Wieder einmal ein Zwischenupdate zum Stand des EU-Gesetzgebungsvorhabens für den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation, aka Telecom Single Market (TSM), in dem letzte Woche durch einen Beschluss im Rat (auf COREPER-Ebene) wieder etwas Bewegung aufgekommen ist. Es scheint damit nun wieder wahrscheinlicher, dass es tatsächlich zu einer - allerdings gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag ziemlich abgespeckten - Verordnung kommen könnte.
Was bisher geschah:
a) Vorschlag der Kommission
Ausgangspunkt des Gesetzgebungsvorhabens war der Vorschlag
der Kommission für eine Verordnung über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der
elektronischen Kommunikation und zur Verwirklichung des vernetzten
Kontinents (dazu im Blog insbesondere hier und hier): das war ein umfangreiches Rechtssetzungsvorhaben, das insbesondere im Sinne einer Förderung europaweiter Unternehmen eine einheitliche europaweite Genehmigung für Anbieter und eine weitgehende Harmonisierung von Frequenznutzungen vorsah, aber auch ein - im Detail kompliziertes - Zurückfahren von Roamingentgelten ab Mitte 2016 sowie Ansätze für eine Art "Netzneutralität light".
b) Erste Lesung im Europäischen Parlament
Im April 2014 hat das Europäische Parlament in seiner ersten Lesung eine legislative Entschließung gefasst, die in vielen Punkten so deutlich vom Vorschlag der Kommission (und auch von der vorauszusehenden Position des Rates) abwich, dass auf dieser Basis eine Einigung nicht ernsthaft erwartet werden konnte. Das zeigte sich vor allem im Bereich der Frequenzverwaltung, der freilich in der Öffentlichkeit weit weniger präsent war als die beiden leicht kommunizierbaren Themen Roaming und Netzneutralität. Zu Roaming wollte das - damals in Vorwahlstimmung befindliche - Parlament die Kommission noch übertrumpfen und die Reduktion der Roamingentgelte vorziehen; außerdem schloß sich die Mehrheit im Parlament einer etwas netzneutralitätsfreundlicheren Position an, als dies von der Kommission (und der Industrie) gewünscht worden war (zu Details siehe im Blog hier).
c) Beratungen im Rat
Für den verbindlichen Beschluss einer Rechtsnorm auf europäischer Ebene braucht es im (hier anzuwendenden) ordentlichen Gesetzgebungsverfahren übereinstimmende Beschlüsse von Parlament und Rat (mehr zum Verfahrensablauf schon in diesem Blogpost hier, gegen Ende). In der Ratsarbeitsgruppe, in der die mitgliedstaatlichen Beamten verhandeln, um eine Beschlussfassung auf Ministerebene vorzubereiten, war die Begeisterung für das Vorhaben eher gering, die Verhandlungen zogen sich hin, es stand auch ein völliges Scheitern im Raum. Letzten November gab es dann ein wenig Aufregung, als einzelne interne Dokumente veröffentlicht wurden; ich habe dazu einen Beitrag im Blog geschrieben, in dem ich auch meine Einschätzung äußerte, dass der Beschluss eines Gesamtpaktes nicht mehr zu erwarten sei, dass aber neben Roaming auch das Thema Netzneutralität (gegenüber dem für 2016 zu erwartenden Vorschlag für einen regulären "Review" des Rechtsrahmens) vorgezogen werden könnten.
Das aktuelle Mandat der Ratspräsidentschaft für den informellen Trilog
Ende Februar wurde in der Ratsarbeitsgruppe ein Text für eine Ratsposition fertiggestellt, die letzte Woche im COREPER abgesegnet wurde (dem Vernehmen nach mit nur sehr vereinzelten Gegenstimmen). Sie bildet die Grundlage für das Verhandlungsmandat der Ratspräsidentschaft (siehe dazu die Presseaussendung des Rats), mit dem nun der sogenannte informelle Trilog gestartet werden kann (siehe auch dazu bereits hier, gegen Ende). Ziel ist es, zu einer weitgehenden Übereinstimmung zu kommen, sodass in zweiter Lesung einheitliche Beschlüsse von Rat und Parlament gefasst werden können (und die Kommission den Vorschlag nicht zurückzieht).
