Mit anderen Worten: wenn der Mitgliedstaat an Telekomunternehmen beteiligt ist, muss es eine wirksame strukturelle Trennung geben zwischen
- den hoheitlichen Funktionen (das betrifft alle Aufgaben, die nach dem Kodex von den Regulierungsbehörden und anderen zuständigen Behörden wahrzunehmen sind) und
- der Ausübung der (Mit-)Eigentümerfunktion an Telekom-Unternehmen.
Finanz- und Fernmeldeminister
Nun ist geplant, dem Bundesminister für Finanzen mit einer Novelle zum Bundesministeriengesetz (Initiativantrag 2597/A 27. GP) auch die Aufgaben der "Regulierung des Post- und Telekommunikationswesens" zu übertragen, was ihn zur Fernmeldebehörde im Sinne des Telekommunikationsgesetzes 2021 und damit zu einer "anderen zuständigen Behörde" im Sinne des EKEK (und im Übrigen auch zur Obersten Postbehörde nach dem Postmarktgesetz) macht. Dieser Initiativantrag steht auf der Tagesordnung des Verfassungsausschusses für den 30. Mai 2022. [Update 11.07.2022: wegen eines Formalfehlers musste ein neuer Initiativantrag eingebracht werden, der am 8. Juli 2022 im Nationalrat beschlossen wurde und auf der Tagesordnung des Bundesrates am 13. Juli 2022 steht]
Wenn der Bundesminister für Finanzen daher Fernmeldebehörde wird, kann er nicht zugleich Tätigkeiten "im Zusammenhang mit dem Eigentum" an Telekom-Unternehmen ausüben.
Finanz- und Beteiligungsminister
Nun ist aber die Republik Österreich - im Wege der zu 100 % im Bundeseigentum stehenden Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG) mit einer Sperrminorität von 28,42 % an der Telekom Austria AG, die elektronische Kommunikationsnetze und -dienste anbietet, beteiligt. Im vergangenen Jahr ist aus dieser Beteiligung eine Dividende von 47,2 Mio. € an den Bund geflossen.Die Aufgaben der ÖBAG sind gesetzlich geregelt (übrigens in einem Gesetz, das immer noch ÖIAG-Gesetz heißt, obwohl das Unternehmen zwischenzeitig zur ÖBIB und nun zur ÖBAG wurde). Nach diesen Gesetz werden die Eigentümerrechte des Bundes in der Hauptversammlung durch den Bundesminister für Finanzen ausgeübt (§ 2 ÖIAG-Gesetz). Die ÖBAG hat (unter anderem) "auf eine Werterhaltung und Wertsteigerung der Beteiligungsgesellschaften Bedacht zu nehmen" (§ 7 Abs. 1 ÖIAG-Gesetz). Alleinvorstand der ÖBAG ist Edith Hlawati, die zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzende der Telekom Austria AG ist (sie war auch zuvor schon lange Zeit Aufsichtsratsmitglied der Telekom Austria, was sie allerdings nicht daran gehindert hat, zugleich auch langjährige Rechtsvertreterin dieses Unternehmens zu sein; siehe dazu zB hier).
Auswege aus der Unvereinbarkeit?
Wie kann man diese evidente Unvereinbarkeit der Wahrnehmung fernmeldebehördlicher Aufgaben durch den Finanzminister einerseits und seiner Rolle in der Beteiligungsverwaltung andererseits auflösen?
Die einfache Antwort wäre: diese Unvereinbarkeit gar nicht erst zu begründen. Bis jetzt habe ich keine nachvollziehbare Begründung gehört, weshalb die Aufgaben der Telekom- und Post-Regulierung dem Finanzminister übertragen werden sollten. Bei der letzten Zuständigkeitsveränderung - als diese Aufgaben dem Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus übertragen wurden - hieß es wenigstens noch, diese Bereiche seien „für die Zukunft der Regionalentwicklung entscheidend“, wie glaubwürdig das auch immer gewesen sein mag. Nun macht man sich offenbar nicht einmal mehr die Mühe, irgendeine noch so fadenscheinige Begründung für diesen Wechsel zu geben (falls ich es übersehen habe, bitte um Mitteilung). Wenn diese Aufgaben aus koalitionspolitischen Gründen schon nicht an ihren "angestammten" Platz ins Verkehrsressort zurückkönnen, so wäre eine Zuordnung zum (zukünftigen) Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft zumindest sachnäher als zum Finanzminister.
a) Reduktion der hoheitlichen Funktion?
