Tuesday, May 31, 2011

EGMR: keine Verletzung des Art 10 EMRK bei Ordnungsstrafe wegen Vorwurf, Richterin sei ignorant und inkompetent

Das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK schließt auch das Recht zu kritischen Äußerungen über die Justiz (oder über einzelne RichterInnen) ein; allzu harsches staatliches Vorgehen gegen Justizkritiker hat schon wiederholt zu Verurteilungen durch den EGMR geführt, aus jüngerer Zeit siehe etwa die Urteile vom 29. März 2011 in den Fällen Gouveia Gomes Fernandes und Freitas e Costa gegen Portugal (Appl. no. 1529/08) und Cornelia Popa gegen Rumänien (Appl. no. 17437/03); mehr dazu in meinem früheren Blogpost.

Art 10 Abs 2 EMRK ermöglicht aber ausdrücklich (gesetzliche) Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung, wenn diese in einer demokratischen Gesellschaft zur Verfolgung bestimmter legitimer Ziele, unter anderem zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung, notwendig sind. Daher sind auch gesetzliche Bestimmungen über "contempt of court", durch die zB beleidigende Schriftsätze oder abschätzige Äußerungen in Gerichtsverfahren unter (Ordnungs-)Strafe gestellt werden, grundsätzlich mit Art 10 EMRK vereinbar (in Österreich zB §§ 86 und 199 ZPO).

Eine derartige Ordnungsstrafe wegen beleidigender Schreibweise in einem Berufungsschriftsatz war auch Gegenstand des Verfahrens Žugić gegen Kroatien (Appl. no. 3699/08), in dem der EGMR heute sein Urteil verkündet hat. Der Beschwerdeführer, ein Jurist, der sich in einem - für ihn erfolglos verlaufenen - Verfahren gegen einen Wasserversorger selbst vertreten hat, hatte im Berufungsschriftsatz gegen das erstinstanzliche Urteil unter anderem Folgendes geschrieben (Wiedergabe aus dem EGMR-Urteil):
"It is indicative to mention here that the judge, before dictating the operative provisions of the judgment, asked the defendant whether 'he would pay this' to which the defendant replied 'where did you get that idea?' ['što Vam pada na pamet? '] and asked whether she had examined the case file.... The judge angrily turned sideways in her chair and dictated the operative provisions of the judgment in the name of the Republic of Croatia to the typist, using a funny expression [navodeći komičan izraz] that the parties were asking for a reasoned judgment – as if in adversarial proceedings judgments without reasons or instruction on remedies available against them existed. Unfortunately, the court did not record these dialogues between the judge and the defendant in the minutes. What judicial professionalism this is! [Kakva li je ovo sudačka profesionalnost!]"
Wegen dieser Ausführungen wurde über ihn eine Ordnungsstrafe von 500 Kuna (ca. 65 Euro; das war auch die Mindeststrafe) verhängt. Das kroatische Gericht - durch die betroffene Erstrichterin - kam zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer durch diesen Text das Gericht und im besonderen die Richterin persönlich beleidigt habe; er habe impliziert, dass die Richterin unwissend und ungeeignet sein, die Pflichten als Richterin zu erfüllen ("ignorant and incompetent to exercise the duty of a judge"). Innerstaatliche Rechtsmittel blieben erfolglos. 

Der EGMR stellte - insoweit einhellig - einen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung fest, der auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruhte und einem legitimen Ziel im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK diente. Nur vier der sieben Richter kamen aber darauf aufbauend zum Ergebnis, dass der Eingriff ausreichend begründet, verhältnismäßig und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war, sodass keine Verletzung des Art 10 EMRK festgestellt wurde. 

Die Mehrheitsmeinung betont die Notwendigkeit der klaren Unterscheidung zwischen Kritik und Beleidigung. Wenn eine Äußerung nur auf die Beleidigung eines Gerichts oder seiner Mitglieder abziele, verletze eine angemessene Sanktion nicht Art 10 EMRK. Der EGMR hält fest, dass das nationale Gericht, bestätigt auch durch das Berufungsgericht, zum Ergebnis gekommen ist, dass die Ausführungen beleidigend waren, und er sieht keinen Grund, davon abzuweichen. Der Fall sei vergleichbar den Fällen Saday gegen Türkei ("Folterer in Talaren") und den von der Kommission entschiedenen Fällen W.R. gegen Österreich (ein Anwalt hatte die Rechtsansicht eines Richters als "lächerlich" bezeichnet) und Mahler gegen Deutschland (hier hatte ein Anwalt gemeint, die Anklageschrift sei "im Zustand der Volltrunkenheit" verfasst worden). Wörtlich heißt es im EGMR-Urteil: 
"In the instant case the impugned statements, framed in belittling and impertinent terms, were not only a criticism of the first-instance judgment of 15 November 2005 and the way Judge J.G.F. had conducted the proceedings, but also, as found by the domestic courts, implied that she was ignorant and incompetent. There is nothing to suggest that the applicant could not have raised the substance of his criticism without using the impugned language (see A. v. Finland (dec.), no. 44998/98, 8 January 2004)."
Die Mehrheitsmeinung wurde getragen von den RichterInnen Kovler (Russland), Vajić (Kroatien), Steiner (Österreich) und Malinverni (Schweiz). Die abweichende Meinung wurde verfasst von Richter Spielmann (Luxemburg), ihr angeschlossen haben sich die Richter Hajiyev (Aserbaidschan) und Nicolaou (Zypern). Richter Spielmann schreibt, dass seiner Ansicht nach nichts im Wortlaut des Berufungsschriftsatzes über die Grenze der Annehmbarkeit hinausgegangen sei, insbesondere auch verglichen mit Vorwürfen wie "Folterer in Talaren", "lächerlichen" Rechtsansichten oder Verfassen von Anklagen "im Zustand der Volltrunkenheit":
"In the case at hand, the applicant only described, albeit in strong words, what had happened during the hearing. His misgivings concerning the judge's attitude during the hearing were part and parcel of his grounds of appeal and were characterised in legal terms under section 354, paragraph 2, subparagraphs 6 and 11, of the Civil Procedure Act." 
Tatsächlich hätte ich nicht erwartet, dass der EGMR hier doch vergleichsweise restriktiv bleibt - der Beschwedeführer hat mE auch durchaus zutreffend auf ein altes lateinisches Sprichwort hingewiesen: "Irasci iudicem non decet" (etwa: es schickt sich für den Richter nicht, zornig zu werden). Abzuwarten bleibt, ob der Beschwerdeführer vor die große Kammer ziehen möchte (und ob ein solcher Wunsch gewährt würde - dafür spricht die knappe Mehrheit, dagegen wohl der Umstand, dass es letztlich eine sehr sachverhaltsbezogene Frage ist, in der die Mehrheitsmeinung der Kammer betonte Zurückhaltung gegenüber dem nationalen Gericht geübt hat, was von den Konventionsstaaten durchaus gern gesehen wird).

Ordnungsstrafe betrifft keine strafrechtliche Anklage iSd Art 6 EMRK
Das Urteil ist - für die juristisch Interessierten - aus einem weiteren Grund von Bedeutung: der Beschwerdeführer hatte sich auch wegen Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK beschwert. Art 6 EMRK kommt aber nur bei zivilrechtlichen Ansprüchen und Verpflichtungen oder bei strafrechtlichen Anklagen zur Anwendung. Weder das eine noch das andere lag bei der hier verhängten Ordnungsstrafe vor, so der EGMR (diesbezüglich einstimmig).

PS: ich schreibe übrigens nicht über alle Art 10 EMRK Urteile oder Entscheidungen eigene Blogposts; ich verlinke aber die Urteile und Entscheidungen in der Regel in meiner Übersichtsseite zur EMRK-Rechtsprechung zu Art 10 EMRK; aus letzter Zeit möchte ich vor allem auch auf die (noch) nicht gesondert besprochene Unzulässigkeitsentscheidung vom 8. Februar 2011 Yleisradio Oy gegen Finnland (Appl. no 30881/09) hinweisen.

Kein Unionsinteresse bei Foreclosure im Mobilfunk? A1-Tochter Si.mobil will Präzedenzfall und klagt EU-Kommission

"Mit vier Anbietern und einer Mobilfunkpenetration von 102,7% ist der slowenische Markt, der rund 2 Mio. Einwohner zählt, überaus wettbewerbsintensiv." So steht es auf der Website der "Telekom Austria Group" (ab 14. Juni wohl "A1-Group"?). Vielleicht war das 2009 anders, denn damals beklagte sich die slowenische A1 Telekom Austria-Tochter Si.mobil über den zweifachen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Mobitel d.d., der sie Marktverschließung (foreclosure) sowohl auf Endkundenebene als auch bei Vorleistungszugang und Anruforiginierung vorwarf. Der Effekt dieser Strategie von Mobitel sei, dass Si.mobil keine End- oder Vorleistungskunden hinzugewinnen könne (laut Telekom Austria Group Website betrug der Kundenzuwachs im Jahr 2010 5,0%, im Jahr 2009 - laut Jahresbericht der Si.mobil - 3,3%).

