Wednesday, November 24, 2010

Presserat neu: Selbstregulierung, falls sich die Gegenseite unterwirft

Es gibt viele gute Argumente für Medienselbstregulierung, im Speziellen auch für die (Wieder-)Errichtung eines österreichischen Presserats. Daher kann man dem neuen Presserat, der nun - nach vielen folgenlos gebliebenen Ankündigungen - vielleicht tatsächlich tätig wird, nur viel Erfolg wünschen (heute ist endlich auch die Website, die seit etwa zwei bis drei Monaten "demnächst online" war, wirklich online gegangen). Am Engagement und an der Fachkunde der handelnden Personen, vom Geschäftsführer bis zu den Senatsmitgliedern, ist nicht zu zweifeln, und es wird wohl auch nicht schaden, dass der Altersschnitt der Senatsmitglieder nicht an die 75-Jahre-Grenze wie bei den drei Ombudsleuten herankommt. Dennoch gibt es ein grundlegendes Strukturproblem, das ich mit einem Vergleich illustrieren möchte:
Nehmen wir an, Sie seien als Fußgänger von einem LKW angefahren und verletzt worden.
Wie attraktiv wäre es, sich unter Verzicht auf die gerichtliche Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen einem Schiedsgericht zu unterwerfen, das gemeinsam von den Interessenvertretungen der Frächter und der LKW-Fahrer eingerichtet wurde, kein Schmerzengeld zusprechen kann und in dem 6 der 7 Mitglieder hauptberufliche LKW-Fahrer sein müssen?
Ungefähr so attraktiv ist - für Geschädigte - der neue österreichische Presserat.
Dessen Trägerverein ("Verein zur Selbstkontrolle der österreichischen Presse - Österreichischer Presserat") wird im Wesentlichen von Verlegern und Journalistengewerkschaft getragen (genauer hier); die zwei Senate bestehen aus jeweils sieben Mitgliedern, von denen sechs Journalisten im Sinne des Journalistengesetzes (siehe § 1 und § 16 JournalistenG) sein müssen (meines Erachtens bedeutet dies übrigens auch, dass hauptberuflich im PR-Bereich oder einer Pressestelle Tätige nicht Mitglied eines Senats sein können). Die Durchführung des ordentlichen Beschwerdeverfahrens ist nach § 11 Abs 1 der Verfahrensordnung nur zulässig, "wenn Beschwerdeführer und Beschwerdegegner sich durch Abschluss einer Vereinbarung hinsichtlich der beschwerdegegenständlichen Veröffentlichung oder des beschwerdegegenständlichen Verhaltens unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges ausschließlich der Entscheidung des Österreichischen Presserates unterwerfen und der Beschwerdeführer auf die Anrufung der Gerichte/Behörden verzichtet."

Entscheidungsgrundlage des Presserats ist nach der von den Beschwerdeführern zu unterzeichnenden Schiedsvereinbarung ausschließlich der "Ehrenkodex für die Österreichische Presse", der laut Website des Presserats vom "Österreichischen Presserat" aufgestellt wurde. Unklar ist, ob damit tatsächlich der nunmehrige "Verein zur Selbstkontrolle der österreichischen Presse - Österreichischer Presserat" gemeint sein soll, oder nicht doch dessen Vorgängereinrichtung, zumal sich der nun publizierte Ehrenkodex nur in der aktualisierten Rechtschreibung vom alten "Ehrenkodex" (Stand 21.1.1999) unterscheidet. Dieser Kodex wurde von Walter Berka vor rund einem Jahr übrigens sehr zutreffend als "Ansammlung von mehr oder weniger pathetisch formulierten Gemeinplätzen ohne regulierende Kraft" bezeichnet (siehe dazu hier).

Und wie kann das so eingerichtete Schiedsgericht entscheiden? Wenn die Beschwerde nicht zurück- oder abgewiesen wird (näher dazu § 14 der Verfahrensordnung), kann der Presserat in freier Würdigung des Sachverhalts feststellen, dass "durch die inkriminierte Veröffentlichung oder das inkriminierte Verhalten Berufspflichten der Presse und/oder die Grundsätze für die publizistische Arbeit verletzt und dadurch der Beschwerdeführer in schutzwürdigen Rechten verletzt worden ist" und in diesem Fall auch - auf Antrag des Beschwerdeführers - auf Veröffentlichung der Entscheidung im Medium des Beschwerdegegners erkennen; dabei kann er einen Veröffentlichungstext vorgeben, der auch zusammengefasst den Sachverhalt und die wesentliche Begründung enthalten kann. In der Schiedsvereinbarung wird das dankenswerter Weise verdeutlicht, dort heißt es "Bei einer erfolgreichen Beschwerde vor dem Österreichischen Presserat ist als Sanktion für den Beschwerdegegner ausschließlich die Veröffentlichung der Entscheidung vorgesehen".

