Das Urteil Társaság a Szabadságjogokért gegen Ungarn vom 14. April 2009 (Appl. no. 37374/05) betrifft einen Gesetzesprüfungsantrag, den ein Mitglied des ungarischen Parlaments gegen eine Novellierung des Strafgesetzbuchs (mit Änderungen bei Drogendelikten) beim ungarischen Verfassungsgerichtshof gestellt hat. Die vor dem EGMR als Kläger auftretende Organisation - eine auch in der Drogenpolitik aktive NGO mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft und den Rechtssaat in Ungarn zu stärken - beantragte beim Verfassungsgerichtshof die Herausgabe des Gesetzesprüfungsantrags, was dieser ablehnte. Auch die gegen diese Verweigerung eingebrachte Klage bei den nationalen Gerichten brachte (in beiden Instanzen) keinen Erfolg.
Der EGMR verweist in seinem Urteil zunächst darauf, dass das Sammeln von Informationen ein wesentlicher vorbereitender Schritt im Journalismus ist und damit unter den Schutz der Pressefreiheit fällt. Aber die Funktion des "public watchdog" oder "social watchdog" ist nicht auf die Medien beschränkt; auch die Aktiviäten zivilgesellschaftlicher Organisationen können einen ähnlichen Schutz rechtfertigen, wie er der Presse zukommt. Wörtlich heißt es in Abs. 27:
"The function of the press includes the creation of forums for public debate. However, the realisation of this function is not limited to the media or professional journalists. In the present case, the preparation of the forum of public debate was conducted by a non-governmental organisation. The purpose of the applicant's activities can therefore be said to have been an essential element of informed public debate. [...] The applicant is an association involved in human rights litigation with various objectives, including the protection of freedom of information. It may therefore be characterised, like the press, as a social “watchdog” [...]. In these circumstances, the Court is satisfied that its activities warrant similar Convention protection to that afforded to the press."Der verfahrensgegenständliche Gesetzesprüfungsantrag betraf auch eine Angelegenheit des öffentlichen Intereses, sodass die Weigerung des ungarischen Verfassungsgerichtshofs, das Dokument herauszugeben, einen Eingriff in die Informationsfreiheit durch Schaffung eines administrativen Hindernisses bedeutete; ziemlich direkt heißt es in Abs. 28 des Urteils: "The Constitutional Court's monopoly of information thus amounted to a form of censorship."
Der damit bewirkte Eingriff hatte zwar eine gesetzliche Grundlage und verfolgte ein legitimes Ziel, wurde vom EGMR aber nicht als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig beurteilte. Nach Ansicht des EGMR ging es im konkreten Fall weniger um eine Verweigerung des generellen Rechts auf Zugang zu offiziellen Dokumenten als um eine durch die Zensurmacht eines Informationsmonopols ("the censorial power of an information monopoly") ausgeübte Behinderung der Ausübung der Funktion eines "social watchdog". Weiter heißt es in Abs. 36 wörtlich:
"Moreover, the State's obligations in matters of freedom of the press include the elimination of barriers to the exercise of press functions where, in issues of public interest, such barriers exist solely because of an information monopoly held by the authorities."Der EGMR betont aber, dass im vorliegenden Fall - anders als in der Sache Guerra gegen Italien - die Information unmittelbar verfügbar war und nicht erst zusammengesucht werden musste.
Schließlich ging der EGMR auch noch darauf ein, dass das ungarische Gericht die Herausgabe der Daten wegen der darin enthaltenen persönlichen Daten des Abgeordneten, der den Gesetzesprüfungsantrag gestellt hatte, verweigert hatte. Diese Begründung konnte den EGMR auch nicht überzeugen (Abs. 37 und 38):
"the Court considers that it would be fatal for freedom of expression in the sphere of politics if public figures could censor the press and public debate in the name of their personality rights, alleging that their opinions on public matters are related to their person and therefore constitute private data which cannot be disclosed without consent. [...]
The Court considers that obstacles created in order to hinder access to information of public interest may discourage those working in the media or related fields from pursuing such matters. As a result, they may no longer be able to play their vital role as “public watchdogs” and their ability to provide accurate and reliable information may be adversely affected [...]"
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