Mehr zu diesen Vorwürfen, mit denen auch die slowenische Wettbewerbsbehörde befasst war, steht im Beschluss der Kommission COMP/39.707 vom 24.01.2011, C(2011) 355 final, mit dem die von Si.mobil gegen Mobitel erhobene Beschwerde gemäß Art 7 Abs 2 der VO 773/2004 wegen fehlenden Unionsinteresse abgewiesen wurde.

Si.mobil hat nun vor dem EuG Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses erhoben (T-201/11). Begründet wird diese Klage unter anderem so (Link und Betonung hinzugefügt):
"Zudem habe die Kommission ihre eigenen Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen (ABl. 2009 C 45, S. 7) außer Acht gelassen, da beide Arten von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht, denen die Klägerin ausgesetzt sei, (Kosten- Preis-Schere und Kampfpreise) in dem angeführten Dokument als Prioritäten der Kommission genannt würden und ein wachsendes Interesse daran bestehe, klarzustellen, wie die Kommission diese Doktrinen anwende. Dies gelte insbesondere für den Mobilfunksektor, in dem solche Präzedenzfälle erst noch geschaffen werden müssten."

Monday, May 30, 2011

Der neue Regierungs-Fahrplan: wenig zu Medien, nichts zu Telekom

Ergebnis der aktuellen Regierungsklausur unter dem Motto "Österreich weiterbringen" ist ein Dokument mit dem Titel "7 Arbeitspakete / Fahrplan 2011-2013".
Sucht man in diesem Fahrplan nach Themen wie Telekommunikation, Breitband, IKT oder Internet, so könnte man meinen, der Zug sei längst abgefahren. Zu tun bleibt nämlich offenbar nichts, außer "300 Cyber-Experten im neu gegründeten 'Cyber-Crime-Competence-Center' zur Bekämpfung der Internet-Kriminalität" einzusetzen ("laufend, Beginn Mai 2011") und leichten Kontakt der Bürger zur Verwaltung über Internet zu ermöglichen ("laufend"). Allzu viel von einer "digitalen Agenda" ist da nicht zu sehen (aber vielleicht hat das legendäre KoZIG - "Kompetenzzentrum Internetgesellschaft" - ohnehin schon alles erreicht, was es zu erreichen gibt).

Im Medienbereich ist für Herbst 2012 eine "Reform Presse- und Publizistikförderung" vorgesehen; sehr viel konkreter wird es auch unter dieser Überschrift nicht: "Evaluierung hinsichtlich des Zieles, die Vielfalt der Presse in Österreich zu fördern; Anpassung, Modernisierung durch Berücksichtigung der digitalen Medien und Ausbau der 'Qualitätsförderung und Zukunftssicherung' (insbesondere Journalist/innenausbildung) prüfen."

Mehr Transparenz wird schon für Herbst 2011 versprochen, neben "mehr Transparenz bei Parteienfinanzierung; Zurückdrängen von Lobbyismus und Korruption" soll es auch "mehr Transparenz bei Inseraten von öffentlichen Stellen" geben (Stichwort: BVG-Medienkooperation und Medienförderung; dazu hier). Die "Verteidigung der Presse- und Medienfreiheit" soll eines der Schwerpunktthemen der österreichischen Tätigkeit im Menschenrechtsrat der UNO sein.

Und schließlich gibt es auch noch einen Punkt "Medienerziehung". Dort steht, dass die Bundesstelle für Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen (Bupp) weitergeführt und ausgebaut werden soll. Und wohl weil die Bupp wirklich so gut wie niemand kennt, steht im "Fahrplan" sogar eine nähere Erklärung, was man sich darunter vorstellen soll: "Dabei geht es um die Feststellung der altersmäßigen Eignung von Filmen und Computerspielen".

Telekom-Rat: Ministerebene ohne Minister

Der Rat, als Organ der Europäischen Union, besteht gemäß Art 16 Abs 2 EUV "aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene, der befugt ist, für die Regierung des von ihm vertretenen Mitgliedstaats verbindlich zu handeln und das Stimmrecht auszuüben."

Am vergangenen Freitag fand die 3093. Ratstagung statt, und zwar in der Ratsformation "Verkehr, Telekommunikation und Energie", allerdings ausschließlich mit Telekom-Themen (Pressemitteilung). Dieser sogenannte "Telekom-Rat" ist das skurrile Ergebnis der Bemühungen, die früher größere Vielfalt an Ratsformationen einzudämmen: 2002 wurden die drei Bereiche Verkehr, Telekommunikation und Energie zu einem Rat zusammengelegt, de facto hat sich aber wenig geändert, da einfach die Themensetzung jeweils so gewählt wird, dass entweder die Verkehrs-, die Telekom- oder die Energieminister anreisen.

Oder auch nicht: denn zur "Telekom"-Ratstagung am Freitag kamen gerade einmal 8 echte Minister aus den 27 Mitgliedstaaten; die anderen schickten Staatssekretäre, stellvertretende Minister oder die (stellvertretenden) "Ständigen Vertreter". Auch die österreichische Ministerin fand es nicht der Mühe wert, nach Brüssel zu fliegen. Vielleicht war die Tagesordnung zu dünn, vielleicht wollte sie sich aber - wie auch die MinisterInnen anderer Mitgliedstaaten - einfach nicht anhören, was die zuständige Kommissarin den Ministern beim Mittagessen sagen wollte: denn neben Informationen zu den Plänen zur weiteren Senkung der Roamingentgelte war zu erwarten, dass auch die schleppende Umsetzung des Telekom-Reformpakets zur Sprache kommen würde.

Tatsächlich waren keine weltbewegenden Themen auf der Tagesordnung: beim ersten Programm zur Funkfrequenzpolitik sind sich die Mitgliedstaaten zwar weitgehend einig (aber nicht immer im Sinn des Kommissionsvorschlags); abzuschließen wird das aber frühestens unter der polnischen Präsidentschaft sein. Dass die bisher eher als glücklos geltende ENISA eine weitere Gnadenfrist erhält, ist de facto zwingende Konsequenz aus dem noch immer nicht finalisierten geänderten Mandat (nachdem der Versuch, die ENISA mit dem Telekom-Reformpaket in eine neue Regulierungsagentur zu integrieren, gescheitert ist). Nicht besonders vielsagende Schlussfolgerungen des Rates gibt es zum Programm zum Schutz kritischer Infrastrukturen, zur Vorbereitung der Weltfunkkonferenz 2012 und zum eGovernment-Aktionsplan.

Und ja: die Umsetzungsfrist für das Telekom-Reformpaket ist mit 25. Mai 2011 abgelaufen; die Mitgliedstaaten müssten seit 26. Mai 2011 die geänderten Vorschriften anwenden. Tatsächlich haben erst sehr wenige Mitgliedstaaten umgesetzt, nach dieser Übersicht auf dem T-Regs-Blog bisher erst Dänemark, Estland, Spanien und das Vereinigte Königreich. Das hat die Kommission natürlich nicht gehindert, die neue bessere Welt für Telekomkunden in zahlreichen Pressemitteilungen zu feiern (Digitale Agenda: Bürger und Unternehmen profitieren vom neuen EU-Telekommunikations­recht, Digital Agenda: how new EU telecoms rules would ensure easier and fairer access to telecoms services for customers, Digital Agenda: how new EU rules improve privacy protection for internet users, Digital Agenda: how new EU rules foster more competition in telecoms markets).

In Österreich gibt es - nach dem Ministerialentwurf (siehe dazu hier) - noch immer keine Regierungsvorlage zur Umsetzung, die Zeit bis zur üblichen Beschlussfassung im "Sommerkehraus" (in einer der letzten Nationalratssitzungen vor der Sommerpause) wird langsam knapp (aber es kann sich noch ausgehen). Dafür ist mittlerweile am 18.05.2011 das Bundesgesetzblatt mit den TKG-Änderungen zur Vorratsdatenspeicherung veröffentlicht worden (da der Kernpunkt der Regelung erst am 01.04.2011 in Kraft treten wird, kann aber auch hier strittig sein, ob eine ordnunsggemäße Umsetzung erfolgt und das Vertragsverletzungsverfahren vom Tisch ist). Auch bei dieser BGBl-Veröffentlichung gibt es übrigens wieder einen Fehler im Detail: im Einleitungssatz wird auf das "TKG 2003, BGBl. I Nr. 70/2003, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 50/2010" Bezug genommen - tatsächlich wurde das Gesetz aber mittlerweile ein weiteres Mal geändert (durch BGBl I 2011/23).

