Eigentlich war der Vorschlag der Kommission für die nächste größere Reform des europäischen Telekommunikationsrechts schon für Juli 2013 erwartet worden. Nun wird es wohl der 12.09.2013, an dem Kommissarin Kroes den von der Kommission - nach einigen internen Auseinandersetzungen - angenommenen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Maßnahmen zur Vollendung des europäischen Binnenmarkts für elektronische Kommunikation und zur Erreichung eines vernetzten Kontinents (kurz: "Connected Continent"-Verordnung) vorstellen kann. Was dann von den bereits geleakten Vorentwürfen (erste Version, überarbeitete Fassung) übrig sein wird, bleibt abzuwarten; die Stoßrichtung des Vorschlags ist aber klar:
1. Verordnung statt Richtlinie
Richtlinien sind von den Mitgliedstaaten erst umzusetzen, was aus der Sicht der Kommission zumindest zwei Nachteile hat: erstens vergeht mindestes ein Jahr, bis die Vorschriften wirksam werden können (beim letzten Reformpaket betrug die Umsetzungsfrist 18 Monate), zweitens können die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung nicht nur (zu) zögerlich, sondern auch (zu) kreativ sein, was erst mit langwierigen Vertragsverletzungsverfahren wieder eingefangen werden kann. Da ist es nur naheliegend, dass die Kommission auf die Idee gekommen ist, die Harmonisierung mittels Verordnung voranzutreiben, die ohne weitere Umsetzungsmaßnahmen unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt.
Als Vorbild gibt es ja mittlerweile insbesondere die Roaming-Verordnung, und ein weiterer Testballon für das Rechtsinstrument der Verordnung ist die derzeit von Parlament und Rat verhandelte Breitband-Verordnung (Vorschlag der Kommission vom 26. März 2013). Der Rat wird mit einer Verordnung vielleicht nicht uneingeschränkt glücklich sein, das Europäische Parlament schon eher. Denn die Verordnung hat aus der Sicht der Kommission wie auch des Parlaments noch einen wesentlichen Vorteil: sie ist viel unmittelbarer der europäischen Ebene zuzurechnen. Wenn man - wie etwa beim Roaming - ein Zuckerl für Konsumenten darin verpackt, dann wird als "candyman"/"candywoman" nicht die mitgliedstaatliche Politik, sondern "Brüssel" wahrgenommen. Besonders gut verkauft das meist das zuständige Kommissionsmitglied: die bis heute ungebrochene Popularität Viviane Redings stützt sich zu einem nicht geringen Teil auf "ihre" Roaming-Verordnung. Aber auch Parlamentarier können im Wahlkampf damit viel deutlicher auf konkrete Vorteile der EU verweisen.
2. Herkunftslandkontrolle: "single authorisation"
Telekom-Unternehmen sollen nach der Vorstellung der Kommission nicht mehr in jedem Mitgliedstaat, in dem sie tätig werden wollen, auch eine "Allgemeingenehmigung" brauchen (gesonderte Einzelbewilligungen sind ja schon derzeit nicht zulässig, die Mitgliedstaaten können höchstens eine Art "Meldepflicht" vorsehen). Auch die Aufsicht über solche Unternehmen soll dann im Wesentlichen vom Heimatstaat aus geführt werden. Diese Herkunftslandkontrolle soll sich nicht nur auf das "Mutterunternehmen" beziehen, sondern auch auf Tochtergesellschaften: damit wäre etwa die deutsche Bundesnetzagentur zuständige Regulierungsbehörde für die in Österreich aktive T-Mobile Austria.
Bei der Herkunftslandkontrolle bzw "single authorisation" (ursprünglich als "EU Passport" bezeichnet) dürften gegenüber dem geleakten Entwurf noch deutliche Änderungen vorgenommen worden sein, auf Details gehe ich daher vorerst einmal nicht ein. Es werden sich dabei aber jedenfalls spannende Fragen auftun, vor allem auch in der Verfahrensführung und Koordination zwischen den nationalen Regulierungsbehörden.
