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Friday, April 23, 2010

Sind Standorte von Mobilfunk-Basisstationen als Umweltinformation offenzulegen? UK Supreme Court befasst EuGH

Wo sich die links gezeigte Mobilfunk-Antenne befindet, ist kein großes Geheimnis, da sie von der Straße aus klar und deutlich erkennbar ist (Wien, Berggasse 35). Nicht alle Standorte von Mobilfunk-Basisstationen sind aber so leicht zu finden. Die im Wesentlichen aus Betreiberdaten gespeisten Datenbanken (in Österreich "senderkataster", im UK "sitefinder") geben nur ungefähre Standortdaten an und lassen auch keinen Datenbankzugriff auf alle Standorte zu, da dies von den Betreibern, die die Daten "freiwillig" zur Verfügung stellen, abgelehnt wird. In Großbritannien hat sich daran ein Streit entzündet, da ein Mitarbeiter des schottischen Gesundheitsdienstes, gestützt auf den UK Freedom of Information Act, die Herausgabe des Datenbankbestandes zur Durchführung epidemiologischer Studien verlangte. Ofcom verweigerte die Herausgabe, der Information Commissioner gab dem Antragsteller recht, ebenso das Information Tribunal. Ofcom wandte sich dagegen an den UK Supreme Court.

Für den Supreme Court stellt sich nun eine Frage der Auslegung der UmweltinformationsRL 2003/4/EG, die er an den EuGH herangetragen hat (hier die Vorlageentscheidung des U.K. Supreme Court; beim EuGH ist das Verfahren unter C-71/10 Ofcom anhängig).

Der Supreme Court geht von der Anwendbarkeit der UmweltinformationsRL auf den vorliegenden Fall aus, möchte aber wissen, ob die Ausnahmetatbestände jeweils für sich oder "kumuliert" abzuwägen sind. Der Wortlaut der Vorlagefrage:
"Bedarf es nach der RL 2003/4/EG, wenn eine Behörde über Umweltinformationen verfügt, deren Bekanntgabe auf verschiedene, durch mehrere Ausnahmen geschützte Interessen (vorliegend die durch Art. 4 Abs. 2 Buchst. b geschützten Interessen der öffentlichen Sicherheit und die durch Art. 4 Abs. 2 Buchst. e geschützten Rechte an geistigem Eigentum) gewisse nachteilige Auswirkungen hätte, die aber, bei gesonderter Betrachtung jeder Ausnahme, nicht annähernd stark genug sind, um das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe zurücktreten zu lassen, einer weiteren Prüfung, bei der die verschiedenen von beiden Ausnahmen geschützten Interessen kumuliert und gemeinsam gegen das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe abgewogen werden?"
In Österreich ist die RL 2003/4/EG auf Bundesebene im Umweltinformationsgesetz (UIG) umgesetzt. Die vom UK Supreme Court angesprochenen möglichen Ausnahmen (öffentliche Sicherheit, geistiges Eigentum) finden sich in § 6 Abs 2 Z 1 und 5 UIG). Datenschutzbedenken hat der Supreme Court zutreffend nicht angesprochen, da die "Vertraulichkeit personenbezogener Daten" nach der UmweltinformationsRL nur bei natürlichen Personen eine Ablehnung der Information rechtfertigen könnte (die Betreiber des österreichischen Senderkatasters meinen hingegen, dass "aufgrund von datenschutzrechtlicher Bestimmungen keine Offenlegung der Standortadressen erfolgen" könne - gemeint ist aber wohl auch hier, dass die Betreiber diese Daten nur unter der Bedingung zur Verfügung gestellt haben, dass eine solche Offenlegung nicht erfolgen solle - dies würde aber eher auf Art 4 Abs 2 lit g der RL hinweisen, wonach die Informationen abgelehnt werden könne, "wenn die Bekanntgabe negative Auswirkungen hätte auf die Interessen oder den Schutz einer Person, die die beantragte Information freiwillig zur Verfügung gestellt hat, ohne dazu gesetzlich verpflichtet zu sein oder verpflichtet werden zu können").

Thursday, April 22, 2010

Schlussanträge zum DTAG-Margin Squeeze: nicht ausgeschlossen, dass dt. Behörden ebenfalls gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen haben

Dass das allgemeine Wettbewerbsrecht neben dem sektorspezifischen Regulierungsrecht anzuwenden ist ("Grundsatz der Komplementarität"), wird nur gelegentlich in der Parallelwelt mancher Auftragsgutachter in Zweifel gezogen*). Auf europäischer Ebene gibt es daran nichts zu rütteln, nicht nur nach Auffassung der Kommission (siehe zuletzt etwa diese Rede von Wettbewerbskommissar Almunia), sondern auch der europäischen Gerichte. Die Kommissionsentscheidung zum Magenta Margin Squeeze-Fall der Deutschen Telekom wurde schon vor zwei Jahren vom EuG bestätigt (T-271/03 Deutsche Telekom/Kommission, siehe dazu hier), nun hat im Rechtsmittelverfahren C-280/08 P auch Generalanwalt Mazák seine Schlussanträge erstattet und erwartungsgemäß die Zurückweisung des Rechtsmittels der Deutschen Telekom vorgeschlagen.