Sunday, May 29, 2011

Vermischte Lesehinweise (31): Internetfreiheit, Netzneutralität ua

Sollte es ein "Grundrecht Internetfreiheit" geben?
Netzneutralität
Meinungsfreiheit im Internet, libel reform, (super)injunctions, Anonymität
  • Angela Daly, Private Power and New Media: The Case of the Corporate Suppression of Wikileaks and its Implications for the Exercise of Fundamental Rights on the Internet
  • Falter-Chefredakteur Armin Thurnher, der immerhin schon einmal eingeräumt hat, dass das Internet doch bleiben kann (zur Vorgeschichte zB hier, hier und hier), hat sich im letzten Falter (nicht online verfügbar) wieder einmal gegen Anonymität im Internet ausgesprochen und ein "Vermummungsverbot" gleichermaßen für Hooligans und anonyme Poster gefordert; die Anonymität, so Thurnher, diene in den meisten Fällen "nur der Verschleierung der Identität, um im Schutz der Vermummung Straftaten begehen zu können, Gewalttaten, Schmähungen, Verleumdungen undsoweiter."  
  • Vor diesem Hintergrund muss ich auch auf einen zwar im Detail US-spezifischen, aber im Grundsätzlichen wichtigen Beitrag von Nassim Nazemi hinweisen: DMCA § 512 Safe Harbor for Anonymity Networks Amid a Cyber-Democratic Storm: Lessons from the 2009 Iranian Uprising. Conclusio: "Without a doubt, anonymity comes at a price and anonymity technology may frustrate the efforts of creative artists who endeavor to enforce their copyrights. But set on a scale, our interests in protecting the right to receive information, protecting politically expressive conduct online, and nurturing nascent democratic cultures by allowing the Internet to flow freely in places like Iran outweighs the risk that Tor-like anonymity networks will facilitate infringement." 
  • Dass auch Twitter Daten "anonymer" Nutzer herausgibt, wenn von deren Account Verleumdungen ausgehen, zeigt übrigens diese Geschichte
  • Auch wer sich für die konkreten britischen Probleme zur "libel reform" überhaupt nicht interessiert, sollte jedenfalls die Rede von Alan Rusbridger vom Guardian über die "long, slow road to libel reform" lesen, in der er über die medienrechtlichen Prozesse gegen den Guardian berichtet ("a few highlights of my life with lawyers"), über die Rolle von Selbstregulierung und die Abwägung von öffentlichem Interesse und Schutz der Privatsphäre. 
  • Ein Anschauungsbeispiel für das oft merkwürdige Verständnis britischer Tabloids von Privatsphäre ergab sich nur wenige Tage nach der Rede Rusbridgers nach einer gerichtlichen Verfügung, die einer ehemaligen Big Brother-Teilnehmerin untersagte, einen Fußballer, mit dem sie eine Affäre hatte, zu nennen. Die Anzahl der Blog- und Zeitschriftenbeiträge dazu ist unüberschaubar, als Einstieg empfiehlt sich die "superinjunctions"-Übersichtsseite des Guardian.
Sonstiges: Urheberrecht, Telekom-Streitschlichtung, "Handystrahlen", Wettbewerb, Selbstregulierung

Wednesday, May 25, 2011

Still Better in Belarus? Von werthaltigen Investments, unbürokratischen Datenzugriffen und dem Ende der Telekom-Austria-Kolchose

"We have been much better treated in Belarus than in Brussels", sagte der fühere Telekom Austria-CEO Boris Nemsic im Februar 2008 der Financial Times. Das war einige Zeit bevor die Ende 2007, mit entsprechender Beratung, erworbene Beteiligung in Weißrussland massiv abgewertet werden musste (im Jahr 2009 um € 290 Mio), noch bevor der Kaufpreis überhaupt voll bezahlt worden war. "Vereinbarungsgemäß" musste die Telekom nämlich im Jahr 2010 noch € 582,7 Mio "als Teil der Restkaufpreisverbindlichkeit, die aus dem Erwerb des restlichen 30%-Anteils an der weißrussischen Tochtergesellschaft velcom resultierte" zahlen. Insgesamt kostete der Erwerb der Velcom die Telekom Austria € 1,38 Mrd (laut Standard von heute; die anderen Daten sind aus den Geschäftsberichten 2009 und 2010). Ende 2010, nicht viel mehr als drei Jahre nach dem Kauf, stand der Firmenwert der velcom mit ca. € 265 Mio in der Bilanz, also mit immerhin noch einem knappen Fünftel des Kaufpreises. Und die nächste Wertberichtigung könnte laut Pressemeldungen vor der Tür stehen: nach der jüngsten 50%-Abwertung des weißrussichen Rubels prüft man, so das Wirtschaftsblatt, in der Zentrale der Telekom "derzeit das Engagement in Weißrussland inklusive des notwendigen Abwertungsbedarfs".

Aber die Zusammenarbeit mit den weißrussischen Behörden, über die sich schon Boris Nemsic zufrieden geäußert hatte, funktioniert offenbar weiterhin ganz gut: die weißrussischen Behörden haben ohne richterlichen Beschluss "Zugriff auf Personen- und Rufdaten", ohne dass der Mobilfunkbetreiber die Daten noch aktiv weitergeben müsste, und konnten so, laut Bericht der Presse ("Telekom öffnet Daten für den Diktator"), anhand der Auswertung der Handydaten feststellen, wer bei einer Demonstration war (und diese Personen festnehmen). Muss man das im Sinne von Boris Nemsic auch als bessere Behandlung im Vergleich zu "Brüssel" beurteilen? Vielleicht weil selbst nach Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung die Polizei in den EU-Staaten nicht gleich direkt Zugriff auf die Daten hat, sondern der Mobilfunkbetreiber diese erst mühsam im Einzelfall herausgeben muss?

Dabei seien der Telekom Austria, so wird heute die Konzernsprecherin zitiert, "die Herausforderungen, die dort [Weißrussland] in Sachen Datenschutz bestehen, bewusst" gewesen. Das ist aus meiner Sicht insofern bemerkenswert, als die Telekom Austria noch vor etwa drei Jahren keine Bedenken hatte, ihre Geschäftsbedingungen extra so abzuändern, dass die Rechte und Pflichten aus dem Telefonvertrag "ohne Zustimmung des Kunden zwischen der mobilkom austria, ... Foreign private unitary enterprise MDC (Weißrußland) und mobilkom austria group services GmbH mit für den Übergeber schuldbefreiender Wirkung übertragen" werden konnten (siehe näher dazu hier; die Links zu den AGB funktionieren nicht mehr. In den aktuellen AGB ist die - von Anfang an eher absurde und rechtlich jedenfalls gegenüber Verbrauchern ohnehin nicht wirksame - Übertragungsmöglichkeit an weißrussische Unternehmen nicht mehr vorgesehen).

Boris Nemsic fühlte sich seinerzeit von der Roaming-Preisregelung, die auf eine Initiative der christdemokratischen EU-Kommissarin Reding zurückging, an den Kommunismus erinnert. Da wirkt es fast ein wenig als Ironie der Geschichte, dass die Telekom Austria gerade in seiner Zeit als CEO auch eine echte Kolchose (in Weißrussland) ihr eigen nannte. Die erstmals im Geschäftsbericht 2007 ausgewiesene Kolchose wurde zwar nur zur Veräußerung gehalten, aber es dauerte noch bis 2009, bis sie tatsächlich verkauft werden konnte. Liebhaberwert hatte sie offenbar nicht: "Aus der Veräußerung der Kolchose wurde kein Ergebnis erzielt", heißt es im Geschäftsbericht 2009.

Update 12.11.2012: siehe auch Weißrussland: Telekom kaufte teuer ein (Der Standard)

Follow-up zur "Schleichwerbungs-Studie"

Am vergangenen Sonntag habe ich mich hier mit der ersten öffentlichen Mahnung des sogenannten "PR-Ethik-Rats" befasst und dabei auch die Presseaussendung dieses Rats über die von ihm präsentierte - nach seinen Angaben - "umfassende Studie über 'Schleichwerbung in Österreich'" erwähnt. Nun ist dieses Werk - unter dem Titel "Zukunftstauglichkeit des Trennungsgrundsatzes im Sinne des § 26 MG" (mit "MG" ist das Mediengesetz gemeint) - auch online verfügbar (pdf, Achtung: 20 MB!).

Laut Vorwort war es (unter anderem) Ziel der Studie, "vor allem Formen gängiger redaktionell gestalteter Werbung in österreichischen Printmedien zu erheben und aufzuzeigen." Dieses Ziel wurde mit Teil II der Studie durchaus erreicht; dabei handelt es sich um ein durchaus brauchbares Kompendium von Beispielen (vermuteter) unsauberer Trennung zwischen Werbung und redaktionellen Beiträgen, die ordentlich systematisiert und beschrieben werden; diese Zusammenstellung ist damit auch gut als Diskussionsgrundlage oder zur Demonstration der aus der Praxis bekannten Unschärfen - etwa beim "Umfeldjournalismus" oder bei "Kooperationen" - geeignet.

