Monday, June 18, 2012

Update zu Vorratsdaten: Irland, Deutschland, Österreich - EuGH und VfGH

Vorabentscheidungsverfahren Digital Rights Ireland
Rund zwei Jahre nachdem der irische High Court entschieden hat, eine Klage der Digital Rights Ireland Limited zur Bekämpfung der Vorratsdatenspeicherung in Irland zuzulassen und in diesem Verfahren eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen (dazu im Blog hier), und fast fünf Monate nach der letzten Verhandlung am High Court, in der die Vorlagefragen angeblich beschlossen wurden, ist nun am 11. Juni 2012 das Verfahren tatsächlich beim EuGH angelangt. In der Rechtssache C-293/12, Digital Rights Ireland, wird der EuGH nun also Fragen zur Gültigkeit der Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten (RL 2006/24/EG) zu entscheiden haben (der genaue Wortlaut der Fragen steht noch nicht auf der Website des EuGH; die Stoßrichtung ergibt sich aber wohl schon aus der vorläufigen Entscheidung des High Court aus dem Mai 2010). [Update 19.06.2012: hier nun der Wortlaut der Vorlagefragen]

Kommission / Deutschland 
Ende Mai hat die Europäische Kommission wie erwartet angekündigt, gegen Deutschland wegen Nichtumsetzung der Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten (RL 2006/24/EG) Klage vor dem EuGH zu erheben und dabei auch die Verhängung von Geldstrafen zu beantragen (Pressemitteilung vom 31.05.2012). Bis die Klage tatsächlich eingebracht ist, dauert es nach der Presseaussendung meist noch ein paar Wochen, und unter Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Fristen ist damit eine Entscheidung noch in diesem Jahr kaum zu erwarten.
Update 18.07.2012: die Klage ist nun beim EuGH anhängig: C-329/12 Kommission / Deutschland.

Rechtlich ist die Sache ziemlich klar: Deutschland kann - nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 02.03.2010, 1BvR 256/08 ua - schließlich schwerlich behaupten, dass die Richtlinie umgesetzt wäre (im Übrigen hat das deutsche Bundesverfassungsgericht nur die deutsche Umsetzung als verfassungswidrig beseitigt und weder ausgesprochen, dass eine verfassungskonforme Umsetzung der Richtlinie in Deutschland nicht möglich wäre, noch Zweifel zur Gültigkeit der Richtlinie gehabt).

In ersten Reaktionen auf die Klagsankündigung erhofften manche Kritiker der Vorratsdatenspeicherung, dass das Vertragsverletzungsverfahren auch die Chance zur Auseinandersetzung mit der Vereinbarkeit der Richtlinie mit der Grundrechtecharta biete. Diese Hoffnung wird in diesem Verfahren nicht erfüllt werden (ganz abgesehen übrigens von der Frage, ob die deutsche Regierung eine solche Auseinandersetzung überhaupt führen wollte). Niemand weiß das besser als Österreich, denn Österreich hat in "seinem" Vertragsverletzungsverfahren immerhin versucht, entsprechende Einwendungen zu erheben. Im Urteil vom 29.07.2010, C-189/09 Kommission/Österreich hat der EuGH dann aber klar die Unterschiede zwischen dem Vertragsverletzungsverfahren (Art 258 und 259 AEUV) und den Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Gesetzgebungsakten bzw der Rechtmäßigkeit von Handlungen oder Unterlassungen der Gemeinschaftsorgane (Art 263 und 265 AEUV) dargelegt:
"Diese Klagemöglichkeiten verfolgen verschiedene Ziele und unterliegen unterschiedlichen Voraussetzungen. Ein Mitgliedstaat kann sich daher mangels einer Vorschrift des EG-Vertrags, die ihn dazu ausdrücklich ermächtigte, zur Verteidigung gegenüber einer auf die Nichtdurchführung einer an ihn gerichteten Richtlinie gestützten Vertragsverletzungsklage nicht mit Erfolg auf die Rechtswidrigkeit dieser Richtlinie berufen ... Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der fragliche Rechtsakt mit besonders schweren und offensichtlichen Fehlern behaftet wäre, so dass er als inexistenter Rechtsakt qualifiziert werden könnte ... Die Republik Österreich hat keine der Richtlinie innewohnenden Fehler und keine konkreten Anhaltspunkte geltend gemacht, die schon die Existenz der Richtlinie in Frage stellen könnten."
Eine Verurteilung Deutschlands im Vertragsverletzungsverfahren ist also weniger eine Frage des Ob als eine Frage des Wann (natürlich gibt es noch viele Wege, verfahrenstaktisch die Situation zu verbessern und Zeit zu gewinnen; am einfachsten wohl, indem der deutsche Gesetzgeber doch noch eine Umsetzung - wie rudimentär auch immer - durchführt und diese dann der Kommission notifiziert; dann müsste wohl ein neues Verfahren im Hinblick auf eine allfällige mangelhafte Umsetzung - und nicht einfach nur wegen der gänzlich fehlenden Umsetzung - eingeleitet werden). Vielleicht kann man die Sache auch so lange hinziehen, bis der EuGH die Gültigkeitsfragen im Verfahren C-293/12 beurteilt hat.

