Monday, October 31, 2011

EuG: Entscheidung der Kommission, kein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, ist auch nach Grundrechtecharta nicht bekämpfbar

Mit zwei - weitgehend wortidenten - Beschlüssen vom 23.09.2011, T-567/10 Vivendi / Kommission und T-568/10 Vivendi / Kommisison, hat das Gericht (EuG) jeweils Klagen von Vivendi gegen Schreiben der Kommission vom 1.10.2010 (die von Vivendi als Entscheidungen angesehen wurden) als unzulässig zurückgewiesen. Mit diesen Schreiben hatte die Kommission mitgeteilt, dass sie Beschwerden von Vivendi gegen Frankreich, in denen die Gewährung "regulativer Vorteile" zugunsten France Télécom und damit eine Verletzung der Richtlinie 2002/77/EG (RL über den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste) behauptet wurde, nicht weiter verfolgen werde (also insbesondere auch kein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich einleiten werde).

Der EuGH hat sich mit einer ähnlichen Konstellation bereits in seinem Urteil in der Rechtssache C-141/02 P max.mobil (für die Jüngeren: max.mobil ist nun T-Mobile Austria) befasst. Nach diesem Urteil erzeugt ein Schreiben der Kommission, mit dem einem beschwerdeführenden Unternehmen mitgeteilt wird, dass die Kommission nicht beabsichtige, ein Verfahren gegen einen Mitgliedstaat nach (damals) Art 90 EG-Vertrag (zwischenzeitig war das Art 86 EG, nunmehr Art 106 AEUV) einzuleiten, keine verbindlichen Rechtswirkungen, so dass es keine mit einer Nichtigkeitsklage anfechtbare Handlung darstellt.

Vivendi wies zwar besonders darauf hin, dass auch ein Einschreiten der Kommission nach Art 106 Abs 3 AEUV verlangt worden war, konnte das EuG aber nicht davon überzeugen, dass damit ein relevanter Unterschied zum Fall max.mobil vorlag. Auch der Hinweis von Vivendi auf die Grundrechtecharta nützte nichts; das EuG sieht durch Art 47 GRC nicht nur in der hier vorliegenden Konstellation keine Änderung der Rechtslage gegeben, sondern meint generell, dass Art 47 GRC im Hinblick auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nicht über die bisherige Rechtsprechung hinausgehe:
"En outre, la charte des droits fondamentaux s’étant limitée, en ce qui concerne le droit à un recours effectif, à consacrer le principe général du droit reconnu et appliqué déjà par la jurisprudence (arrêt de la Cour du 9 février 2006, Sfakianakis, C‑23/04 à C‑25/04, Rec. p. I‑1265, point 28, et arrêt du Tribunal du 27 juin 2000, Salamander e.a./Parlement et Conseil, T‑172/98, T‑175/98 à T‑177/98, Rec. p. II‑2487, point 78) et la Cour ayant considéré dans son arrêt Commission/max.mobil, point 16 supra (point 72), en substance, que l’interprétation qu’elle avait retenue ne se heurtait pas à ce principe, le fait que ladite charte ait désormais la même valeur juridique que les traités, conformément à l’article 6 TUE, ne saurait avoir pour effet d’exiger une solution différente en l’espèce."
Ausdrücklich hält das EuG noch fest, dass nationale Richter nicht an die Auffassung der Kommission, wie sie in den Schreiben über das Unterbleiben einer weiteren Verfolgung der Beschwerden zum Ausdruck kam, gebunden sind (nach dem Sachverhalt zur Rechtssache T-568/10 hatte die französische Cour de Cassation im Übrigen auch tatsächlich eine Verletzung der WettbewerbsRL festgestellt). Da diese Schreiben eben keine Rechtsverbindlichkeit haben, könne sich auch der betroffene Mitgliedstaat nicht darauf berufen, dass die Kommission damit die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren abgelehnt habe; die Kommission könne auch später noch ein solches Verfahren einleiten. Auch wenn Vivendi die Verfahren vor dem EuG verloren hat, hat das Unternehmen damit wohl wesentliche rechtliche Argumente für die vor den nationalen Gerichten ausgetragenen Rechtsstreitigkeiten gewonnen.

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