Wednesday, September 21, 2016

Roaming - die unendliche Geschichte: ein neuer Entwurf für die Durchführungsverordnung

Heute hat die Kommission über einen neuen Vorschlag für die Durchführungsverordnung zu Art. 6b und 6c Roaming-Verordnung beraten (der erste, zurückgezogene Entwurf ist hier; dazu im Blog bisher hier und hier). Vorerst gibt es zum Inhalt des neuen Vorschlags aber leider nur eine Pressemitteilung sowie einige eher offene Aussagen in einer Pressekonferenz der Kommission mit den Kommissaren Ansip und Oettinger. Was kann man nach diesen Informationen zu der neuen Regelung sagen, die nun - wieder einmal endgültig und jetzt aber wirklich - das Ende von Roamingzuschlägen bringen soll?

Vorweg: Die neue Regelung kann jedenfalls nicht das vollständige Ende von Roamingzuschlägen bringen, denn es handelt sich nur um eine Durchführungsverordnung zur Roaming-VO. Zwar wurde die Richtung zur Abschaffung der Roamingzuschläge schon in der letzten Änderung der Roaming-VO (siehe dort Art. 6a - 6e) grundsätzlich vorgegeben. Allerdings werden die Roaminganbieter weiterhin das Recht haben, "eine Regelung der angemessenen Nutzung ('Fair Use Policy')" anzuwenden, um eine zweckwidrige oder missbräuchliche Nutzung zu vermeiden. Als beispiel für eine solche missbräuchliche Nutzung ist dabei ausdrücklich die Nutzung "für andere Zwecke als vorübergehende Reisen" angeführt.

Die Durchführungsverordnung der Kommission kann das nicht ändern; sie soll vielmehr - um eine kohärente Anwendung sicherzustellen - "detaillierte Durchführungsvorschriften über die Anwendung der Regelung" enthalten, also etwa den Rahmen abstecken, den "fair use"-Klauseln der Betreiber nicht überschreiten dürfen. Dabei muss sie nach Art 6d der Roaming-VO auch einige Umstände berücksichtigen, nämlich
  • die Entwicklung der Preise und des Nutzungsverhaltens in den Mitgliedstaaten;
  • den Grad an Konvergenz der Inlandspreisniveaus für die gesamte Union;
  • die Reisemuster in der Union;
  • erkennbare Gefahren von Wettbewerbsverzerrungen und für Investitionsanreize im inländischen und im besuchten Markt
Im ersten Entwurf versuchte es die Kommission im Wesentlichen mit tageweisen Begrenzungen: 30 Tage zuschlagsfrei roamen auf einmal, 90 Tage in einem Jahr. Das war Juncker zu wenig, und in seiner "State of the Union" ansprache sagte er, dass die Abschaffung der Roamingzuschläge ein Versprechen gewesen wäre, das eingehalten werde: "Not just for business travellers who go abroad for two days. Not only for the holiday maker who spends two weeks in the sun. But for our cross-border workers. And for the millions of Erasmus students who spend their studies abroad for one or two semesters."

Anknüpfungspunkt: Wohnsitz
Mit dieser politischen Vorgabe mussten die zuständigen Kommissare also irgendwie umgehen. Und wenn es nach der Pressemitteilung geht, haben sie es sich (im Grundsatz) recht einfach gemacht: demnach soll nämlich die Zeitbeschränkung für das zuschlagsfreie Roamen einfach fallen. Neuer Ausgangspunkt soll der Wohnsitz oder ein anderer stabiler Anknüpfungspunkt ("stable link") in einem Mitgliedstaat sein. Wer einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, soll also so lange und so oft er/sie will in anderen Mitgliedstaaten zuschlagsfrei roamen können.

Damit könnte die Kommission die allerwichtigsten Zielgruppen für den "Verkauf" dieses Projekts (Europaabgeordnete und JournalistInnen, und ein wenig natürlich auch sich selbst und ihre MitarbeiterInnen) zufrieden stellen, denn diese könnten mit ihrem Vertrag mit dem Heimanbieter auch in Brüssel/Straßburg und sonst auf ihren Reisen in der EU zuschlagsfrei telefonieren und surfen (den Zusammenhang zwischen dem "kostenlosen" Roaming im EU-Ausland und den Kostensteigerungen im Inland werden jene, die nicht oder nicht so oft ins Ausland fahren, ohnehin nicht herstellen). Auch die Erasmus-Studierenden sollten damit noch erfasst werden können, wenn sie ihren Anknüpfungspunkt im Heimmitgliedstaat nicht aufgehen.