Der Generalanwalt setzt sich im Einzelnen mit den von der Deutschen Telekom vorgebrachten Argumenten zur konkreten Beurteilung der Preis-Kosten-Schere auseinander (RNr 42-65), nachdem zunächst (in den RNr 12 bis 41) zur komplementären Anwendbarkeit von Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, der Frage eines allenfalls bestehenden Vertrauensschutzes (im Hinblick auf die Beurteilung durch die Regulierungsbehörde) und der Vorsätzlichkeit/Fahrlässigkeit des Wettbewerbsverstoßes behandelt. Den klaren Schlussfolgerungen des Generalanwalts ist kaum etwas hinzuzufügen; hier ein paar beispielhafte Auszüge:
"Der Umstand, dass die RegTP dem missbräuchlichen Verhalten der Rechtsmittelführerin nicht entgegengetreten ist, mag dieses Verhalten zwar in gewisser Weise veranlasst haben, jedoch entbindet dies allein die Rechtsmittelführerin noch nicht von ihrer Verantwortung aus Art. 82 EG. [...] In Randnr. 113 des angefochtenen Urteils wird zu Recht darauf hingewiesen, dass NRB wie alle staatlichen Organe gehalten sind, die Bestimmungen des EG-Vertrags zu beachten. Entscheidungen der NRB können die Kommission jedoch nicht daran hindern, in der Folgezeit tätig zu werden und nach Maßgabe der VO 17 bzw. jetzt der VO 1/2003 die Einhaltung von Art. 82 EG zu verlangen. [...] Insoweit halte ich es auch nicht für ausgeschlossen, dass die deutschen Behörden ebenfalls gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen haben, wie in Randnr. 265 des angefochtenen Urteils angemerkt wird." (RNr 13)
"[Es] führt doch kein Weg daran vorbei, dass der fragliche regulatorische Rahmen die Wettbewerbsregeln des Vertrags ergänzen und ein wettbewerbliches Umfeld in einem Maße gewährleisten soll, das die Art. 81 EG und 82 EG allein nicht mit derselben Sicherheit erreichen können [...] Art. 81 EG und 82 EG müssen daher als Mindeststandard beachtet werden." (RNr 15)
"Ich halte das von der Kommission in ihren Ausführungen gewählte Bild von den zwei Schranken insoweit für recht anschaulich. Die Regulierung stellt eine der Schranken dar; sie ist beachtet, wenn die Rechtsmittelführerin die Regulierungsvorschriften einhält, und dies ist eine Frage, über die die RegTP [nun Bundesnetzagentur] befindet. Die zweite Schranke besteht in Art. 82 EG, und die gegebenenfalls erforderliche Entscheidung darüber, ob diese zweite Schranke beachtet wurde, fällt in die Zuständigkeit der betreffenden Wettbewerbsbehörde, im vorliegenden Fall der Kommission, und zwar unabhängig von der der RegTP obliegenden Verpflichtung zur Beachtung der Bestimmungen des EG-Vertrags. Auch musste der Rechtsmittelführerin klar sein, dass die Regulierung der Telekommunikation und die Anwendung von Art. 82 EG verschiedene Instrumente sind, selbst wenn beide letztlich der Förderung des Wettbewerbs dienen." (RNr 21)
"Aus den vorstehenden Überlegungen [...] folgt jedoch, dass, wenn Äußerungen der RegTP der Beurteilung durch die Kommission nicht vorgreifen können, sie auch kein berechtigtes Vertrauen der Rechtsmittelführerin darauf begründen können, die Kommission werde der Auffassung der RegTP folgen. Allein dies genügt, um einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes auszuschließen" (RNr 34)
(Hervorhebungen hinzugefügt)
Dazu passend eine aktuelle Ankündigung der österreichischen Regulierungsbehörde: am 19. Mai 2010 findet eine Veranstaltung zum Thema "Margin Squeeze - Fragen aus der Praxis und neue Herausforderungen" statt (Programm); es referieren unter anderem Elfriede Solé (Hofrätin des OGH, Vorsitzende der TKK, und auch Verfasserin des Standardwerks "Das Verfahren vor dem Kartellgericht") und Hanno Wollmann, einer der profiliertesten österreichischen Wettbewerbsrechtler aus der Anwaltschaft.
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*) Bezogen nur auf das nationale Wettbewerbsrecht zuletzt Michael Potacs in seinem hier erwähnten Beitrag in der Zeitschrift Medien und Recht (wie meine im Folgeheft erschienene Replik darauf nicht online verfügbar). Nun hat Potacs auf meine Replik wiederum repliziert (Heft 1/2010); mit seiner Bekämpfung des von ihm zunächst erfundenen "Parallelitätsgrundsatzes" hat er mich freilich noch immer nicht überzeugt. In seiner Replik möglicherweise etwas irreführend scheint mir allerdings, dass er meint, ich hätte die von ihm vertretene Ansicht "als rechtspolitischen Wunsch verständlich" erachtet, sodass "zumindest im Ergebnis eine Einigung erzielt werden kann". Das ist unrichtig: ich habe den Konjunktiv verwendet ("erschiene dies als rechtspolitischer Wunsch verständlich"), um auszudrücken, dass ich seine Auffassung dann verstehen (definitiv nicht: teilen) könnte, wenn man sie als rechtspolitischen Wunsch ansähe. Da ich das jetzt hier klargestellt habe, kann ich mir eine weitere Replik sparen.

Sonderlesehinweis für ORF-Stiftungsräte (und eine Anmerkung zur Inflation guter Ratschläge)

Da man derzeit in den Medien immer wieder liest, dass sich ÖVP und SPÖ nicht auf eine(n) neue(n) Stiftungsratsvorsitzende(n) einigen können (und daher vielleicht sogar ein "unabhängiges" Mitglied den Vorsitz übernehmen könnte), hier ein kleiner Lesehinweis speziell für ORF-Stiftungsräte: § 19 ORF-Gesetz
"§ 19. (1) Die Organe des Österreichischen Rundfunks sind: 
1. der Stiftungsrat,
2. ...
(2) Die Mitglieder der Kollegialorgane gemäß Abs. 1 sind bei der Ausübung ihrer Funktion im Österreichischen Rundfunk an keine Weisungen und Aufträge gebunden; sie haben ausschließlich die sich aus den Gesetzen und der Geschäftsordnung ergebenden Pflichten zu erfüllen.
(3) Die Funktion als Mitglied des Stiftungsrates und des Publikumsrates ist ein Ehrenamt. Die Mitglieder haben Anspruch auf angemessenen Ersatz der angefallenen Kosten.
(4) Sämtliche Mitglieder der Stiftungsorgane sind, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werdenden Umstände der Stiftung und der mit ihr verbundenen Unternehmen verpflichtet. Diese Geheimhaltungsverpflichtung besteht auch nach ihrem Ausscheiden als Mitglied eines Stiftungsorgans fort. Bei Ausscheiden sind alle schriftlichen Unterlagen, welche Angelegenheiten der Stiftung und der mit ihr verbundenen Unternehmen betreffen, an die Stiftung zurückzustellen." (Hervorhebung hinzugefügt)