Nachdem man sich des Problems im BMF bewusst geworden war (mag sein, dass ich mit einigen Tweets dazu beigetragen habe), wurde, wie man hört, zunächst überlegt, zwar bei der Übertragung der Telekom- und Post-Agenden auf den Finanzminister zu bleiben, zugleich aber eine Überarbeitung des TKG und PMG vorzunehmen, so dass dem Finanzminister möglichst wenig Ingerenz auf die Regulierungsbehörden zukommen würde und auch seine sonstigen Aufgaben in diesem Bereich in wesentlichen Teilen der Regulierungsbehörde übertragen würden.
Das kann das Problem allerdings nicht wirklich lösen. Zum einen muss noch eine bestimmte Mindestkompetenz (und sei es nur mehr das Aufsichts- und Unterrichtungsrecht gegenüber der Regulierungsbehörde nach Art. 20 Abs. 2 B-VG) beim Bundesminister verbleiben, und zum anderen könnte bei einer weitergehenden Auslagerung von Aufgaben an die Regulierungsbehörde die in der Austro-Control-Rechtsprechung des VfGH gezogene Grenze bald erreicht sein. Das ist übrigens keine bloße Theorie: so hat der VfGH noch zum TKG 2003 festgehalten, dass dort "im Hinblick auf die zahlreichen Bestimmungen im TKG 2003, die die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie zur Erlassung von Verordnungen ermächtigen", vor dem Hintergrund der Austro-Control-Rechtsprechung "gegen die - bloß vereinzelt vorgenommene - Übertragung von hoheitlichen Befugnissen [an die RTR GmbH], wie etwa auch die zur Erlassung der TKMV [Telekommunikationsmärkteverordnung], keine Bedenken" bestehen (VfSlg 19307/2011). Mit dem TKG 2021 sind mittlerweile weitere Aufgaben an die Regulierungsbehörde übertragen worden; ein noch weiter gehendes "Aushöhlen" der Kompetenzen des zuständigen Ministeriums schiene mir vor dem Hintergrund dieser Entscheidung des VfGH nicht mehr vertretbar.
b) Aufgeben der Eigentümerrolle
Wenn man aber die hoheitlichen Funktionen nicht wegbekommt, könnte man natürlich am anderen Hebel ansetzen: den "Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Eigentum". Diese Lösung hatte ich zunächst nicht auf dem Radar, da es mir unvorstellbar schien, dass der Finanzminister eine seiner Kernaufgaben, die Angelegenheiten des Bundesvermögens, so weit einschränken würde, dass er auf wesentliche staatliche Beteiligungen (Telekom Austria AG und Österreichische Post AG) keinen Einfluss mehr nehmen könnte.
Aber genau diesen Weg versucht der Initiativantrag nun offenbar zu gehen. Notwendig wäre dazu, dass der Bundesminister für Finanzen keinen Einfluss auf die Verwaltung der Beteiligung an der Telekom Austria AG und der Österreichischen Post AG mehr ausüben kann. Der Initiativantrag [Update 30.5.2022: der Antrag wurde heute vom Verfassungsausschuss des Nationalrates angenommen] ist da allerdings zurückhaltend. Demnach soll in § 2 ÖIAG-Gesetz bloß folgender Satz angefügt werden:
"Soweit ein Tagesordnungspunkt der Hauptversammlung eine Angelegenheit eines Beteiligungsunternehmens betrifft, die der behördlichen Aufsicht oder Kontrolle des Bundesministers für Finanzen unterliegt, obliegt die Ausübung der Eigentümerrechte des Bundes dem Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft."
Die Begründung des Antrags legt allerdings ein etwas weiteres Verständnis nahe, da sie - um die gebotene strukturelle Trennung zu wahren und Interessenskonflikte zwischen Eigentümerstellung und behördlicher Tätigkeit generell zu vermeiden - davon ausgeht, dass durch die vorgeschlagene Änderung "die Wahrnehmung der Eigentümerrechte in derartigen Konfliktfällen generell dem Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft übertragen" werde. Der Text der vorgeschlagenen Änderung stellt allerdings nur auf einzelne Angelegenheiten ab, die der behördlichen Aufsicht oder Kontrolle des BMF unterliegen, wenn gerade diese Angelegenheiten Gegenstand der Hauptversammlung sind.