3. Weitere Vereinheitlichung der Regulierung und Frequenzverwaltung
Die Kommission will eine weitere Vereinheitlichung nicht nur bei klassischen Regulierungsmaßnahmen, sondern nun auch bei Maßnahmen der Frequenzverwaltung, wo ein Verfahren eingeführt werden soll, das jenem nach Art 7/Art 7a- der Rahmenrichtlinie ähnlich ist.
4. Abschaffung der Roamingentgelte?
Mit Blick auf die im Frühling 2014 ins Haus stehenden Wahlen zum Europäischen Parlament ist die Ankündigung des Endes für teure Roamingentgelte natürlich ein wichtiger Schachzug der Kommission, vor allem auch um das Parlament zur Eile anzutreiben und dieses "Goodie" für die Konsumenten möglichst noch vor den Wahlen zu beschließen. Da aber die aktuelle Roamingverordnung gerade für die Zeit ab 01.07.2014 ein komplexes neues Regime ("separater Verkauf regulierter Roamingdienste auf Endkundenebene") vorgesehen hat, auf das sich die Betreiber jetzt mühsam eingestellt haben bzw noch einstellen müssen, scheint mir dieser neuerliche Schwenk der Kommission in der Roaming-Frage nicht auf allzu sicherem Boden zu stehen. Natürlich gibt es auf der anderen Seite "Gegenfinanzierungen": so hat Kommissarin Kroes etwa schon mehrfach klar signalisiert, dass sie einer Konsolidierung auf Anbieterseite nicht im Wege stehen möchte - sie träumt offen von wenigen paneuropäischen Telekom-Anbietern. Die "Connected Continent"-Verordnung soll zB auch mit der "single authorisation" dazu beitragen, dass größere Unternehmen eher begünstigt werden.
Neben dem Ende für Roaming-Entgelte sollen auch Differenzierungen zwischen nationalen und internationalen Tarifen (innerhalb der EU) nur mehr zulässig sein, wenn höhere Kosten für grenzüberschreitende Dienste durch tatsächliche zusätzliche Kosten gerechtfertigt sind.
5. Netzneutralität light
Kommissarin Kroes ist alles anderes als glücklich damit, dass einzelne Mitgliedstaaten (Slowenien, Niederlande) Alleingänge zum Schutz der Netzneutralität unternommen haben. An sich vertritt Kroes nach wie vor einen laissez faire-Ansatz zur Netzneutralität: Anbieter sollen, sofern sie entsprechend darüber informieren und dies gegebenenfalls auch vereinbaren, die Netzneutralität nach Wunsch einschränken können. Kroes sieht darin Möglichkeiten zur Produktdifferenzierung (sie vergleicht das gern mit Champagner vs. Schaumwein: wer für Champagner zahlt, soll auch Champagner - uneingeschränkten Internetzugang - bekommen, wer sich mit Schaumwein - eingeschränktem Internetzugang - zufrieden gibt, soll auch nicht für Champagner bezahlen müssen).
Die nationalen Alleingänge kann Kroes aber nur dann wirksam verhindern, wenn Regelungen zur Netzneutralität auf europäischer Ebene harmonisiert sind. Daher wird die Verordnung harmonisierte Bestimmungen zu den Rechten der Nutzer enthalten, so etwa das eher zynisch wirkende Recht von Endnutzern, frei Verträge über Datenvolumsbeschränkungen, Geschwindigkeiten und allgemeine Qualitätsmerkmale eingehen zu können - mit anderen Worten: Anbieter dürfen qualitätsdifferenzierte Produkte anbieten. Die Regulierungsbehörden sollen dann die Qualität überwachen und können allenfalls Mindestqualitätskriterien festlegen. Sogar die Generaldirektion Justiz hat in einer Stellungnahme im Zuge der kommissionsinternen Konsultation die im (Vor-)Entwurf enthaltenen Beschränkungen der Netzneutralität kritisiert.
