Sunday, November 23, 2014

EuGH: dänisches Teleklagenævn ist kein vorlageberechtigtes Gericht (und was das für österreichische Verwaltungsgerichte bedeuten könnte)

Das Teleklagenævn ist eine unabhängige Telekommunikations-Beschwerdekommission in Dänemark, die aus sieben Mitgliedern besteht und über Beschwerden gegen Entscheidungen der dänischen Regulierungsbehörde entscheidet. Die Entscheidungen sind verbindlich, können aber vor Gericht angefochten werden.

Der dänische Universaldienstbetreiber TDC hatte eine Entscheidung der Regulierungsbehörde über die Finanzierung von zusätzlichen Universaldienstpflichten vor das Teleklagenævn gebracht. Das Teleklagenævn - das sich als unabhängiges Tribunal versteht und der Meinung war, damit auch ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art 267 AEUV zu sein - richtete daraufhin eine Reihe von Fragen zur Auslegung der Universaldienstrichtlinie an den Europäischen Gerichtshof.

Der EuGH hat sich mit diesen Fragen in seinem Urteil vom 09.10.2014, C-222/13, TDC A/S, nicht mehr auseinandergesetzt, weil er zum Ergebnis kam, dass das Teleklagenævn gar kein vorlageberechtigtes Gericht ist - weil es das dafür notwendige Kriterium der Unabhängigkeit nicht erfüllt.

Für diesen Befund führt der EuGH zunächst ins Treffen, dass die Mitglieder des Teleklagenævn vom Minister ihres Amtes enthoben werden können; dabei kommen ausschließlich die allgemeinen Regeln des Verwaltungs- und des Arbeitsrechts zur Anwendung, nicht aber das für die Abberufung von Richtern vorgesehene Verfahren. Die Abberufung der Mitglieder des Teleklagenævn sei daher "offenkundig nicht mit besonderen Garantien verbunden, die es ermöglichen würden, jeden berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit dieser Einrichtung auszuräumen".

Ein Gericht, das seine Entscheidung vor einem anderen Gericht verteidigen muss, ist nicht unabhängig
Bemerkenswert ist aber der zweite Grund, weshalb laut EuGH - "im Übrigen" - das Teleklagenævn nicht unabhängig ist (Rn 37):
Wie aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervorgeht, kann gegen Entscheidungen des Teleklagenævn im Übrigen Klage bei den ordentlichen Gerichten erhoben werden. Wird eine solche Klage erhoben, ist der Teleklagenævn Beklagter. Diese Beteiligung des Teleklagenævn an einem Verfahren, in dem seine eigene Entscheidung in Frage gestellt wird, bedeutet, dass er beim Erlass dieser Entscheidung im Verhältnis zu den beteiligten Interessen nicht die Eigenschaft eines Dritten hatte und nicht die erforderliche Unparteilichkeit besitzt (vgl. in diesem Sinne Urteil RTL Belgium, EU:C:2010:821, Rn. 47). Diese Organisation der Rechtsbehelfe gegen eine Entscheidung des Teleklagenævn macht somit deutlich, dass die Entscheidungen dieser Einrichtung keinen gerichtlichen Charakter aufweisen (vgl. entsprechend Beschluss MF 7, C‑49/13, EU:C:2013:767, Rn. 19). [Hervorhebung hinzugefügt]
Mit anderen Worten: dass das Teleklagenævn im gerichtlichen Verfahren dann Beklagter ist (in Österreich würden wir "belangte Behörde" sagen), führt dazu, dass es nicht mehr als unabhängig angesehen werden kann. Logisch: denn wenn das Teleklagenævn die eigene Entscheidung verteidigt, die von einer von zumindest zwei Parteien des Verfahrens angegriffen wird, stellt es sich gewissermaßen auf die Seite der anderen Verfahrenspartei(en) - eine Rolle, die einem unabhängigen Gericht eben nicht zukommt.

