Monday, February 20, 2012

Am Radar: Redaktionsgeheimnis-Fälle vor dem EGMR (und ein Veranstaltungshinweis)

Mit Fragen des Redaktionsgeheimnisses habe ich mich hier im Blog (ua hier oder hier) schon öfter beschäftigt - und Anlässe für Beiträge wird es auch weiterhin geben. Hier eine kurze Vorschau auf interessante Verfahren, die derzeit beim EGMR zu Fragen des Redaktionsgeheimnisses anhängig sind:
  • Uitgeversmaatschappij De Telegraaf B.V. ua gegen Niederlande (Appl. no 39315/06), 
  • Saint-Paul Luxembourg S.A. gegen Luxemburg (Appl. no 26419/10),
  • Nagla gegen Lettland (Appl. no. 73469/10), und - eher am Rande -
  • Ivashchenko gegen Russland (Appl. no 61064/10);
  • (Update 31.10.2012) Keena und Kenendy gegen Irland (Appl. no. 29804/10).
  • (Update 22.02.2013) Stichting Ostade Blade gegen Niederlande (Appl no. 8406/06)
  • (Update 01.08.2013) Telegraaf Media Nederland Landelijke Media B.V. und Van Der Graaf gegen Niederlande (Appl. no. 33847/11)
  • (Update 09.12.2013) Becker gegen Norwegen (Appl. no. 21272/12)
Im Fall Uitgeversmaatschappij De Telegraaf geht es - grob vereinfacht - um die Zulässigkeit einer an einen Zeitungsherausgeber gerichteten Anordnung, bestimmte Dokumente herauszugeben, um eine undichte Stelle im staatlichen Geheimdienst identifizieren zu können (genauer nachzulesen in der Teilentscheidung über die Zulässigkeit). Der Fall war bereits Gegenstand einer Teilentscheidung über die Zulässigkeit vom 18.05.2010 (die Zulässigkeit wurde hinsichtlich der ebenfalls beschwerdeführenden Niederländischen Journalistenvereinigung und der Niederländischen Chefredakteursvereinigung verneint) und wurde - hinsichtlich der Beschwerden des Herausgebers und der beiden betroffenen Journalisten - am 19.05.2010 den Niederlanden kommuniziert. Update 23.11.2012: Zum Urteil vom 22.11.2012 siehe hier.

Im Fall Saint-Paul Luxembourg geht es um eine Hausdurchsuchung beim Herausgeber einer Zeitung, die in einem Beitrag über den Entzug der Obsorge die Namen zweier betroffener Minderjähriger (und des verantwortlichen Sozialarbeiters) genannt hatte, obwohl dies gesetzlich untersagt ist. In dem in der Folge aufgrund einer Beschwerde des Sozialarbeiters eingeleiteten Strafverfahren wurde gerichtlich eine Hausdurchsuchung angeordnet, um alle Dokumente und Unterlagen sicherzustellen, um den Informanten bzw Mitarbeiter der Zeitung festzustellen, der den Artikel geschrieben hat. Der Beschwerdefall wurde mit dem am 26.12.2011 veröffentlichten Exposé de faits dem Mitgliedstaat kommuniziert. (Update 18.04.2013: siehe zum Urteil im Blog hier).

Der Fall Nagla gegen Lettland betrifft die Durchsuchung der Privatwohnung einer Fernsehjournalistin, die aus einer vertraulichen Quelle Informationen über ein massives Sicherheitsproblem bei der Datenbank des nationalen Steueramtes erhalten und darüber berichtet hatte. Bei der Durchsuchung, die von einem Staatsanwalt bewilligt (und nachträglich von einem Richter als rechtmäßig bestätigt) worden war, wurden ein Laptop, eine externe Festplatte, eine Speicherkarte und zwei Flash-Drives sichergestellt. Der Fall wurde mit dem am 13.02.2012 veröffentlichten Statement of Facts dem Mitgliedstaat kommuniziert. In dieser Mitteilung wird unter anderem die Frage gestellt, ob das lettische Rechtssystem adäquate rechtliche Gewährleistungen für die Journalistin enthalte, um eine unabhängige Beurteilung des Überwiegens der Interessen der Strafverfolgung über das öffentliche Interesse am Schutz journalistischer Quellen zu ermöglichen (im Sinne des Urteils der Großen Kammer des EGMR im Fall Sanoma Uitgevers; dazu hier). Update 16.07.2013: Zum Urteil des EGMR vom 16.07.2013 siehe hier.

In einem gewissen Zusammenhang zu Fragen des Redaktionsgeheimnisses steht schließlich auch der Fall Ivashchenko gegen Russland (Appl. no 61064/10), bei dem es um die Durchsuchung eines Laptops und mehrerer elektronischer Speichermedien durch Zollorgane (und das Erstellen von Kopien seiner Daten) geht. Der Beschwerdeführer beruft sich nicht nur auf die Verletzung seiner Urheberrechte, sondern auch auf sein Recht auf den Schutz journalistischer Quellen (wobei aus dem Statement of Facts leider nicht eindeutig hervorgeht, ob der Beschwerdeführer tatsächlich Journalist ist).