Was man mit diesen Beispielen aber nicht belegen kann, sind Verstöße gegen die Pflicht zur "Kennzeichnung entgeltlicher Veröffentlichungen" im Sinne des im Titel der Studie explizit genannten  § 26 MedienG. In immerhin zwei Drittel "der untersuchten und kritisch zu bewertenden Fälle" war nämlich ohnehin eine "zulässige Kennzeichnung" (gemeint einer der in § 26 MedienG genannten Begriffe "Anzeige", "entgeltliche Einschaltung" oder "Werbung") vorhanden, und auch in den anderen Fällen wurde nicht festgestellt (wie wäre dies auch möglich gewesen?), dass für die Veröffentlichung des jeweiligen Beitrags tatsächlich ein Entgelt gezahlt wurde. Die Studie räumt durchaus ein, dass sie mit Vermutungen arbeitet - auf Seite 6 etwa heißt es: "Nicht deklarierte Werbung ist natürlich vorderhand nicht einfach auszumachen. Die Beispiele wurden an Hand des Kriteriums 'unkritisch-werbende Sprache, d.h. die unbegründet positive Darstellung von Produkten oder Dienstleistungen' ausgewählt sowie das Vorhandensein zusätzlicher Detailinformationen, die über ein durchschnittliches 'Leserservice' hinausgehen. Die Übernahme von unbearbeiteten PR-Materialien ist naheliegend."

Für quantitative Aussagen - wie sie die Presseaussendung nahelegt ("550 Beiträge gesichtet, 325 davon waren kritisch") - war das Studiendesign aber evident nicht ausgerichtet. Zur Auswahl der analysierten Berichte heißt es auf Seite 56 der Studie nur: "empiriegeleitet konnten sowohl einzelne Artikel, als auch ganze Seiten oder ganze beigelegte Veröffentlichungen (wie Beilagen) zur Analyseeinheit werden"; wie aber aus allen Beiträgen/Anzeigen in den untersuchten Medien die 550 ausgewählt wurden, und nach welchen Kriterien dann beurteilt wurde, welche davon als "kritisch" anzusehen waren, bleibt im Dunkeln.

Nicht nachvollziehen kann ich den in Teil I der Studie unternommenen Versuch, "den derzeitigen Stand der rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich im Vergleich zu Deutschland und der Schweiz aufzuzeigen". Geworden ist daraus eine merkwürdige Aneinanderreihung von eher unsystematisch ausgewählten Rechtstexten, Entscheidungs-Exzerpten und nacherzählter (Kommentar-)Literatur, die vor allem mangelnde Vertrautheit mit juristischer Methodik und Systematik erkennen lässt. So wird etwa die "Sanktionierung" von Verstößen gegen das Trennungsgebot nur mit dem Hinweis auf Verwaltungsstrafen nach § 27 MedienG abgehandelt, ohne auf die in der Praxis ungleich bedeutenderen lauterkeitsrechtlichen Folgen  einzugehen - obwohl die in der Folge zitierte OGH-Rechtsprechung ganz überwiegend in UWG-Verfahren ergangen ist. Beim Versuch, die Rechtslage im Rundfunkbereich darzulegen, werden ebenso bloß die Verwaltungsstrafdrohungen als mögliche Sanktionen erwähnt, nicht aber die in der Praxis wesentlichen Verfahren zur Feststellung von Rechtsverletzungen nach PrR-G, AMD-G oder ORF-G oder - wiederum - die UWG-Verfahren. Und ungeachtet der auf die Rechtsprechung ausdrücklich Bezug nehmenden Kapitelüberschrift ("Kriterien der Rechtssprechung für Radio und Fernsehen") fehlt zum Rundfunk selbst der Versuch einer Darstellung der Judikatur. Gänzlich ausgespart bleibt schließlich auch der im Fernsehbereich wesentliche unionsrechtliche Hintergrund. Aber zur rechtlichen Information wird diese Studie wohl ohnehin niemand lesen.

Monday, May 23, 2011

EuGH: unzulässige Vorlage zum "Vorsorgeprinzip" bei elektromagnetischen Feldern

Das ist ein Vermerk aus Gründen der Vollständigkeit - ein Bericht darüber, was nicht geschah. Also: der EuGH hat nicht darüber entschieden, ob die Referenzwerte für elektromagnetische Felder, die in der Empfehlung 1999/519/EG  genannt werden, so zu verstehen sind, dass sie bei der Anwendung des Vorsorgeprinzips als Richtschnur dienen oder ob das Vorsorgeprinzip die Empfehlung ergänzt.

In der Sache C-344/09 Bengtsson / Tele2 Sverige AB ua hat der EuGH nämlich mit Beschluss vom 24. März 2011 ausgesprochen, für die Beantwortung der vom Umwelt- und Gesundheitsausschusses der Gemeinde Mora vorgelegten Fragen betreffend die Auslegung der Empfehlung des Rates zur Begrenzung der Exposition der Bevölkerung gegenüber elektromagnetischen Feldern (1999/519/EG) offensichtlich unzuständig zu sein. Im Beschluss des EuGH kann man die Umstände des "Ausgangsfalles" etwas genauer nachlesen: der Ausschuss hätte - als Aufsichtsbehörde im Bereich des Umwelt- und Gesundheitsschutzes - als erste Stelle über eine Beschwerde von Herrn Bengtsson, der eine Verringerung der Strahlenbelastung durch Basisstationen forderte, befinden müssen. Damit liegt aber (noch) kein Rechtstreit vor und der Ausschuss ist kein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art 267 AEUV.

Die Entscheidung ist nicht überraschend, ich hatte schon bei der Aufnahme des Falls in meine EuGH/EuG-Übersichtsliste meine Zweifel angemerkt, ob es sich bei diesem Ausschuss wohl um ein vorlageberechtigtes Gericht handle. Aber vor allem manche Mobilfunk-Skeptiker hatten gehofft, der EuGH könnte zum "Vorsorgeprinzip" bei der Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern Stellung nehmen; dazu muss man nun wohl auf eine andere Gelegenheit warten (soweit ich das überblicke, dürfte beim EuGH derzeit kein einschlägiger Fall anhängig sein).

Sunday, May 22, 2011

Shoot the messenger: "PR-Ethik-Rat" mahnt auch den Überbringer der schlechten Nachricht

Ungefähr jedes halbe Jahr meldet sich der sogenannte "PR-Ethik-Rat" zu Wort, meist mit einer Presseaussendung, einmal im Jahr auch mit einer Pressekonferenz - und nun sogar mit so etwas Ähnlichem wie einer echten Entscheidung (siehe zum Stand vor etwa einem Jahr hier, vor rund einem halben Jahr hier). Vor wenigen Tagen - mehr als drei Jahre nach seiner Gründung - hat der "PR-Ethik-Rat" tatsächlich seine allererste "öffentliche Mahnung" gegenüber einem PR-Unternehmen ausgesprochen.

Diese "Mahnung" betrifft Konzepte einer für die TIWAG arbeitenden PR-Agentur für eine Kooperation zwischen der TIWAG und Tiroler Wochenzeitungen. Unter anderem hieß es darin: "Klar ist, dass die Gegner nicht zu Wort kommen und dass die gesamte Berichterstattung in enger Abstimmung mit dem Auftraggeber erfolgt. Die Themen, Daten und Fakten gibt der Auftraggeber vor." Die Dokumente wurden teilweise im Faksimile zusammen mit einer Darstellung des Ablaufs auf der TIWAG-kritischen Website www.dietiwag.org publiziert. Allzuviel Spielraum lässt diese Dokumentation nicht offen: Sollten die Dokumente echt sein, liegt selbst nach den wunderweichen Kodizes der PR-Ethiker ein Verstoß gegen eine der Kernpflichten für PR-Leute (offene Kommunikation, keine Täuschung Dritter, vgl zB Art 4 Lissabonner Kodex) auf der Hand. [Und wären die veröffentlichten Dokumente falsch, so wäre die TIWAG, die PR-Agentur oder auch ein betroffenes Medium wohl längst gerichtlich dagegen vorgegangen; zumindest die TIWAG war ja bisher nicht eben zurückhaltend, wenn es gegen dietiwag.org gegangen ist.]

So kam denn auch der "PR-Ethik-Rat" zum Schluss, dass die veröffentlichten Dokumente bzw Dokumentteile authentisch sind und sprach "gegen hofherr communikation die Mahnung aus, Konzepte in Zukunft so abzufassen, dass sie nicht in Konflikt mit den anerkannten ethischen und professionellen Standards der Branche kommen."

Zur Klarstellung: eine Mahnung ist - nach der Selbstdarstellung des "PR-Ethik-Rats" - nur "in weniger schweren Fällen" eines Fehlverhaltens auszusprechen, sonst müsste eine Rüge erteilt werden. Der "PR-Ethik-Rat" sieht in der Vorgangsweise der betroffenen PR-Agentur also ein "weniger schweres Fehlverhalten" (siehe auch die Reaktion der PR-Agentur und von dietiwag.org). 