Erstens sind also, falls das jemand vergessen haben sollte, alle Stiftungsratsmitglieder unabhängig, und zweitens bedeutet die Geheimhaltungspflicht natürlich auch, dass kein Stiftungsratsmitglied Stiftungsrats-Interna mit Außenstehenden erörtern darf (und außenstehend sind, nur zum Beispiel, natürlich auch alle Persoenen, die nach § 20 Abs 3 Z 5 ORF-Gesetz wegen Unvereinbarkeit nicht selbst zum Stiftungsratsmitglied bestellt werden könnten, also "Mitglieder der Bundesregierung, Staatssekretäre, Mitglieder einer Landesregierung, Mitglieder des Nationalrates, des Bundesrates oder sonst eines allgemeinen Vertretungskörpers, ferner Personen die Angestellte einer politischen Partei sind oder eine leitende Funktion einer Bundes- oder Landesorganisation einer politischen Partei bekleiden sowie Volksanwälte, der Präsident des Rechnungshofes und Personen, die eine der genannten Funktionen innerhalb der letzten vier Jahre ausgeübt haben".

Und falls es ihn - nach den langen Jahren der angeblichen Vorbereitung - gäbe, müsste man den Stiftungsratsmitgliedern natürlich empfehlen, den Corporate Governance Kodex des ORF zu lesen. Da es diesen aber nicht gibt noch ein kleiner Hinweis auf eine Empfehlung, die den ORF tatsächlich überhaupt nicht trifft (weil er keine börsennotierte AG ist), aber aus der man vielleicht die eine oder andere Anregung entnehmen könnte: die Empfehlung der Kommission vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats (insbesondere deren Abschnitte II und III); ein kleiner Auszug daraus:
"Alle neuen Mitglieder sollten bei ihrer Aufnahme in den Verwaltungs-/Aufsichtsrat an einer unternehmensspezifischen Einführung über Aufbau und Aktivitäten des Unternehmens sowie die Aufgaben und Verantwortlichkeiten eines Mitglieds der Unternehmensleitung teilnehmen. Der Verwaltungs-/Aufsichtsrat sollte jährlich überprüfen, in welchen Bereichen seine Mitglieder ihre Fähigkeiten und Kenntnisse auffrischen müssen."
Nett wäre auch: "Der Verwaltungs-/Aufsichtsrat sollte jedes Jahr eine Selbstbeurteilung vornehmen. Diese Beurteilung sollte sich auf seine Zusammensetzung sowie seine Organisation und Arbeitsweise als Gruppe erstrecken. Bewertet werden sollten auch Kompetenz und Leistung seiner einzelnen Mitglieder sowie seiner Ausschüsse. Ferner sollte die Gesamtleistung im Vergleich zu den Leistungsvorgaben beurteilt werden."
Und weil sich auch die guten Ratschläge an den ORF, den Stiftungsrat, den Gesetzgeber (und wen auch immer) im Zusammenhang mit dem ORF-Gesetz häufen, mache ich hier ausnahmsweise auch noch eine kleine Anmerkung dazu: mich begeistert immer wieder, wie sich manche Menschen, die jahre- oder gar jahrzehntelang mit der Materie zu tun hatten, ihre Naivität bewahrt haben. Heute etwa ex-ORF-Chefredakteur, Werner Mück, der in den Salzburger Nachrichten wieder einmal den grenzgenialen Vorschlag einer Indexanpassung der "Gebühren" (Programmentgelte) bringt, und meint, damit den Parteien "Drohpotenzial" zu entziehen. Derartige Vorschläge kamen ja auch schon von der sogenannten "PRO ORF"-Initiative (dazu hier und hier) - was besonders pikant ist, da dieser Inititative auch - nun ehemalige - Stiftungsratsmitglieder angehörten, die es also selbst in der Hand gehabt hätten, durch einen Beschluss im Stiftungsrat eine entsprechende Anpassung der Programmentgelte jederzeit herbeizuführen.

Abgesehen davon, dass indexgesicherte "Gebühren" (ohne weitere Überprüfung, ob die Anpassung zur Finanzierung des Auftrags erforderlich ist), in jedem Fall beihilfenrechtlich unmöglich sind, zeigt Mück mit dieser Ansicht, dass er den Parteien im Parlament (denn wer müsste solch ein Gesetz wohl beschließen und könnte es jederzeit wieder ändern?) weniger Einfluss zubilligt als im unabhängigen ORF-Stiftungsrat, der nach dem noch gültigen ORF-Gesetz jederzeit die Programmentgelte anpassen hätte können (und derzeit auch noch könnte - was nach der Beihilfenentscheidung der Kommission nun freilich ebenso im Widerspruch zur Beihilfenentscheidung der Kommission stünde wie der von Mück gewünschte Gesetzesbeschluss im Nationalrat).

PS: wollte die sogenannte "PRO ORF"-Initiative nicht (wenn auch nur "möglicherweise") einen Gesetzesvorschlag vorlegen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden (siehe hier)?

Wednesday, April 21, 2010

Vermischte Lesehinweise (9): "three strikes" noch nicht ad ACTA gelegt

Heute hat die Europäische Kommission, DG Trade, den aktuellen Verhandlungsstand betreffend das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA)  offengelegt. Der noch mit zahlreichen offenen Fragen, verschiedenen Formulierungsvorschlägen und unterschiedlichen Optionen versehene Entwurf dieses Handelsabkommens ist hier zu finden. Die Kommission bemüht sich, die Sorgen der "Zivilgesellschaft" über möghliche Einschränkungen der Offenheit des Internets azufgrund dieses Abkommens zu zerstreuen und behauptet: "The negotiation draft shows that specific concerns, raised in particular by the civil society, are unfounded. No party in the ACTA negotiation is proposing that governments should introduce a compulsory '3 strikes' or 'gradual response' rule to fight copyright infringements and internet piracy."