Der Textentwurf der Ratsarbeitsgruppe, auf dessen Grundlage das Mandat beschlossen wurde, wurde von EDRi öffentlich gemacht. Er beschränkt sich tatsächlich auf die beiden Punkte "Netzneutralität" und Roaming - alle anderen Themen des Kommissionsvorschlags bleiben tatsächlich außen vor. Beim Thema Netzneutralität ist der Text nahe an der Kommissionposition. Er will ein "offenes Internet" schützen, was aber erstens Vorrang für "specialised services" und zweitens Differenzierunngen nach Preis, Geschwdindigkeit oder anderen wirtschaftlichen oder technischen Gesichtspunkten nicht ausschließen soll. Zugang zum Internet soll demnach Zugang zu "im Wesentlichen [substantially] allen Endpunkten des Internets" bedeuten; Traffic Management ist zulässig, ebenso Einschränkungen aus rechtlichen Gründen (siehe dazu näher Art 3 des Textes). Die Regulierungsbehörden sollen die Qualität des Internetzugangs beobachten, BEREC soll Leitlinein erstellen (beides in Art 4 des Textes) und die Mitgliedstaaten sollen bei nicht in der Verordnung für zulässig erklärten Einschränkungen auch Strafen verhängen (Art 5 des Textes).
Für den Roamingbereich sollen dieselben Preise für Telefonate im EU-Ausland wie im Inland gelten, allerdings beschränkt auf eine "basic allowance", also ein - nicht näher definiertes - Minimalkontingent, das auf die durchschnittlichen Reise- und Verbrauchsgewohnheiten aller Europäer abstellt (da übrigens im Durchschnitt zB nur 16 Prozent aller EU-Bürger 4 oder mehr Nächte im Ausland verbringen, sollte man sich da keine umfangreiche "allowance" erwarten). Darüber hinaus soll nicht mehr verlangt werden dürfen als der gewichtete Durchschnitt der höchsten(!) Mobilterminierungsentgelte in der Union. Dieser Durchschnitt soll vom BEREC festgestellt werden, dessen diesbezügliche Entscheidung nach Vorstellung des Rates auch Gegenstand von Verfahren vor dem EuGH sein könnten (was die Kommission in dieser Form wohl schon deshalb nicht akzeptieren kann, weil BEREC gerade nicht als Behörde eingerichtet wurde, deren Entscheidungen beim EuG bzw EuGH bekämpfbar sein sollten). Dieses Roamingmodell sollte ab 30.06.2016 angewendet werden (für Verträge, die schon vor dem Inkrafttreten abgeschlossen wurden, mit 01.01.2017).
Ganz wesentlich beim Text des Rates ist, dass die geplante Verordnung - wie auch von der Kommission gewünscht - eine Vollharmonisierung bewirken soll; mit anderen Worten: abweichende Regelungen - etwa die Netzneutralitätsbestimmumgen in den Niederlanden - müssten angepasst werden, die Mitgliedstaaten dürften Netzneutralität nicht mehr strenger - oder weniger streng - regulieren als die Verordnung vorsieht.
Was bedeutet dieses Mandat?
Unter regulären Umständen würde die Kommission wohl ihren Vorschlag zurückziehen, da sie eine derartige Amputation gerade der für sie wichtigsten Punkte (einheitliche Genehmigung, Frequenzharmonisierung) nicht ohne völligen Gesichtsverlust hinnehmen könnte. Hier ist aber vieles anders: zunächst einmal ist nicht mehr dieselbe Kommission im Amt, die den Vorschlag 2013 erstattet hat. Vor allem aber haben sich fast alle politisch Verantwortlichen - in Kommisison, Parlament und auch Rat - auf eine Senkung der Roamingentgelte einzementiert, und mit einer Zurückziehung würde die Kommission de facto
als Sündenbock für das Ausbleiben der vielfach angekündigten Absenkung dastehen, was sie sicher vermeiden will. Hinzu kommt, dass Netzneutralität ein politisch dermaßen heikles (und aus Kommissionssicht unberechenbares) Thema geworden ist, dass man es vor dem Gesamtreview des Rechtsrahmens, aber auch schon vor dem "Digital Single Market"-Vorhaben, jedenfalls aus dem Weg geräumt haben will, hat es doch das Potential, das eine oder andere sonstige Vorhaben komplizierter zu machen.
