Nun ist die gerichtliche Entscheidung da, die Bänder müssen herausgegeben werden. Und nun schreibt der Kurier Folgendes: "ORF-General Wrabetz zur Frage, ob der ORF die Bänder herausgeben werde, oder er bereit sei, in Beugehaft zu gehen: 'Jetzt sind einmal die Juristen am Zug. Wir prüfen die Sache.'"
Die Entscheidung, dass die Bänder entsprechend der gerichtlichen Anordnung herausgegeben werden, traf dann aber doch nicht der Jurist Alexander Wrabetz, der als Generaldirektor für den ORF alleinvertretungsbefugt ist, sondern - das wird in den Pressemeldungen, die sich auf den ORF berufen, auffallend betont - Informationsdirektor Elmar Oberhauser, der den Generaldirektor damit um die Chance bringt, die Beugehaft-Ankündigung in die Tat umzusetzen.
An der Entscheidung des OLG Wien ist medial schon heftig Kritik geübt worden; ich will mich hier schon deshalb nicht inhaltlich dazu äußern, weil ich den Entscheidungswortlaut und damit auch den relevanten Sachverhalt nicht kenne, und jede Bewertung daher reine Spekulation wäre. Es ist aber jedenfalls nicht überraschend, dass ORF-Anwalt Hon.-Prof. Dr. Gottfried Korn (laut Wiener Zeitung) die Begründung "für juristisch verfehlt" hält und "dem ORF empfohlen [hat], sich an den Europäischen Gerichtshof [für Menschenrechte] in Straßburg zu wenden und das Urteil, welches für niemanden nachzuvollziehen ist, zu bekämpfen".
Da damit wieder einmal ein österreichischer Fall seinen Weg in Richtung Straßburg nehmen dürfte, hier noch kurz ein Blick auf eine einschlägige Entscheidung des EGMR: in dem von der grundsätzlichen Stoßrichtung her vergleichbaren Fall Nordisk Film & TV (Appl. no. 40485/02) hat der EGMR die von einem nationalen Gericht verhängte Verpflichtung zur Herausgabe von uneditiertem Bildmaterial (Rohmaterial) und dazugehörigen Notizen, um eine (sehr schwerwiegende) Straftat aufklären zu können, zwar als möglichen Eingriff in das Grundrecht nach Art 10 EMRK, aber nicht als unverhältnismäßig beurteilt. Dort ging es nicht um den Schutz unbekannter Informanten: die Identität des mutmaßlichen Straftäters, mit dem der Journalist gesprochen hatte, war der Polizei bekannt; außerdem war der Journalist undercover tätig und seine Gesprächspartner hatten sich nicht an ihn gewandt, um die Presse oder die Öffentlichkeit zu informieren. Schließlich hatte das nationale Gericht die Verpflichtung zur Vorlage des Rohmaterials eng abgegrenzt und alle Aufnahmen und Aufzeichnung von der Herausgabeverpflichtung ausgeschlossen, aus denen sich ein Risiko der Identifizierung bestimmter (der Polizei noch unbekannter) anderer Personen ergeben hätte können. In Jedem Fall kommt es natürlich auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Der EGMR sagt dazu im Fall Nordisk Film & TV:
"...the applicant company was not ordered to disclose its journalistic source of information. Rather, it was ordered to hand over part of its own research-material. The Court does not dispute that Article 10 of the Convention may be applicable in such a situation and that a compulsory hand over of research material may have a chilling effect on the exercise of journalistic freedom of expression (see, mutatis mutandis, Cumpǎnǎ and Mazǎre v. Romania [GC], no. 33348/96, § 114, ECHR 2004-...). However, this matter can only be properly addressed in the circumstances of a given case."Wenn ich den in den Zeitungen zum aktuellen österreichischen Fall dargestellten Sachverhalt richtig verstehe, geht es dabei ebenfalls nicht um die Identifizierung noch unbekannter Täter (insoweit unterscheidet sich der Fall auch maßgeblich von dem erst letzte Woche von der Großen Kammer des EGMR entschiedenen Fall Sanoma Uitgevers; siehe dazu hier). Vielmehr dürften zumindest die Hauptprotagonisten bekannt sein; außerdem dürften die Drehs zumindest teilweise an öffentlich zugänglichen Orten erfolgt sein, wo auch andere Personen Zeugen wurden, sodass wohl auch in Frage steht, ob es sich um Äußerungen (nur) gegenüber den Journalisten handelt (der Schutz des Redaktionsgeheimnisses laut § 31 MedienG bezieht sich auf "die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes von Beiträgen und Unterlagen oder die [Medieninhabern, Herausgebern, Medienmitarbeitern oder Arbeitnehmern eines Medienunternehmens oder Mediendienstes] im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen").
Inhaltlich scheint es damit - jedenfalls im Kern - weniger um die Durchbrechung des Redaktionsgeheimnisses zur Identifikation und Ausforschung von mutmaßlichen Straftätern zu gehen, sondern eher um die Aufklärung, ob die - ohnedies aus der ausgestrahlten Sendung bekannten - Protagonisten tatsächlich die (offenbar von einer Zeugin behaupteten) Straftaten begangen haben. Alles in allem schiene daher auf den ersten Blick eine Orientierung am Fall Nordisk Film & TV denkbar, allerdings ergibt sich aus den Pressemeldungen natürlich nicht, wie genau das OLG Wien die Schutzgüter abgewogen hat bzw ob es - zum Schutz noch unbekannter Informanten oder Mitteilungen an die Journalisten - ähnliche Abgrenzungen im Hinblick auf das vorzulegende Material gemacht hat wie das dänische Verfassungsgericht im Fall Nordisk Film & TV.
Wie gesagt: ohne Kenntnis des Wortlauts der Entscheidung des OLG Wien könnte man nur spekulieren, aber dass es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs im Lichte des Art 10 EMRK ganz wesentlich auf die sorgfältige Abwägung des nationalen Gerichts ankommen wird, ist evident - und wie eine solche Abwägung aussehen könnte, um vor dem EGMR Bestand zu haben, kann man gut im Fall Nordisk Film & TV nachlesen.
Update: wie der Rechtsanwalt des ORF die Sache sieht - mit interessanten näheren Ausführungen insbesondere auch zum Sachverhalt - kann man hier nachlesen.
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