Wednesday, March 31, 2010

EGMR: Vorwurf der Kollaboration mit dem KGB - keine bloße Meinungsäußerung

"Political debate has its own rules and sometimes those rules can be very harsh for those who decide to actively participate in it. But neither the press nor political opponents can be granted a licence to kill." So schreiben die Richter Lech Garlicki (Polen), Ján Šikuta (Slowakei) und Mihai Poalelungi (Republik Moldau), in ihrer concurring opinion zum Urteil des EGMR vom 30.03.2010 im Fall Petrenco v. Moldova (Application no. 20928/05).

Der vom EGMR entschiedene Fall betraf einen Artikel in der offiziellen staatlichen Zeitung der Republik Moldau vom 4. April 2002. Darin wurde dem Beschwerdeführer vor dem EGMR, einem Universitätsprofessor für Geschichte und Vorsitzenden der Historikervereiningung Moldaus, von einem Historikerkollegen und ehemaligen Minister (implizit) vorgeworfen, sein Postgraduate-Studienplatz und seine nachfolgende Karriere als Historiker seien das Resultat seiner Kollaboration mit den sowjetischen Geheimdiensten gewesen. Herr Petrenco klagte, die Zeitung distanzierte sich zwei Jahre später von der herabwürdigenden Wortwahl und vom Vorwurf, der Beschwerdeführer habe ein "schwaches Gedächtnis" und es fehle ihm an persönlicher Würde, nicht aber auch vom Vorwurf der Kollaboration mit dem KGB. Vor den nationalen Gerichten blieb Herr Petrenco mit seine Klage erfolglos, anders vor dem EGMR, der mit einem Stimmverhältnis von sechs zu eins auf eine Verletzung des Artikel 8 EMRK erkannte.

Das Urteil folgt der Rechtsprechung des EGMR im Fall Pfeifer (siehe dazu im Blog hier) und wägt die Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK ab.
"Unlike the domestic courts, the Court is not persuaded that the statements in question can be considered mere value judgments. [...] In the Court's view, whether an individual has collaborated with the Soviet secret services is not merely a matter for speculation but a historical fact, capable of being substantiated by relevant evidence [...] implying without any factual basis that the applicant had collaborated with the Soviet secret services, exceeded the acceptable limits of comment in the context of a debate of general interest. Taking into account the particular gravity of the allegation in the present case, the Court finds that the reasons advanced by the domestic tribunals to protect the newspaper and S.N.'s right to freedom of expression were insufficient to outweigh the applicant's right to respect for his reputation."
Wie so oft sind die interessantesten Ausführungen in den Separatvoten zu finden. Zunächst im zustimmenden Votum der Richter Garlicki, Šikuta und Poalelungi, die sich mit der "wilden Säuberung" beschäftigen ("the so-called 'wild lustration': a situation in which allegations concerning former collaboration with the communist political police are raised, in the heat of a political debate, by the press and/or by a private person of some political standing"). Der Umstand, allein, dass eine solche "wilde Säuberung" in einem politischen Kontext stattfinde, reicht nicht aus, um von der Verpflichtung zum Schutz des guten Rufs anderer abzusehen. Die Richter weisen aber auch auf die Möglichkeit hin, dass es positive Verpflichtungen der Staaten geben könnte, Zugang zu Archivmaterial zu gewähren: "an arbitrary bar on any reasonable access [to state archives in which information about past events can be researched] may constitute a violation of both Article 8 and Article 10 of the Convention."
 
Interessant ist aber auch die abweichende Meinung des Richters David Thór Björgvinsson (Island), der auf die politischen Funktionen des Beschwerdeführers verweist, die in der Mehrheitsmeinung zwar im Vorbringen der Regierung der Republik Moldau ebenso referiert werden wie das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels keine politische Funktion ausgeübt habe, aber in der Beurteilung des Gerichts schlicht nicht vorkommen. Vor diesem Hintergrund und der kommunistischen Vergangenheit des Beschwerdeführers kann Richter Björgvinsson keine Verletzung des Art 8 EMRK erkennen: 
"The applicant does not deny that he was a member of the Communist Party of the former Soviet Union. Admittedly, membership of the Communist Party is one thing; association with the KGB is quite another. However, what is not in dispute is the fact of his association with a former repressive regime albeit in one of its less oppressive guises. In such circumstances and particularly in the context of a political debate on matters of public interest, I do not accept that the mere suggestion that the applicant was well regarded by the KGB so increases the level of stigmatisation that it warrants sacrificing the fundamental right to press freedom for the sake of protecting his rights under Article 8.
Dass die Frage der Zusammenarbeit mit kommunistischen Geheimdiensten auch in anderen Staaten relevant ist, zeigt zB ein aktuelles Urteil des OLG Hamburg in einem Streit zwischen Gregor Gysi und dem ZDF (hier bei Telemedicus).

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