Tuesday, July 13, 2010

Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als positive Verpflichtung des Staates nach Art 10 EMRK

Es war Politik des öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalters, für die Regierung unangenehme Themen zu vermeiden und die Vertreter der Regierung wesentlich öfter zu Wort kommen zu lassen als Oppositionspolitiker - die Rede ist natürlich nicht von Österreich (hier hatten zB im ersten Halbjahr 2010 die Regierungsparteien in der Zeit im Bild rund drei Viertel der gesamten Politikerredezeit), sondern von der Republik Moldau. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 17.9.2009, Manole ua gegen Republik Moldau (Appl. no. 13936/02) feststellte, bevorzugte Teleradio Moldova (TRM) systematisch die herrschende Partei und es gab auch keinen Schutz gegen politische Einmischung in redaktionellen Entscheidungen. Dadurch wurden die klagenden (ehemaligen) JournalistInnen von TMR in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt; mit dem heute veröffentlichten weiteren Urteil in dieser Sache wurde den klagenden JournalistInnen jeweils ein Betrag von € 2.000 "just satisfaction" für immaterielle Schäden zugesprochen.

Die heute veröffentlichte Entscheidung über die Entschädigung bietet Anlass, auf die im Urteil vom 17.9.2009 enthaltenen wesentlichen Aussagen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Kontext des Art 10 EMRK hinzuweisen. Bemerkenswert an diesem Urteil ist, dass der EGMR dabei sehr ausführlich die einschlägigen Resolutionen und Empfehlungen des Europarat-Ministerkomitees - insbesondere die Empfehlungen R(96)10 und Rec(2000)23 - zitiert und diese auch als Richtschnur für die Auslegung des Art 10 EMRK im Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk heranzieht. Dabei bezieht sich der EGMR zB ausdrücklich auch darauf, dass es die Europarats-Mitgliedsstaaten unternommen haben, die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter gegenüber politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme zu garantieren (RNr 102 des Urteils). Daraus ergibt sich auch eine positive Verpflichtung des Staates. In RNr 107 fasst der EGMR das wesentliche Ergebnis folgendermaßen zusammen:
"a positive obligation arises under Article 10. The State, as the ultimate guarantor of pluralism, must ensure, through its law and practice, that the public has access through television and radio to impartial and accurate information and a range of opinion and comment, reflecting inter alia the diversity of political outlook within the country and that journalists and other professionals working in the audiovisual media are not prevented from imparting this information and comment. Where the State decides to create a public broadcasting system, the domestic law and practice must guarantee that the system provides a pluralistic audiovisual service. In this connection, the standards relating to public service broadcasting which have been agreed by the Contracting States through the Committee of Ministers of the Council of Europe provide guidance as to the approach which should be taken to interpreting Article 10 in this field."
 PS: ich habe auf meiner Übersichtsseite die jüngsten Urteile des EGMR zu Art 10 EMRK (Juni/Juli 2010) ergänzt.

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