regierungsmitgliedern“ auf seinen Prüfplan zu setzen.

Besuch im BKA - via Volkspartei

Wie funktioniert nun diese Verknüpfung von Partei und BKA in der Praxis? Nehmen wir das Beispiel "Besuch im BKA". Karoline Edtstadler postet dazu ein Video mit folgendem Text: 

"Ihr wolltet schon immer mal ins Bundeskanzleramt kommen und hinter die Kulissen blicken? Dann seid ihr hier genau richtig! Ich lade euch ein, mich an einem Nachmittag zu besuchen und auch bei dem einen oder anderen Termin zu begleiten. Wenn ihr Interesse habt, meldet euch an, den Link findet ihr in der Bio." 

Klinkt man auf den Link in der Bio, kommt man zu https://form.typeform.com/to/b4rPLMjn, dort wird man durch ein Formular geführt, wo als Pflichtangaben neben Vor- und Nachname, E-Mail und Wohnort auch der Beruf und die Telefonnummer anzugeben sind. Am Schluss muss man folgende Zustimmungserklärung anklicken: 

Mit Zustimmung dieses Formulars erkläre ich mich damit einverstanden, dass mich Karoline Edtstadler und ihr Team per E-Mail oder telefonisch über organisatorische Zwecke zur Veranstaltung "Besuch im BKA" kontaktieren dürfen und meine Daten zu diesem Zweck verarbeiten können. Näheres siehe unter https://www.karo-edtstadler.at/Datenschutz.html.* [das Sternchen am Ende weist aus, dass die Zustimmung hier zwingend erforderlich ist, um das Formular absenden zu können]

Der angegebene Link führt zur Website karo-edtstadler.at, in deren Impressum, wie schon erwähnt, als "Medieninhaber und Herausgeber" ausdrücklich die "ÖVP (Österreichische Volkspartei) - Bundespartei" angegeben ist. Mit anderen Worten: will man das Angebot der Bundesministerin, sie im Bundeskanzleramt zu besuchen und sie "bei dem einen oder anderen Termin zu begleiten", annehmen, muss man zwingend personenbezogene Informationen inklusive Wohnort, Beruf und Telefonnummer an die Österreichische Volkspartei weitergeben. Tut man das, kann man, wie Florentine, Schülerin, 17 Jahre, aus Wiener Neustadt, dann vielleicht selbst einmal ein TikTok-Video im BKA für den Kanal von Karoline Edtstadler aufnehmen.

Karoline Edtstadler wird laut Presse auch nach dem "TikTok-Verbot" auf TikTok bleiben: Sie habe die App "ohnehin nicht auf dem Diensthandy." 

Und andere Regierungsmitglieder und Staatssekretär*innen?

Staatssekretärin Claudia Plakolm ist ebenfalls auf TikTok und ist immerhin, ähnlich wie Karoline Edtstadler, transparent im Hinblick auf die Medieninhaberin ihres Accounts: sie verlinkt auf die Junge ÖVP. Der zweite von der ÖVP gestellte Staatssekretär, Florian Tursky, hat auch einen TikTok-Account (aktuellstes Video "Am Ende des Tages sind wir in einem weltweiten Wettlauf der Digitalisierung ..."), bezeichnet sich dort als "Staatssekretär für Digitalisierung", weist aber nicht aus, wer medienrechtlich für den Account verantwortlich ist. 

Ähnliches gilt auch für die TikTok-Accounts der grünen Regierungsmitglieder, die ich gefunden habe: Leonore Gewessler, Johannes Rauch und Alma Zadić. Alle drei verweisen auf ihr jeweiliges Regierungsamt, bringen aber teilweise (etwa Alma Zadić auf dem Brunnenmarkt) auch (partei-)politischen oder (etwa Johannes Rauch beim Spaziergang mit Hund) privaten Content. Auch bei diesen Accounts hätte ich nicht den Eindruck, dass es sich um offizielle Ministeriumsaccounts handeln würde.

Die meisten TikTok-Accounts von Regierungsmitgliedern und Staatssekretär*innen sind - mit Ausnahme jenes von Karoline Edtstadler - (noch) von überschaubarer Relevanz, jedenfalls was Followerzahlen und auch die Menge der Videos anbelangt. Aber wahrscheinlich gilt für alle Accountinhaber*innen, was Edtstadler der Presse ausrichten ließ: „als Politiker wollen wir mit Menschen dort in Kontakt treten, wo sie sich täglich bewegen.“ Auch um den Preis, dafür TikTok zu nutzen.