Wednesday, December 01, 2010

Reding will Regeln über Veröffentlichungen aus Gerichtsakten nicht harmonisieren

Dass die Staatsanwaltschaft München vor einiger Zeit im Rechtshilfeweg in Österreich Journalisten einvernehmen lassen wollte, die - nach Ansicht der Münchner Staatsanwälte - durch das Zitieren aus den Akten anhängiger gerichtlicher Strafverfahren gegen deutsches Recht (§ 353d Z 3 dStGB) verstoßen haben dürften, hat hierzulande einige Aufregung ausgelöst, zumal die StA Wien dem Ansuchen zunächst bereitwillig gefolgt ist (erst etwas später hat die StA den Fehler - die Handlung ist in Österreich nicht gerichtlich strafbar - eingesehen und dem Rechtshilfeersuchen nicht entsprochen).

In der Aufregung wollten natürlich auch Politiker Aktivität zeigen und zum Beispiel "Pressefreiheit EU-weit sicherstellen" - wozu es aber wohl mehr braucht als eine rhetorische Frage parlamentarische Anfrage im Europaparlament, der symbolischen Ersatzhandlung schlechthin. MEP Jörg Leichtfried wollte also zunächst wissen, ob die Kommission von dem Fall - den er einleitend schildert - Kenntnis hat (tolle Frage: spätestens mit der Anfrage kannte sie wohl Kenntnis - oder hätte sie zugeben sollen, dass sie die einleitenden Worte der Anfrage nicht gelesen hat?), und dann, ob die Kommission gedenke, "Gesetzesvorschläge zur Vereinheitlichung der einschlägigen Regelungen vorzustellen, um derartige Konflikte, wie sie gerade zwischen Österreich und Deutschland herrschen, zu vermeiden". Welche Antwort war darauf wohl zu erwarten - dass die Kommission ihr Arbeitsprogramm umschmeißt und sich einem Thema widmet, das sie bisher aus gutem Grund ausgelassen hat? Wohl nicht - und so lautet die Antwort von Kommissarin Reding im Namen der Kommission:
"Das einschlägige Strafrecht ist nicht EU-weit vereinheitlicht. Die Kommission beabsichtigt auch nicht, eine Harmonisierung der Regelungen zur Veröffentlichung von Dokumenten, die Gerichtsverfahren betreffen, vorzuschlagen. Deshalb haben die Mitgliedstaaten das Recht auf ihr eigenes System und können selbst entscheiden, ob sie gegen die Offenlegung von Gerichtsakten strafrechtlich vorgehen. Die Kommission macht gleichwohl darauf aufmerksam, dass gemäß dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union jeder Mitgliedstaat Rechtshilfe in grenzübergreifenden Fällen ablehnen kann, wenn ein im Ausland verfolgter Fall in seinem Recht nicht ebenfalls als Straftat gilt." [Hervorhebung hinzugefügt]
Bleibt noch die dritte Frage: "Was gedenkt die Kommission zu tun, um die Pressefreiheit in der Europäischen Union weiter zu gewährleisten?" Die Antwort darauf lautet, hier auf das Wesentliche zusammengefasst und umformuliert: "Nichts, was nicht ohenhin schon geschieht - und was soll das eigentlich mit dem österreichischen Fall zu tun haben?", oder, im Original: 
"Das Recht auf freie Meinungsäußerung stellt einen Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaften dar und ist in Artikel 11 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Im Rahmen der Zuständigkeiten der EU gewährleistet die Kommission, dass die in der Charta verankerten Grundrechte, einschließlich der Meinungsfreiheit, geachtet, gefördert und durchgesetzt werden. Auf der Grundlage der vom Herrn Abgeordneten zur Verfügung gestellten Informationen fällt der beschriebene Fall offenbar nicht in den Anwendungsbereich des EU-Rechts. Abgesehen von der Zuständigkeit der Europäischen Union müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Grundrechte geachtet werden, indem sie ihre internationalen Verpflichtungen erfüllen und ihre innerstaatlichen Vorschriften anwenden." [Hervorhebung hinzugefügt]
Wie es zur Einvernahme kam und was die österreichische Justizministerin dazu sagt, kann man aufgrund dieser parlamentarischen Anfrage im Nationalrat in einer Anfragebeantwortung von BM Mag. Bandion-Ortner nachlesen. Der deutschen Regelung begegnet sie durchaus mit Verständnis ("Im Kern dient der Straftatbestand [...] der Fairness des Strafverfahrens"), stellt aber klar: "Pläne zur Einführung einer ähnlichen Bestimmung in Österreich bestehen aber derzeit nicht." 

Update 20.12.2010: MEP Leichtfried hat eine ähnliche Anfrage wie an die Kommission auch an den Rat gerichtet ("1. Hat der Rat Kenntnis des oben genannten Falles? 2. Was gedenkt der Rat zu tun, um die Pressefreiheit in der Europäischen Union weiter zu gewährleisten und um derartige Konflikte, wie sie gerade zwischen Österreich und Deutschland herrschen, zu vermeiden?"). Nun liegt die Antwort der Anfrage an den Rat vor (hier). Sie besteht aus einem Satz: "Der Rat hat diese Frage nicht erörtert."

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