Thursday, September 02, 2010

Generalanwalt Mazák: Margin Squeeze nur missbräuchlich, wenn Vorleistungen regulatorisch verpflichtend oder unentbehrlich sind

Margin Squeeze ("Preis-Kosten-Schere") ist ein Dauerbrenner im Telekommunikationsrecht, gerade auch im Hinblick auf das Verhältnis zwischen sektorspezifischer Regulierung und allgemeinem Wettebewerbsrecht (siehe dazu insbesondere die Rechtssachen C-280/08 P Deutsche Telekom AG [dazu zuletzt hier] und T-336/07 Telefónica /Kommission; mit sektorspezifischem/allgemeinem Wettbewerbsrecht befasste sich letzte Woche auch das Salzburger Telekom-Forum, mein Beitrag dazu hier).

Nun hat der EuGH auch in einem zur Auslegung des Art 82 EG (nun Art 102 AEUV) anhängigen Vorabentscheidungsverfahren zu  Margin Squeeze-Fragen im Telekombereich Stellung zu nehmen. Die heute veröffentlichten Schlussanträge von Generalanawalt Jàn Mazák in dieser Rechtssache, C-52/09 TeliaSonera, holen dazu entsprechend weit aus, natürlich unter Bezug auf die ebenfalls von Generalanwalt Mazák verfassten Schlussanträge im Fall C-280/08 P Deutsche Telekom, sowie auf die Rechtssache Bronner, in der sich der EuGHmit der essential facilities-Doktrin auseinandergesetzt hat (bemerkenswert übrigens auch ein Hinweis auf eine einschlägige Entscheidung der französichen Cour de cassation in einem margin squeeze-Fall, ebenfalls im Telekombereich).

Im Sachverhalt, der dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegt, bestand im fraglichen Zeitraum keine regulatorische Verpflichtung von TeliaSonera, seinen Mittbewerbern auf dem Endkundenmarkt das Vorleistungsprodukt anzubieten. Daher stellt sich für GA Mazák die entscheidende Frage, ob die Vorleistung für die Wettbewerber unentbehrlich im Sinne der essential facilities-Doktrin ist, was aber nach dem Vorabentscheidungsersuchen ebenfalls nicht der Fall sein dürfte. Allerdings weist der Generalanwalt darauf hin, dass die Parteien des Ausgangsverfahrens über eine Reihe wichtiger Sachverhaltsfragen nicht übereinstimmen - das gibt ihm immerhin Gelegenheit, sich "auf grundsätzliche Aspekte [zu] beschränken" (RNr 7). Aus den Schlussanträgen:
"20.. ... Ich möchte besonders darauf hinweisen, dass die Umstände, dass der Vorlageentscheidung zufolge alternative Technologien vorhanden waren und dass das Netzwerk von TeliaSonera möglicherweise von ihren Wettbewerbern (gemeinsam oder einzeln) und/oder von Dritten nachgebaut wurde, darauf hindeuten, dass die betreffenden Produkte nach der Rechtsprechung gegebenenfalls keine unentbehrlichen Vorleistungen waren. ... 
21. Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass einem marktbeherrschenden Unternehmen grundsätzlich kein Missbrauch einer Kosten-Preis-Schere vorgeworfen werden sollte, wenn diesem Unternehmen keine mit Unionsrecht vereinbare regulatorische Verpflichtung obliegt, Vorleistungen zu erbringen, die nicht unentbehrlich sind. Wäre eine Kosten-Preis-Schere nur aufgrund einer abstrakten Berechnung der Preise verboten, ohne dass geprüft wird, ob die betreffenden Vorleistungen für den Wettbewerb auf dem Markt unentbehrlich sind, wären marktbeherrschende Unternehmen weniger bereit, Investitionen zu tätigen, und/oder es wäre wahrscheinlich, dass sie die Endkundenpreise erhöhen würden, um dem Vorwurf der Anwendung einer Kosten-Preis-Schere zu entgehen. Wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen sich rechtmäßigerweise weigern konnte, die betreffenden Vorleistungsprodukte zu liefern, sollte ihm nicht vorgeworfen werden, dass es diese Produkte zu Bedingungen anbietet, die seine Wettbewerber gegebenenfalls für nachteilig halten. ... "
Aber: 
32. Aus sämtlichen vorstehend dargelegten Erwägungen sollte sicherlich nicht geschlossen werden, dass die Preise eines vertikal integrierten marktbeherrschenden Unternehmens nur dann missbräuchlich sein können, wenn die betreffenden Vorleistungen unentbehrlich sind oder wenn eine regulatorische Verpflichtung zur Lieferung dieser Vorleistungen besteht. Der Preis auf dem vorgelagerten Markt kann nach Art. 102 Buchst. a AEUV überhöht sein. Bei dem Preis auf dem nachgelagerten Markt handelt es sich möglicherweise um einen Verdrängungspreis. Darüber hinaus riegelt das marktbeherrschende Unternehmen gegebenenfalls den nachgelagerten Markt für seine Wettbewerber auf diesem Markt ab und verstößt damit gegen Art. 102 Buchst. b AEUV. Ferner wendet das marktbeherrschende Unternehmen möglicherweise nach Art. 102 Buchst. c AEUV unterschiedliche Bedingungen gegenüber seinen Wettbewerbern und im Hinblick auf seine eigenen Geschäfte auf dem nachgelagerten Markt an. Keiner dieser missbräuche ist grundsätzliche auf Fälle beschränkt, in denen das Produkt oder die Dienstleistung unentbehrlich ist."

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