Die angeprochenen Kritiker werden damit nicht zufriedengestellt sein, denn ausgeschlossen sind solche "3 strikes"-Vorschriften durch das Abkommen jedenfalls auch nicht, vielmehr dürfte ein mehr oder weniger sanfter Druck in diese Richtung zu erwarten sein. Die Initiative "European Digital Rights" fragt dazu: "what will be left of the EU's historical credibility in the fight for free speech and democracy when it starts asking grateful undemocratic governments to place obligations on Internet access providers to 'terminate or prevent' infringements?"
(Update 22.4.2010:  Eine gute Einführung/Übersicht in ACTA von Margot Kaminski: Teil 1, Teil 2)

Dazu passend: der Digital Economy Act 2010 aus dem UK, im letzten Aufwaschen vor der anstehenden Wahl beschlossen ("wash up", bei uns würde man wohl Parlamentskehraus sagen), sieht bereits Maßnahmen zur Beschränkung des Internetzugangs im Falle von Urheberrechtsverletzungen vor (siehe mit weiteren Hinweisen zB die Beiträge von "panGloss" Lilian Edwards: 1, 2, 3, 4). Die Übersichtsseite im UK Parliament ist hier zu erreichen, der Text des Digital Economy Act ist hier (bzw hier in pdf).

Schleichwerbung ohne Gegenleistung? Griechische Vorlage an den EuGH

Muss Schleichwerbung immer entgeltlich sein? Diese Frage - noch nach der alten "Fernsehen ohne Grenzen"-Richtlinie, stellt ein griechisches Gericht an den EuGH. Die Rechtssache ist beim EuGH unter C-52/10 Eleftheri Tileorasi A. E. "ALTER CHANNEL" und Konstantinos Giannikos / Ypourgos Typou kai Meson Mazikis Enimerosis und Ethniko Symvoulio Radiotileorasis anhängig, die genaue Fragestellung lautet:
"Ist Art. 1 Buchst. d der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Fernsehtätigkeit (ABl. 1989, L 298, S. 23) in der durch Art. 1 Nr. 1 Buchst. c der Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 1997, L 202, S. 60) geänderten Fassung dahin auszulegen, dass die Entrichtung eines Entgelts oder einer Zahlung oder Gegenleistung anderer Art im Rahmen der 'Schleichwerbung' einen unerlässlichen begrifflichen Bestandteil des Werbezwecks darstellt?"
Zumindest der deutsch-, englisch oder französischsprachige Richtlinientext scheinen meines Erachtens dazu ziemlich klar ("Eine Erwähnung oder Darstellung gilt insbesondere dann als beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt." / "Such representation is considered to be intentional in particular if it is done in return for payment or for similar consideration" / "Une présentation est considérée intentionnelle notamment lorsqu’elle est faite contre rémunération ou paiement similaire"). Ein Entgelt ist demnach nicht zwingend vorausgesetzt, die Absicht wird aber bei Vorliegen eines Entgelts kaum zu widerlegen sein. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies (in seinem Erkenntnis vom 14.11.2007, 2005/04/0245) so zu Ausdurck gebracht:
"Entscheidend ist vielmehr, dass in der Beschwerde die Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde bestätigt werden, wonach die beschwerdeführende Partei für die Präsentation dieser Skiregion ein Entgelt erhalten habe. Schon deshalb ist gemäß § 14 Abs. 2 letzter Satz ORF-G (ohne dass es nach dieser Bestimmung darauf ankäme, wer das Entgelt geleistet hat) die gegenständliche Erwähnung bzw. Darstellung der Region O-H zu Werbezwecken als beabsichtigt anzusehen." (Hervorhebung hinzugefügt)."

Sunday, April 18, 2010

Vermischte Lese- und Veranstaltungshinweise (8)

Diesmal vor den Lesehinweisen noch einige Veranstaltungshinweise:
  • Mit der Frage "Netzneutralität - Wie neutral ist das Internet?" befasst sich das ISPA-Forum am 4. Mai 2010 (Programm, Anmeldung)
  • Ebenfalls am 4. Mai 2010 findet "TVienna 2010 -
    4. Wiener Symposion zu Fernsehen & Medienwandel",
    eine Veranstaltung des Institutes für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien in Kooperation mit ORF und Telekom Austria statt (Programm, Anmeldung), die Veranstaltung steht unter dem - in Österreich eher historischen - Titel "Was gibt es Neues ...?" 
  • "The Future of the Broadcasting Licence Fee in Times of Media Convergence" ist das Thema der vom Institut für Rundfunkökonomie an der Universität zu Köln - in Kooperation mit der Broadcasating Fee Association - am 6. und 7. Mai 2010 veranstalteten internationalen Konferenz (Programm, Anmeldung)
  • Am 7. Mai 2010 kommen in Wien auch die Historiker auf ihre Kosten: unter dem Titel "Computerwelle ergreift Verwaltung - Motive, Ziele und Bilanz der österreichischen Rechtsinformatik" steht ein Symposium des Universitätslehrgangs für Informationsrecht und Rechtsinformation mit (Programm, zur Anmeldung hier)
  •  Und schließlich nur etwas off-topic: vom 13. bis 15. Mai 2020 findet am Attersee (neu: erstmals in Seewalchen, nicht mehr in Weißenbach!) die Frühjahrstagung der Österreichischen Juristenkommission statt; Thema: "Grundrechte im Europa der Zukunft"; unter anderem wird am Freitag, 14. Mai 2010, Hon.Prof. Dr. Meinrad Handstanger, Hofrat des Verwaltungsgerichtshofes, zum Thema "Europäische Behördenkooperation" sprechen (Programm).
Lesetipps:
  • Der Titel - "Administrative Law, Filter Failure and Information Capture" - klingt etwas abstrakt, aber der Aufsatz ist unbedingt lesenswert, weil das beschriebene Phänomen nicht nur US-agencies betrifft, sondern auch so manche Regulierungsbehörde in Europa. Allzuviel externer Input, etwa in ungezählten Konsultationen, kann die Entscheidungsfindung der Regulierungsbehörden nicht wie gewünscht transparent, sondern im Gegenteil eher intransparent machen: "a number of doctrinal refinements intended originally to ensure that executive branch decisions are made in the sunlight inadvertently create incentives to overwhelm the administrative system with information. Rather than illuminating the process, these reams of comments and reports replete with inaccessible techno-jargon create a dark cloud that obscures the decisionmaking process and ultimately undermines pluralistic oversight, productive judicial review, and opportunities for intelligent agency decisionmaking."
  • Für Aufregung nicht nur in den USA sorgte die Entscheidung des D.C. Circuit Court of Appeals in der Sache Comcast v. FCC; dabei geht es zwar um Netzneutralität, aber primär um eine Frage der Regulierungskompetenz der FCC, die auf die europäische Situation nicht übertragbar ist. Um mitreden zu können, kann aber eine Lektüre der Entscheidung nicht schaden; hilfreich vielleicht zum Einstieg auch der Blogbeitrag eines Anwalts der Net Neutrality-Befürworter: How I Lost the Big One, Bigtime oder Jack Balkin, What's Next for Network Neutrality; eine gute Zusammenfassung mit weiteren Hinweisen findet sich bei Rob Frieden; mehr auch von Jasper Sluijs.
  • Ein Entwurf der Kommission für eine Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates, KOM(2010)94 endgültig, sieht in Artikel 21 Abs 1 vor, dass jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen trifft, "damit der Zugang von Internet-Nutzern zu Webseiten, die Kinderpornografie enthalten oder verbreiten, gesperrt wird." Aber immerhin beschränkt sich der Entwurf nicht auf die Sperrung, sondern trägt den Mitgliedstaaten auch auf, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, "damit Webseiten, die Kinderpornografie enthalten oder verbreiten, aus dem Internet entfernt werden."
  • In gewisser Weise dazupassend: der OECD-Bericht "The Economic and Social Role of Internet Intermediaries".

