Nach Art 30 Abs 2 der
UniversaldienstRL 2002/22/EG sorgen die nationalen Regulierungsbehörden dafür,
"dass die Preise für die Zusammenschaltung im Zusammenhang mit der Nummernübertragbarkeit kostenorientiert sind und etwaige direkte Gebühren für die Verbraucher diese nicht abschrecken, diese Dienstleistung in Anspruch zu nehmen." Der hier hervorgehobene Satzteil wurde durch das jüngste Reformpaket zwar sprachlich - im Sinne einer Klarstellung - verändert, materiell dürfte sich dadurch nichts geändert haben (nunmehriger Wortlaut in der Fassung der
RL 2009/136/EG:
"und etwaige direkte Gebühren für die Teilnehmer diese nicht abschrecken, einen Anbieterwechsel vorzunehmen.")
Welchen Spielraum haben nun die Mitgliedstaaten und/oder die Regulierungsbehörden, um eine Grenze zu ziehen, ab der solche Entgelte für die Nummernportierung "abschreckend" für die Verbraucher sind? Der Präsident der
polnischen Regulierungsbehörde machte das nach dem Text dieser Bestimmung eigentlich Naheliegende: er fragte die Verbraucher. Da sich nach einer Verbraucherumfrage ergab, dass die (wohl: durchschnittliche) Zahlungsbereitschaft der polnischen Verbraucher für die Nummernübertragung bei € 11,20 (Prepaid-Kunden) bzw. € 11,70 (Vertragskunden) lag, kam er zum Ergebnis, dass die geforderte Gebühr von € 12,20 demnach abschreckend war und verhängte eine Strafe über den Anbieter
Polska Telefonia Cyfrowa sp. zoo (eine T-Mobile-Tochter).
Im darauf folgenden Rechtsstreit hat der polnische
Oberste Gerichtshof dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die nationale Regulierungsbehörde bei einem Vorgehen nach Art 30 Abs 2 UniversaldienstRL
"verpflichtet ist, die Kosten zu berücksichtigen, die den Betreibern eines Mobilfunknetzes im Zusammenhang mit der Erbringung dieser Dienstleistung entstehen".
In den heute veröffentlichten
Schlussanträgen von Generalanwalt Bot in dieser Rechtssache (
C-99/09 Polska Telefonia Cyfrowa / UKE) kommt dieser zum Ergebnis, dass Art 30 Abs 2 der UniversaldiensRL dahin auszulegen ist,
"dass die nationalen Regulierungsbehörden die den Telekommunikationsunternehmen im Zusammenhang mit der Verwirklichung der Nummernübertragbarkeit entstehenden Kosten als Indiz in der von ihnen für geeignet gehaltenen Weise zu berücksichtigen haben, wenn sie die abschreckende Wirkung der Gebühr beurteilen, die vom Teilnehmer insoweit erhoben werden kann."
Das Ergebnis ist meines Erachtens insoweit klar, als demnach eine Berücksichtigung der Kosten jedenfalls geboten ist. Was die nationalen Regulierungsbehörden (ganz abgesehen vom nationalen materiellen Recht und Verfahrensrecht) aber aus der Ermächtigung machen sollen, diese Kosten in einer
"von ihnen für geeignet gehaltenen Weise" (as you like it?) zu berücksichtigen, erschließt sich mir schon weniger. Und noch mehr überrascht mich die teilweise recht interessante Herleitung des Ergebnisses - insbesondere mit Verweisen zurückgehend auf die
ONP-RahmenRL 90/387/EWG, offenbar bloß weil diese Richtlinie auch Vorgaben für Entgelte im Telekombereich (Kostenorientierung für Netzzugangstarife) vorsah.
In RNr 51 führt der Generalanwalt aus:
"Aus diesen Rechtsakten [in der vorangegangenen RNr. sind die RL 90/387/EWG (!), 2002/21/EG und 2002/19/EG zitiert] lassen sich nämlich die Preisgestaltungsgrundsätze herausarbeiten, auf denen die Regulierung der Telekommunikation und insbesondere die Festsetzung der Preise für die Zusammenschaltung beruhen."
Diese von ihm festgestellten Grundsätze werden in RNr 52 dargestellt, wobei bemerkenswert ist, dass er sich dabei wiederum auf die alte
ZusammenschaltungsRL, die alte Mitteilung über Zusammenschaltungsentgelte und auf das
EuGH-Urteil C-152/07 - 154/07, Arcor ua, das zu Bestimmungen der alten
ZusammenschaltungsRL und zur
ONP-WettbewerbsRL ergangen ist, beruft. Auch die ganz alte
SprachtelefonieRL und die alte
MietleitungsRL müssen zur Begründung der "Grundsätze" herhalten. Schließlich zitiert der Generalanwalt (in RNr. 57) auch noch Erwägungsgrund 26 der
UniversaldienstRL, der allerdings in einem anderen Zusammenhang steht und sich mit Endnutzertarifen von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht befasst.
Und weil in all diesen alten (und teilweise neuen) Richtlinien so viel von Kosten und Kostenorientierung steht, sind daher auch bei der Beurteilung der abschreckenden Wirkung nach Art 30 Abs 2 der UniversaldienstRL - die dafür gerade nicht ausdrücklich Kostenorientierung festlegt - die Kosten zu berücksichtigen. Das "Wie" bleibt offen. Jedenfalls haben die Regulierungsbehörden nach Ansicht des Generalanwalts einen "Spielraum" ("marge d’appréciation", RNr 30, 39, 41, 53), der aber nicht mit Ermessen ("pouvoir discrétionnaire") zu verwechseln ist (RNr 54).
Die Ergebnisse einer Verbraucherumfrage können nach Ansicht des Generalanwalts
"durchaus einen interessanten Gesichtspunkt darstellen, der den Regulierungsbehörden Aufschluss über die Erwartung der Nutzer geben kann." (RNr. 61); allerdings sind sie
"für sich genommen kein maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der abschreckenden Wirkung" (RNr. 62).
Am Ende (RNr. 72) der Schlussanträge beantwortet der Generalanwalt schließlich eine ihm nicht gestellte Frage: eine Verpflichtung, den Dienst der Nummernübertragung für die Verbraucher kostenlos anzubieten, wie sie in einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehen ist, hält er demnach zwar für vorteilhaft, aber nicht mit dem geltenden Richtlinienrecht vereinbar.
Das Ergebnis der Schlussanträge kann man teilen oder nicht, die Herleitung über längst nicht mehr in Geltung stehende Richtlinien, die in einem wesentlich anderen Zusammenhang stehen und andere Leistungen betreffen, scheint mir allerdings nicht überzeugend.
PS: In RNr 37 der Schlussanträge meint der Generalanwalt (ohne Belegstelle), dass die Kosten gegenüber den Verbrauchern "im Allgemeinen vom aufnehmenden Betreiber erhoben" werden. Ich kenne dazu keine europaweite Übersicht; in Österreich ist dies aber
definitiv anders.