Anfechtungen in Österreich 
Das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Österreich wurde eingestellt (update 22.07.2012: siehe zu einem beim EuG anhängigen Verfahren auf Zugang zu Dokumenten aus diesem Verfahren hier), dafür sind in Österreich derzeit mehrere Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gegen die nationalen Umsetzungsbestimmungen anhängig oder werden noch anhängig gemacht. Zum einen hat die Kärntner Landesregierung einen Gesetzesprüfungsantrag nach Art 140 B-VG eingebracht (Mitteilung im Blog des VfGH; Pressemitteilung des Lands Kärnten). Genauere Informationen dazu, welche konkreten Bestimmungen (des TKG, der StPO?) angefochten werden, wurden bisher - soweit ersichtlich - nicht veröffentlicht. Der Antrag der Kärntner Landesregierung hat den verfahrenstechnisch großen Vorteil, dass es sich nicht um einen "Individualantrag" nach Art 140 Abs 1 letzter Satz B-VG handelt, sodass es daher kaum Probleme mit der Zulässigkeit der Antragstellung als solcher geben kann (Fragen der Zulässigkeit im Hinblick auf die konkret angefochtenen Bestimmungen lassen sich aber sicher finden - die genaue Bezeichnung und Abgrenzung der angefochtenen Bestimmungen ist eine nicht unerhebliche Hürde bei Gesetzesprüfungsanträgen).

Individualantragsteller müssen zunächst vor allem belegen, dass das angefochtene "Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist". Erst wenn das gelungen ist - und auch die anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen (insbesondere ein geeigneter Anfechtungsantrag) - prüft der VfGH die materiellen Rechtsfragen. Am vergangenen Freitag wurde ein von mehr als elftausend Personen gestellter Individualantrag beim VfGH eingebracht (sozusagen ein "Massen-Individualantrag"); auf dem Bild sieht man - aus der Perspektive meines Arbeitsplatzes am Nachbargericht - die InitiatorInnen sowie die in vier Scheibtruhen (dt.: Schubkarren) herangekarrten Unterlagen vor dem Eingang zum VfGH, kurz vor der Abgabe.

Der Antrag wurde schon anlässlich der Einbringung von den InitatorInnen (AK Vorrat) als "erfolgreichste Verfassungsklage der österreichischen Geschichte" bezeichnet. Als Jurist muss ich da natürlich anmerken, dass es
a) keine - in Österreich unbekannte - "Verfassungsklage" ist (übrigens auch keine "Verfassungsbeschwerde", wie auch auf der Website der Initiative zu lesen ist), und
b) der Erfolg eines Antrags in der Regel nicht schon in der Einbringung besteht.
Das wissen die AntragstellerInnen natürlich auch selbst (immerhin sind unter den ErstantragstellerInnen auch Professoren der Rechtswissenschaft und eine Richterin), aber das Wort "Verfassungsklage" ist eben deutlich attraktiver, auch als Domainname, als zB "Individualantrag" (falls wer auf die Idee kommt: die Domain individualantrag.at war soeben noch frei).

Welche Bestimmungen konkret Gegenstand des "Massen-Individualantrags" sind, ist nicht bekannt (die auf der Website der Initiative veröffentlichte Zusammenfassung eines Entwurfs vom 30.03.2012 ist wohl nur als "Vernebelungstaktik" zu verstehen, um "Trittbrettfahrer" - vor denen man sich laut FAQs sorgt - in die Irre zu führen). Update 18.07.2012: der Antrag ist nun auf der "Verfassungsklage"-Website verfügbar.

Ein weiterer Individualantrag wurde vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag angekündigt (wobei ich annehme, dass der Antrag aus verfahrenstechnischen Gründen eher nicht - oder nicht nur - vom ÖRAK, sondern auch von einzelnen AnwältInnen gestellt wird). Michael Seitlinger, vertreten durch Gerald Otto, hat nach einer Meldung auf it-law.at bereits einen Individualantrag eingebracht.

Damit liegen dem VfGH mindestens drei (oder vier) Anträge vor, und es wird spannend, ob und wenn ja wie sich der Gerichtshof mit der Sache befassen wird. Ganz grob auseinanderhalten muss man in diesem Zusammenhang meines Erachtens drei Aspekte:
Kommission / Schweden
Das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Schweden wurde insofern umgestellt, als die Kommission - nach der nunmehr erfolgten Richtlinienumsetzung in Schweden - ankündigte, die Forderung nach Zahlung eines (täglichen) Zwangsgelds zurückzuziehen, gleichzeitig aber die Forderung nach Zahlung eines Pauschalbetrags durch Schweden aufrechtzuerhalten (Rs C-270/11 Kommission/Schweden).

PS: wie die Justizministerinnen Österreichs und Deutschlands aktuell zur Vorratsspeicherung von Daten stehen, kann man hier (Österreich) und hier (Deutschland) nachlesen.

3 comments :

Anonymous said...

Danke für den Text. Zur Position des Justizministeriums (sowie der Regierungsparteien) dürften auch die zur Anfrage gehörenden Wortmeldungen von Interesse sein.

Anonymous said...

Die Individualanträge beim VfGH dürften ziemlich klar unzulässig sein: Die Antragsteller könnten eine Klage auf Löschung nach § 32 DSG 2000 gegen die zur Datenspeicherung verpflichteten Telekommunikationsunternehmen erheben, das ist ein "zumutbarer Umweg".

Avdilj said...

Ich habe leider das Gefühl, dass sich Deutschland nur aus interparteilichem Kalkül gegen die Vorratsdatenregelung der Eu stellt. Es ist einfach ein Thema an dem man sich reiben kann.