Und was hat das mit den österreichischen Verwaltungsgerichten zu tun?
Unmittelbar natürlich gar nichts. Interessant wird es nur vor dem Hintergrund des Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 11.03.2014, B 40-41/2014-9, in dem der VfGH die vorläufige Ansicht vertritt, dass im Fall einer Beschwerde gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes nach Art 144 B-VG das Verwaltungsgericht(!) seine Entscheidung zu verteidigen hätte - dass also die bis Ende 2013 gegenüber Verwaltungsbehörden bestehende Situation nun auch wieder gegenüber Verwaltungsgerichten herzustellen wäre. Wörtlich heißt es in diesem Prüfungsbeschluss:
Durch Art. 144 B-VG wird ein System geschaffen, das von der Annahme ausgeht, dass das jeweils belangte Gericht die von ihm erlassene Entscheidung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu verteidigen hat. [Hervorhebung hinzugefügt]
Sollte der VfGH in seinem Gesetzesprüfungsverfahren diese Ansicht aufrechterhalten, dann würde den gerade erst geschaffenen erstinstanzlichen Verwaltungsgerichten sozusagen ein Stück ihrer Unabhängigkeit - jener Unabhängigkeit, die der EuGH als Voraussetzung für ein Gericht im Sinne des Art 267 AEUV sieht - wieder genommen (wenn auch - vorerst? - nur im verfassungsgerichtlichen Verfahren).*)

Update 15.01.2015: Der VfGH hat nun tatsächlich mit Erkenntnis vom 29.11.2014, G 30-31/2014, § 83 Abs 1 VfGG mit Wirkung ab 30.06.2015 aufgehoben. Aus Respekt vor dem VfGH will ich das hier nicht weiter kommentieren.
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*) Als Gegenargument kann man natürlich anführen, dass der EuGH bisher Vorabentscheidungsersuchen der unabhängigen Verwaltungssenate und mancher unabhängiger Kollegialbehörden (zB Umweltsenat, Bundesvergabeamt, Schienen-Control-Kommission) angenommen hat und deren Unabhängigkeit dabei zumindest nicht aus dem Grund bezweifelt hat, dass sie bei Anfechtung ihrer Entscheidungen belangte Behörde vor dem VwGH und/oder VfGH waren - aber dieser Aspekt war, soweit ich das überblicke, dabei auch nicht thematisiert worden.

1 comment :

Michael Suda said...

Es stellen sich also, unter der Annahme, dass der VfGH C‑222/13 nicht einfach übersehen hat (unwahrscheinlich), folgende Fragen:

1. Möchte der VfGH seine Auffassung von Parteistellung und Rollenverteilung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausdrücklich gegenüber dem EuGH postulieren? Eventuell in der Absicht, sich - wenn schon, denn schon - nur vom Höchstgericht der Union widerlegen zu lassen?

2. Ist die Rechtsprechung des EuGH zu dieser Frage nicht im Grunde zu wenig gefestigt, um nicht doch noch nach beiden Richtungen "biegsam" zu sein? Was dagegen spricht: der EuGH hat auch beinhart (österreichische) Gericht mit Vorabentscheidungsersuchen nach Hause geschickt, wenn das Ausgangsverfahren nicht kontradiktorischen und streitentscheidenden Charakter hatte (z.B. das Landesgericht Wels in einer materiell durchaus europarechtsrelevanten Firmenbuchsache, C-182/00 vom 15.1.2002).

3 Hat der Gesetzgeber (insbesondere) beim VfGG (aber auch beim VwGG und VwGVG) ausreichend bedacht, dass es zwei grundverschiedene Typen von Verwaltungsverfahren gibt, die vor die Verwaltungsgerichte kommen? Einerseits die, in denen eine Partei der Behörde gegenübersteht (hier tritt das Verwaltungsgericht gewissermaßen an die Stelle der Verwaltungsstrafbehörde, der Gewerbebehörde oder des Finanzamts). Und andererseits jene, in denen von Anfang an zwei oder mehr Parteien einen Streit auf dem Verwaltungsrechtsweg austragen, weil es das Gesetz eben so vorsieht (z.B. bei öffentlichen Auftrags- oder Konzessionsvergaben).

4. Möchte der EuGH nicht im Grunde genommen nur die Flut von Vorabentscheidungsersuchen von Gerichten erster und zweiter Instanz loswerden und sich auf Fragestellungen der nationalen Höchstgerichte (oder zumindest 'höherer Berufungsgerichte') konzentrieren?