Tuesday, October 01, 2013

"Der EuGH wies eine Beschwerde der ÖBB zurück": Notiz zur Berichterstattung über ein EuGH-Urteil

Ja, es ist schwierig, über Gerichtsentscheidungen in Medien knapp, verständlich und dabei doch im Wesentlichen korrekt zu berichten. Journalistische Verkürzungen und Vereinfachungen sind notwendig, um komplexe Sachverhalte und meist noch komplexere rechtliche Überlegungen herunterzubrechen auf eine Kernbotschaft, die Nachrichten- oder oft auch Unterhaltungswert für eine breitere Zielgruppe hat.

Nicht alles, was in einer juristischen Klausur als falsch beurteilt würde, kann man in der journalistischen Berichterstattung kritisieren: wenn in der Zeitung "Urteil" statt "Beschluss" steht, wenn von "Klagen" die Rede ist, wo es um Beschwerden oder Anträge geht, oder wenn eine Abweisung als Zurückweisung präsentiert wird, so mag dies in der juristischen Seele schmerzen, die transportierte Nachricht wird allein damit aber (zumindest im Kern) noch nicht verfälscht. JuristInnen müssen sich eben damit abfinden, dass JournalistInnen gerne einmal Fachbegriffe durch - aus ihrer Sicht! - Synonyme ersetzen, Satzungetüme radikal durchkürzen und anstelle vorsichtig verklausulierter Formulierungen doch lieber plakative Verallgemeinerungen wählen.

Bedenklich aber wird es, wenn JournalistInnen sich nicht auf das Vereinfachen und "Übersetzen" beschränken, sondern freihändig Dinge dazu erfinden. Aktuelles Beispiel: die Berichterstattung über das EuGH-Urteil vom 26.09.2013 in der Rechtssache C-509/11 ÖBB Personenverkehr AG. Der EuGH hat damit über ein Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes zur VO Nr 1371/2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr entschieden.*) Was steht dazu in den österreichischen Zeitungen?
"Jedes Bahnunternehmen in der EU muss seine Passagiere für die Verspätung entschädigen. Das entschied der EuGH und wies damit eine Beschwerde der ÖBB zurück." (Die Presse, Artikel namentlich gezeichnet, ohne Hinweis auf APA)
"EuGH wies Beschwerde der ÖBB zurück
Wenn ein Zug bei Muren, Hochwasser, starken Schneefällen oder Streik verspätet ist oder ausfällt, haben Fahrgäste einen Anspruch auf eine teilweise Rückerstattung des Ticketpreises. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag entschieden und damit eine Beschwerde der ÖBB Personenverkehr AG zurückgewiesen."
(Wiener Zeitung, Artikel namentlich gezeichnet, ohne Hinweis auf APA)
"Europäischer Gerichtshof wies Klage zurück
... Mit diesem Spruch wies der EuGH am Donnerstag eine ÖBB-Klage zurück."
(derstandard.at, gezeichnet mit "APA/DER STANDARD")
Quelle des Unsinns mit der angeblichen Zurückweisung einer ÖBB-Beschwerde (oder Klage) ist offensichtlich die APA, wo jemand nicht einfach die Pressemitteilung des EuGH übernehmen und vielleicht adaptieren wollte, sondern die Geschichte noch zusätzlich ausgeschmückt hat. Und Presse oder Wiener Zeitung, die einen namentlich gekennzeichneten Artikel dazu bringen, machen sich offenbar nicht einmal die Mühe, diese Angabe auch nur kursorisch auf Plausibilität zu überprüfen.

Ich frage mich, wie so ein Bericht zustande kommt: natürlich gibt weder die eigentliche Primärquelle (das EuGH-Urteil) noch die faktische Primärquelle (die Pressemitteilung des EuGH) auch nur den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass der EuGH mit seinem Urteil eine ÖBB-Beschwerde abgewiesen hätte; auch die von der APA offenbar kontaktierten Vertreterinnen der Schienen-Control GmbH und der ÖBB Personenverkehr AG, die mit der Angelegenheit ja vertraut sind, werden Derartiges nicht gesagt haben (sie werden dazu auch nicht zitiert). Ganz abgesehen davon müssten bei allen, die auch nur Grundkenntnisse über die Unionsgerichtsbarkeit haben, die Alarmglocken läuten, wenn im Zusammenhang mit einem Vorabentscheidungsverfahren von der Zurückweisung der Beschwerde (oder Klage) eines Unternehmens die Rede ist.

Aber es geht noch besser. Im Ö1 Mittagsjournal wurde unter anderem so über das Urteil berichtet:
"die staatliche Schlichtungsstelle namens Schienen Control in Wien [...] war es auch, die die ÖBB vor etwa drei Jahren auf Entschädigungszahlungen geklagt hat, sollte eine Zugverbindung wegen höherer Gewalt stark vom Fahrplan abweichen. [...] Der Verwaltungsgerichtshof in Wien hatte die Beschwerde der ÖBB abgewiesen und der Schienen Control Recht gegeben. Weil Fahrgastrechte in einer EU Verordnung festgehalten sind, hat sich nach dem Einspruch der Bahn der EuGH mit dem Streit befasst und - wie erwartet - im Sinne des Kunden entschieden."
Das ist echte Kreativität: drei Sätze, drei frei erfundene Sachverhaltselemente. Die "Schienen Control" hat die ÖBB natürlich nicht auf Entschädigungszahlungen geklagt, der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerde der ÖBB nicht abgewiesen, und der EuGH hat sich nicht "nach dem Einspruch der Bahn [gegen die Abweisung der Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof, oder wie soll man sich das vorstellen?] mit dem Streit befasst".

Dass man über das Urteil auch ohne erfundene Beschwerde-Zurückweisung berichten kann, zeigt zB ein Kurzbericht von Cornelia Primosch in der ZiB 13 (nur mehr einen Tag in der tvthek). Auch zB auf Spiegel online wurde im Wesentlichen korrekt berichtet.

Wie gesagt: es ist schwierig, über Gerichtsentscheidungen knapp und doch im Wesentlichen korrekt zu berichten. Umso mehr sollte man erwarten, dass JournalistInnen die möglichen Fehlerquellen eingrenzen und nicht - durch ungeprüfte ad hoc-Einfälle - noch erweitern. "Zeitungen und Magazine liefern Fakten und Analysen mit Tiefgang", heißt es in der aktuellen Kampagne des VÖZ. Darauf würde ich mich gerne auch in der Gerichtsberichterstattung verlassen können.

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*) Da ich am nationalen Ausgangsverfahren als Richter beteiligt bin, werde ich das Urteil hier auch nicht näher kommentieren. Zu einem vom Generalanwalt in seinen Schlussanträgen aufgegriffenen, vom EuGH erwartungsgemäß - weil nicht entscheidungswesentlich - nicht thematisierten Randaspekt habe ich hier schon etwas geschrieben.

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