Der Vorschlag der Kommission ist erst der Anfang
Wenn die Kommission am 12.09.2013 ihren Vorschlag vorlegt, beginnt erst die Arbeit des Rates (zunächst in Ratsarbeitsgruppen) und des Parlaments. Die Kommission drängt auf Geschwindigkeit und hofft, dass sich eine Beschlussfassung noch vor der Europawahl im Mai 2014 ausgeht. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, ziemlich ambitioniert - aber wenn es um Roamingentgelte geht, wollen gerade Parlamentarier nicht gern als Bremser dastehen.
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Exkurs: Kroes' 10 Punkte für Breitband
In der futurezone war heute ein Beitrag, in dem der "10 Punkte"-Breitband-Plan von Kroes mit der kommenden "Connected Continent"-Verordnung ein wenig durcheinander gebracht wurde. Aus diesem Anlass hier auch eine knappe Übersicht, welche Projekte Kroes mit ihren "10 Punkten" angesprochen hat. Ausgangspunkt ist ihre Rede vom 30.01.2013 über die "10 steps to deliver broadband". Die zehn Punkte waren:
- Empfehlung zur Nichtdiskriminierung und Kostenrechnungsmethoden für den Zugang zu NGA- und Kupfernetzen ("Recommendation on consistent non-discrimination obligations and costing methodologies to promote competition and enhance the broadband investment environment"). Kroes kündigte dazu die endgültige Empfehlung für Juli 2013 an: "I [...] hope the final recommendation will be ready in July [2013]." (aktueller Status 10.09.2013: noch gibt es - auch nach massiver Kritik von BEREC - keine Endfassung).
- Fortsetzung der Umsetzung des Funkfrequenzprogramms: die angekündigte "Bestandsaufnahme der Funkfrequenzen" ("spectrum inventory") - nach Maßgabe des Mehrjahresprogramms für die Funkfrequenzpolitik aus dem Jahr 2012 - wurde mit Durchführungsbeschluss 2013/195/EU vom 23. April 2013 in die Wege geleitet (vieles davon baut auf dem im Rahmen der CEPT entwickelten EFIS auf). Weiters kündigte Kroes an, gegen jene Mitgliedstaaten, die nicht - wie im Mehrjahresprogramm - vorgesehen, die Frequenzbereiche 3,4-3,8 GHz, 2,5-2,69 GHz und 900-1800 MHz für drahtloses Breitband verfügbar machen, mit Vertragsverletzungsverfahren vorzugehen ("we will use our full Treaty powers"). Österreich, schon etwas im Verzug, bekam eine Ausnahmeregelung bis 30. September 2013 - bis dahin dürfte die aktuelle Multiband-Auktion der TKK wohl abgeschlossen sein (der Beschluss über die Ausnahmeregelung ist derzeit nur im Entwurf online).
- Ein "wireless action plan" (Mitteilung der Kommission) war für das erste Quartal 2013 angekündigt; zu rechnen ist damit wohl eher erst im Oktober, falls überhaupt.
- Zur Unterstützung des Breitband-Rollouts sollten auch Mittel der Union aus der "digital Connecting Europe Facility" für die Jahre 2014 bis 2020 dienen. Diese Pläne wurden von den Mitgliedstaaten im Rat vorerst ziemlich zurechtgestutzt, für den Breitbandausbau dürfte nach Kürzungen von 8 Mrd € nicht mehr viel übrig sein (siehe dazu zB die Rede von Kroes vom 19.03.2013); das Gesetzgebungsverfahren für die "CEF-Verordnung" ist noch im Gang, eine erste Lesung im Plenum des Europaparlaments ist im Oktober vorgesehen (siehe den CEF-Verordnungsentwurf, eine Zusammenfassung der Ratsdiskussion vom 06.06.2013, sowie den geänderten Verordnungsentwurf der Kommission für Leitlinien für transeuropäische Telekommunikationsnetze, der mit der CEF-Verordnung zusammenhängt).
