Friday, September 09, 2016

Roaming: der Kommissionsrückzieher bei der Durchführungs-Verordnung und die Folgen

Auf Weisung des Kommissionspräsidenten haben die Kommissionsdienststellen heute den erst vor vier Tagen veröffentlichten Entwurf für die Durchführungs-Verordnung zur Roaming-Verordnung (im Blog dazu ausführlich hier) zurückgezogen. Update 21.09.2016: zum neuen Entwurf der Verordnung im Blog hierUpdate 27.09.2016: mehr zum neuen Entwurf der Kommission hier im Blog.

Auf der Kommissions-Website findet sich dazu eine dürre Notiz, an der vor allem bemerkenswert ist, dass so ausdrücklich auf die Weisung des Kommissionspräsidenten verwiesen wird - was man entweder als klare Distanzierung der zuständigen Generaldirektion vom Vorgehen des Kommissionspräsidenten sehen kann, oder als Versuch, ihm die Lorbeeren für diese heldenhafte Tat zukommen zu lassen. Da die Tat nicht wirklich heldenhaft ist (sondern ein Einknicken aufgrund populistischer Forderungen vor allem von Abgeordneten, die sich an den von ihnen selbst beschlossenen Verordnungstext nicht mehr erinnern wollen), tendiere ich eher zur ersten Sichtweise.

Die Kommissionsdienststellen werden jedenfalls nicht erfreut gewesen sein von dieser Weisung von höchster Stelle. Denn nun müssen sie den Verordnungsentwurf überarbeiten, ohne dass sich die Grundlage für die Durchführungs-Verordnung (Art. 6b der Roaming-VO in der Fassung der VO 2015/2120) geändert hätte - und schon der erste Entwurf hat die Grenze des nach Art. 6b der Roaming-VO Machbaren ziemlich ausgereizt (ETNO hat etwa auch die 90 Tage schon als überzogen angesehen). Schlagen sie jetzt 120 oder 180 Tage vor? Was auch immer über die 30/90-Tage des nun zurückgezogenen Entwurfs hinausgeht, wird wohl vor dem EuGH landen - und je mehr diese Werte von den "Reisemustern in der Union" abweichen, desto größer die Bedenken, dass das vor dem EuGH halten kann. Ich kann mir jedenfalls schwer vorstellen, dass eine Regelung, die das "zuschlagsfreie" Roaming für 180 Tage ermöglichen würde, vor dem EuGH Bestand hätte, denn die ganz überwiegende Mehrheit der EU-Bürger_innen hält sich jedenfalls im Jahr nicht so lange in einem anderen EU-Mitgliedstaat auf.

Wie geht es jetzt weiter?
Zunächst einmal kann man davon ausgehen, dass die Kommission nicht schon nächste Woche mit dem überarbeiteten Vorschlag kommen wird (auch wenn laut Kurier ein Kommissionssprecher das für angemessen hielte). Ich kann mir gut vorstellen, dass die Kommission - instruiert vom Kommissionspräsidenten höchstselbst - in drei bis vier Wochen einen im Sinne der Roaming-Kunden großzügigeren Entwurf vorlegen wird (update 15.09.2016: nun heißt es, dass die Kommission ihre Durchführungs-Verordnung zum "fair-use" am 26.09.2016 im Industrie-Ausschuss des Europäischen Parlaments vorstellen soll).

Damit könnte sich die Kommission öffentlich von all denen loben lassen, die sich nun kritisch geäußert haben - und dennoch davon ausgehen, dass der Entwurf nicht umgesetzt wird: denn im Kommunikationsausschuss, dessen Zustimmung erforderlich ist, werden die Mitgliedstaaten wohl kaum einer weitergehenden Regelung zustimmen. Auf diese Weise wäre die natürliche europäische Ordnung wieder hergestellt: aus Brüssel kommt Kritik an den Mitgliedstaaten (die man hier als "Bremser" bei der Abschaffung der Roamingentgelte hinstellen kann), und aus den Mitgliedstaaten kritisiert man dann (etwas unscharf) "Brüssel", weil die Abschaffung der Roamingentgelte nicht schnell genug und nicht umfassend genug erfolgt.

