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Wie sehen die von der Kommission geplanten "Durchführungsvorschriften über die Anwendung der Regelung der angemessenen Nutzung" nun aus?
Art. 3 des Entwurfs legt das "Grundprinzip" fest: Roaminganbieter müssen demnach "regulierte Roamingdienste" (also zuschlagsfreies Roaming) ihren KundInnen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Mitgliedstaat dieses Roaminganbieters oder stabile Anknüpfungspunkte in diesem Mitgliedstaat haben, während vorübergehender Reisen gewähren.
Damit versucht der Entwurf eine Quadratur des Kreises: einerseits soll die Anknüpfung an die Roaming-Verordnung nicht wegfallen, die ja generell "fair use"-Klauseln von Anbietern zulässt, mit denen zuschlagsfreies Roaming außerhalb von vorübergehenden Reisen verhindert werden kann. Andererseits aber soll der Eindruck erweckt werden, als komme es nur darauf an, dass man einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat nachweist, um in den Genuss zuschlagsfreien Roamings zu kommen, wie lang auch immer man sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhält.
Der Entwurf der Durchführungsverordnung macht das recht trickreich: was eine "Fair Use"-Policy ist (oder wie sie näher ausschauen kann), wird nämlich gar nicht mehr definiert. Stattdessen regelt Art. 3 zunächst nur ein nichtssagendes "Grundprinzip", das sich hinsichtlich der "vorübergehenden Reisen" an den Wortlaut der Roaming-VO anlehnt. Der mit "Fair use" überschriebene Art. 4 legt wiederum nur fest, welche Daten der Roaminganbieter von seinen KundInnen zum Zweck seiner "Fair use"-Policy (jedenfalls) sammeln darf, und erlaubt es dem Anbieter, "verhältnismäßige Kontrollmechanismen" einzuführen, die auf objektiven Indikatoren für missbräuchliche oder anormale Roaming-Nutzung "außerhalb vorübergehender Reisen in der Union" hinweisen. (Art. 5 regelt Transparenzverpflichtungen der Anbieter sowie die Überwachung durch die Regulierungsbehörde).
All das ändert allerdings nichts daran, dass das zuschlagsfreie Roaming aufgrund des Art. 6b der Roaming-VO im Rahmen einer "Fair Use-Policy" auf vorübergehende Reisen in der Union beschränkt werden kann.
90 Tage-Beschränkung in "Fair Use"-Policy eines Roaminganbieters weiter möglich?
Legt man nun den Entwurf der Durchführungsverordnung (was man tun muss) so aus, dass er mit der Roaming-Verordnung vereinbar bleibt, so steht er meines Erachtens einer "Fair Use"-Policy eines Roaminganbieters nicht entgegen, nach der zuschlagsfreies Roaming über das Jahr verteilt nur an (zB) 90 Tagen möglich wäre.
Daran ändern weder die in Art. 4 Abs. 2 des Entwurfs der Durchführungsverordnung vorgesehenen Indikatoren für missbräuchliche Nutzung etwas, noch die Erläuterungen in Erwägungsgrund 10, was alles als stabiler Anknüpfungspunkt ("stable link") angesehen werden kann. Denn das alles gilt nur für das zuschlagsfreie Roamen während vorübergehender Reisen ("while they are perodically travelling in the Union", so ausdrücklich eben auch Art. 3 Abs. 1 des Entwurfs der Durchführungsverordnung).
Ich verstehe den Entwurf so, dass die Kommission damit den Eindruck erwecken will, dass zuschlagsfreies Roaming tatsächlich nur dann eingeschränkt werden kann, wenn die in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Durchführungsverordnung genannten Missbrauchsindikatoren vorliegen.
Nicht nur die KundInnen der Roaminganbieter und - besonders wichtig für die Kommission - die MeinungsbildnerInnen in den Medien und im Europaparlament sollen das glauben, sondern auch die Roaminganbieter selbst; denn diese sollen durch den Entwurf und die begleitende Medienarbeit in eine Situation gebracht werden, in der sie mehr oder weniger freiwillig auf einschränkendere, aber mit der Roaming-Verordnung noch vereinbare "Fair Use"-Regeln verzichten, weil dadurch in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen könnte, dass sie sich nicht an die Durchführungsverordnung hielten. Mit der offenen Formulierung der Durchführungsverordnung, die solche einschränkenderen "Fair Use"-Regeln aber noch zuließe, minimiert die Kommission wiederum das Risiko, dass der EuGH die Durchführungsverordnung für nichtig erklären könnte. Das ist sehr politisch gestrickt, aber die Juncker-Kommission sieht sich ja explizit als eine politische, nicht bloß technokratische Kommission.
