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Tuesday, June 29, 2010

Vermischte Lesehinweise (14) - oder: wo bleibt Österreichs Netzpolitik?

Gelegentlich poste ich hier ein paar Lesehinweise, möglichst innerhalb des Themenbereichs dieses Blogs, aber abgesehen davon ziemlich bunt gemischt - wenn eben wieder ein paar Sachen zusammengekommen sind, von denen ich denke, dass sie LeserInnen dieses Blogs vielleicht auch interessieren könnten. So habe ich in letzter Zeit zB auch
Nun kann man zu beiden Reden ebenso wie zur Enquete-Kommission manches kritisch anmerken (wer wissen will, wieviel - teils heftige - Kritik es gibt, kann das ja rasch einmal googlen) - aber mir ist dabei vor allem eines aufgefallen: das Fehlen vergleichbarer Äußerungen oder Aktivitäten in Österreich. Wann hat eine österreichische Ministerin (Justiz-, Innen- oder Technologie) eigentlich zuletzt (oder vielleicht: erstmals?) Grundsätzliches zu Urheberrecht oder Netzpolitik gesagt, wann hat sich der Nationalrat mit Fragen der digitalen Gesellschaft intensiver befasst? In Erinnerung sind mir gerade einmal ein paar Forderungen nach Netzsperren (jüngst wieder von Justizministerin Bandion-Ortner in Ö1 (zum Thema Justizministerin und Internet siehe im Blog schon hier), und natürlich das ziemlich im Verborgenen wirkende KoZIG (Kompetenzzentrum Internetgesellschaft).*)

Nachdem dies gesagt ist, hier noch ein paar weitere - wie gesagt: bunt gemischte - Lesehinweise:
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*) Noch eine Anmerkung: Grundsätzliches fehlt zwar, aber immerhin haben wir hier in Österreich so großartige Dinge wie einen "'Digitales Österreich'-Explorer powered by Microsoft Internet Explorer" (nach dem wirklich sehenswerten "Informationsvideo" ist das offenbar einfach ein Explorer mit vorinstallierten Lesezeichen zu E-Government-Anwendungen), der "von Microsoft Österreich in Kooperation mit dem Bundeskanzleramt entwickelt" wurde und kostenlos (!) über die Bundeskanzleramt-Website heruntergeladen werden kann. Mehr will ich dazu gar nicht schreiben.

    Thursday, June 24, 2010

    Zwischendurch: Vermischtes aus der Schweiz

    • Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunkveranstalter, dem Sparmaßnahmen verordnet werden, der dafür aber mehr Werbemöglichkeiten bekommt, vor allem auch Online, was aber erst mit den Printverlegern abgestimmt wird: das kann einem als Österreicher schon irgendwie bekannt vorkommen - aber hier geht es um die Schweiz, wo solche Maßnahmen jüngst vom Bundesrat (der Schweizer Regierung) beschlossen wurden (Pressemitteilung; Reaktion der SRG).
    • Die Geschichte der Auseinandersetzung zwischen dem Verein gegen Tierfabriken (VgT) und der SRG (bzw der Schweiz) geht mittlerweile ins siebzehnte Jahr. 1994 lehnte die SRG die Ausstrahlung eines VgT-Werbespots ab, in dem Massentierhaltung mit Zuständen in Konzentrationslagern verglichen wurde. Dieses Verbot von im weiteren Sinne politischer Werbung beschäftigte den EGMR in zwei Fällen (VgT gegen Schweiz 1 und VgT gegen Schweiz 2; siehe dazu hier); in beiden Fällen wurde eine Verletzung des Art 10 EMRK durch die Schweiz festgestellt. Nun beschwerte sich der VgT dagegen, dass die SRG nicht über das EGMR-Urteil berichtet habe. Wie schon eine verangegangene Beschwerde wurde auch diese von der UBI (Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen) nicht materiell behandelt (oder, wie die Schweizer sagen; die UBI hat die Beschwerde "nicht an die Hand genommen"); und wie schon im vorangegangenen Fall hat das Bundesgericht den "Nichteintretensentscheid" der UBI aufgehoben und die Angelegenheit an die UBI zur materiellen Entscheidung zurückgeschickt (Urteile vom 2.6.2010, 2C_59/2010, und vom 10.12.2009, 2C_380/2009); vor allem das Urteil vom 10.12.2009 geht über Schweizer Spezifika hinaus und befasst sich vor dem Hintergrund der EGMR-Rechtsprechung mit dem "Recht auf Antenne" (womit freilich nicht das Recht gemeint ist, eine Antenne aufzustellen - es geht vielmehr um das Recht auf Zugang zum Programm).
    • Im Telekombereich hat die Verbotsverfügung der Wettbewerbskommission vom 21.4.2010 betreffend das Zusammenschlussvorhaben France Télécom SA / Sunrise Communications AG zuletzt Aufsehen erregt; die Beteiligten haben angekündigt, gegen die Entscheidung der Wettbewerbskommission zu "rekurrieren" (Pressemeldung).
    • Dass es sich auszahlen kann, Entscheidungen der Weko anzufechten, zeigt das Urteil des (Schweizer) Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2010, B-2050/2007, mit dem die von der Weko über die Swisscom verhängte Geldbusse wegen überhöhter Mobilfunk-Terminierungsentgelte von 333 Mio SFR aufgehoben wurde (die Ausführungen zum Verhältnis von Kartellrecht und Fernmelderecht (Seiten 204 bis 218 des Urteils) sind durchaus interessant, allerdings in den Hinweisen auf die Situation in der EU meines Erachtens nicht überzeugend: dass etwa im Verhältnis zum Kartellrecht ein "Vorrang von sektorspezifischem Wettbewerbsrecht (Telekom-Recht) ... zur Zeit auch im Recht der Europäischen Union vorgesehen" wäre, lässt sich aus den zum Beleg dafür zitierten Ziff 135ff der Marktanalyse-Leitlinien wahrlich nicht ableiten. Wie auch immer: das Schweizer Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls den von der Wettbewerbskommission unternommenen "Versuch, ... ex post gestützt auf das Kartellgesetz mit einer Sanktion korrigierend auf den – aus ihrer Sicht – unzulänglichen Preisbildungsprozess einzugreifen" (ex ante-Regulierung nach EU-Muster ist in der Schweiz nicht vorgesehen) nicht zugelassen.

