Tuesday, September 09, 2014

Update zu Telekomsachen vor dem EuGH: Schlussanträge T-Mobile Austria und neue Vorabentscheidungsersuchen

1. Schlussanträge C-282/13 T-Mobile Austria

Generalanwalt Szpunar hat heute die Schlussanträge in der Rechtssache C-282/13, T-Mobile Austria, erstattet. In diesem Verfahren geht es wieder einmal um die Frage, wer von einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde im Sinne von Art 4 der RahmenRL "betroffen" ist, in diesem Fall im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Übertragung von Nutzungsrechten an Frequenzen (Art 5 Abs 6 der GenehmigungsRL).

Die Rechtssache, so der Generalanwalt, bietet "die Gelegenheit, allgemeiner darüber nachzudenken, inwieweit das Unionsrecht in die prozessrechtliche Regelung der Mitgliedstaaten über die Voraussetzungen für die Anfechtung von Verwaltungsentscheidungen eingreifen kann." Er verweist eingangs auch auf die weiter gehende Bedeutung der Vorlagefrage im Hinblick auf ähnliche Regelungen in anderen Rechtsakten der Union (Art 22 Abs 3 Postdienste-RL, Art 37 Abs 17 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL, Art 41 Abs 17 Erdgasbinnenmarkt-RL).

Im Folgenden wesentliche Aussagen aus den Schlussanträgen im Wortlaut (da das Verfahren auf ein Vorabentscheidungsersuchen des VwGH zurückgeht, enthalte ich mich jeder Kommentierung):

Zur Verfahrensautonomie:
42. [...] Auf den Grundsatz der Verfahrensautonomie kann man sich erst auf der Stufe der Gestaltung einzelner Vorschriften und Verfahren zur Geltendmachung von aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechten berufen. Die Verfahrensautonomie umfasst hingegen nicht die Bestimmung, wem die Anfechtungsbefugnis in einem durch das Unionsrecht geregelten Bereich zusteht.
Zum Zweck des Art 4 Abs 1 RahmenRL:
46. Nach meinem Verständnis beschränkt sich der Zweck dieser Vorschrift nicht darauf, den Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes widerzuspiegeln, der ja bereits in übergeordneten Normen geregelt wird, und zwar derzeit in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
47. Zweck des Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie ist die Bestimmung eines einheitlichen Umfangs der Anfechtungsbefugnis von Privaten im Bereich der elektronischen Telekommunikation.
48. Mit dieser Vorschrift soll verhindert werden, dass eine Person – bei identischer Sachlage – in einem Mitgliedstaat zum Schutz ihrer Rechte die Befugnis zur Anfechtung einer Entscheidung der Regulierungsbehörde hätte, nicht aber in einem anderen Mitgliedstaat. Solche Unterschiede im Bereich des Zugangs zu einem Rechtsbehelf würden dazu führen, dass der Inhalt der Rechte, die dem Einzelnen im Bereich der elektronischen Kommunikation aus dem Unionsrecht erwachsen, in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich aufgefasst würde. Solche Unterschiede könnten auch dazu führen, dass in einigen Mitgliedstaaten schon die Existenz von Rechten dieser Art an sich in Frage gestellt werden könnte.
Zur konkreten Auslegung des Art 4 Abs 1 RahmenRL:
69. Die Voraussetzung nach Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie, dass eine Person von der entsprechenden Entscheidung „betroffen“ sein muss, ist meines Erachtens dahin zu verstehen, dass sich die behördliche Entscheidung auf den Bereich der rechtlich geschützten Interessen der jeweiligen Person auswirken muss.
70. Für die Zuerkennung der Anfechtungsbefugnis ist es hingegen nicht erforderlich, dass der Rechtsbehelfsführer darlegt, dass seine konkreten subjektiven Rechte verletzt wurden.
[...]
80. Eine Entscheidung der Regulierungsbehörde, die in einem Verfahren zum Schutz des Wettbewerbs ergeht, wirkt sich zweifellos auf das individuelle Interesse eines Unternehmens aus, dessen Marktstellung infolge der Handlungen, die Gegenstand der Entscheidung sind, spürbar beeinträchtigt werden könnte.
81. Ein solches Interesse besteht nicht nur auf faktischer Ebene, sondern stellt [...] auch ein rechtliches Interesse dar. Die Lage der konkurrierenden Unternehmen wird in einer unionsrechtlichen Norm berücksichtigt, nach der die Regulierungsbehörde Maßnahmen treffen muss, um eine solche wesentliche Änderung der Marktstellung von konkurrierenden Unternehmen, die zu einer Verzerrung oder Beschränkung des Wettbewerbs führen könnte, zu verhindern.
82. Im Verhältnis zu Unternehmen, die mit dem Adressaten der Entscheidung konkurrieren, ist die Voraussetzung nach Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie, dass das jeweilige Unternehmen von der Entscheidung „betroffen“ sein muss, meines Erachtens dann erfüllt, wenn die Regulierungsbehörde im Rahmen eines in einer unionsrechtlichen Norm, die den Schutz des Wettbewerbs bezweckt, vorgesehenen Verfahrens entscheidet und die Entscheidung Handlungen oder Transaktionen betrifft, die die Marktstellung des Rechtsbehelfsführers spürbar beeinträchtigen.
Zur Auslegung des Art 5 Abs 6 GenehmigungsRL:
93. Gemäß Art. 5 Abs. 6 der Genehmigungsrichtlinie sorgen die zuständigen Behörden dafür, dass der Wettbewerb nicht durch Übertragungen von Rechten zur Nutzung von Funkfrequenzen verzerrt wird. Hierbei können die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen ergreifen, z. B., indem sie den Verkauf oder die Vermietung von Frequenznutzungsrechten anordnen.
94. Trotz der fakultativen Formulierung im letzten Satz der zitierten Vorschrift – die Mitgliedstaaten „können“ geeignete Maßnahmen ergreifen – ergibt sich tatsächlich aus dem vorausgehenden Satz der Vorschrift ausdrücklich, dass der Mitgliedstaat, wenn er eine Übertragung von Frequenznutzungsrechten zwischen Betreibern genehmigt, zugleich verpflichtet ist, geeignete Rechtsrahmen zur Regulierung dieser Übertragungsgeschäfte zu schaffen, damit die Wettbewerbsbedingungen hierdurch nicht verzerrt werden.
[...]
96. Es steht außer Zweifel, dass die Mitgliedstaaten bei der erstmaligen Frequenzzuteilung die Notwendigkeit der Gewährleistung einer wettbewerbsfähigen Marktstruktur besonders zu berücksichtigen haben. Dieser Grundsatz wäre wirkungslos, wenn die Wettbewerbsstruktur durch eine spätere Übertragung von Rechten zwischen konkurrierenden Unternehmen beeinträchtigt werden könnte.
97. Angesichts dieser Erwägungen dient die Kontrolle der Übertragung von Frequenzen gemäß Art. 5 Abs. 6 der Genehmigungsrichtlinie – und damit auch das Verfahren vor der TCK, das Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist – vor allem dem Schutz der Wettbewerbsstruktur des Marktes.
Vorgeschlagene Antwort auf die Vorlagefrage:
Art. 4 Abs. 1 der [RahmenRL] ist dahin auszulegen, dass das Recht zur Anfechtung einer Entscheidung der Regulierungsbehörde über die Genehmigung einer Übertragung von Frequenznutzungsrechten gemäß Art. 5 Abs. 6 der [GenehmigungsRL] einem mit den an der Transaktion Beteiligten konkurrierenden Unternehmen zusteht, sofern die Transaktion seine Marktstellung spürbar beeinträchtigen kann.

