Das Redaktionsgeheimnis ist, so werden Journalisten nicht müde zu betonen, "keineswegs, wie vielfach vermutet, ein Privileg für Journalisten [...], sondern ein Privileg für die Demokratie" (so zB kürzlich Andreas Koller, stv. Chefredaktuer der Salzburger Nachrichten).
Das ist freilich eine etwas verkürzte Darstellung: denn natürlich ist das Redaktionsgeheimnis ein Privileg für Journalisten (worauf nicht nur der englische Begriff "journalist's privilege" hinweist), aber dieses Privileg wird eingeräumt, um die für die demokratische Meinungsbildung essentielle Funktion der Medien als "public watchdog" zu schützen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fasst das zB im Urteil Financial Times (in Absatz 59) so zusammen:
"The Court reiterates that freedom of expression constitutes one of the essential foundations of a democratic society and that, in that context, the safeguards guaranteed to the press are particularly important. Furthermore, protection of journalistic sources is one of the basic conditions for press freedom. Without such protection, sources may be deterred from assisting the press in informing the public on matters of public interest. As a result, the vital 'public watchdog' role of the press may be undermined and the ability of the press to provide accurate and reliable reporting may be adversely affected. Having regard to the importance of the protection of journalistic sources for press freedom in a democratic society and the potentially chilling effect that an order for disclosure of a source has on the exercise of that freedom, such a measure cannot be compatible with Article 10 unless it is justified by an overriding requirement in the public interest [...]"Es trifft im Übrigen auch nicht uneingeschränkt zu, dass das Redaktionsgeheimnis - ich zitiere dazu wieder Andreas Koller - "die Identität von Menschen schützen [soll], die sich zwecks Aufklärung von Missständen an die Medien wenden. Menschen also, die mit ihren Informationen der Gesellschaft einen Dienst erweisen, aber Repressalien zu fürchten haben." (Ähnlich heißt es auch im Einladungsschreiben zur morgigen Fachtagung im Bundesministerium für Justiz: "Das Redaktionsgeheimnis dient dem Schutz von Personen, die Medien unter Zusicherung der Vertraulichkeit Informationen weitergeben.")
Informantenschutz wird durch das Redaktionsgeheimnis nämlich nur indirekt gewährleistet: wenn sich Journalisten entsprechend ihrem Berufsethos gegenüber den Behörden auf das Redaktionsgeheimnis berufen, schützen sie damit auch ihre Informanten. Will sich ein Journalist - aus welchen Gründen auch immer - nicht auf das Redaktionsgeheimnis berufen, oder gibt er seine Quelle absichtlich oder unabsichtlich selbst preis, so ist der Informant - Redaktionsgeheimnis hin oder her - chancenlos. Das Redaktionsgeheimnis sichert keinen Informantenschutz; dazu wären eigene Rechtsvorschriften nötig (siehe etwa für Australien den Whistleblowers Protection Act 1994, dessen Ziel so definiert wird: "to promote the public interest by protecting persons who disclose unlawful, negligent or improper conduct affecting the public sector, danger to public health or safety, danger to the environment"; wie bei den meisten solchen Modellen besteht hier der Schutz nur, wenn sich der whistleblower an eine geeignete öffentliche Einrichtung wendet).
Das Redaktionsgeheimnis ist also tatsächlich ein Privileg für Journalisten, und es schützt deren Informanten nur indirekt und unvollkommen. Dennoch ist es von wesentlicher Bedeutung für die Demokratie, nämlich entsprechend der oben zitierten Rechtsprechung des EGMR zum Schutz der Medien in deren wesentlicher Funktion als "public watchdog".
Redaktionsgeheimnis nur für Profis?
Damit stellt sich aber auch die Frage, wem das Privileg des Redaktionsgeheimnisses einzuräumen ist. In Österreich sind dies nach der einfachgesetzlichen Rechtslage (§ 31 MedienG) "Medieninhaber, Herausgeber, Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes". Aus den Definitionen in § 1 MedienG ergibt sich wiederum, dass Medienmitarbeiter ausschließlich "professionelle Medienmenschen" sind, weil sie die journalistische Tätigkeit "ständig und nicht bloß als wirtschaftlich unbedeutende Nebenbeschäftigung" ausüben müssen.
Medieninhaber ist aber - neben dem klassischen "Medienunternehmer" - seit der MedienG-Novelle 2005 u.a. auch, wer "sonst im Fall eines elektronischen Mediums dessen inhaltliche Gestaltung besorgt und dessen Ausstrahlung, Abrufbarkeit oder Verbreitung entweder besorgt oder veranlasst". Da eine Website nach § 1 Abs 1 Z 5a lit b MedienG ein "periodisches elektronisches Medium" ist, kann sich also auch der Website-Betreiber/Blogger, der die inhaltliche Gestaltung der Website besorgt oder "die grundlegende Richtung" der Website bestimmt (und damit Herausgeber iSd § 1 Abs 1 Z 9 MedienG ist), auf das Redaktionsgeheimnis berufen. Auf eine (haupt)berufliche Tätigkeit kommt es dabei nicht an.