Thursday, April 15, 2010

Neue (=kodifizierte) Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste

Da zum ORF-Gesetz eine Einigung noch nicht absehbar ist (so die Presseaussendung des Parlaments zum heutigen Hearing im Verfassungsausschuss), bleibt dann immerhin noch genügend Zeit, im Text der Regierungsvorlage vor der Beschlussfassung im Nationalrat die Richtlinienzitate anzupassen: statt "Richtlinie 89/552/EWG zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über dieBereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste), ABl. Nr. L 298 vom 17.10.1989 S. 23, in der Fassung der Richtlinie 2007/65/EG, ABl. Nr. L 332 vom 18.12.2007 S. 27" reicht nun nämlich "Richtlinie 2010/13/EU vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste), ABl. Nr. L 95 vom 15.4.2010, S. 1".

Im heutigen Amtsblatt wurde nämlich die kodifizierte Fassung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste veröffentlicht.

Keine Entgeltregulierung per Umfrage: Generalanwalt Bot zu "abschreckenden Gebühren" bei Nummernübertragung

Nach Art 30 Abs 2 der UniversaldienstRL 2002/22/EG sorgen die nationalen Regulierungsbehörden dafür, "dass die Preise für die Zusammenschaltung im Zusammenhang mit der Nummernübertragbarkeit kostenorientiert sind und etwaige direkte Gebühren für die Verbraucher diese nicht abschrecken, diese Dienstleistung in Anspruch zu nehmen." Der hier hervorgehobene Satzteil wurde durch das jüngste Reformpaket zwar sprachlich - im Sinne einer Klarstellung - verändert, materiell dürfte sich dadurch nichts geändert haben (nunmehriger Wortlaut in der Fassung der RL 2009/136/EG: "und etwaige direkte Gebühren für die Teilnehmer diese nicht abschrecken, einen Anbieterwechsel vorzunehmen.")

Welchen Spielraum haben nun die Mitgliedstaaten und/oder die Regulierungsbehörden, um eine Grenze zu ziehen, ab der solche Entgelte für die Nummernportierung "abschreckend" für die Verbraucher sind? Der Präsident der polnischen Regulierungsbehörde machte das nach dem Text dieser Bestimmung eigentlich Naheliegende: er fragte die Verbraucher. Da sich nach einer Verbraucherumfrage ergab, dass die (wohl: durchschnittliche) Zahlungsbereitschaft der polnischen Verbraucher für die Nummernübertragung bei € 11,20 (Prepaid-Kunden) bzw. € 11,70 (Vertragskunden) lag, kam er zum Ergebnis, dass die geforderte Gebühr von € 12,20 demnach abschreckend war und verhängte eine Strafe über den Anbieter Polska Telefonia Cyfrowa sp. zoo (eine T-Mobile-Tochter).

Im darauf folgenden Rechtsstreit hat der polnische Oberste Gerichtshof dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die nationale Regulierungsbehörde bei einem Vorgehen nach Art 30 Abs 2 UniversaldienstRL "verpflichtet ist, die Kosten zu berücksichtigen, die den Betreibern eines Mobilfunknetzes im Zusammenhang mit der Erbringung dieser Dienstleistung entstehen".

In den heute veröffentlichten Schlussanträgen von Generalanwalt Bot in dieser Rechtssache (C-99/09 Polska Telefonia Cyfrowa / UKE) kommt dieser zum Ergebnis, dass Art 30 Abs 2 der UniversaldiensRL dahin auszulegen ist, "dass die nationalen Regulierungsbehörden die den Telekommunikationsunternehmen im Zusammenhang mit der Verwirklichung der Nummernübertragbarkeit entstehenden Kosten als Indiz in der von ihnen für geeignet gehaltenen Weise zu berücksichtigen haben, wenn sie die abschreckende Wirkung der Gebühr beurteilen, die vom Teilnehmer insoweit erhoben werden kann."

Das Ergebnis ist meines Erachtens insoweit klar, als demnach eine Berücksichtigung der Kosten jedenfalls geboten ist. Was die nationalen Regulierungsbehörden (ganz abgesehen vom nationalen materiellen Recht und Verfahrensrecht) aber aus der Ermächtigung machen sollen, diese Kosten in einer "von ihnen für geeignet gehaltenen Weise" (as you like it?) zu berücksichtigen, erschließt sich mir schon weniger. Und noch mehr überrascht mich die teilweise recht interessante Herleitung des Ergebnisses - insbesondere mit Verweisen zurückgehend auf die ONP-RahmenRL 90/387/EWG, offenbar bloß weil diese Richtlinie auch Vorgaben für Entgelte im Telekombereich (Kostenorientierung für Netzzugangstarife) vorsah.

In RNr 51 führt der Generalanwalt aus: "Aus diesen Rechtsakten [in der vorangegangenen RNr. sind die RL 90/387/EWG (!),  2002/21/EG und 2002/19/EG zitiert] lassen sich nämlich die Preisgestaltungsgrundsätze herausarbeiten, auf denen die Regulierung der Telekommunikation und insbesondere die Festsetzung der Preise für die Zusammenschaltung beruhen." 