    Tuesday, June 22, 2010

    Der Gesetzgeber ist keine Regulierungsbehörde: Schlussanträge zu belgischen Universaldienst-Fällen

    Der europäische Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste verlangt von den Mitgliedstaaten, bestimmte Aufgaben ihren nationalen Regulierungsbehörden zu übertragen. Wie Deutschland in Sachen Regulierungsferien einsehen zur Kenntnis nehmen musste, kann sich der Gesetzgeber die nach den Richtlinien von den Regulierungsbehörden wahrzunehmenden Aufgaben nicht einfach arrogieren. Eine ähnliche Lektion steht auch Belgien bevor, falls der EuGH den heute erstatteten Schlussanträgen von Generalanwalt Pedro Cruz Villalón in der Rechtssache C-389/08, Base ua / Belgacom folgt.

    In diesem Verfahren ging es um die Finanzierung des Universaldienstes - insbesondere für Sozialtarife - in Belgien. Nach Art 13 der Universaldienst-RL 2002/22/EG ist es Aufgabe der nationalen Regulierungsbehörden, auf der Grundlage der Berechnung der Nettokosten des Universaldienstes festzustellen, dass durch die Erbringung dieses Dienstes ein Unternehmen unzumutbar belastet wird. In Belgien wurde diese Beurteilung vom Gesetzgeber getroffen, der durch ein Gesetz im Jahr 2007 das Telekommunikationsgesetz aus dem Jahr 2005 authentisch auslegte und dabei festhielt, dass er (der belgische Gesetzgeber) bei der Vorbereitung des Telekommunikationsgesetzes vom 13. Juni 2005 die Belastungen des früheren Monopolisten beurteilt habe und zu der Ansicht gelangt sei, "dass sämtliche aus der genannten Berechnung hervorgehenden, auf der Erbringung des Universaldienstes beruhenden Verluste unangemessen und daher eine 'unzumutbare Belastung' seien".

    Der Generalanwalt kommt unter Hinweis auf die Rechtsprechung (neben C-424/07 Kommission / Deutschland auch C-82/07 Comisión del Mercado de las Telecomunicaciones [dazu hier]) zum eindeutigen Ergebnis, dass der Gesetzgeber nicht als Regulierungsbehörde tätig werden kann, um die unzumutbare Belastung zu beurteilen. In RNr 49 beurteilt der Generalanwalt das Verfahren, das die RL 2002/22 vorgibt, übrigens als "völlig klar"; so betrachtet hätte sich der belgische Verfassungsgerichtshof die Vorlage wohl sparen können.

    Bemerkenswert sind aus meiner Sicht zwei Aspekte: zunächst, dass das Rechtsbehelfverfahren nach Art 4 der RahmenRL 2002/21/EG gar nicht erwähnt wird; auch dieses spricht meines Erachtens sehr klar dafür, dass ein gesetzgebendes Organ nicht als Regulierungsbehörde tätig werden kann, zumal "Rechtsbehelfe" gegen Entscheidungen des Gesetzgebers, falls überhaupt, nur in sehr eingeschränktem Umfang denkbar sind (in Österreich etwa Individualanträge nach Art 140 B-VG, mit denen freilich nur die Verfassungskonformität überprüft werden kann). Und zum anderen misst der Generalanwalt auch der Notifikation der nationalen Regulierungsbehörden gegenüber der Kommission (Art 3 Abs 6 der RL 2002/21/EG) hohe Bedeutung bei: aus RNr 53 der Schlussanträge würde ich ableiten, dass einer nationale Regulierungsbehörde diese Funktion erst dann zukommt, wenn die Notifikation an die Kommission erfolgt ist (das erinnert ein wenig an das Urteil C-194/04 CIA Security, nach dem technische Vorschriften, die entgegen der RL 83/189/EG [nun 98/34/EG] der Kommission nicht notifiziert wurden, national nicht angewendet werden dürfen).

    Ebenfalls heute wurden auch die Schlussanträge in der Rechtssache C-222/08 Kommission/Belgien verkündet, in der es ebenfalls um die Finanzierung des Universaldienstes in Belgien - hier aber in einem von der Kommission angestrengten Vertragsverletzungsverfahren - geht. Auch hier wird vom Generalanwalt die rückwirkende Erklärung des Gesetzgebers zur "unzumutbaren Belastung" nicht als ordnungsgemäße RL-Umsetzung anerkannt. Der Generalanwalt folgt der Kommission auch darin, dass bei der Berechnung der Nettokosten des Universaldienstes auch die immateriellen Vorteile einfließen müssen. Anders als die Kommission meint der Generalanwalt allerdings, dasseine vorherige Kostenermittlung bei jedem einzelnen Erbringer des Universaldienstes dann nicht notwendig sei, wenn ausnahmslos alle Anbieter zur Erbringung des Universaldienstes verpflichtet sind (wie dies offenbar in Belgien für die Sozialtarife der Fall ist).