Das heißt: wer den Presserat anruft, verzichtet nicht nur auf den ordentlichen Rechtsweg und unterwirft sich einem Schiedsgericht, in dem sechs von sieben Mitgliedern Journalisten sind, er verzichtet damit auch auf etwaige Entschädigungsansprüche (zB nach den §§ 6, 7, 7a, 7b oder 7c MedienG). Ob das durch die mögliche Veröffentlichung aufgewogen wird? Zudem muss man berücksichtigen, dass - wie in Schiedsverfahren üblich - auch eine Kostenentscheidung zu treffen ist, der Beschwerdeführer also nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere im Fall des Unterliegens, zum Kostenersatz verpflichtet werden kann (die Verfahrensordnung sieht eine "analoge Anwendung" des § 609 ZPO vor, der freilich kraft Schiedsvereinbarung und mangels abweichender Vereinbarung nicht bloß analog, sondern direkt anzuwenden ist).
 
Was sind also die Vorteile einer Anrufung des Presserats?
In einem Gespräch am Rande der Fachtagung vor zwei Wochen - in der übrigens von mehreren Teilnehmern massive und grundsätzliche Kritik an dem verlangten Rechtsverzicht der Beschwerdeführer geübt wurde - haben der Obmann des Trägervereins und der Geschäftsführer des Presserats im Wesentlichen auf drei Umstände hingewiesen:
  • die adäquate "Wiedergutmachung" (im Sinne einer restitutio in integrum), mit anderen Worten: was durch eine Veröffentlichung angerichtet wurde, soll durch eine gegenteilige Veröffentlichung wieder gut gemacht werden (dazu gäbe es natürlich auch das Gegendarstellungsrecht, aber das ist wohl tatsächlich deutlich weniger flexibel und deckt nicht alle denkbaren Fälle ab)
  • die Verbindlichkeit: Beschwerdeführer haben einen Rechtsanspruch auf Veröffentlichung (das heißt: wenn der Presserat darauf erkennt) - das könnte man auch einfacher haben: nämlich durch eine einseitige Selbstverpflichtungserklärung, wie sie an sich dem typischen Modell einer Selbstregulierung entpricht
  • die höhere Anerkennung in der Branche, oder: Journalisten lassen sich nur von anderen Journalisten etwas sagen - da kann schon etwas dran sein, aber ob sich alle von einer Entscheidung des Presserates möglicherweise betroffenen Journalisten von den auserwählten Senatsmitgliedern des Presserates wirklich beeindrucken lassen?
Ergänzend muss man vielleicht noch darauf hinweisen, dass in der Regel vor dem ordentlichen Verfahren ein Vermittlungsversuch durch die "Ombudsleute" des Presserats erfolgt; dazu muss noch keine Schiedsvereinbarung unterzeichnet sein, weder durch den Beschwerdeführer noch den Medieninhaber - auch die Beschwerde des Rechnungshofpräsidenten gegen die Zeitung "Österreich" kann daher in diesem unverbindlichen Stadium einmal behandelt werden - ob die beiden Kontrahenten die Schiedsvereinbarung unterzeichnen, bleibt abzuwarten.

Überhaupt fällt auf der Website des Presserats auf, dass es keine Liste jener Medien gibt, die eine schriftliche Erklärung im Sinne des § 11 Abs 4 der Verfahrensordnung abgegeben haben, nach der sie generell und im Vorhinein den Abschluss von Schiedsvereinbarungen anbieten.

Wenn sich ein Medium nicht unterwerfen mag, kann der Presserat auch ein amtswegiges Verfahren durchführen, das allerdings ebenfalls einen gravierenden Mangel hat: der Presserat kann das Medium nicht zur Veröffentlichung verpflichten und darf außer dem betroffenen Medium auch niemanden sonst (auch nicht einen allfälligen "Anreger") vom Ergebnis informieren (§ 20 der Verfahrensordnung); auch die Senatsmitglieder sind zur Verschwiegenheit verpflichtet (§ 8 Abs 2 der Verfahrensordnung). 

Noch eine kleine Anmerkung zur Schiedsvereinbarung:
Ob - für Verfahren zwischen Unternehmern und Verbrauchern (Geschädigte werden häufig Verbraucher im Sinne des KSchG sein) - die Schiedsvereinbarung den Anforderungen des § 617 ZPO genügt, scheint meines Erachtens schon deshalb fraglich, weil der Sitz des Schiedsgerichts nicht festgelegt ist (übrigens auch nicht in der Verfahrensordnung!); zudem enthält die Vereinbarung zwar eine Belehrung darüber, was "Verzicht auf eine Anrufung der staatlichen Gerichte/Behörden" bedeutet, aber § 617 Abs 3 ZPO verlangt "eine schriftliche Rechtsbelehrung über die wesentlichen Unterschiede zwischen einem Schiedsverfahren und einem Gerichtsverfahren". Das sind Kleinigkeiten, die rasch behoben werden können - das grundsätzliche Problem kann aber auch mit einem neuen Formular nicht gelöst werden. 

PS - zum "Medienrat":
Selbstregulierung bedarf selbstverständlich eines Mindestmaßes an Ernsthaftigkeit und vor allem an Legitimierung und Anerkennung in der "sich selbst regulierenden" Branche, damit sie auch nur ansatzweise wirksam werden kann. Abseits dessen bleibt freilich auch Platz genug für ein wenig irrlichternd wirkende Einrichtungen wie den sogenannten "österreichischen Medienrat", der nach eineinhalb Jahren großartig eine erste Entscheidung verkündet hat (die Auslöser dieser Entscheidung schreiben darüber hier und hier).

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