Diese von ihm festgestellten Grundsätze werden in RNr 52 dargestellt, wobei bemerkenswert ist, dass er sich dabei wiederum auf die alte ZusammenschaltungsRL, die alte Mitteilung über Zusammenschaltungsentgelte und auf das EuGH-Urteil C-152/07 - 154/07, Arcor ua, das zu Bestimmungen der alten ZusammenschaltungsRL und zur ONP-WettbewerbsRL ergangen ist, beruft. Auch die ganz alte SprachtelefonieRL und die alte MietleitungsRL müssen zur Begründung der "Grundsätze" herhalten. Schließlich zitiert der Generalanwalt (in RNr. 57) auch noch Erwägungsgrund 26 der UniversaldienstRL, der allerdings in einem anderen Zusammenhang steht und sich mit Endnutzertarifen von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht befasst.

Und weil in all diesen alten (und teilweise neuen) Richtlinien so viel von Kosten und Kostenorientierung steht, sind daher auch bei der Beurteilung der abschreckenden Wirkung nach Art 30 Abs 2 der UniversaldienstRL - die dafür gerade nicht ausdrücklich Kostenorientierung festlegt - die Kosten zu berücksichtigen. Das "Wie" bleibt offen. Jedenfalls haben die Regulierungsbehörden nach Ansicht des Generalanwalts einen "Spielraum" ("marge d’appréciation", RNr 30, 39, 41, 53), der aber nicht mit Ermessen ("pouvoir discrétionnaire") zu verwechseln ist (RNr 54).

Die Ergebnisse einer Verbraucherumfrage können nach Ansicht des Generalanwalts "durchaus einen interessanten Gesichtspunkt darstellen, der den Regulierungsbehörden Aufschluss über die Erwartung der Nutzer geben kann." (RNr. 61); allerdings sind sie "für sich genommen kein maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der abschreckenden Wirkung" (RNr. 62).

Am Ende (RNr. 72) der Schlussanträge beantwortet der Generalanwalt schließlich eine ihm nicht gestellte Frage: eine Verpflichtung, den Dienst der Nummernübertragung für die Verbraucher kostenlos anzubieten, wie sie in einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehen ist, hält er demnach zwar für vorteilhaft, aber nicht mit dem geltenden Richtlinienrecht vereinbar.

Das Ergebnis der Schlussanträge kann man teilen oder nicht, die Herleitung über längst nicht mehr in Geltung stehende Richtlinien, die in einem wesentlich anderen Zusammenhang stehen und andere Leistungen betreffen, scheint mir allerdings nicht überzeugend.

PS: In RNr 37 der Schlussanträge meint der Generalanwalt (ohne Belegstelle), dass die Kosten gegenüber den Verbrauchern "im Allgemeinen vom aufnehmenden Betreiber erhoben" werden. Ich kenne dazu keine europaweite Übersicht; in Österreich ist dies aber definitiv anders.

Saturday, April 10, 2010

Schweizer Bundesverwaltungsgericht: "Zurückhaltung" in Interkonnektionsstreitigkeiten

Nach dem rundfunkrechtlichen Ausflug in die Schweiz nun auch noch Hinweise auf Urteile in Telekom-Angelegenheiten. Allerdings handelt es sich hier nicht um Entscheidungen des Bundesgerichts (des Schweizer Höchstgerichts), sondern des Schweizer Bundesverwaltungsgerichts (BVGer), das in der Regel erste verwaltungserichtliche Instanz ist. In Telekomangelegenheiten ist das BVGer allerdings manchmal auch Letztinstanz, nämlich gemäß Art 83 Bundesgerichts-Gesetz bei öffentlich ausgeschriebenen Konzessionen und - wie in den hier zitierten Fällen - bei Streitigkeiten über den Zugang (Art 11a Fernmeldegesetz).

Im Februar dieses Jahres hatte das BVGer in mehreren Verfahren betreffend die Zusammenschaltung bzw den Zugang zu Teilnehmeranschlussleitungen (in der Schweiz heißt das "Interkonnektionsstreitigkeiten") vor allem über Fragen der direkten (oder auch indirekten) Drittwirkung von Entscheidungen der Regulierungsbehörde zu entscheiden. Das BVGer hat sich dabei entgegen der Ansicht der Eidgenössischen Kommunikationskommission (ComCom) gegen die automatische Drittwirkung ausgesprochen. Für Österreich oder andere EU-Mitgliedstaaten sind diese Entscheidungen an sich kaum von Interesse, zumal die Schweiz "bewusst ein von den Verhältnissen in der EU abweichendes Regulierungssystem geschaffen" hat (siehe Urteil 01.02.2010 A-7162/2008 Punkt 9.3.8). In methodischer Hinsicht ist allerdings auch hier (wie schon im letzten Post zu einer Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts angemerkt) das Konzept der "Zurückhaltung" (deference?) bei der Kontrolle von Regulierungsentscheidungen bemerkenswert; ebenfalls aus dem Urteil vom 01.02.2010 A-7162/2008 (Swisscom / Sunrise)
"Vorliegend kommt der Vorinstanz bzw. dem mit der Instruktion des Verfahrens betrauten BAKOM ein ausgeprägtes Fachwissen in fernmeldetechnischen Fragen sowie bei der Beurteilung der ökonomischen Gegebenheiten im Telekommunikationsmarkt zu. Das Bundesverwaltungsgericht kann auf kein gleichwertiges Fachwissen zurückgreifen [...]. 
Es hat sich [...] dort eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen, wo der Vorinstanz [ComCom] angesichts der sich stellenden Fachfragen ein erheblicher Handlungsspielraum belassen wurde. Dabei variiert der Grad der Zurückhaltung im Einzelfall je nach der Natur der sich stellenden Fragen und dem erforderlichen Fachwissen der Vorinstanz."
Weitere Urteile vom 18.02.2010 A-7154/2008 (Swisscom / Colt), vom 19.02.2010 A-7169/2008 (Swisscom / Cablecom) und vom 19.02.2010 A-7165/2008 (Swisscom / TelCommunication Services.