Ich erwarte daher nicht, dass die Kommission ihren Vorschlag zurückzieht, sondern eher im Gegenteil, dass sie der Ratsposition recht aufgeschlossen gegenübersteht (Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip hat zwar in einem Tweet noch gemeint, dass die Gespräche auch das Thema Frequenzen umfassen würden, aber das ist wohl aussichtslos). Darauf deuten auch Informationen hin, wonach das Kabinett des Kommissars Oettinger recht eindringlich auf zweifelnde Mitgliedstaaten eingewirkt haben soll, um die Beschlussfassung im Rat zu erreichen.
Auch das Parlament steckt in einer Zwickmühle: es wollte zwar mehr als der Rat, sowohl quantitativ (beim Regelungsumfang, aber das dürfte das geringste Problem sein) als auch inhaltlich (schnellere Absenkung der Roamingentgelte, etwas netzneutralitäts-freundlichere Regeln). Aber es muss auch das Verprechen niedrigerer Roamingentgelte einlösen.
Was ist nun zu erwarten? Ich gehe davon aus, dass beim Roaming etwas geschehen muss, eben weil sich alle ziemlich einzementiert haben. Das völlige Verbot von Roamingentgelten - das natürlich ein Eingriff zugunsten großer, mitgliedstaat-übergreifend tätigter Unternehmen wäre - dürfte unmittelbar noch nicht durchsetzbar sein. Ich erwarte, dass es zu einer Einigung bei einer etwas großzügigeren "basic allowance" kommen könnte; alternativ dazu schiene allenfalls auch ein "gemütlicheres" gänzliches Ausphasen der Roamingentgelte denkbar.
Welche trade-offs eine Einigung bei den Roamingentgelten für das zweite Verhandlungsthema, die Netzneutralität, mit sich bringen könnte, ist für mich derzeit schwer einschätzbar. Grundsätzlich wird man den Unternehmensinteressen, je mehr man sie bei den Roamingentgelten beschneidet, umso mehr beim Thema Netzneutralität Rechnung tragen. Hier trifft sich auch die Position der Kommission, die "specialised services" auf jeden Fall sicherstellen will und im Übrigen auf "Vertragsfreiheit" und Transparenz setzt (dh Einschränkungen der Netzneutralität sollen zulässig sei, wenn sie entsprechend vereinbart und den Kunden transparent sind) mit der mehrheitlichen Ratsposition. Allzu hinhaltend wird der Widerstand dagegen vom Parlament (dessen Mehrheiten beim Thema Netzneutralität ziemlich unsicher sind) auch nicht sein, wenn ein brauchbarer Roamingkompromiss zustande kommt.
PS: Noch eine Anmerkung zur Kommissionsposition und Oettingers "Taliban"-Äußerung:
Hat sich an der Position der Kommission zur Netzneutralität nach dem Amtsantritt der neuen Kommission etwas geändert? Es deutet nichts darauf hin. Dass Kommissar Oettinger für unterschiedliche Geschwindigkeiten bzw den Schutz von "specialised services", etwa für Gesundheitsanwendungen, ist, hat er selbst - in der ihm eigenen etwas originellen Art - bekanntgegeben (Transkript des Videos auf netzpolitik.org). Inhaltlich unterscheidet er sich dabei freilich nicht im Geringsten von Neelie Kroes, die zwar gern vom "open internet" sprach, aber letztlich immer denselben Standpunkt vertrat wie Oettinger. So sagte sie zB noch in ihrer Rede vor der Abstimmung im Europäischen Parlament, dass "safeguards for specialised services" notwendig seien, und sie sprach dort - wie nun auch Oettinger in seiner "Taliban"-Wortmeldung - besonders die Gesundheitsdienste an: "Can we say to hospitals and healthcare workers they can't try out new telehealth procedures? All those things depend on enhanced quality of service." Oettinger klingt eigentlich nur wie ein akustisch etwas verunglücktes Echo von Kroes, inhaltlich sind seine Aussagen aber auf derselben Linie.
Update 16.04.2015: ein aktuelles Dokument der Präsidentschaft zur Vorbereitung des 2. Trilog-Treffens wurde am 16.04.2015 von statewatch.org veröffentlicht - es dokumentiert auch bereits Kompromissangebote des Rates (zB Vorziehen der Evaluation auf Ende 2017) und enthält erste konkrete Zahlen, was in der "basic allowance" enthalten sein soll: an mindestens 7 Tagen pro Jahr mindestens 5 Min Sprachtelefonie (aktiv und passiv), 5 SMS und 10 MB Daten.