    Monday, June 21, 2010

    Elmar Oberhauser, leicht paraphrasiert: Das Problem ist, dass die Politik auf mich hört

    In einem profil-Interview letztes Jahr sagte ORF-Informationsdirektor Oberhauser, angesprochen auf die damaligen Finanzprobleme des ORF: "In Wirklichkeit muss man auch einmal die Politik daran erinnern, dass sie eine Eigentümerfunktion hat." (siehe dazu - und zu den von Oberhauser dabei gennanten Zahlen - schon hier).

    Gestern moderierte Elmar Oberhauser in ORF 2 die "Runde der Chefredakteure" (anwesend war auch Vorstandsvorsitzender Hermann Petz von der Moser Holding, dessen Funktion als Chefredakteur - welches Mediums eigentlich? - mir bislang unbekannt war). In der Diskussion erwähnte Profil-Chefredakteur Rainer den vor kurzem erfolgten Nationalratsbeschluss für ein Gesetz, "das dem ORF Geld verspricht ..."; dabei fällt ihm Oberhauser ins Wort ("Geld, das man uns zehn Jahre lang vorenthalten hat"), Rainer versucht fortzusetzen, "... weil im Hintergrund das eine oder andere Postenbesetzungsspiel gespielt wurde". Und dann nimmt sich Oberhauser wieder das Wort und sagt. "Ich toppe das noch, das Problem ist, dass sich die Politik als Eigentümer des ORF aufspielt, was sie in Wirklichkeit ja gar nicht ist." (in der ORF TVThek aktuell hier zu sehen, etwa bei 26:00)

    Da kann einem "die Politik" fast leid tun: zuerst wird sie von Oberhauser an ihre Eigentümerfunktion erinnert, und kaum will sie diese wahrnehmen, wird sie von Oberhauser in die Schranken gewiesen - weil sie ja gar nicht Eigentümerin ist (Letzteres ist tatsächlich richtig, der ORF, das sei hier sicherheitshalber nochmal angemerkt, ist eine - per Definition eigentümerlose - Stiftung).

    Mit dem Hinweis auf das "zehn Jahre lang vorenthaltene Geld" spielt Oberhauser auf die sogenannte "Refundierung der Gebührenbefreiung" an, die 1999 schon einmal im Gesetz stand, aber nie wirksam wurde (siehe dazu hier, Punkt 1). Dennoch wird die Legende, früher hätte es eine solche Refundierung tatsächlich gegeben, in manchen Medien als Faktum behandelt, etwa in der Wiener Zeitung oder jüngst in der Kleinen Zeitung, wo es zur aktuellen Novelle des ORF-Gesetzes hieß: "Rund 40 zusätzliche Millionen Euro per annum fließen neuerdings in den nächsten vier Jahren dem ORF zu. Bloß: Die flossen auch früher schon als Ersatz für gebührenbefreite Mitbürger." Der letzte Satz stimmt nicht (wenn man es genau nimmt, stimmt natürlich auch der erste Satz nicht, denn in den ersten beiden Jahren werden es je 50 Mio € sein, in den darauffolgenden beiden Jahren je 30 Mio €), aber wie Florian Klenk unlängst bei einer Diskussion etwas sarkastisch anmerkte: "wer recherchiert, gilt als meinungsschwach".

    PS: Ich wurde schon - persönlich, per Mail und online - "gerügt", weil ich zur ORF-Gesetz-Novelle nichts geschrieben habe; meine online-Antwort darauf ist hier in den Kommentaren.

    Friday, June 18, 2010

    Vermischte Lesehinweise (13)

    Abschließend noch drei Hinweise auf Print-Publikationen:
    • "Public Value im Rundfunkrecht" war Thema des fünften österreichischen Rundfunkforums im vergangenen Herbst. Der Tagungsband mit den Referaten (von Matthias Cornils, Josef Trappel, Lukas Repa, Heinz Mayer, Claudia Fuchs, Alisaon Gold und Susanne Pfab) ist nun bei Manz in der REM-Schriftenreihe erschienen (ISBN 978-3-214-16427-0 Pick It! );
    • Der nächste Band der REM-Schriftenreihe bei Manz wird in Kürze verfügbar sein: Michael R. Kogler, TV (ON DEMAND) - Europäische Content-Regelungen für Audiovisuelle Mediendienste (ISBN: 978-3-214-16428-7 Pick It! )
    • Und schließlich, wiederum bei Manz, sind nun auch die Referate und Diskussionsbeiträge des Österreichischen Juristentags vom letzten Jahr erschienen; im Band "Vom Wirtschaftsaufsichtsrecht zum Regulierungsverwaltungsrecht?" (ISBN 978-3-214-10972-1 Pick It! ) finden sich die Referate von Wolfgang Urbantschitsch, Bernhard Raschauer und mir) 

    Thursday, June 17, 2010

    Transparenz, die lüsterne Neugier der Nachbarn und der nicht namentlich genannte österreichische Graf: Die Schlussanträge zu C-92/09