Gastautoren - aber auch bei Gruppenblogs alle weiteren Blogger, die nicht Medieninhaber oder Herausgeber sind - wären damit nicht geschützt. Ähnliches gilt etwa bei den "freien Medien": die unbezahlt oder bloß nebenbei tätigen Mitarbeiter können sich nicht auf das Redaktionsgeheimnis berufen. In der Schweiz - womit ich an meinen Beitrag zur "Alpenfestung"-Causa anschließe - sind übrigens explizit nur "Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, oder ihre Hilfspersonen" durch das Redaktionsgeheimnis privilegiert.
Der EGMR bezieht sich in seiner einschlägigen Rechtsprechung regelmäßig (etwa im Fall Voskuil) auf die Empfehlung des Ministerkomitees vom 8.3.2000, R(2000) 7, "on the right of journalists not to disclose their sources of information". Nach dieser Empfehlung bedeutet der Begriff "Journalist" - für den die dort angesprochenen Rechte gelten sollen - "any natural or legal person who is regularly or professionally engaged in the collection and dissemination of information to the public via any means of mass communication" (Hervorhebung hinzugefügt). Auch eine regelmäßige publizistische Tätigkeit, mag sie auch nicht berufsmäßig ausgeübt werden, müsste demnach zum Recht auf Quellenschutz führen.
Sofern ein Medium eine gewisse Mindestöffentlichkeit erreicht und darin über wichtige Angelegenheiten von öffentlichem Interesse berichtet wird, habe ich keinen Zweifel daran, dass der EGMR den Schutz des Redaktionsgeheimnisses auch für regelmäßige, aber nicht erwerbsmäßig tätige Mitarbeiter anerkennen würde.
Schutz auch für NGOs als soziale Wachhunde?
Tatsächlich hat der EGMR in seinem Urteil vom 14.4.2009 (Társaság a Szabadságjogokért, siehe dazu hier) auch schon darauf hingewiesen, dass die Funktion der Presse, ein Forum für die öffentliche Debatte zu schaffen, nicht auf Medien oder professionelle Journalisten beschränkt ist:
"The function of the press includes the creation of forums for public debate. However, the realisation of this function is not limited to the media or professional journalists. In the present case, the preparation of the forum of public debate was conducted by a non-governmental organisation. The purpose of the applicant's activities can therefore be said to have been an essential element of informed public debate. [...] The applicant is an association involved in human rights litigation with various objectives, including the protection of freedom of information. It may therefore be characterised, like the press, as a social 'watchdog' [...]. In these circumstances, the Court is satisfied that its activities warrant similar Convention protection to that afforded to the press." (Hervorhebung hinzugefügt)In diesem Fall ging es um den Zugang zu öffentlichen Informationen, wobei der EGMR das Sammeln von Informationen nicht nur als wesentlichen vorbereitenden Schritt im Journalismus, sondern auch für die Tätigkeit der klagenden zivilgesellschaftlichen Organisation beurteilt; die verfahrensgegenständliche Weigerung des ungarischen Verfassungsgerichtshofs, ein Dokument herauszugeben, stellte damit einen Eingriff in die Informationsfreiheit - ausdrücklich: "a form of censorship" - dar. In diesem Fall vergleicht der EGMR die Funktion der NGO mit der Presse und legt für Eingriffe in das Recht auf Informationszugang denselben strengen Maßstab an; abschließend heißt es in Absatz 38:
"The Court considers that obstacles created in order to hinder access to information of public interest may discourage those working in the media or related fields from pursuing such matters. As a result, they may no longer be able to play their vital role as 'public watchdogs' and their ability to provide accurate and reliable information may be adversely affected (see, mutatis mutandis, Goodwin v. the United Kingdom, judgment of 27 March 1996, Reports 1996-II, p. 500, § 39)." (Hervorhebung hinzugefügt)Es spricht daher vieles dafür, das "Journalistenprivileg" Redaktionsgeheimnis im Licht der Rechtsprechung des EGMR nicht auf professionelle Journalisten beschränkt zu verstehen, sondern den Quellenschutz - wenn es um Angelegenheiten von öffentlichem Interesse geht - auch zivilgesellschaftlichen Organisationen (man denke etwa an Umwelt- oder Menschenrechtsorganisationen) einzuräumen.
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