Soweit wäre das alles nicht wirklich bemerkenswert, außer eben dass es sich um die erste veröffentlichte Entscheidung des "PR-Ethik-Rats" betreffend eine PR-Agentur handelt (zur eigenwilligen Vorgangsweise bei der ersten öffentlichen "Rüge", die aber nicht gegen die beteiligte PR-Agentur, sondern gegen das veröffentlichende Medium ausgesprochen wurde, siehe hier). Wirklich interessant ist allerdings, dass sich der "PR-Ethik-Rat" - wohl nach dem Motto: shoot the messenger! - bemüßigt fühlt, auch den Betreiber der Website www.dietiwag.org öffentlich zu mahnen. In der Aussendung steht das zwar nicht so deutlich wie auf der Übersichtsseite, aber immerhin wirft der "PR-Ethik-Rat" dem Betreiber von dietiwag.org, dem Publizisten/Blogger Markus Wilhelm, ohne nähere Konkretisierung vor, "dass Dokumente teilweise in manipulativer Weise und mit herabwürdigenden Kommentaren versehen veröffentlicht" worden seien. Und weil der "Rat" dann immerhin doch erkennt, dass er für Markus Wilhelm nicht zuständig ist, leitet er "dieses Vorgehen" (!?) an den evident ebenso unzuständigen Presserat "zur Beurteilung" weiter, nicht ohne auch noch - ebenso öffentlich - auf die "Selbstreinigungskräfte der Medienbranche" zu hoffen.

Was soll man da jetzt erwarten: dass Markus Wilhelm - der sich jahrelang gegen massivste, auch gerichtliche, Angriffe der TIWAG gewehrt hat (und zwar erfolgreich) - jetzt Selbstreinigungsanfälle bekommt und in Zukunft nur mehr schöne Bilder aus den Ötztaler Alpen publiziert? Oder soll er vielleicht ethisch mit der TIWAG gleichziehen und eine PR-Agentur engagieren, die mit ihm Medienkooperationen plant, damit lokale Medien dann "objektiv und damit glaubwürdig" und "in enger Abstimmung mit dem Auftraggeber" so berichten, "dass Gegner nicht zu Wort kommen"?

Dabei sollte der "PR-Ethik-Rat" wissen, wofür der Presserat zuständig ist - immerhin scheint die Verweisung an den Presserat nämlich das Hauptgeschäft des "PR-Ethik-Rats" zu sein. Seit Anfang 2010 weist die Website des "PR-Ethik-Rats" zehn Beschwerden aus, von denen fünf an den Presserat verwiesen wurden, eine an den Werberat und eine "an Aufsichtsbehörde der Privatradios und Ärztekammer" (dabei ging es allerdings um eine Veröffentlichung auf der Website [!], nicht im Rundfunkprogramm, des Privatradioveranstalters). Insgesamt gab es laut Website des "PR-Ethik-Rats" seit dessen Einrichtung 18 Beschwerden und vier "Eigenaktivitäten".

Was geschah mit den bisher 18 Beschwerden an den "PR-Ethik-Rat"?
  • 8 Beschwerden wurden weiterverwiesen
  • 4 Beschwerden bezogen sich zwar auf konkrete Fälle, der "PR-Ethik-Rat" hat aber einfach beschlossen, darüber nicht zu entscheiden (und statt dessen ein "Positionspapier" veröffentlicht); mehr dazu hier
  • 1 Beschwerde wurde zurückgezogen
  • 1 Beschwerde betraf nicht den Zuständigkeitsbereich des "PR-Ethik-Rats" (und konnte offenbar - da es damals auch noch keinen Presserat gab - nicht weiterverwiesen werden)
  • 1 Beschwerde (vom 25. März 2010) blieb entweder unerledigt oder führte jedenfalls zu keinem Ergebnis, das auf der Website angemerkt worden wäre
  • 1 Beschwerde führte zur Empfehlung an eine ärztliche Standesvertretung, "bei der Wahl der Mittel mehr Sensibilität walten zu lassen" (mehr ist nicht veröffentlicht)
  • 1 Beschwerde über "unethische Behandlung/Verunglimpfung eines Journalisten durch einen PR-Berater" führte zu einer - unveröffentlichten - Mahnung (in Artikel 3 der Geschäftsordnung des "PR-Ethik-Rats" heißt es übrigens: "Der Ethik-Rat agiert öffentlich. Seine Entscheidungen ('Rüge', 'Mahnung' oder 'Feststellung, dass ein Verstoß nicht vorliegt') werden auf eine dem Anlassfall angemessene Weise publiziert.")
  • 1 Beschwerde schließlich führte zur oben schon erörterten "öffentlichen Mahnung".
Schleichwerbungs-Studie?
In seiner rituellen jährlichen Pressekonferenz hat der "PR-Ethik-Rat" nun laut Presseaussendung auch eine "umfassende Studie über 'Schleichwerbung in Österreich'" präsentiert (untersucht wurden aber nur ausgewählte Printmedien). Leider ist die Studie (zumindest bis heute) nicht publiziert, sodass seriöse Aussagen zu Methodik und Ergebnissen nicht möglich sind. Mich hätte insbesondere interessiert, wie die untersuchten Beiträge ausgewählt wurden und wie in diesen Fällen verifiziert wurde, dass es sich um Schleichwerbung im Sinne des § 26 Mediengesetz handelte. Update 24.05.2011: die Studie wurde nun auf der Website des "PR-Ethik-Rats" veröffentlicht (pdf, 20 MB!); siehe dazu hier.

Natürlich ist Schleichwerbung ein Problem (und auch ich habe den Eindruck, dass sich die Situation in den letzten Jahren eher verschärft haben dürfte), aber ich bin skeptisch, ob die vom "PR-Ethik-Rat" vorgeschlagenen Änderungen des § 26 MedienG wirklich dagegen helfen würden. Denn auch wenn die Kennzeichnung "deutlich und gut sichtbar" sein müsste und wenn der Strafrahmen (derzeit gemäß § 27 MedienG Geldstrafe bis zu € 2.180), wie vom "PR-Ethik-Rat" gewünscht, erhöht würde, bliebe dennoch das wesentliche Problem, dass ein Verstoß erst einmal objektiv festgestellt werden muss. Dafür aber muss - mit der im Strafverfahren erforderlichen Sicherheit! - insbesondere nachgewiesen sein, dass für die Veröffentlichung der Beiträge ein Entgelt geleistet wurde. Wenn da nicht irgendwer irgendwem (und zwar rechtzeitig innerhalb der kurzen verwaltungsstrafrechtlichen Verjährungsfristen) vertrauliche Dokumente zuspielt, wird eine Strafverfolgung in der Regel schon am Nachweis des objektiven Tatbildes scheitern, egal wie hoch der Strafrahmen ist.

Monday, May 16, 2011

Vermischte Lesehinweise (30)

Diesmal ganz bunt zusammengemischt:

Sunday, May 15, 2011

EuGH: Marktanalyse-Leitlinien enthalten keine Verpflichtungen für den Einzelnen

Der EuGH hat heute in der Rechtssache C-410/09 Polska Telefonia Cyfrowa Spółka z o.o./ UKE entschieden, dass es der polnischen Regulierungsbehörde erlaubt ist, sich in einer Entscheidung, mit der sie einem Telekom-Betreiber bestimmte Verpflichtungen auferlegt, auf die Marktanalyse-Leitlinien von 2002 zu beziehen, ungeachtet dessen, dass diese Leitlinien im Amtsblatt der Europäischen Union nicht in polnischer Sprache veröffentlicht worden sind.

Das Urteil ist von geringer praktischer Bedeutung, interessant ist allenfalls die Beurteilung der Rechtsqualität der Marktanalyse-Leitlinien, zu deren "weitestgehender Berücksichtigung" die nationalen Regulierungsbehörden ja nach Art 15 Abs 3 und 16 Abs 1 der RahmenRL verpflichtet sind. Der EuGH hält sich hier zurück und prüft ausschließlich, ob die Leitlinien "ihrem Inhalt nach den Einzelnen Verpflichtungen auferlegen." Da dies nicht der Fall ist, schließt es die fehlende Veröffentlichung in polnischer Sprache nicht aus, dass die polnische Regulierungsbehörde in einer an einen Einzelnen gerichteten Entscheidung darauf Bezug nimmt.