    Die dem EuGH vom Verwaltungsgericht Wiesbaden vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Empfänger landwirtschaftlicher Förderungen aus EU-Geldern (siehe für Österreich die "Transparenzdatenbank") sind aus telekomrechtlicher Sicht insofern von Interesse, als auch Fragen zur Gültigkeit RL 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten gestellt wurden. In den heute veröffentlichten Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston in diesen Rechtssachen, C-92/09 Volker und Markus Schecke GbR / Land Hessen, verbunden mit C-93/09 Hartmut Eifert / Land Hessen, findet sich jedoch keine Antwort auf diese Fragen, die von der Generalanwältin als "merkwürdig formuliert" (RNr 151) bzw. "etwas eigenartig" (RNr 161) beurteilt wurden. Nach Ansicht der Generalanwältin haben die vom VG Wiesbaden gestellten Fragen zur Gültigkeit der Vorratsdaten-RL keinerlei Auswirkungen auf den zu beurteilenden Sachverhalt und sind rein hypothetisch: "Es wäre völlig unangebracht, würde der Gerichtshof eine abstrakte Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2006/24 vornehmen." (RNr 158)

    Abseits der Fragen zur Vorratsdaten-RL sind die Schlussanträge aber durchaus spannend. Zunächst betont die Generalanwältin die Bedeutung der Transparenz, , die im EU-Recht eine gesicherte Grundlage habe (RNr 66) und auf politischer Ebene "als wesentlicher Bestandteil einer demokratischen öffentlichen Verwaltung anerkannt" sei. Aber: "Gelegentlich ... kann es erforderlich sein, die Transparenz gegen ein anderes, widerstreitendes Ziel abzuwägen. Insoweit ist absolute Transparenz nicht zwangsläufig ein absoluter Wert. ... Um im vorliegenden Fall festzustellen ob zwischen der Transparenz auf der einen und der Privatsphäre und dem Schutz von personenbezogenen Daten auf der anderen Seite der richtige Ausgleich gefunden wurde, wird genau zu prüfen sein, was mit Transparenz im spezifischen Kontext der GAP [gemeinsamen Agrarpolitik] erreicht werden soll." (RNr 70).

    Und tatsächlich läuft es im Ergebnis auf eine Prüfung des mit der Veröffentlichung verfolgten Ziels hinaus: dass die Veröffentlichung (1.) einen Eingriff in ein Grundrecht darstellt, wird von der Generalanwältin bejaht - dass in den Förderanträgen ein Hinweis auf die Veröffentlichung enthalten ist und man daraus auf eine Einwilligung schließen könnte, überzeugt sie verständlicherweise nicht: wenn die Landwirte 30-70% ihres Einkommens aus den Föderungen beziehen, bleibt ihnen wenig Wahl: "beträchtlicher wirtschaftlicher Druck" reicht demnach aus, um "die Einwilligung zu einer nicht freiwilligen (und somit nicht im Sinne von Art. 2 Buchst. h der Richtlinie 95/46 [Datenschutz-RL] 'ohne Zwang erfolgten') zu machen." (RNr 82)

    Auch dass (2.) der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist, wird von der Generalanwältin bejaht. Ins Grundsätzliche gehen die Schlussanträge dann bei der Frage, ob (3.) der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Hier schreibt die Generalanwältin:
    "Ich bin daher bereit, anzunehmen, dass grundsätzlich – und ich hebe diese Worte hervor – ein gewisser Grad des Eingriffs in die Rechte auf Schutz der Privatsphäre und von personenbezogenen Daten zur Förderung der Transparenz des demokratischen Prozesses 'in einer demokratischen Gesellschaft notwendig' ist, weil er einem dringenden gesellschaftlichen Erfordernis entspricht." (RNr 94)
    Die Förderung von Transparenz des demokratischen Prozesses bildet nach Ansicht der Generalanwältin eine legitime Grundlage für die Datenverarbeitung (RNr 95). Und wenn die allgemeine Öffentlichkeit informiert werden soll, "ist das naheliegende Medium für die Veröffentlichung heute das Internet. Die leichte Zugänglichkeit des Internets, die von ihm gebotenen Suchmöglichkeiten und seine bequeme Nutzung bedeuten jedoch, dass eine derartige Veröffentlichung potenziell entsprechend stärker in die Rechte der Kläger auf Schutz der Privatsphäre und ihrer personenbezogenen Daten eingreifen wird als eine Veröffentlichung in eher herkömmlicher Weise." (RNr 96)

    Die wirklichen Probleme liegen aber bei der 4. Stufe der Prüfung: Ist der Eingriff verhältnismäßig? Hier zeichnet die Generalanwältin ein bemerkenswertes Bild der Uneinigkeit zwischen Kommission und Rat, was mit der Veröffentlichung überhaupt erreicht werden soll: Betrugsbekämpfung? Die Kommission meint: nein, der Rat: ja; öffentliche Kontrolle, bei der Steuerzahler auch Interesse an den ihren Nachbarn gewährten beihilfen haben? Rat: ja, Kommission sagt, es sei nicht Ziel der Maßnahmen, "die Menschen in die Lage zu versetzen, ihre lüsterne Neugier in Bezug auf die finanzielle Lage der Nachbarn zu befriedigen"; usw. Auch in sich waren die Ausführungen von Rat und Kommission in der Verhandlung vor dem EuGH offenbar nicht immer stimmig - aus österreichischer Sicht interessant:
    "Dabei war und blieb unklar, ob die Kommission 'alle Begünstigten' oder lediglich Einzelne wie 'den österreichischen Grafen' meinte (den der Bevollmächtigte der Kommission in der mündlichen Verhandlung höflicherweise nicht namentlich genannt hat), bei dem es sich offenbar um einen Hauptempfänger von GAP-Mitteln handelt." (RNr 116)
    Conclusio: "Das verschwommene (wenn nicht gar widersprüchliche) Wesen der Ziele, die die Organe nach eigenem Bekunden verfolgen, lässt nicht den Schluss zu, dass die getroffenen Maßnahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten." (RNr 118); Oder, zusammenfassend in RNr 123:
    "Ich glaube nicht, dass der Gerichtshof Rechtsvorschriften absegnen sollte, die völlig zutreffend auf außerordentlich wünschenswerte allgemeine Grundsätze verweisen, jedoch – wenn nach einer spezielleren Erläuterung gefragt wird, die den Gerichtshof in die Lage versetzen soll, seine richterliche Kontrollaufgabe wahrzunehmen – ein Ausmaß an Unklarheit und fehlendem Gleichklang zwischen den Organen enthüllt, wie es sich in der vorliegenden Rechtssache gezeigt hat."