(Update 31.10.2012) Keena und Kennedy gegen Irland (Appl. no. 29804/10): Journalisten sollten von einem Gericht gezwungen werden, Unterlagen zu auffälligen Zahlungen an den ehemaligen Justizminister und damals aktuellen Regierungschef herauszugeben, die ihnen anonym zugespielt worden waren. Diese Unterlagen stammten aus den Akten eines eigens eingesetzten Tribunals (und ihre Weitergabe war strafrechtlich verboten); die Herausgabe der Unterlagen sollte dazu dienen, die undichte Stelle zu identifizieren. Die Journalisten vernichteten die Unterlagen und konnten daher vom Gericht nicht mehr zur Herausgabe gezwungen werden, mussten aber - obwohl insofern im Verfahren erfolgreich - die Verfahrenskosten tragen. (Statement of facts) Update 23.10.2014: Mit Entscheidung vom 30.09.2014 wurde die Beschwerde mehrheitlich als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

(Update 22.02.2013) Stichting Ostade Blade gegen Niederlande (Appl no. 8406/06); hier geht es um die Durchsuchung der Redaktionsräume einer Zeitschrift, die ein Bekennerschreiben der "Earth Liberation Front" für einen Bombenanschlag in Arnhem veröffentlicht hatte. Das Schreiben wurde nicht herausgegeben, bei der Durchsuchung der Redaktion (unter Überwachung eines Untersuchungsrichters) wurden unter anderem vier Computer, die Datenbank der Abonnenten, Kontaktdaten von Personen und ein Telefonverzeichnis mitgenommen. Die Medieninhaberin und ein Redakteur klagten auf Schadenersatz und unterlagen im Wesentlichen. Mit Entscheidung vom 05.02.2013, Stichting Ostade Blade und F.J. Kallenberg gegen die Niederlande (Appl. no. 8406/06) wies der EGMR die vom Redakteur erhobene Beschwerde wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs zurück; die Beschwerde der Medieninhaberin ist damit noch anhängig. Update (19./29.06.2014): mit Entscheidung vom 27.05.2014 wurde die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen (siehe dazu im Blog hier).

(Update 10.08.2013) Dem Fall Telegraaf Media Nederland Landelijke Media B.V. und van der Graaf gegen Niederlande (statement of facts) liegen - wie dem Fall Uitgeversmaatschappij De Telegraaf - wieder Artikel in der Zeitung De Telegraaf zugrunde, die sich auf Informationen aus dem niederländischen Geheimdienst gründeten. In der Folge war es zu einer Durchsuchung der Wohnung der Journalistin gekommen, bei der diverse Dokumente und Datenträger sichergestellt wurden.

(Update 09.12.2013) Im Fall Becker gegen Norwegen (Appl. no. 21272/12) geht es im Kern um die Frage, ob ein Aussageverweigerungsrecht für Journalisten über ihrer Quellen vor Strafgerichten auch greift, wenn die Quelle bereits ohne Aussage bekannt ist (statement of facts).

Veranstaltungshinweis
In Österreich wird sich eine Veranstaltung an der Akademie der Wissenschaften am 20.03.2012 (16:30 Uhr, Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien) mit dem Redaktionsgeheimnis befassen. Die altehrwürdige Akademie hat schon vor einiger Zeit Einladungen verschickt, aber auf die Websites der gemeinsam veranstaltenden Einrichtungen (Kommission für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung und Institut für Europäisches Schadenersatzrecht) hat es die Veranstaltung noch nicht geschafft. Wirklich geheim soll die Veranstaltung aber wohl doch nicht bleiben, und so habe ich mir erlaubt, im Bild links das Programm wiederzugeben.

Zwei einschlägige Lesehinweise:
Für SpezialistInnen in Sachen Redaktionsgeheimnis interessant ist das aktuelle Urteil des UK Supreme Court im Fall Sugar v BBC (judgmentpress release; siehe auch im UK Human Rights Blog und im Guardian). Es geht um einen Informationsanspruch nach dem Freedom of Information Act, dem die BBC grundsätzlich unterliegt, aber nur "in respect of information held for purposes other than those of journalism, art or literature". Die auf Herausgabe eines internen Untersuchungsberichts zur Objektivität der Nahostberichterstattung gerichtete Klage wurde abgewiesen. In den Entscheidungsgründen findet sich eine interessante Auseinandersetzung um Art 10 EMRK, der von beiden Seiten ins Treffen geführt wurde (Recht auf Informationszugang einerseits, insbesondere gestützt auf Matky, Társaság [dazu hier] und Kenedi, und Recht auf Schutz journalistischer Quellen/Redaktionsgeheimnis andererseits, gestützt  insbesondere auf GoodwinNordisk Film and TV A/S und Sanoma Uitgevers BV  [dazu hier]).

Ebenfalls um die Frage, wieweit das Redaktionsgeheimnis einer Auskunftserteilung durch ein öffentlich-rechtliches Rundfunkunternehmen entgegensteht, geht es im Verfahren Oppong gegen WDR, das kürzlich vom OVG Münster entschieden wurde (das Urteil ist noch nicht im Volltext verfügbar; ein Bericht dazu mit weiteren Verweisen hier bei Telemedicus). Der Journalist Marvin Oppong, der das Verfahren übrigens auf seinem Blog begleitet, wollte Informationen, an wen der WDR Aufträge im nicht-redaktionellen Bereich vergeben hat (insbesondere war er interessiert, ob es Aufträge an Mitglieder des Rundfunkrates gegeben hat). Der WDR verweigerte die Auskunft, das OVG Münster hat nun jedoch ausgesprochen, dass ein Auskunftssanspruch gegen den WDR nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW besteht, ausgenommen sind allerdings Informationen, die das Redaktionsgeheimnis und den Programmauftrag betreffen.
Update 19.07.2013: das Urteil des OVG Münster kann man im Volltext zB hier lesen; der WDR hat gegen die vom OVG nicht zugelassene Revision Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben, die mit Beschluss des BVerwG vom 27.05.2013, 7 B 30.12, zurückgewiesen wurde.

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