Datenschutz: ein Nonsene-Erwägungsgrund zur Beruhigung
Wollen die Roaminganbieter in ihren "Fair Use-"Regeln, wie ihnen das die Kommission nahelegt, auf Wohnsitz/stabilen Anknüpfungspunkt und die in Art. 4 Abs. 2 genannten Missbrauchsindikatoren abstellen, dann erfordert das natürlich das Erheben und Verarbeiten von Daten, die sonst nicht notwendigerweise anfallen. Dass all das in Übereinstimmung mit den entsprechenden Richtlinien bzw. (in Hinkunft) mit der Datenschutz-Grundverordnung zu geschehen hat (was sonst?), wurde nun auch noch in den Entwurf aufgenommen.
Überdies klopft sich der Entwurf in einer besonders sinnlosen Textpassage (Erwägungsgrund 34) gewissermaßen selbst auf die Schulter und stellt fest, dass diese Verordnung die Grundrechte respektiert und in Übereinstimmung mit den Grundrechten ausgelegt werden muss. Wann immer solche Selbstverständlichkeiten betont werden, heißt es misstrauisch sein (stellen wir uns das Gegenteil vor: einen Entwurf, in dem steht, dass er Grundrechte verletzt und im Zweifel auch so auszulegen ist, dass Grundrechte verletzt werden: wenn das nicht denkbar ist, welchen Mehrwert bringt dann die gegenteilige Beteuerung? Eben: keinen).
Zielgruppe Expats und Erasmus-Studierende?
Folgt man den Pressemitteilungen bzw. den "Questions and Answers" der Kommission, dann sollen Expats, die sich häufig in ihrem Heimatland aufhalten, und Teilnehmer am "Erasmus+"-Programm während ihres Aufenthalts im anderen Mitgliedstaat in den Genuss zuschlagsfreien Roamings kommen. Wenn man das so verstehen will (wie es die Kommission auch nahelegt), dass damit "Fair Use"-Klauseln unzulässig wären, die im Fall von Expats oder Erasmus-Studierenden das "roam like home" nicht während des gesamten Aufenthalts im anderen Mitgliedstaat zulassen würden, dann wäre das mit Art. 6b der Roaming-Verordnung nicht vereinbar.
Aber auch nach den von der Kommission selbst aufgestellten Missbrauchsindikatoren würden solche User auffallen, weil sie eben (im Sinn des Art. 4 Abs. 2 lit. a des Entwurfs) nur eine untergeordnete Nutzung im Heimatstaat im Vergleich zum anderen Mitgliedstaat aufweisen würden. Auch der neue Entwurf der Durchführungsverordnung sichert daher - entgegen den Ausführungen der Kommission - nicht das zuschlagsfreie Roamen von Erasmus-Studierenden während ihres Auslandssemesters.
Next steps:
Die Kommission muss jetzt BEREC zum Entwurf anhören und dann muss der Entwurf noch in dem durch Art 22 der RahmenRL eingerichteten, aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehenden Kommunikationsausschuss im "Prüfverfahren" (Art 5 der VO (EU) Nr. 182/2011) eine Mehrheit erreichen. Das Europäische Parlament hat nur ein Informationsrecht, allerdings hat es insofern einen gewissen Hebel, um seine Interessen hier auch einfließen zu lassen, als es derzeit auch über einen Verordnungsentwurf der Kommission für eine Änderung der Roaming-Verordnung (im Hinblick auf den Vorleistungsmarkt) berät.
PS: was in der öffentlichen Diskussion und auch in meinen Blogbeiträgen keine Berücksichtigung findet, sind die im Entwurf der Durchführungsverordnung enthaltenen Regeln für die mögliche Anwendung von Aufschlägen auf Roamingentgelte "bei Vorliegen bestimmter und außergewöhnlicher Umstände" im Sinne des Art. 6c der Roaming-Verordnung. Das ist eigentlich der größere - und juristisch/kostenrechnerisch anspruchsvollere - Teil der Verordnung, allerdings aus österreichischer Sicht voraussichtlich nicht von unmittelbarer Bedeutung; ich gehe hier daher auch nicht näher darauf ein.
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