    Tuesday, June 15, 2010

    Die Bundeswettbewerbsbehörde auf Twitter (und auch sonst überraschend transparent)

    Dass die Bundeswettbewerbsbehörde gelegentlich ihre Informationspflicht (in concreto: nach § 10b Abs 3 Wettbewerbsgesetz) etwas eingeschränkt versteht oder zum Gegenstand eines Deals über einen Rechtsmittelverzicht macht, kann man hier nachlesen. Dass sie auch anders kann möchte, zeigt sich an ihrer neuen Twitter-Präsenz (@BWB_WETTBEWERB). Die typischen BWB-Nachrichten wie "BWB verbessert ihre Kontakte zur russischen Wettbewerbsbehörde" kann man damit wenigstens auch via Twitter verfolgen - vielleicht als Ersatz für den auf der Website weiterhin fehlenden RSS-Feed. Die Website selbst versprüht indes noch den Charme der späten Neunziger; auch die fast konsequent durchgehaltene alte Rechtschreibung passt - oder sollte ich "paßt" schreiben? - da ganz gut dazu. Ein Relaunch soll aber bevorstehen.

    Die heute per Mail erfolgte Ankündigung der Twitterpräsenz war übrigens auch mit einem weiteren besonderen Informationsservice der BWB verbunden: im "an"-Feld der Nachricht finden sich die Mailadressen einer interessanten Runde von Menschen, die offenbar an der Tätigkeit der BWB interessiert sind (nach der Anrede im Mail handelt es sich um die "Abonnentinnen und Abonnenten des BWB Newsletters"). Transparenz findet man in der BWB offenbar eher dort, wo man sie gerade nicht sucht.

    PS: Die Website der BWB hat durchaus ihren eigenen Reiz, etwa in den Botschaften des Generaldirektors, wie jüngst in einer Information über eine Konferenz: sechsmal* wird in diesen wenigen Zeilen der Name des Generaldirektors genannt - besonders schön finde ich den Schlusssatz: "With the words 'The best is: no one is against competition' DG Thanner closed the conference." Doch, ehrlich, das steht stand* genau so dort.

    *) Update 24.06.2010: ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Information mittlerweile geändert wurde; der nette Schlusssatz wurde entfernt, und auch die Anzahl der Nennungen des Generaldirektors wurde halbiert. Ob vielleicht jemand aus der BWB mein Blog gelesen hat?

    EuG: Berlusconi-Sender hätte Unionswidrigkeit der von Berlusconi-Regierung gewährten DVB-T-Förderung erkennen müssen

    Die Vereinbarkeit von Förderungen im Zusammenhang mit dem Übergang auf digitale Fernsehübertragung mit dem Gemeinsamen Markt stand (steht) mehrfach im Zentrum von Auseinandersetzungen zwischen Kommission und Mitgliedstaaten bzw Rundfunkunternehmen. Die österreichische Förderung wurde der Kommission notifiziert und von dieser akzeptiert, Deutschland war diesbezüglich weniger erfolgreich (ein Verfahren beim EuGH ist noch anhängig, mehr dazu hier).

    Dass eine Förderung in Italien schon angesichts der dortigen Ausgangssituation im Fernsehmarkt besonders heftig umstritten sein würde, überrascht nicht. Aufgrund einer Beschwerde von Centro Europa 7 Srl (siehe zu einem EuGH-Verfahren dieses Unternehmens hier) hatte die Kommission im Jahr 2004 die von Italien aufgrund der italienischen Haushaltsgesetze 2004 und 2005 gewährten Förderungen (150 bzw 70 Euro Zuschuss für den Kauf von DVB-T-Decodern mit Zusatzfunktionen) untersucht und festgestellt, dass es sich um eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe gehandelt habe.

    Wer die italienische Fernsehlandschaft kennt, kann sich ausrechnen, wem diese Förderung wohl am ehesten zugute gekommen ist: einem im terrestrsichen Fernsehmarkt starken privaten Anbieter von Pay-TV - mit anderen Worten: Berlusconis Mediaset. Genauso klar scheint, wer durch die DVB-T-Förderung gegenüber der Mediaset am ehesten benachteiligt sein konnte: ein Anbieter von Pay-TV über Satellit - also Murdochs Sky Italia (Sky hat bei der Kommission ebenfalls Beschwerde erhoben). Dass zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der Haushaltsgesetze 2004 und 2005 in Italien eine von Berlusconi geführte Regierung im Amt war, wird wohl Zufall gewesen sein ...