2. Neue Vorabentscheidungsersuchen

Beim EuGH wurden in letzter Zeit auch wieder neue Vorabentscheidungsersuchen zu Fragen des Telekomrechts eingebracht. Ich versuche die offenen Verfahren relativ zeitnah in meiner Übersichtsliste zu erfassen und weise üblicherweise nicht mit Blogposts auf neue Verfahren hin. Hier dennoch ein kurzer Überblick zu den in den letzten Monaten neu anhängig gemachten Telekom-Verfahren:

Indexklausel als Änderung von Vertragsbedingungen iSd Art 20 UniversaldienstRL?
Der Oberste Gerichtshof möchte wissen, ob das in Art 20 Abs 2 der Universaldienstrichtlinie für die Teilnehmer vorgesehene Recht, "bei der Bekanntgabe von Änderungen der Vertragsbedingungen" den Vertrag ohne Zahlung von Vertragsstrafen zu widerrufen, auch für den Fall vorzusehen ist, dass sich eine Anpassung der Entgelte aus den Vertragsbedingungen ableitet, die bereits bei Vertragsabschluss vorsehen, dass in der Zukunft eine Anpassung der Entgelte (Steigerung/Reduktion) entsprechend den Veränderungen eines objektiven Verbraucherpreisindex, der die Geldwertentwicklung abbildet, zu erfolgen hat? Das Verfahren ist anhängig unter C-326/14 A1 Telekom Austria (Volltext des Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichtshofs)

Pflicht zur Durchführung des "Art 7-Verfahrens" bei Entgeltgenehmigung?
Das deutsche Bundesverwaltungsgericht fragt, ob Art 7 Abs 3 RahmenRL dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regulierungsbehörde, die einen Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht verpflichtet hat, Mobilfunkterminierungsleistungen zu erbringen, und die hierfür verlangten Entgelte unter Einhaltung des in der genannten Richtlinienbestimmung vorgesehenen Verfahrens der Genehmigungspflicht unterworfen hat, verpflichtet ist, das Verfahren nach Art 7 Abs 3 RahmenRL vor jeder Genehmigung konkret beantragter Entgelte erneut durchzuführen. Das Verfahren ist anhängig zu C-395/14 Vodafone (Volltext des Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts; zu Art 7 Abs 3 RahmenRL ist derzeit auch noch das Vorabentscheidungsersuchen des polnischen Obersten Gerichtshofes C-3/14 Polska Telefonia Cyfrowa anhängig).

Zugang zu nicht-geografischen Nummern
Der polnische Oberste Gerichtshof fragt zur Auslegung des Art 28 UniversaldienstRL (in der Stammfassung), ob auch Endnutzer aus anderen Mitgliedstaaten Zugang zu nicht-geografischen Rufnummern (0800, 0801 und 0804) bekommen müssen, und - wenn ja - ob schließlich die nationale Regulierungsbehörde dafür kostenorientierte Zusammenschaltungsentgelte festlegen kann, wenn Verhandlungen zwischen den Betreibern gescheitert sind. Das Verfahren ist anhängig zu C-397/14 Polkomtel (Volltext des Vorabentscheidungsersuchens, in polnischer Sprache; zu Art 28 UniversaldienstRL sind derzeit auch noch die Vorabentscheidungsersuchen C-85/14 KPN des niederländischen College van Beroep voor het bedrijfsleven sowie C-1/14 KPN Group Belgium und Mobistar des belgischen Verfassungsgerichts [Grondwettelijk Hof]).

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