Update 28.04.2015: wieder hat statewatch.org ein Dokument der Ratspräsidentschaft zur Vorbereitung des nächsten (dritten) Trilog-Treffens veröffentlicht. Änderungen gegenüber dem letzten Dokument finden sich nur bei der "basic allowance" - in diesem Kontigent sollen nun 50 Minuten Sprachtelefonie (aktiv und passiv), 50 gesendete SMS und 100 MB Daten, jeweils pro Jahr, enthalten sein, wobei die Betreiber - um einem Missbrauch(!?) dieser basic allowance zu begegnen - auch eine tägliche, wöchentliche, monatliche oder sonstige periodische "allowance" vorsehen können, wenn diese insgesamt mindestens die 50 Min/SMS bzw 100 MB pro Jahr erreicht und die "basic communication needs" des Konsumenten erfüllt - denkbar wären also vielleicht auch 5 Minuten pro Monat. Dass das schon der Durchbruch sein könnte, dem das Parlament freudig zustimmt, kann ich mir nicht wirklich vorstellen.
Update 29.04.2015: nun wurde auch ein Dokument der Kommission geleakt, in dem - nur zum Thema Netzneutralität - mögliche Kompromissvarianten dargestellt werden; hier abrufbar.
Update 19.05.2015: politico.eu hat ein "non-paper" der lettischen Präsidentschaft veröffentlicht, das ausgehend von einem Vorschlag des Europäischen Parlaments die Sitzung der Ratsarbeitsgruppe am 19.05.2015 vorbereiten sollte.
Tuesday, March 10, 2015
Sunday, March 08, 2015
Sympathy for The Fellner
Man muss sich Wolfgang Fellner als traurigen Menschen vorstellen.
Da hat er es - als "Österreichs manischer Medienmacher" (so der Titel der von Harald Fidler verfassten Biografie) - zu ein wenig Vermögen gebracht ("Alle meine Häuser, die ich immer gehabt habe, plus noch das eine oder andere, habe ich nach wie vor", sagte er zur APA), zu genügend Freunden und Bekannten (um die eine oder andere Slideshow zu füllen), und sogar zu einer Streuobstwiese in Wien (samt reinem Gewissen).
Besonders zu schaffen macht ihm offenbar der österreichische "Justiz-Irrsinn" (zB hier: dreimal "Irrsinn" in einer 200-Wort-Kolumne), der sich zu einem veritablen "Justizskandal" auswächst, wenn "Österreich" (also das periodische Medium, in dessen Namen Wolfgang Fellner regelmäßig etwas sagt) zu einer Entschädigung nach dem Mediengesetz verurteilt wird ("Justizskandal", "unfassbare Justiz-Blamage", "unfähige Justiz").
Verliert "Österreich" dann auch noch in der Instanz, ist es ein "Schandurteil", das nicht nur die Redaktion des Fellner'schen Mediums ärgert, sondern "auch weite Teil der österreichischen Politik" entsetzt und Wolfgang Fellner zur - wohl rhetorisch gemeinten - Frage herausfordert: "Wie weltfremd und Terroristen-freundlich sind unsere Richter?"
Ist das nicht tragisch? Da hat Wolfgang Fellner schon - in einem Massendruckwerk und online - das erstinstanzliche Urteil gegeißelt und den Justizminister(!), der ihm wenige Wochen zuvor zum Geburtstag gratuliert hatte, "dringend aufgefordert, solche unfassbaren Justiz-Blamagen abzustellen."
Und was passiert dann? Auch in zweiter Instanz kommt ein unabhängiges Gericht zum Ergebnis, dass aufgrund einer Veröffentlichung im periodischen Medium "Österreich" jemandem eine (vergleichsweise geringe) Entschädigung nach dem Mediengesetz zu zahlen ist. Was zählt da all das Geld, was helfen da all die Freunde, was nützt da all der mediale und ökonomische Einfluss?
In solchen Momenten muss man sich Wolfgang Fellner wahrlich als traurigen Menschen vorstellen, der jedes Mitleid verdient hat: Sympathy for The Fellner.
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PS: wer so schwere Zeiten erlebt, sollte auch von kleinlicher juristischer Besserwisserei verschont bleiben - daher hier auch kein Wort zu den sachlichen Fehlern in den Kolumnen.
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