    Gegen die Entscheidung der Kommission vom 24.01.2007 (case site) klagte die Mediaset SpA vor dem EuG. Die Kommission wurde in diesem Verfahren unterstützt von Sky Italia SRL - und wenn man es personalisieren will, heißt das natürlich Berlusconi gegen Murdoch (EurActiv zB schrieb von einem "media tycoon battle"). Mit dem heute verkündeten Urteil in der Rechtssache T-177/07 Mediaset SpA / Kommission hat das Gericht die Klage von Mediaset abgewiesen und damit die Entscheidung der Kommission bestätigt (oder, wenn man es wiederum verkürzt personalisieren will: Berlusconi hat gegen Murdoch verloren).

    Das EuG bestätigt die Beurteilung der Kommission, dass die Beihilfe nicht technologieneutral war und dass Mediaset von der Beihilfe profitiert hat. In die Kategorie "Sachen, die wir ohne Gerichtsentscheidung vielleicht nicht geahnt hätten", fällt die Klarstellung, dass eine "Preissenkung die Enscheidung preisbewusster Verbaucher durchaus beeinflussen" kann (RNr. 65).

    Mediaset machte unter anderem auch geltend, dass die Beihilfenrückforderung durch die Kommission mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht vereinbar sei. Dazu verwies das Gericht im Wesentlichen auf die Rechtsprechung, wonach Unternehmen grundsätzlich nur dann auf die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe vertrauen dürfen, wenn sie unter Einhaltung des Beihilfenverfahrens gewährt wurde. Ein "sorgfältig handelnder Wirtschaftsteilnehmer" hätte, so das Gericht, "nicht nur erkennen müssen, dass die streitige Maßnahme nicht technologisch neutral war, sondern auch, dass sie weder der Kommission gemeldet noch genehmigt war" (RNr 176).

    Thursday, June 10, 2010

    Staatliche Förderung, um staatlicher Kontrolle zu entgehen: das Modell Presserat (neu: mit Förderung im Voraus)

    "Selbstkontrolle: Neuer Presserat ab Herbst?" titelte die Presse - vor etwa zwei Jahren. Aber Überschriften sind wiederverwertbar, und diese Headline passt jetzt noch (oder wieder), genauso übrigens wie mein vorjähriges "Und jährlich grüßt der Presserat". Angesichts der heutigen Beschlüsse im Verfassungsausschuss (Text noch nicht auf der Parlamentswebsite, aber auf derstandard.at) ist nämlich die Einrichtung eines österreichischen Presserats im Herbst (und zwar: dieses Jahres) wieder etwas wahrscheinlicher geworden. Der Ausschuss beschloss zusätzlich zu Änderungen an den Rundfunkgesetzen auch eine Novelle zum Presseförderungsgesetz, durch die eine Förderung des Presserats schon im Vorhinein möglich ist.

    Seit 1.1.2009 galt, dass "einer repräsentativen Einrichtung der Selbstkontrolle im Bereich der österreichischen Presse" jährlich ein Zuschuss "zur Deckung der angefallenen Kosten" (bis max. € 150.000) ausbezahlt werden konnte, nun soll - wenn wie anzunehmen der Ausschussantrag Gesetz wird - die Förderung schon für die "anfallenden" Kosten gewährt werden können. Eine scheinbar kleine Änderung, aber damit kann sich der Presserat seine Tätigkeit schon fördern lassen, bevor überhaupt Kosten entstanden sind.

    Die Begründung des Antrags spricht das auch deutlich aus: "Der Österreichische Presserat befindet sich derzeit in der Gründungsphase. [...] Auf Grund der länger dauernden Gründungsphase könnte bzw. kann der Presserat für das Jahr 2010 keine angefallenen Kosten geltend machen." Für den Presserat ist das praktisch, da er sich dadurch die Vorfinanzierung erspart (und irgendwie wäre es ja fast peinlich, wenn schon ein zweites Jahr hindurch das bereitliegende Geld nicht abgeholt würde).

    Immerhin: auch wenn der Presserat seine inhaltliche Tätigkeit noch immer nicht aufgenommen hat, gibt es mittlerweile zumindest einen Präsidenten, der jüngst in einem Interview auch erklärte, wozu der Presserat dient: letztlich "auch dazu, einer staatlichen Kontrolle zu entgehen." Der staatlichen Kontrolle über die Verwnedung der Fördermittel wird der Presserat allerdings nicht entgehen, denn auch bei der nun vorgesehenen Förderung im Vorhinein muss natürlich die widmungsgemäße Verwendung nachgewiesen werden.

    PS: ich weiß, das ist weder der spannendste noch der wichtigste Aspekt der heutigen Ausschussbeschlüsse - aber das ist eben das Privileg dieses kleinen Nischenblogs, dass ich mich auch mal auf das evident Unwesentliche beschränken kann.

    Tuesday, June 08, 2010

    EuGH: Roaming-VO ist gültig - Entgeltobergrenzen auch für Endkunden "im Interesse des Binnenmarkts"

    Bevor die Urlaubs- und damit die Roamingzeit so richtig beginnt, hat der EuGH heute in der Rechtssache C-58/08 Vodafone ua die Zweifel an der Gültigkeit der Roaming-Verordnung (insbesondere deren Art. 4) ausgeräumt. Schon Generalanwalt Poiares Maduro war in seinen Schlussanträgen (siehe dazu in diesem Blog näher hier) zum Ergebnis gekommen, dass die Prüfung der vom High Court of Justice (England & Wales) vorgelegten Fragen nichts ergeben habe, was die Gültigkeit der Roaming-Verordnung berühren könnte. Interessant an seinen Ausführungen war, dass er bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders auf die begrenzte Dauer der Maßnahme hingewiesen hatte.