Wednesday, May 11, 2011

Ein Fehlurteil des EGMR? Nochmals zum Fall Mosley

Das EGMR-Urteil im Fall Mosley, das ich im letzten Post kurz zusammengefasst habe, wurde von Florian Klenk auf Twitter als Fehlurteil bezeichnet. Klenk merkt - völlig zutreffend - an, dass das "Aufdecken von Bettdecken" kein Enthüllungsjournalismus ist und Mosley Unrecht getan wurde; die Sexualsphäre müsse tabu bleiben und Mosley müsse bei einem so massiven Grundrechtseingriff das Recht haben, "sich präventiv wehren zu dürfen". Und weil Florian Klenk - stellvertretender Falter-Chefredakteur, mehrfacher "investigativer Journalist des Jahres" usw.- schließlich nicht irgendwer ist, habe ich mir das Urteil noch einmal angeschaut; hier meine ergänzenden Anmerkungen:

1. Im Fall Mosley gegen Vereinigtes Königreich vor dem EGMR ging es nicht darum, ob das fragliche Video hätte veröffentlicht werden dürfen. Dass durch die Veröffentlichung des Videos auf der Website der News of the World (aber auch durch die Bildveröffentlichungen in der Zeitung) unzulässig in die Privatsphäre von Mosley eingegriffen wurde, steht schon auf Grund des High Court Urteils von Eady J im Fall Mosley gegen News Group ganz unstrittig fest. Eady J betonte in seinem Urteil (im letzten Absatz) auch, dass kein Schadenersatzbetrag den Mosley zugefügten Schaden völlig ausgleichen könnte.

2. Gegenstand des EGMR-Verfahrens war auch nicht, ob eine Verpflichtung, Betroffene vor einer Veröffentlichung von Informationen aus der Privatsphäre zu informieren, nach der EMRK zulässig ist. Der EGMR betont, dass Artikel 10 EMRK "prior restraints on publication" nicht verbietet, dass diese aber "most careful scrutiny" verlangen (siehe zuletzt auch RTBF gegen Belgien; im Blog dazu hier); ausdrücklich sagt der EGMR (Nr. 117): "The Court would, however, observe that prior restraints may be more readily justified in cases which demonstrate no pressing need for immediate publication and in which there is no obvious contribution to a debate of general public interest." (Hervorhebung hinzugefügt).

3. Es ging auch nicht darum, ob journalistische Sorgfalt eine Vorverständigung gebietet. Der EGMR legt im Urteil eingehend nicht nur das anwendbare britische Recht, sondern auch die journalistische Berufspraxis dar, wie sie insbesondere auch im von der Press Complaints Commission (Presserat) überwachten Editors' Code of Practice festgehalten ist. Natürlich gehört es - im Regelfall - zur journalistischen Sorgfalt, Betroffenen Gelegenheit zu geben, zu Vorwürfen Stellung zu nehmen; Journalisten, die sich daran nicht halten, tragen ein hohes Risiko, in nachfolgenden Verfahren verurteilt zu werden ("publish and be damned" nennt das Carl Gardner). Übrigens: News of the World kostete die Verurteilung nicht nur die 60.000 Pfund Schadenersatz, sondern auch 420.000 Pfund Kostenersatz plus eigene Kosten - von insgesamt einer Million Euro kann man da schon ausgehen, auch für die News of the World Portokassa ist das nicht ganz vernachlässigbar.

4. Der EGMR hatte "nur" zu beurteilen, ob das Fehlen einer Verpflichtung zur Vorverständigung im englischen Recht eine Verletzung der positiven Verpflichtungen des Staates nach Art 8 EMRK bedeutet. Er hat das im Kammerurteil verneint, gestützt vor allem auf drei Überlegungen: erstens den möglichen "chilling effect" einer solchen Verpflichtung, zweitens ganz pragmatisch auf große Zweifel an der Effektivität einer solchen Verpflichtung und drittens auf den weiten Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten.

5. Der EGMR betont, dass der "chilling effect" nicht nur den hier gegenständlichen Schmuddeljournalismus betreffen würde. Es geht nicht nur um "Sex-Geschichten" bzw. könnten auch "Sex-Geschichten" (im weiteren Sinn) Gegenstand seriösen Ivestigativjournalismus sein - man braucht nur an Missbrauchsfälle kirchlicher Würdenträger zu denken. Selbst bei einer Vorverständigungspflicht müsste es Ausnahmen im öffentlichen Interesse geben, etwa wenn durch die vorherige Verständigung die Gefahr einer Vertuschung oder einer Vernichtung von Beweismitteln bestünde. Auch im Fall Mosley wäre ein öffentliches Interesse (an der Berichterstattung, wohl kaum an der Videoveröffentlichung) nicht ohne Weiteres zu verneinen gewesen, hätten sich die ersten Einschätzungen der News of the World-Journalisten als richtig erwiesen: diese glaubten ja an Nazi-Anklänge und an das Nachspielen von Konzentrationslager-Szenen, was bei einer Person öffentlichen Interesses, die immerhin Sohn des britischen Faschistenführers der Zwischenkriegszeit ist, schon von Bedeutung sein könnte (im Urteil des High Court wird freilich dargelegt, dass die News of the World Journalisten ihre Einschätzung sehr schlampig - "casual and cavalier" - getroffen haben, also die notwendige Sorgfalt grob vermissen ließen).

6. Der EGMR kommt zum Ergebnis, dass auch eine Vorverständigungspflicht Fälle wie Mosley nicht verhindern könnte. Wenn eine Zeitung unter der bestehenden Rechtslage (Stichwort: "publish and be damned") das Risiko eingeht, Material wie das im Fall Mosley zu veröffentlichen, dann würde sie das - ohne Vorverständigung - auch tun, wenn sie zu einer Vorverständigung verpflichtet wäre. Zugespitzt: es wäre der Zeitung egal, ob die 60.000 Pfund zu bezahlen sind, weil durch ein nachträgliches Urteil ein Eingriff in die Privatsphäre festgestellt wird, oder weil die Verständigungspflicht nicht eingehalten wurde. Wirklich abschreckende Sanktionen (extrem hoher Strafschadenersatz oder schwere strafrechtliche Folgen) wären wiederum mit Art 10 EMRK unvereinbar.

7. Generelle Vorverständigungspflichten sind in keiner Rechtsordnung eines Konventionsstaates vorgesehen (jedenfalls hat Mosley keine einzige solche Regelung benannt und der EGMR nennt auch selbst keine). Auch dies spricht für einen weiten Beurteilungsspielraum der Konventionsstaaten, die daher unter verschiedenen Möglichkeiten wählen können, wie sie ihren - unstrittigen - positiven Verpflichtungen aus Art 8 EMRK zum Schutz des Privat- und Familienlebens nachkommen; wobei in der Regel zivilrechtliche ex post-Ersatzpflichten ausreichend sind.

8. Man darf das Urteil keinesfalls als Freibrief für "News of the World"-style Berichterstattung verstehen, im Gegenteil: ich zitiere dazu Hugh Tomlinson, QC, der das gut zusammengefasst hat: "Finally, careful attention should be paid to the detail of the judgment and the general points made about the need to protect private life from press intrusion.  The press won the battle but the judgment confirms that it has lost the 'privacy war'. The Court makes its disapproval of the conduct of the News of the World crystal clear and emphasises the need for a 'narrow interpretation' of freedom of expression where sensational and titillating press reports are involved".

9. Es steht noch nicht fest, ob das Urteil des EGMR endgültig ist; Mosley hat angekündigt, einen "request for re-examination" zu stellen und damit die Übertragung an die Große Kammer zu beantragen.
[Update 07.10.2011: das Urteil ist endgültig, die beantragte Verweisung an die Große Kammer wurde abgelehnt, siehe dazu den Beitrag auf Inforrm's Blog]

Tuesday, May 10, 2011

EGMR - Mosley: Verständigungspflicht vor Veröffentlichung privater Informationen hätte chilling effect

Der EGMR hat heute im Fall Mosley gegen Vereinigtes Königreich (Appl. no. 48009/08) einstimmig festgestellt, dass Herr Mosley durch das Fehlen einer Verpflichtung für Medien, die von der Veröffentlichung privater Informationen betroffenen Personen vor der Veröffentlichung zu verständigen ("pre-notification requirement"), nicht in seinem Recht auf Schutz der Privatsphäre nach Art 8 EMRK verletzt wurde.

Die News of the World hatte am 30. März 2008 auf der Titelseite einen Bericht über Max Mosley, bekannt als Formel 1-Boss, veröffentlicht, in dem ihm eine "Nazi-Orgie mit 5 Prostituierten" vorgeworfen wurde; die Story erstreckte sich über mehrere Seiten und enthielt Bilder, die Mosley bei sexuellen Aktivitäten zeigten; auf der Website der Zeitung wurde ein heimlich gedrehtes Video dieser Aktivitäten gezeigt. Mosley ging dagegen vor und erreichte eine Gerichtsentscheidung, in der eine Verletzung der Privatsphäre festgestellt wurde; er erhielt 60.000 GBP als Schadenersatz und 420.000 GBP als Kostenersatz. Richter Eady hielt unter anderem fest, dass es keinen Nazi-Bezug und daher auch kein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung gegeben habe.

