Friday, September 17, 2010

Weißblaue Geschichten: Die Rundfunkanstalt als Behörde beaufsichtigt sich selbst

Kann ein Unternehmen zugleich zuständige Behörde für die Feststellung von Verstößen gegen Rechtsvorschriften durch das Unternehmen sein? Es klingt unwahrscheinlich, aber es ist möglich - für den Bayerischen Rundfunk, einen europaweiten Sonderfall.

Die Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz sieht vor, dass die Mitgliedstaaten "zuständige Behörden" benennen, die "die spezifische Zuständigkeiten zur Durchsetzung der Gesetze zum Schutz der Verbraucherinteressen" besitzen, und zwar unter anderem auch für die Durchsetzung jener Rechtsvorschriften, die in Umsetzung bestimmter Art der RL über Audivisuelle Mediendienste erlassen wurden (siehe Art II der RL 2007/65). Diese Behörden müssen über bestimmte Mindestbefugnisse (Ermittlungs- und Durchsetzungsbefugnisse) im Falle "innergemeinschaftlicher Verstöße" verfügen. Als "innergemeinschaftlicher Verstoß" gilt
"jede Handlung oder Unterlassung, die [ua gegen die AVMD-RL in der in die innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzten Form] verstößt und die Kollektivinteressen von Verbrauchern schädigt oder schädigen kann, die in einem anderen Mitgliedstaat oder anderen Mitgliedstaaten als dem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem die Handlung oder die Unterlassung ihren Ursprung hatte oder stattfand, oder in dem der verantwortliche Verkäufer oder Dienstleistungserbringer niedergelassen ist, oder in dem Beweismittel oder Vermögensgegenstände betreffend die Handlung oder die Unterlassung vorhanden sind".
Weil es in Bayern offenbar niemanden gibt, der tatsächlich die Einhaltung dieser Rechtsvorschriften durch den Bayerischen Rundfunk kontrollieren würde, außer dem Bayerischen Rundfunk selbst, wurde eben gleich der Bayerische Rundfunk als zuständige Behörde benannt und der Kommission gemeldet. Die Kommission führt pflichtgemäß das Verzeichnis der "zuständigen Behörden" und veröffentlicht es regelmäßig im Amtsblatt, zuletzt am 10.09.2010. Wenn ich das richtig überblicke, ist in dieser Veröffentlichung der Bayerische Rundfunk nunmehr das einzige Unternehmen, das gegenüber sich selbst als zuständige Behörde über Ermittlungs- und Durchsuchungsbefugnisse zur Feststellung innergemeinschaftlicher Verstöße verfügt.

Und so ist Prof. Dr. Albrecht Hesse, Justitiar und stellvertretender Intendant des Bayerischen Rundfunks, als zuständige Person* der zuständigen Behörde, zum Beispiel befugt,
"1. alle erforderlichen Schrift- und Datenträger des [Bayerischen Rundfunks], insbesondere Aufzeichnungen, Vertrags- und Werbeunterlagen, einzusehen sowie hieraus Abschriften, Auszüge, Ausdrucke oder Kopien, auch von Datenträgern, anzufertigen oder zu verlangen,
2. Grundstücke und Betriebsräume sowie die dazugehörigen Geschäftsräume des [Bayerischen Rundfunks] während der üblichen Betriebs- oder Geschäftszeit zu betreten, soweit es zur Wahrnehmung der Befugnisse nach Nummer 1 erforderlich ist."

[§ 5 deutsches EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz (VSchDG), hier zitiert nach dem Bericht des Budesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gemäß Art 21 Abs  2 der VO (EG) Nr 2006/2004 für dei Jahre 2007/2008; anstelle des Bayerischen Rundfunks steht im Gesetz "des Verkäufers oder Dienstleisters"].
Bei der letzten einschlägigen Veröffentlichung der Kommission wurde übrigens auch der irische öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter RTE noch als zuständige Behörde erwähnt; seit Etablierung der Broadcasting Authority durch den Broadcasting Act 2009 nimmt jedoch diese neue Behörde die Aufgabe der "zuständigen Behörde" nach der VO (EG) 2006/2004 wahr.

Praktisch relevant ist diese Aufgabe im Rundfunkbereich allerdings nicht, wie sich aus den
Enforcement-Reports (Gesamtbericht, Deutschland, Österreich) ergibt. Im österreichischen Bericht heißt es wörtlich:
"An drei der sechs zuständigen Behörden wurden keine Informations- oder Durchsetzungsersuchen herangetragen. Es handelt sich dabei um den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie sowie um die Kommunikationsbehörde Austria und den Bundeskommunikationssenat. Bei den beiden letztgenannten Behörden (an die auch keine Alerts herangetragen wurden) mag das daran liegen, dass die maßgebliche Richtlinie ein weitgehend vereinheitlichtes Rechtsregime für die Erbringung von Fernsehdiensten vorsieht und darüber hinaus auf einer entsprechenden Regulierung nach dem Herkunftslandprinzip beruht. Die grenzüberschreitende Erbringung von Fernsehdienstleistungen ist mit einer Lizenzierung und laufenden Kontrolle bzw. Regulierung durch das Ursprungsland verknüpft, worin das Nichtauftreten innergemeinschaftlicher Verstöße seine Ursache haben kann. Insgesamt ist daher nicht davon auszugehen, dass die von der VO (EG) 2006/2004 avisierte Zusammenarbeit der Behörden in Verbraucherschutzfragen im Bereich der audiovisuellen Mediendienste mittelfristig Bedeutung erlangen könnte. Vor diesem Hintergrund stellen die zuständigen Behörden zur Diskussion, die Mediendiensterichtlinie aus dem Anhang der VO (EG) 2006/2004 zu streichen."
Da eine Streichung aber wohl nicht zu erwarten ist, wird Österreich demnächst seine Meldung ändern müssen. Mit 1.10.2010 wird ja die KommAustria auch für Verstöße des ORF in erster Instanz zuständig, sodass die Nennung des BKS entfallen kann.

*) Diese zuständige Person wurde mir auf Anfrage in einem Mail des BR genannt.

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