    Der EuGH weist in seiner Presseaussendung nun bereits auf die Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Verordnung (statt früher bis zum 30.06.2010 nun bis zum 30.06.2012) hin, aber auch darauf, dass die Maßnahmen außergewöhnlichen Charakter haben und zeitlich begrenzt sind. [ab hier Update, 8.6.2010, 11:20, nach der mittlerweile erfolgten Veröffentlichung des Urteils].

    1. Zur Rechtsgrundlage (Art 95 EG, nunmehr Art 114 AEUV) verweist der EuGH, im Wesentlichen wie schon der Generalanwalt, auf mehrere Punkte:
    • Zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung bestand ein hohes Niveau der Endkundenentgelte; das Verhältnis zwischen Kosten und Entgelten war nicht so, "wie es auf Märkten mit wirksamem Wettbewerb der Fall wäre." (RNr 39) 
    • Das hohe Niveau der Endkundenentgelte wurde von den NRB, staatlichen Einrichtungen und Verbraucherschutzverbänden gemeinschaftsweit als anhaltendes Problem betrachtet; Versuche, dieses Problem innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens zu lösen, hatten keine Senkung der Entgelte bewirkt (RNr 40)
    • der bestehende Rechtsrahmen hatte keine ausreichenden Instrumente zur Verfügung gestellt; NRB konnten Betreiber in anderen Mitgliedstaaten nicht kontrollieren (RNr 41)
    • Wirksamkeit etwaiger von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage ihrer Kompetenzen im Verbraucherschutz könnte durch "die diesen Kontext kennzeichnenden Umstände" untergraben werden (RNr 43), dennoch standen Mitgliedstaaten unter Druck, Maßnahmen zu ergreifen (RNr 44); "Der Gemeinschaftsgesetzgeber sah sich demnach konkret einer Situation gegenüber, in der der Erlass nationaler Maßnahmen zur Senkung der hohen Endkundenentgelte für gemeinschaftsweite Roamingdienste mit Hilfe von Regeln für die Festsetzung der Endkundenentgelte wahrscheinlich erschien." (RNr 45) (Hervorhebung hinzugefügt)
    Der EuGH kommt daher zum Ergebnis, dass "in Anbetracht der Funktionsweise der Roamingmärkte [...] und angesichts der erheblichen Wechselwirkungen zwischen den Endkunden- und den Großkundenentgelten für Roamingdienste [...] eine heterogene Entwicklung nationaler Rechtsvorschriften, die nur auf die Senkung der Endkundenentgelte zielen, ohne gleichzeitig die mit der Erbringung gemeinschaftsweiter Roamingdienste verbundenen Großkundenentgelte zu regeln, spürbare Wettbewerbsverzerrungen verursachen und das ordnungsgemäße Funktionieren des Markts für gemeinschaftsweites Roaming empfindlich stören [hätte] können. In einer solchen Situation war der Gemeinschaftsgesetzgeber berechtigt, das in Randnr. 38 des vorliegenden Urteils festgestellte Ziel der Förderung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts zu verfolgen." (RNr. 47)

    Damit stellt der EuGH ausdrücklich nicht auf bestehende Unterschiede in nationalen Rechtsvorschriften ab, sondern auf die Möglichkeit, dass solche entstehen könnten (einschlägige mitgliedstaatliche Regelungen bestanden ja tatsächlich nicht und meines Erachtens wären solche Regelungen im Hinblick auf den bestehenden Unions-Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste auch nur in sehr begrenzten Umfang möglich gewesen).

    2. Zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Regelung verweist der EuGH zunächst auf das dem Gemeinschaftsgesetzgeber zukommende weite Ermessen (RNr 52) und dessen Pflicht, seine Entscheidung auf objektive Kriterien zu stützen (RNr 53). Er hat verständlicherweise keine Zweifel daran, dass die Festlegung von Höchstgrenzen für Endkundenentgelte zum Schutz gegen überhöhte Entgelte geeignet ist (Rnr 63) und betont zur Erforderlichkeit dieser Maßnahme auch, dass "eine Regulierung nur der Großkundenentgelte keine unmittelbaren und sofortigen Wirkungen zugunsten der Verbraucher hervorgerufen hätte. Vielmehr konnte allein eine Regulierung der Endkundenentgelte ihre Lage unmittelbar verbessern." (RNr 66). Die Schlussfolgerung des EuGH zur Verhältnismäßigkeit:
    "In Anbetracht der Bedeutung schließlich, die dem Ziel des Verbraucherschutzes im Rahmen von Art. 95 Abs. 3 EG zukommt, steht ein Eingriff auf einem dem Wettbewerb unterliegenden Markt, der zeitlich begrenzt ist und die Verbraucher unverzüglich vor überhöhten Entgelten schützt, wie er im Ausgangsverfahren in Rede steht, selbst wenn er möglicherweise negative wirtschaftliche Folgen für einzelne Betreiber hat, in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel." (RNr 69 - Hervorhebung hinzugefügt)
    Aus meiner Sicht bemerkenswert ist, dass der EuGH die zeitliche Begrenzung der Maßnahme in seiner rechtlichen Würdigung sonst nicht aufgreift, also insbesondere auch keinen Hinweis darauf gibt, ab welcher Dauer des Eingriffs allenfalls doch Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit entstehen könnten. Demgegenüber hatte der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen (RNr 42) noch betont: "Sollte der Gemeinschaftsgesetzgeber die zeitliche Geltung der Preiskontrollen ausdehnen oder die Kontrollen dauerhaft machen wollen, müsste auch diese Entscheidung die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit erfüllen und bedürfte zu ihrer Rechtfertigung zusätzlicher Gründe." Die Prüfung durch den EuGH umfasste noch die Stammfassung der Roaming-VO; das Urteil erwähnt die Verlängerung der Geltungsdauer auch nicht. Dennoch deutet meines Erachtens die im Vergleich zu den Schlussanträgen sehr zurückhaltende Erwähnung der zeitlichen Begrenzung im Urteil des EuGH doch darauf hin, dass diesem Aspekt keine tragende Bedeutung zukam und damit wohl auch die verlängerte Gültigkeitsdauer bis 30.06.2012 (noch) kein Problem für die Verhältnismäßigkeit darstellen dürfte.