Im Verfahren vor dem EGMR machte Mosley geltend, dass das Vereinigte Königreich seine positiven Verpflichtungen aus Art 8 EMRK verletzt habe, und zwar weil es keine Rechtspflicht vorgesehen habe, nach der die Zeitung ihn vor der Veröffentlichung verständigen hätte müssen, um ihm die Möglichkeit zu geben, eine einstweilige Verfügung zu erwirken und damit die Veröffentlichung von Material, das seine Privatsphäre verletzt, zu verhindern.

Strittig war auch, ob dem Beschwerdeführer überhaupt Opferstatus zukam und ob er die innerstaatlichen Rechtsmittel erschöpft hatte; beides wurde vom EGMR unter Hinweis auf die "unübliche Art der Beschwerde" bejaht (siehe Nr. 72/73 und 76-78 des Urteils).

In der Sache selbst betont der EGMR zunächst, dass Mosley im UK das Gerichtsverfahren gewonnen hat: "The Court recalls that Eady J in the High Court upheld the applicant’s complaint against the News of the World. ... The Court further notes that as far as the balancing act in the circumstances of the applicant’s particular case was concerned, the domestic court firmly found in favour of his right to respect for private life and ordered the payment to the applicant of substantial monetary compensation." Darauf folgt eine kompakte Darlegung der Grundsätze der Anwendung von Artikel 8 EMRK einerseits und Art 10 EMRK andererseits (wer sich schnell einen Überblick über den aktuellen Stand zu diesen Bestimmungen schaffen will: Nr. 106-117 des Urteils sind dafür sehr zu empfehlen). 

In der Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall hält der EGMR fest, dass er bisher implizit akzeptiert habe, dass ex post facto zuerkannte Entschädigungen eine adäquate Abhilfe gegen Verletzungen der Privatsphäre seien (nur in besonders schwerwiegenden Fällen - der EGMR zitiert die Fälle X und Y gegen die Niederlande und K.U. gegen Finnland, in denen es jeweils um Sexualdelikte mit Minderjähigen ging - habe er zivilrechtliche Schadenersatzleistungen als nicht ausreichend angesehen).

Im Hinblick auf die verlangte "Vorverständigung" ("pre-notification") betont der EGMR, dass die Auswirkungen einer solchen Verständigungspflicht auf die Freiheit der Meinungsäußerung - wie begründet das Verlangen im konkreten Fall auch sein möge - sich nicht auf sensationsheischende Berichterstattung wie im Ausgangsfall beschränken ließe, sondern auch politische und ernsthafte investigative Berichterstattung erfassen würde. Auch existiere kein "common consensus" in den Konventions-Staaten, wonach es eine Verständigungspflicht geben solle - es scheint ganz im Gegenteil "common consensus" gegen die Verständigungspflicht zu bestehen.

Besondere Probleme bestünden nach Ansicht des EGMR vor allem mit der Effektivität einer Verständigungspflicht, denn diese müste einerseits eine - notwendigerweise weit auszulegende - Ausnahme bei öffentlichem Interesse zulassen und andererseits könnten nur hohe "punitive damages" Strafschadenersatzzahlungen oder Kriminalstrafen wirklich abschreckend wirken - was aber wiederum einen nicht hinzunehmenden chilling effect auf politischen und investigative Journalismus haben  würde (siehe näher in den Nr. 126-129 des Urteils).

In den Schlussfolgerungen betont der EGMR nochmals seine massive Kritik am Verhalten der Zeitung ("the conduct of the newspaper in the applicant’s case is open to severe criticism.") und erkennt an, dass das Privatleben eine hochlukrative Commodity für bestimmte Mediensektoren geworden ist; zwar genießen auch diese Mediensektoren den Schutz des Art 10 EMRK, aber dieser Schutz müsse gegenüber den Anforderungen des Schutzes des Privatlebens nach Art 8 EMRK zurücktreten, wenn die Information privater und intimer Natur ist und es kein öffentliches Interesse an der Verbreitung gibt. Im Hinblick auf die Vorverständigungspflicht müsse man aber über die Fakten des jeweiligen Einzelfalls hinausschauen und die weitreichenden Auswirkungen berücksichtigen - wegen des "chilling effect", ernsthafter Bedenken über die Effektivität und dem breiten Beurteilungsspielraum stelle das Fehlen einer solchen Verständigungspflicht keinen Verstoß gegen Art 8 EMRK dar: 
"132.  However, the Court has consistently emphasised the need to look beyond the facts of the present case and to consider the broader impact of a pre-notification requirement. The limited scope under Article 10 for restrictions on the freedom of the press to publish material which contributes to debate on matters of general public interest must be borne in mind. Thus, having regard to the chilling effect to which a pre-notification requirement risks giving rise, to the significant doubts as to the effectiveness of any pre-notification requirement and to the wide margin of appreciation in this area, the Court is of the view that Article 8 does not require a legally binding pre-notification requirement. Accordingly, the Court concludes that there has been no violation of Article 8 of the Convention by the absence of such a requirement in domestic law."
Update: interessante und differenzierte Anmerkungen aus britischer Sicht von Hugh Tomlinson, QC ("The press won the battle but the judgment confirms that it has lost the 'privacy war'.")  und von Carl Gardner ("A system of voluntary prior notification for instance – with special legal immunity from any financial or other claim for journalists and media organisations who do give prior notice – would actually be much less chilling of free speech that our current 'publish and be damned' culture). Eine weitere Analyse stammt von Rónán Ó Fathaigh auf Strasbourg Observers. Siehe auch die Presseaussendung des EGMR und nunmehr (2.6.2011) Simon Möller auf Telemedicus

Weitere (zusammenfassende) Anmerkungen von mir zum Fall Mosley in diesem Blogpost

Untergrund-Bilder: wie österreichische Gratisblätter von heute die Fehler der britischen Tabloids von gestern wiederholen

Gestern noch habe ich leicht amüsiert gelesen, was sich im UK und in der USA medienrechtlich aktuell so tut: da haben Zeitungen fünf Jahre alte Fotos gedruckt, auf denen die Schwester einer durch Hochzeit bekannt gewordenen Frau in privater Umgebung im Bikini bzw beim Aus- oder Anziehen des Bikinis zu sehen ist (Berichte im Guardian, Telegraph). Da braucht man nicht einmal die "Caroline"-Rechtsprechung des EGMR bemühen, um in den halb-nackt-Fotos einen evidenten Bruch der Privatsphäre zu erkennen, den die Betroffene - jedenfalls nach europäischen Standards - nicht hinnehmen muss. Die Betroffene ist, den schon zitierten Zeitungsberichten zufolge, daher gegen die Veröffentlichungen vorgegangen und hat offenbar im UK und den USA damit auch die weitere Verbreitung verhindert.

Und was sehe ich heute früh in der Wiener U-Bahn? Ein Gratisblatt, das mit einem dieser Bilder aufmacht (und das selbe Bild dann noch einmal im Inneren des Blattes zeigt); das zweite Gratisblatt muss man schon aufschlagen, aber bereits auf Seite 3 ist auch dort das selbe Bild abgedruckt. In keiner der beiden Zeitungen findet sich ein Urhebervermerk beim Foto. Ob die Abgebildete auch gegen österreichische Blätter vorgehen wird? Wäre ich Medienanwalt, ich wüsste jedenfalls, um welches Mandat ich mich bemühen würde.

PS: Verlinkungen zu den Blättern spare ich mich hier absichtlich, ebenso wie die Nennung des Namens der Abgebildeten (ich bin ja auf Traffic zu diesem Blog nicht angewiesen).

Friday, May 06, 2011

EuGH-Generalanwalt zur Sendestaatskontrolle bei Roj TV: "Aufstachelung zu Hass" ist weit auszulegen

In den verbundenen Rechtssache C-244/10 Mesopotamia Broadcast und C-245/10 Roj TV (siehe im Blog dazu hier) hat Generalanwalt Bot gestern seine Schlussanträge erstattet. Sollte der EuGH diesen Schlussanträgen folgen - und ich sehe jedenfalls nach erster Lektüre keinen Grund, warum er es nicht tun sollte -, würde dies einerseits eine Stärkung für den Grundsatz der "Sendestaatskontrolle" für audiovisuelle Mediendienste bedeuten, andererseits - damit verbunden - aber auch eine deutlich erhöhte Verantwortung der demnach zuständigen Mitgliedstaaten.

Ausgangspunkt des EuGH-Verfahrens ist ein Vorlageersuchen des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes in einem Verfahren über eine Verbotsverfügung des Innenministeriums, die sich gegen den in Dänemark ansässigen Rundfunkveranstalter Mesopotamia Broadcast A/S METV und den von ihr betriebenen Fernsehsender Roj TV A/S richteten und diesen auf der Grundlage des deutschen Vereinsgesetzes die Betätigung in Deutschland untersagten. Würde diese Verfügung wirksam (das Bundesverwaltungsgericht hat den Sofortvollzug der Maßnahmen aufgehoben), so könnte im Ergebnis offenbar vor allem keine öffentliche Weiterverbreitung des Programms (etwa in Gaststätten oder bei Versammlungen) erfolgen. Hintergrund des Verbots ist, dass das deutsche Innenministerium festgestellt hat, die Sendungen von Roj TV würden die - von der Union als "terroristisch" eingestufte - Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verherrlichen und damit "gegen den Gedanken der Völkerverständigung" im Sinne der deutschen Rechtsvorschriften verstoßen.