Thursday, April 08, 2010

Schweizer Bundesgericht: Werbefenster / Kurzberichterstattung / Must Carry

Zur Abwechslung einmal ein kleiner Ausflug in die Schweiz mit Hinweisen auf rundfunkrechtliche Entscheidungen des Schweizer Bundesgerichts:

Zunächst zum Urteil des Bundesgerichts vom 12.01.2010, 4A_203/2009 in einem Rechtsstreit zwischen der SRG und dem französischen Sender M6 (siehe auch die Pressemitteilung): die SRG hatte versucht, mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts (Schweizer UWG) und des Urheberrechtsgesetzes ihrem Konkurrenten M6 zu verbieten, bestimmte Filme, Fernsehfilme und Serien, die auch von der SRG ausgestrahlt werden, mittels eigenem Signal auszustrahlen, mit dem auch an das Schweizer Publikum gerichtete Werbung ausgesandt wird. Interessant scheint mir an diesem Fall weniger, dass die SRG vor dem Bundesgericht scheiterte, als dass sie vor dem Berufungsgericht Recht bekommen hatte.

Eine zweites Verfahren vor dem Bundesgericht betraf die Frage des Kurzberichterstattungsrechts bei Fußball und Eishockeyübertragungen, an denen die SRG die Free TV-Rechte hat. Anders als in Österreich, wo das Recht auf Kurzberichterstattung gemäß § 5 Abs 3 FERG die Berechtigung zur Aufzeichnung des Signals des die Rechte haltenden Fernsehveranstalters zur Herstellung und Sendung eines Kurzberichtes umfasst, besteht in der Schweiz auch das Recht auf "physical access", also auf Duldung des eigene Zugangs der anderen Fernsehveranstalter ins Stadion, um dort selbst Bilder aufzuzeichnen.Damit hat sich das Bundesgericht bereits in seinem Urteil vom 18.3.2009 (BGE 135 II 224) befasst. Ende März 2010 haben sich die SRG und Telesuisse - Verband der Schweizer Regional Fernsehen geeignigt, die bisherige Praxis fortzuführen (Pressemitteilung).

Und schließlich noch ein Hinweis auf eine "Must Carry"-Entscheidung des Bundesgerichts vom 18.6.2009, BGE 135 II 296, an der meines Erachtens vor allem der Hinweis auf die zulässige (gebotene?) Zurückhaltung des Bundesverwaltungsgerichts (als Unterinstanz mit voller Kognition) in Regulierungsfragen ist (das klingt nicht unähnlich der Chevron-Doktrin in den USA, siehe im Blog dazu hier):
"Entgegen den Einwendungen der Beschwerdeführerin ist es nicht rechtswidrig, wenn sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Überprüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs des 'besonderen Masses' der Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags eine gewisse Zurückhaltung auferlegt und nicht ohne Not in den Beurteilungsspielraum des für die verfassungskonforme Ausgestaltung des rundfunkrechtlichen Mediensystems verantwortlichen Bundesamts eingegriffen hat. Auch eine Rechtsmittelbehörde, der volle Kognition zusteht, soll in Gewichtungsfragen den Beurteilungsspielraum der Vorinstanz respektieren. Sie muss zwar eine unangepasste Entscheidung korrigieren, darf aber die Wahl unter mehreren sachgerechten Lösungen der Vorinstanz überlassen. Wenn es um die Beurteilung technischer oder wirtschaftlicher Spezialfragen geht, kann sie sich eine gewisse Zurückhaltung auferlegen, ohne damit ihre Kognition in unzulässiger Weise zu beschränken (BGE 131 II 680 E. 2.3.2 mit Hinweisen)."

Tuesday, April 06, 2010

Für Österreich praktisch irrelevantes EU-Telekomrecht

Der Beschluss der Europäischen Kommission vom 19.03.2010 ist zwar "an die Mitgliedstaaten" gerichtet, Österreich wird sich aber nicht allzusehr anstrengen müssen, um ihm nachzukommen: es geht nämlich um "harmonisierte Frequenznutzungsbedingungen für den Betrieb von Mobilfunkdiensten an Bord von Schiffen (MCV-Dienste)", und damit sind nicht Binnenschiffe gemeint (siehe dazu in Österreich übrigens die Binnenschifffahrtsfunkverordnung), sondern Schiffe, die in den Küstenmeeren der EU (und internationalen Gewässern) unterwegs sind. Der Beschluss verpflichtet die Mitgliedstaaten, mindestens 2 MHz (gepaart) innerhalb des 900 MHz- und /oder des 1800 MHz-Frequenzbandes für Systeme verfügbar zu machen, die MCV-Dienste in ihren Küstenmeeren erbringen. Faktisch betrifft das bordeigene GSM-Dienste, mit denen vor allem auf größeren Passagierschiffen Reisende auch dann mit ihrem GSM-Endgerät telefonieren können, wenn vom Land her keine Netzabdeckung mehr besteht. Der Beschluss wird ergänzt durch eine Empfehlung, in der die Kommission den Mitgliedstaaten die üblichen Dinge nahelegt; zum Beispiel sollten sie "aktiv, konstruktiv und solidarisch zusammenarbeiten und gegebenenfalls auf bestehende Verfahren zurückgreifen, um jegliche Probleme [...] zu lösen." (Ich warte übrigens auf die erste Empfehlung zur passiven, destruktiven und unsolidarischen Zusammenarbeit)

PS: Dass Mitgliedstaaten ohne Küstenmeere vom MCV-Beschluss nicht wirklich betroffen sind, wird auch im Erwägungsgrund 10 zu diesem Beschluss zum Ausdruck gebracht. Dort heißt es: "Dieser Beschluss erlegt Mitgliedstaaten, die über keine Küstenmeere verfügen, keine Verpflichtungen auf. Dies gilt unbeschadet der Genehmigung von MCV-Diensten, die nicht Gegenstand dieses Beschlusses ist, die jedoch Maßnahmen von Mitgliedstaaten im Einklang mit EU-Recht im Hinblick auf Schiffe, die ihrem Staat angehören, erfordern." Was immer das auch heißen mag.

