Aber zur Sache: das Ergebnis überrascht nicht (siehe meinen Beitrag zu den Schlussanträgen vom 22.04.2010 hier; auch bei meinem Vortrag vergangenen August in Salzburg habe ich ein anderes Ergebnis als äußerst unwahrscheinlich bezeichnet). Auch die Länge des Urteils mit über dreihundert Absätzen ist im konkreten Fall angesichts der umfassenden Rechtsrügen - der EuGH betont mehrfach, dass die DTAG "im Wesentlichen Vorbringen vor dem Gericht wiederholt" (zB RN 155) - nicht besonders bemerkenswert und weist weniger auf eine besondere Rechtsfortentwicklung als vielmehr auf ein mühsames Abvotieren aller - sich wiederholenden - Rechtsmittelvorbringen hin. Nach dem Urteil in der Rechtssache C-202/07 P France Télécom SA / Kommission (dazu hier), in dem es um Verdrängungspreise (predatory pricing) ging, liegt aber mit dem heutigen Urteil nun auch zur Preis-Kosten-Schere (margin squeeze) endlich ein Leiturteil des EuGH vor, mit dem die leidige Debatte über das Verhältnis von Wettbewerbs- und Regulierungsrecht im Bereich der Anwendung des bestehenden Rechts endgültig erledigt sein sollte (und im den Bereich der Rechtspolitik, wo sie hingehört, weitergeführt werden kann). Kurz zu den wesentlichen Aspekten des heutigen Urteils:
Der EuGH prüft nicht, ob die Deutsche Telekom bei der Gestaltung der Vorleistungsentgelte (auch hier verwendet der EuGH ein ungewöhnliches Wort: "Zwischenabnehmerentgelte") einen Spielraum hatte, sondern muss - wie schon das EuG - von der Annahme ausgehen, dass ein Handlungsspielraum nicht bestanden habe (RN 42f). Auch die Frage, ob die Kommission parallel oder alternativ zum wettbewerbsrechtlichen Vorgehen gegen die Deutsche Telekom auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen des Verhaltens der Regulierungsbehörde hätte anstrengen können oder sollen, ist nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem EuGH (RN 46f). Der EuGH hält der Deutschen Telekom im Hinblick auf die interessante Behauptung, ihre Vorleistungsentgelte seien zu hoch festgesetzt worden, auch vor, dass sie das in der Klage gegen die Kommissionsentscheidung nicht vorgebracht hatte (RN 48). Auch die Definition der relevanten Märkte und das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung waren unstrittig und können daher vor dem EuGH nicht mehr aufgegriffen werden (RN 52).
Zum Handlungsspielraum der DTAG im Hinblick auf die Endkundentgelte hält der EuGH fest, dass "der bloße Umstand, dass der Rechtsmittelführerin durch die Beteiligung einer nationalen Regulierungsbehörde wie der RegTP Anreiz gegeben wurde, ihre Preisgestaltung, die zu der Beschneidung der Margen gegenüber ihren zumindest ebenso effizienten Wettbewerbern führte, beizubehalten, nicht für sich allein die Verantwortlichkeit der Rechtsmittelführerin nach Art. 82 EG wegfallen lassen" kann (RN 84). Weiter führt der EuGH aus:
"Es ist zwar nicht auszuschließen, dass die nationalen Regulierungsbehörden, wie die Rechtsmittelführerin ausführt, ihrerseits gegen Art. 82 EG in Verbindung mit Art. 10 EG verstoßen haben, so dass die Kommission deswegen gegen den betreffenden Mitgliedstaat hätte Vertragsverletzungsklage erheben können. Doch ist ein solcher Umstand auch für den Handlungsspielraum der Rechtsmittelführerin zur Änderung ihrer Endkundenentgelte für Endkundenzugangsdienste bedeutungslos [...]"Zur zentralen Frage der Missbräuchlichkeit der Preispolitik hält der EuGH fest:
"181 Der bloße Umstand jedoch, dass die Rechtsmittelführerin ihre Endkundenentgelte für Endkundenzugangsdienste anheben müsste, um die Beschneidung der Margen gegenüber Wettbewerbern, die ebenso effizient sind wie sie, zu vermeiden, kann für sich allein nicht dem vom Gericht zur Feststellung eines Missbrauchs nach Art. 82 EG herangezogenen Kriterium seine Stichhaltigkeit nehmen.182 Diese Margenbeschneidung führt nämlich dadurch, dass das Maß des auf dem Markt für Endkundenzugangsdienste herrschenden Wettbewerbs, der gerade durch die Anwesenheit der Rechtsmittelführerin bereits geschwächt ist, weiter verringert und deren beherrschende Stellung damit gestärkt wird, auch zu einer Schädigung der Verbraucher, indem deren Wahlmöglichkeiten und damit die Aussicht, dass die Endkundenentgelte auf längere Sicht wegen des Wettbewerbs durch zumindest ebenso effiziente Wettbewerber auf dem genannten Markt sinken, eingeschränkt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil France Télécom/Kommission, Randnr. 112).183 Unter diesen Umständen hat das Gericht, sofern die Rechtsmittelführerin, wie in den Randnrn. 77 bis 86 des vorliegenden Urteils ausgeführt, über einen Handlungsspielraum zur Verringerung oder Beseitigung einer solchen Margenbeschneidung durch Anhebung ihrer Endkundenentgelte für Endkundenzugangsdienste verfügt, daher zu Recht in den Randnrn. 166 bis 168 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass diese Margenbeschneidung angesichts ihrer möglichen Verdrängungswirkung auf zumindest ebenso effiziente Wettbewerber wie die Rechtsmittelführerin bereits für sich allein einen Missbrauch im Sinne von Art. 82 EG darstellen kann. Das Gericht musste daher nicht zusätzlich feststellen, dass die Zwischenabnehmerentgelte für Vorleistungszugangsdienste bzw. die Endkundenentgelte für Endkundenzugangsdienste bereits für sich allein missbräuchlich waren, da sie zu hoch waren bzw. Verdrängungswirkung hatten."
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