Ich bin nicht sicher, ob das überzeugend ist. Ich bin nicht vertraut mit den Hauptversammlungs-Tagesordnungen der ÖBAG, und die Informationspolitik der ÖBAG auf ihrer Website ist schlichtweg katastrophal (dort ist nicht einmal die Satzung zu finden, geschweige denn sonstige relevante Informationen; kritisch zur Website der ÖBAG hat sich auch schon Wilhelm Rasinger geäußert). Ich kann daher nicht beurteilen, wie "granular" die Angelegenheiten der Beteiligungsunternehmen dort verhandelt werden.
Aber generell ist es schwer denkbar, dass eine Alleinvorständin der ÖBAG, die zugleich Aufsichtsratsvorsitzende der Telekom Austria AG ist, in ihren Handlungen völlig unbeeindruckt von den Interessen des Finanzministers sein kann, der den Eigentümer Bund in der Hauptversammlung sonst vertritt (und diese Rolle eben nur punktuell, für einzelne Angelegenheiten, an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft abgeben soll).
Vor allem aber kommt es darauf an, dass eine derartige Trennung auch tatsächlich gelebt wird. Ich weiß nicht, welche Botschaft der Herr Bundesminister für Finanzen - vor dem Hintergrund der ihm wohl auch bekannten Diskussion über die beabsichtigte Änderung des Bundesministeriengesetzes - damit aussenden wollte, dass er sich gerade heute in einem ganzseitigen Interview im Kurier zu Detailfragen der Unternehmenspolitik der Telekom Austria AG zu Wort gemeldet hat, und zwar zu Fragen, die durchaus regulatorische Fragestellungen berühren können. Aber die ausdrücklich so formulierte Botschaft "wir dürfen nicht weniger Einfluss haben als jetzt" klingt jedenfalls nicht gerade danach, als hätter er sich schon damit abgefunden, in Zukunft keinen Einfluss mehr nehmen zu dürfen.
PS: falls jemand nach dem Staatssekretär fragt, der dem Bundesminister für Finanzen beigegeben wurde und den er voraussichtlich mit der Besorgung dieser Aufgaben betrauen wird - der ändert gar nichts. Der Bundesminister kann den Staatssekretär zwar nach Art. 78 Abs. 3 B-VG "auch mit der Besorgung bestimmter Aufgaben betrauen." Er bleibt dem Minister aber "auch bei Erfüllung dieser Aufgaben unterstellt und an seine Weisungen gebunden." Fernmeldebehörde wird also nicht der Staatssekretär, sondern der Bundesminister für Finanzen. Die Betrauung des Staatssekretärs mit den Telekom- und Post-Agenden kann daher jedenfalls keine "wirksame strukturelle Trennung" im Sinne des EKEK bewirken.
PPS (ergänzt am 22.05.2022): die mangelnde wirksame strukturelle Trennung wäre unionsrechtlich eine Vertragsverletzung, die von der EU-Kommission zum Anlass für ein Vertragsverletzungsverfahren genommen werden könnte. Noch während der Geltung der Vorgängerbestimmung zu Art. 6 EKEK, nämlich Art. 3 der Richtlinie 2002/21, hat die Kommission ein solches Verfahren einmal bis zum EuGH gebracht (Rechtssache C-493/13), und zwar gegen Estland, wo das Ministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten und Kommunikation einige behördliche Aufgaben im Telekombereich (insbesondere bei der Verwaltung des Frequenzspektrums) hatte und zugleich die Kontrolle über einen Rundfunknetz-Betreiber ausübte (siehe dazu auch hier). Die Klage wurde nach einer Änderung der estnischen Rechtsvorschriften zurückgenommen, sodass es nicht zu einem EuGH-Urteil gekommen ist. Eine mangelnde wirksame strukturelle Trennung und damit eine mangelnde Unabhängigkeit der Behörde(n) kann auch dazu führen, dass Entscheidungen dieser Behörde wegen Unzuständigkeit rechtswidrig sind (vergleiche zur Energieregulierungsbehörde das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 15.12.2014, 2013/04/0108).
Update 18.07.2022: heute ist die gestern kundgemachte Novelle zum Bundesministeriengesetz, BGBl I 2022/98, mit der der Finanzminister (unter anderem) auch Fernmeldeminister geworden ist, in Kraft getreten.