    3. Das Subsidiaritätsprinzip wird eher knapp abgehandelt: Da erhebliche Wechselwirkungen zwischen den Endkunden- und den Großkundenentgelten für Roamingdienste bestehen, "so dass jede Maßnahme, die nur auf die Senkung der Endkundenentgelte zielt, ohne gleichzeitig die mit der Erbringung gemeinschaftsweiter Roamingdienste verbundenen Großkundenentgelte zu regeln, das ordnungsgemäße Funktionieren des Markts für gemeinschaftsweites Roaming empfindlich hätte stören können", habe das mit der Roaming-VO verfolgte Ziel besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.

    Wednesday, June 02, 2010

    Streisand-Effekt im Rechtsinformationssystem?

    Wer im Internet Informationen unterdrücken will, lenkt die Aufmerksamkeit erst recht auf sie und sorgt damit unfreiwillig für deren noch stärkere Verbreitung - so etwa kann man den Streisand-Effekt umschreiben, benannt nach dem Versuch Barbra Streisands, ein Foto ihres Hauses per gerichtlicher Anordnung aus dem Netz zu verbannen - was dazu führte, dass das Foto mittlerweile wohl eines der bekanntesten im Internet ist (falls es jemand noch nicht kennen sollte: hier ist es zu sehen, und hier gibt es mehr Informationen zu dem von Streisand angestrengten Prozess).

    Weit weg von solcher Dramatik, aber im Kern nicht unähnlich zeigt sich der Versuch eines österreichischen Telekom-Unternehmens, die Aufnahme eines Beschlusses des Obersten Gerichtshofes in die Entscheidungsdokumentation Justiz - und damit in das frei im Internet zugängliche österreichische Rechtsinformationssystem - zu verhindern. Diesem Unternehmen war in einem Provisorialverfahren verboten worden, "beim Verkauf von Festnetztelefonen (hier: S*****-Telefone), die zu ihren Gunsten voreingestellt sind, den Eindruck zu erwecken, diese Telefone könnten nicht für die Vorauswahl (Preselection) eines anderen Telekom-Anbieters genutzt werden" (Beschluss des OGH vom 14.7.2009, 4 Ob 101/09w).

    OGH-Entscheidungen sind gemäß § 15 OGH-Gesetz "in eine allgemein zugängliche Datenbank (Entscheidungsdokumentation Justiz) aufzunehmen", wobei "Namen, Anschriften und sonstige Orts- und Gebietsbezeichnungen, die Rückschlüsse auf die betreffende Rechtssache zulassen", so zu anonymisieren sind, "dass die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung nicht verloren geht." Das betroffene Unternehmen - das sich mittlerweile mit dem Prozessgegner geeinigt und das Verfahren beendet hatte - war nun besorgt, dass es "wegen des Hinweises auf [seine] marktbeherrschende Stellung trotz der Anonymisierung der Parteibezeichnung für Mitbewerber und Kenner der Telekommunikationsbranche erkennbar" sei. Also ersuchte es, den Beschluss vom 14.7.2009 nicht in die Entscheidungsdokumentation Justiz aufzunehmen. Das gab dem OGH Anlass, sich erstmals ganz grundsätzlich mit der Frage der Anonymisierung und Veröffentlichung solcher im Provisorialverfahren ergangener Beschlüsse in der Entscheidungsdokumentation Justiz zu befassen - mit dem Ergebnis, dass dem Ersuchen des Telekom-Unternehmens nicht nachgekommen wurde. Diese Grundsatzentscheidung (Beschluss vom 8.9.2009, 4 Ob 101/09w) wurde nun natürlich in diversen Fachzeitschriften veröffentlicht und auch kommentiert - was die "Anlassentscheidung", die sonst viel weniger weit wahrgenommen wäre, einem breiteren juristischen Personenkreis bekannt gemacht hat.

    Und so kann nun jedermann nachlesen und sich fragen, ob das betreffende Telekom-Unternehmen tatsächlich im Text des Beschlusses vom 14.7.2009 trotz Anonymisierung erkennbar ist (kleiner Hinweis: im Beschluss steht zB "Die Telekom-Control-Kommission hat mit Bescheid festgestellt, dass die Beklagte über beträchtliche Marktmacht auf dem Markt 'Zugang von Privatkunden zum öffentlichen Telefonnetz (Endkundenmarkt)' verfügt.").