Weil es aber noch Raum für "fair use"-Klauseln geben muss, weil die Durchführungsverordnung sonst ganz offensichtlich nicht von der Roaming-VO gedeckt wäre, lässt die Kommission großzügig eine Art Missbrauchs-Kontrollsystem zu, das die Betreiber einrichten können. Als Missbrauchs-Indikatoren nennt die Pressemitteilung
  • unwesentlicher Verkehr im Heimmarkt verglichen mit dem Roaming-Verkehr [das würde freilich auf Erasmus-Studierende jedenfalls zutreffen!]
  • lange Inaktivität einer SIM-Card und Verwendung hauptsächlich oder ausschließlich beim Roaming
  • aufeinanderfolgende Verwendung mehrerer SIM-Karten durch den selben Kunden beim Roaming
In solchen Fällen soll ein Warnverpflichtung (wohl SMS oder Mail) der Betreiber bestehen, und erst danach sollen Zuschläge verrechnet werden können. Für Beschwerden muss ein internes Beschwerdemanagement beim Betreiber eingerichtet werden, wenn der Fall dabei nicht gelöst werden kann, soll ein Beschwerderecht an die Regulierungsbehörde bestehen, die den Fall entscheiden soll (ich gehe davon aus, dass das eine bindende Entscheidung sein soll - in Österreich also mit Bescheid - aber da der Text noch nicht vorliegt, lässt sich noch keine endgültige Aussage treffen; Update 27.09.2016: nach dem nun veröffentlichten Text des Entwurfs gehtes nur um die nicht-bindende außergeichtliche Streitbeilegung im Sinne des Art 34 RahmenRL). Auf jeden Fall schiebt die Kommission wieder einigen Implementierungsaufwand zu den Betreibern und zu den nationalen Regulierungsbehörden.

Ich bin jedenfalls auf zwei Sachen gespannt:
  • Erstens, ob der Entwurf die erforderliche Mehrheit im Kommunikationsausschuss (also bei den Vertretern der Mitgliedstaaten) erhält. Wenn nicht, kann die Kommission wieder einmal die Schuld auf die Mitgliedstaaten schieben, darin hat sie einige Übung, gerade beim Roaming. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass die Kommission - den realen medialen Machtverhältnissen in der Roaming-Geschichte entsprechend - den Entwurf zunächst den Parlamentariern präsentiert, die dazu in formeller Hinsicht nichts zu sagen haben (oder fast nichts: siehe näher dazu hier, am Ende; das EP kann lediglich "jederzeit darauf hinweisen," dass der Entwurf seines Erachtens "die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse überschreitet).
  • Zweitens, ob der Entwurf, wenn er denn in dieser Art beschlossen werden sollte, den Test beim EuGH besteht. Ich gehe davon aus, dass einzelne Betreiber die Durchführungsverordnung nicht kommentarlos zur Kenntnis nehmen werden und letztlich der EuGH zu entscheiden haben wird, ob die Regelung in der Durchführungsverordnung die Befugnisse der Kommission, wie sie ihr in Art. 6d der Roaming-VO eingeräumt wurden, überschreitet.
Und natürlich bin ich auf auf den tatsächlichen Text gespannt, den die Kommission offenbar gerade erst fertigstellt.
Update 21.09.2016, 16.30 Uhr: politico hat einen geleakten Text der überarbeiteten Durchführungsverordnung ins Netz gestellt; ich kann nicht beurteilen, ob das schon die Endfassung ist, aber Art. 3 und 4 dürften dem entsprechen, was in der Pressemitteilung steht). Update 22.09.2016: heute hat die Kommission auch ein "Fact Sheet" mit "Questions and Answers" veröffentlicht, den vollen Text allerdings noch immer nicht.
Update 27.09.2016: gestern hat die Kommission nun den neuen Entwurf veröffentlicht, gegenüber der von polititco geleakten Variante sind noch ein paar kosmetische Korrekturen im Hinblick auf den Datenschutz eingefügt worden (insbesondere in Erwägungsgrund 10, ein paar Worte auch in Art. 4 Abs. 2). Mehr zum neuen Entwurf der Kommission hier im Blog.

Das Ende der Roaming-Geschichte ist damit sicher nicht erreicht. Mit den rein politisch/populistisch motivierten Versuchen, mit der Durchführungsverordnung sozusagen mehr aus der Roaming-Verordnung herauszuholen, als damals beschlossen wurde, macht sich die Kommission jedenfalls rechtlich stärker angreifbar. Andererseits ist es auch interessant zu sehen, wie die Kommission jetzt eingeholt wird von den medial leichthin gegebenen Versprechungen zu den Roamingentgelte abzuschaffen, die sich eben nicht immer daran orientierten, was der europäische Gesetzgeber beschlossen hatte.

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PS: der nächste Fall, in dem man eine ähnliche Diskrepanz zwischen Versprechungen und Gesetzestext und die daraus entstehenden Verwicklungen beobachten wird können, steht übrigens auch schon an: in seiner "State of the Union"-Ansprache vergangene Woche kündigte Juncker nämlich auch Folgendes an: "we propose today to equip every European village and every city with free wireless internet access around the main centres of public life by 2020." Der Verordnungsvorschlag der Kommission, mit dem dieses Ziel erreicht werden soll, ist freilich schon etwas weniger ambitioniert, auch wenn er von den Kommissions-Dienststellen unter dem Schlagwort "Freies Wi-Fi für Europa" kommuniziert wird.

Ich habe zu den von der Kommission vergangene Woche präsentierten Vorschlägen für einen "Recast" des Rechtsrahmens für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (sowie zu den Vorschlägen für die "Wifi4EU"-Verordnung und die BEREC-Verordnung) noch nichts geschrieben. Hier vorerst nur einmal Links zu den Entwürfen (die Texte liegen noch nicht auf deutsch vor):
Eine (übersichtlichere) Zusammenstellung der Dokumente findet sich auch bei T-Regs.

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