Wednesday, March 16, 2011

Majestätsbeleidigung, aber richtig: EGMR zum Fall Otegi Mondragon

Egal ob republikanisches Staatsoberhaupt oder König einer konstitutionellen Monarchie: wer an der Spitze des Staates steht, muss auch heftige öffentliche Kritik aushalten können. Das galt für den früheren türkischen Präsidenten Demirel, der es hinnehmen musste, von einem Abgeordneten als Lügner und Verleumder bezeichnet zu werden (Urteil des EGMR vom 22.02.2005, Pakdemirli, Appl. no. 35839/97), und es gilt nach dem neuen Urteil des EGMR vom 15. März 2011, Otegi Mondragon, Appl. no. 2034/2007, auch für den spanischen König, selbst wenn dieser nur ein "neutrales Symbol des Staates" sein soll.

Otegi Mondragon war Fraktionssprecher einer linken baskischen Partei im Parlament der autonomen baskischen Gemeinschaft. Im Februar 2003 wurden nach einem Gerichtsbeschluss die Redaktionsräume einer baskischen Tageszeitung durchsucht und wegen vermuteter Verbindungen zur terroristischen ETA geschlossen. Zehn Personen, darunter die wichtigsten Redakteure der Zeitung, wurden verhaftet und fünf Tage an einem geheimen Ort festgehalten. Danach beklagten sie sich über Misshandlungen im Polizeigewahrsam.

Kurz danach besuchte der spanische König die Eröffnung eines Kraftwerks im Baskenland. Otegi Mondragon bezeichnete diese Veranstaltung bei einer Pressekonferenz auf eine Journalistenanfrage hin als eine wahrhafte politische Schande; der König als oberster Chef der Guardia Civil und der spanischen Armee sei verantwortlich für die Folterer, er schütze die Folter und zwinge sein monarchisches Regime dem Volk mit den Mitteln der Folter und der Gewalt auf. Otegi Mondragon wurde wegen schwerer Beleidigung des Königs strafrechtlich verfolgt, in erster Instanz zwar freigesprochen, aber in der Instanz doch zu einem Jahr Freiheitsstrafe, die schließlich bedingt ausgesprochen wurde, verurteilt.

Der EGMR beurteilte die Verurteilung auf Grund der Beschwerde von Otegi Mondragon als unzulässigen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung. Der Eingriff hatte eine gesetzliche Grundlage und verfolgte ein legitimes Ziel, war aber "nicht in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" und damit unverhältnismäßig. Der Beschwerdeführer sei ohne Zweifel als Sprecher eine parlamentarischen Gruppe aufgetreten und habe eine Frage von öffentlichem Interesse im Baskenland angesprochen. Daher war der Beurteilungspielraum der nationalen Behörden beschränkt. Der EGMR stellte fest, dass auch die nationalen Gerichte davon ausgingen, dass es sich bei den inkriminierten Aussagen um Werturteile und nicht Tatsachenbehauptungen gehandelt habe, die in den Anschuldigungen der verhafteten Journalisten eine ausreichende Tatsachengrundlage hatten.

Der EGMR betont, dass die verwendete Sprache zwar provokativ gewesen sein mag und dass einige der verwendeten Begriffe ein negatives und feindseliges Bild des Königs "als Institution" gezeichnet hatten, dass aber keinerlei Aufruf zu Gewalt erfolgte und damit kein "discours de haine" ("hate speech") vorlag. Zudem waren die  Aussagen während einer Pressekonferenz gemacht worden, in der man sie nicht umformulieren und präzisieren konnte, bevor sie öffentlich wurden.

Dass der König nur ein politisch neutrales Symbol für die Einheit Spaniens sei, könne ihn nicht vor öffentlicher Kritik schützen. Die Kritik hatte sich nur auf seine institutionelle Rolle bezogen und insbesondere weder dem König persönlich strafbares Verhalten vorgeworfen, noch sein Privatleben oder seine persönliche Ehre betroffen. Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe war daher unverhältnismäßig, zumal Freiheitsstrafen für ein Delikt im Bereich politischer Diskussion nur in extremem Fällen - wie eben Aufruf zu Gewalt und Hass - gerechtfertigt sein könnten. 

Wenn man sich mit einer Majestät anlegen will, sollte man daher darauf achten, es strikt politisch zu halten: der Vorwurf, Folterer zu schützen, ist diesfalls weniger problematisch als das Weitererzählen von Gerüchten über ein nicht friktionsfreies Eheleben des Staatsoberhauptes (siehe dazu das Urteil des EGMR vom 4. Juni 2009, Standard Verlags GmbH gegen Österreich (Nr. 2), Appl. no. 21277/05 - "Ein bürgerliches Gerücht").

Update 12.10.2011: Die beantragte Verweisung des Falles Otegi Mondragon gegen Spanien an die Große Kammer wurde abgelehnt, das Urteil ist damit endgültig.

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