- Breitband-Verordnung: diese soll laut Kroes vor allem dazu dienen, die Projektkosten (Grabungskosten, Bewilligungen, Planung,...) für den Breitbandausbau zu reduzieren . Der Vorschlag der Kommission für diese Verordnung wurde am 26. März 2013 beschlossen.
- Leitlinien für Breitband-Beihilfen ("Leitlinien der EU für die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen im Zusammenhang mit dem schnellen Breitbandausbau").
- Eine Studie über tatsächliche Internet-Geschwindigkeiten: veröffentlicht am 26.06.2013 (Studie, Pressemitteilung).
- "Guidance on net neutrality": hier blieb Kroes eher vage: einerseits gebe es (wie eine BEREC-Erhebung gezeigt hat) aktuell keine Netzneutralität, andererseits wolle sie aber das Internet nicht zu stark regulieren. Da sie aber auch keine länderspezifischen Regelungen möchte, bleibt ihr nicht viel anderes übrig, als einen Legislativvorschlag einzubringen, der im Ergebnis eine Diskriminierung (oder "Differenzierung") zulässt, aber vielleicht Vorkehrungen trifft, dass es zumindest ein paar "neutrale" Internetangebote gibt. (Mehr dazu schon oben bzw werden wir ab 12.09.2013 mehr wissen).
- Eine Empfehlung über den Universaldienst in einer digitalen Gesellschaft wurde für spätestens Juli 2013 angekündigt, aber beim Universaldienst (der ohnehin stets ein Stiefkind der Kommission war, siehe dazu zB schon hier) sieht die Kommission wohl keine Eile; die angekündigte Empfehlung liegt jedenfalls noch nicht vor.
- Punkt 10 auf Kroes' Liste ist mehr oder weniger ein Auffangbecken für ein paar andere Ideen, die irgendwie mit Breitband zu tun haben könnten ("a host of actions to stimulate demand for broadband"). Urheberechtsmodernisierung, Grünbuch zu "Connected TV" (Grünbuch über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt: Wachstum, Schöpfung und Werte), Cyber-Security.
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PS: Beim 14. Salzburger Telekom-Forum am 22. und 23. August - wie immer eine Art Klassentreffen der österreichischen Telekom-Regulierungsszene - waren die Kommissionsvorschläge, auch wenn sie noch nicht offiziell vorlagen, natürlich ein zentrales Diskussionsthema. Ich sollte diesmal - vor dem Hintergrund der Kommissionsvorschläge - einige Überlegungen zur Europäisierung des Verwaltungsrechts beisteuern, wofür ich, da der offizielle Vorschlag der Kommission auf sich warten ließ, nur auf den von EDRI geleakten Vor-Entwurf zurückgreifen konnte. Wer sich für das nicht weiter redigierte oder ergänzte Manuskript meines Vortrags interessiert, kann es hier nachlesen.
PS: Beim 14. Salzburger Telekom-Forum am 22. und 23. August - wie immer eine Art Klassentreffen der österreichischen Telekom-Regulierungsszene - waren die Kommissionsvorschläge, auch wenn sie noch nicht offiziell vorlagen, natürlich ein zentrales Diskussionsthema. Ich sollte diesmal - vor dem Hintergrund der Kommissionsvorschläge - einige Überlegungen zur Europäisierung des Verwaltungsrechts beisteuern, wofür ich, da der offizielle Vorschlag der Kommission auf sich warten ließ, nur auf den von EDRI geleakten Vor-Entwurf zurückgreifen konnte. Wer sich für das nicht weiter redigierte oder ergänzte Manuskript meines Vortrags interessiert, kann es hier nachlesen.
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