Was, wenn es bis 15. Dezember 2016 keine Durchführungs-Verordnung gibt?
Kommt es im Kommunikationsausschuss zu längeren Diskussionen oder gibt es - wie gerade als möglich beschrieben - in diesem Ausschuss keine Zustimmung zum Entwurf der Durchführungs-Verordnung, dann wird sich eine Kundmachung bis zu dem in Art. 6d der Roaming-VO vorgesehenen Zeitpunkt (15.12.2016) nicht mehr ausgehen. Rechtsfolgen für diesen Fall sind in der Roaming-VO nicht vorgesehen.

Insbesondere ändert eine Verzögerung bei der Erlassung der Durchführungs-Verordnung nichts an der in Art. 6b der Roaming-VO den Anbietern eingeräumten Möglichkeit, eine "Regelung der angemessenen Nutzung ('Fair Use Policy') für die Inanspruchnahme regulierter Roamingdienste auf Endkundenebene" anzuwenden, "um eine zweckwidrige oder missbräuchliche Nutzung [...] zu vermeiden, wie etwa die Nutzung [...] für andere Zwecke als vorübergehende Reisen." Damit könnte jeder Roaminganbieter also einmal selbst festlegen, was er als "fair use"-Grenze ansieht, und die nationalen Regulierungsbehörden (und die Endkunden) müssten das gegebenenfalls mit dem Anbieter ausstreiten.

PS/Update 12.09.2016: siehe zur Zurückziehung des Entwurfs durch die Kommission und wie es dazu kam auch den Bericht auf politico.eu vom 11.09.2016; Zitat daraus zur Reaktion der EP-Abgeordneten auf den Entwurf der Durchführungs-VO: "MEPs reacted with a roar, appearing to have forgotten that they voted to include a fair-use clause less than a year ago. 'MEPs, as usual, have not really read what they passed,' said one source in the Parliament."
(Update 14.09.2016) Und falls jemand ein besonders feines Beispiel für diese Vergessenskultur von MEPs sucht: MEP Constanze Krehl schreibt auf EurActiv, dass "sich das Europäische Parlament bereits Ende 2015 deutlich für eine Ende der Roaminggebühren innerhalb der EU ausgesprochen" habe - was freilich nicht in der diesbezüglichen legislativen Entschließung zum Ausdruck gekommen ist, die das "fair use"-Konzept unter diesem Namen erst in die Diskussion eingeführt hat.

Update 20.09.2016: In seiner "State of the Union Address 2016" am 14.09.2016 hat sich Komissionspräsident Juncker wieder einmal zur politischen Kommission bekannt: "The Commission has to take responsibility by being political, and not technocratic." In diesem Zusammenhang hat er mit folgenden Worten ausdrücklich die Durchführungs-Verordnung zur Roaming-Verordnung angesprochen:
Being political also means correcting technocratic mistakes immediately when they happen. The Commission, the Parliament and the Council have jointly decided to abolish mobile roaming charges. This is a promise we will deliver. Not just for business travellers who go abroad for two days. Not only for the holiday maker who spends two weeks in the sun. But for our cross-border workers. And for the millions of Erasmus students who spend their studies abroad for one or two semesters. I have therefore withdrawn a draft that a well-meaning official designed over the summer. The draft was not technically wrong. But it missed the point of what was promised. And you will see a new, better draft as of next week. When you roam, it should be like at home.
Wenn Juncker unter "politisch" versteht, dass man es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, die Schuld auf andere abschiebt und gleich wieder etwas verspricht, das man wahrscheinlich nicht wird halten können, dann ist diese Botschaft tatsächlich politisch. denn es gab kein gemeinsames Versprechen, Roamingentgelte abzuschaffen (ohne fair use-Klausel), die Durchführungsverordnung mag zwar von einem Beamten ausgearbeitet worden sein, aber zumindest der zuständige Kommissar muss die Veröffentlichung genehmigt haben, und dass in der kommenden Woche - also bis 23. September 2016 - ein neuer (und besserer) Entwurf vorgelegt wird, ist höchst unrealistisch. (Anmerkung 21.09.2016: beim letzten Punkt habe ich mich zumindest insoweit getäuscht, als heute tatsächlich ein neuer Entwurf - ausschließlich mit Pressemitteilung und Pressekonferenz, aber noch nicht mit dem Text - präsentiert wurde, ob er besser ist, will ich jetzt noch nicht beantworten; mehr dazu hier)

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