Monday, April 05, 2010

Presse: Was darf Journalismus? -"Und die heimischen Gerichte billigten das" (nicht)

"Was darf Journalismus?" Zu diesem ewig wiederkehrenden Thema gab es gestern auch einen Beitrag in der Presse. Nichts wirklich Neues, zu Wort kommt unter anderem der "von vielen Medien häufig mit einem Experten verwechselte In-Mikrofone-Sprecher Jo Groebel" (Zitat: Stefan Niggemeier), der hier wieder einmal als "Medienexperte" genannt wird (auch dazu Stefan Niggemeier: "was in diesem Fall bedeutet, dass er in den Medien als Experte gilt").Hannes Haas vom Publizistik-Institut der Uni Wien wurde ebenfalls befragt. Die Presse schreibt, Haas zufolge hätte "auch Natascha Kampusch nicht in der Disco fotografiert werden dürfen." Abgesehen von der gewissen, auf Grund der Verknappung verständlichen Unschärfe, dass es natürlich nicht um das Fotografieren geht, sondern um das Veröffentlichen der Fotos, klingt das ganz so, als ginge es dabei bloß um eine Ansicht und nicht um die konkrete Rechtslage.

Der Presse-Artikel schließt jedenfalls mit den Worten: "[Eva] Dichands Blatt 'Heute' zeigte allerdings 2007 Fotos von Natascha Kampusch beim Schmusen in einer Disco. Die heimischen Gerichte billigten das."

Ein Blick ins eigene Archiv hätte gezeigt, dass das natürlich nicht stimmt: Unter dem Titel "Später Schutz für Kampusch - Oberster Gerichtshof verbietet Fotos aus Diskothek" berichtete die Presse nämlich vor nicht einmal einem halben Jahr über das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 19.8.2009, die das Gegenteil besagt. Ein Zitat daraus:

"Die demnach gänzlich undistanzierte, die körperliche Nähe der Antragstellerin zu ihrem Tanzpartner beim gemeinsamen Tanzen auf der Tanzfläche einer Diskothek sowohl fotografisch als auch textlich fokussierend und detailliert darstellende, mit der spekulativen Deutung einer facettenreich geschilderten 'ersten Liebe' versehene inkriminierte Berichterstattung war nach der Art und Weise der Erörterung und Darstellung jedenfalls geeignet, die Antragstellerin in der Öffentlichkeit bloß zu stellen. Denn die dafür charakteristische Entfremdung des Privatlebens [...] war ohne weiteres in der die Antragstellerin realitätsverzerrend zum Objekt einer klischeehaften Spekulation über ihre 'erste Liebe' degradierenden medialen Darstellung gelegen."
Es trifft zu, dass das Berufungsgericht (abweichend übrigens vom Erstgericht) anderer Meinung war - aber dessen Entscheidung wurde vom Obersten Gerichtshof eben ausdrücklich als "mit dem Gesetz nicht im Einklang" stehend beurteilt.

Saturday, April 03, 2010

LG f ZRS Wien: Der Wunsch "Frohe Ostern" ist im April nicht unüblich

Wie schon im vergangenen Jahr angemerkt, ist Ostern rundfunkrechtlich offenbar ein heikler Termin (siehe auch schon hier). Die heute zu berichtende Gerichtsentscheidung mit österlichem Bezug geht zunächst auf eine einstweilige Verfügung zurück, die der ORF im Jahr 2008 hinnehmen musste. Das Handelsgericht Wien hatte dem ORF am 22.12.2008 verboten, in seinen "Fernsehprogrammen für periodische Druckwerke zu werben, sofern die Werbung über Hinweise auf den Titel der Druckwerke und die Blattlinie hinausgeht und sich auf den Inhalt der Druckwerke selbst bezieht, wobei dies insbesondere für die Bewerbung von Tageszeitungen durch Fernsehspots gilt, die den Eindruck erwecken, dass die beworbene Tageszeitung besondere Informationen für ein bestimmtes Ereignis enthält oder die mit Hinweisen auf ein dem Druckwerk beigelegtes Farbmagazin versehen sind." [Hintergrund der einstweiligen Verfügung ist § 13 Abs 8 ORF-Gesetz, wonach die ORF-Fernsehwerbung für periodische Druckwerke nur auf den Titel (Namen des Druckwerks) und die Blattlinie, nicht aber auf deren Inhalte hinweisen darf.]

Diese einstweilige Verfügung hatte noch nichts mit Ostern zu tun (sondern mit einem anderen Ereignis, das im Sommer 2008 stattfand; mehr zum Hintergrund kann man in einer Entscheidung des Bundeskommunikationssenats nachlesen). Eine EV stellt aber einen Exekutionstitel dar, mit dem man im Wiederholungsfall ohne neuerliches Titelverfahren - also ohne neuerliche inhaltliche Auseinandersetzung vor Gericht - Exekution führen kann. Vorausgesetzt natürlich, es ist tatsächlich ein Wiederholungsfall. Und genau darüber kam es in einem Exekutionsverfahren betreffend - wieder einmal - Werbung für die "Oster-Nachlese" zum Streit. Der ORF strahlte am 5. und 6.4.2009 einen Werbespot für diese von ihm herausgegebene Zeitschrift aus, der "visuell mit einem Hoppelhasen gestaltet" war. Am Spotende war ein neutrales Exemplar der Zeitschrift "ORF-Nachlese" mit dem Titel "Frohe Ostern" zu sehen.

Für das Landesgericht für Zivilrechtssachen (22.10.2009, 46 R 536/09b, veröffentlicht in medien und recht 7-8/09) Wien ist dem Text des Werbespots "weder für sich genommen noch in Verbindung mit im Bild zu sehenden hoppelnden Hasen und eines Zeitschriftenexeemplars, auf dem 'Frohe Ostern' steht, ein Hinweis auf den Inhalt der ORF-Nachlese zu entnehmen. Der im Monat April - in diesen Monat fiel 2009 das Osterfest - gesendete Wunsch 'Frohe Ostern' ist im zeitlichen Zusammenhang nicht unüblich; der Schluss, ein mit diesem Wunsch beworbenes Heft behandle inhaltlich das Osterfest kann ohne konkrete Hinweise im Werbespot nicht gezogen werden." (Hervorhebung hinzugefügt).

In diesem Sinne: Ich wünsche allen LeserInnen etwas im zeitlichen Zusammenhang nicht Unübliches.

Thursday, April 01, 2010

Vermischte Lesehinweise (7) - Frühjahrsputz für BBC-Compliance Prozesse