Da aber mit dieser Verbotsverfügung auch ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit verbunden sein kann, die für Fernsehsendungen in der RL "Fernsehen ohne Grenzen" (nun: RL über audiovisuelle Mediendienste [AVMD-RL]) besondere Regelungen erfahren hat, hat das Bundesverwaltungsgericht dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift über ein Vereinsverbot wegen Verstoßes gegen den Gedanken der Völkerverständigung in den durch die RL koordinierten Bereich fällt und daher gemäß Art 2a der Richtlinie ausgeschlossen ist (und, falls ja, unter welchen Voraussetzungen).

Generalanwalt Bot bestätigt zunächst, dass Art 2a der RL Fernsehen ohne Grenzen (hier noch in der Fassung der RL 97/36/EG, siehe nun Art 3 AVMD-RL) anzuwenden ist, wonach Mitgliedstaaten die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen, die Bereiche betreffen, die durch diese Richtlinie koordiniert sind, nicht behindern dürfen ("Sendestaatskontrolle"). Von diesem Grundsatz können Mitgliedstaaten nur vorübergehend und nur dann abweichen, wenn mit einer Fernsehsendung aus einem anderen Mitgliedstaat "in offensichtlicher, ernster und schwerwiegender Weise gegen Artikel 22 Absatz 1 oder 2 und/oder Artikel 22a verstoßen" wird und überdies ein komplexes Verfahren eingehalten wird (mindestens zweifacher Verstoß in zwölf Monaten, Mitteilung an Veranstalter und Kommission, ergebnislose Konsultation mit Sendestaat und schließlich neuerlicher Verstoß); zudem muss die Kommission dann innerhalb einer Frist von zwei Monaten eine Entscheidung über die Vereinbarkeit der Maßnahmen mit dem Unionsrecht treffen. Nach Art 22a der RL "Fernsehen ohne Grenzen" (vgl nun Art 6 der AVMD-RL) tragen die Mitgliedstaaten "dafür Sorge, dass die Sendungen nicht zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität aufstacheln." Da die Bestimmungen im hier wesentlichen Kern von der Fernseh-RL in die AVMD-RL übernommen wurden, ist die Entscheidung in der vorliegenden Rechtssache auch für die Auslegung der aktuellen Rechtslage relevant.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte Zweifel, ob der Verbotsgrund nach Art 22a Fernseh-RL ("Aufstachelung zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität") auf Sendungen, die gegen das in Deutschland geltende "Gebot der Völkerverständigung" verstoßen, anwendbar ist: die RL, die sich auf die "Aufstachelung zu Hass" beziehe, betreffe eine "Botschaft stärkerer Intensität" als eine "bloße  Völkerverständigungswidrigkeit".

Der Generalwalt teilt diese Zweifel nicht, und er greift in der Auslegung insbesondere auch auf Art 11 der Grundrechtecharta zurück; wörtlich schreibt er (Hervorhebung hinzugefügt):
67.      Entgegen dem vorlegenden Gericht sehe ich in diesen Definitionen keine Gründe, die die Annahme rechtfertigten, dass der Begriff der Aufstachelung zum Hass einen merklich anderen Inhalt hätte als der der Völkerverständigungswidrigkeit. Denn zum Hass aufstacheln bedeutet, Anstrengungen zu unternehmen, ein feindliches oder ablehnendes Gefühl dem anderen gegenüber herbeizuführen, aufgrund dessen derjenige, der dieses Gefühl verspürt, nicht mehr in der Lage ist, in Harmonie mit der anderen Person zusammenzuleben, also sich mit ihr zu verstehen.
68.      Dem Begriff der Völkerverständigungswidrigkeit einen erweiterten Sinn dahin zu geben, dass er Botschaften umfasst, die nicht geeignet sind, ein Gefühl der Intoleranz zu erzeugen, liefe außerdem dem Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung zuwider. Mit anderen Worten ist die in Art. 11 der Charta garantierte Freiheit der Meinungsäußerung, wie sich aus Art. 54 der Charta ergibt, dann nicht mehr anwendbar, wenn die Botschaft andere von der Charta anerkannte Grundsätze und Grundrechte beeinträchtigt, wie den Schutz der Menschenwürde und das Diskriminierungsverbot.
69.      Die Begriffe Aufstachelung zum Hass und Völkerverständigungswidrigkeit beziehen sich meines Erachtens demnach auf dasselbe Verhalten.
Weiters legt der Generalanwalt auch dar, weshalb "Aufstachelung zum Hass aufgrund von Rasse oder Nationalität" auch dann vorliegt, wenn "bloß" kurlturelle oder ethnische Unterschiede bestehen; er verweist darauf, dass "Rasse" keinerlei objektiven wissenschaftlichen Inhalt hat und das Unionsrecht jede Theorie, die vom Bestehen unterschiedlicher menschlicher Rassen ausgeht, verwirft. Der RL-Gesetzgeber beziehe sich mit dem Verbot jeder Aufstachelung zum Hass "auf die Formen von Diskriminierung, die sich auf ein Kriterium stützen, das es nach den von ihm verurteilten Theorien ermöglichen würde, die Menschen in verschiedene Kategorien einzuteilen und einen oder mehrere Menschen als von Natur aus als anderen überlegen oder unterlegen anzusehen." Es könne auch nicht darauf ankommen, ob die "aufstachelnden" Sendungen tatsächlich Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung haben. Der Generalwalt kommt daher zu folgendem Zwischenergebnis:
85.      Das Ziel, das die Richtlinie mit der durch ihren Art. 22a vorgenommenen Harmonisierung verfolgt, führt meiner Ansicht nach dazu, den Begriff der Aufstachelung zum Hass aufgrund von Rasse und Nationalität weit auszulegen, so dass davon auch Sendungen erfasst werden, die die Verständigung zwischen unterschiedlichen ethnischen oder kulturellen Gemeinschaften wie die in Deutschland lebenden kurdischen und türkischen Gemeinschaften beeinträchtigen könnten.
Der Generalanwalt räumt ein, dass die Beurteilung des diskriminierenden Charakters einer Fernsehsendung legitimerweise von einem Mitgliedstaat zum anderen variieren könne und dass auch die Auswirkungen, die zum Hass zwischen unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Gemeinschaften aufstachelnde Fernsehsendungen auf die öffentliche Ordnung haben, selbstverständlich von der Anwesenheit dieser Gemeinschaften im nationalen Hoheitsgebiet abhängen. Das rechtfertige aber keine restriktive Auslegung von Art. 22a der RL. denn erstens bestehe eben "das Ziel einer harmonisierten Vorschrift gerade darin, dass diese allen Mitgliedstaaten gemein ist und somit von jedem von ihnen angewandt wird", und:
90.      Zweitens fehlt einem Mitgliedstaat, der davon ausgeht, dass die von einem anderen Mitgliedstaat aus verbreiteten Sendungen die in Art. 22a der Richtlinie genannten Voraussetzungen nicht erfüllen, nicht jegliche Handlungsmöglichkeit. Ihm steht, wie dargelegt, das in Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie vorgesehene Verfahren zur Verfügung, das es ihm unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen ermöglicht, beschränkende Maßnahmen gegen derartige Sendungen zu ergreifen.
Diese Garantie diene dazu, die Ausübung des Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung bestmöglich mit dem ebenfalls legitimen Recht der Mitgliedstaaten, ihre öffentliche Ordnung zu schützen, in Einklang zu bringen. Außerdem können die Maßnahmen im Sendestaat wirksamer sein als diejenigen, die einseitig von einem Empfangsmitgliedstaat ergriffen werden:
So könnte die Durchführung des Verfahrens nach Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie in den vorliegenden Rechtssachen gegebenenfalls zu einem Verbot jeglicher Verbreitung von die PKK verherrlichenden Fernsehsendungen der Mesopotamia Broadcast METV durch das Königreich Dänemark führen, während die streitigen deutschen Maßnahmen konkret nur zur Folge haben, dass ihre Weiterverbreitung an öffentlichen Orten in Deutschland inkriminiert würde und nicht der dortige Empfang in einem privaten Rahmen.
Der Generalanwalt schlägt daher vor, die Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:
Art. 22a der RL 89/552/EWG idF 97/36/EG, wonach die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Fernsehsendungen nicht zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität aufstacheln, ist dahin auszulegen, dass er auch Sendungen verbietet, die aufgrund der Verherrlichung einer von der Union als „terroristisch“ eingestuften Vereinigung geeignet sind, bei Gemeinschaften unterschiedlicher ethnischer oder kultureller Herkunft feindliche oder ablehnende Reaktionen hervorzurufen.
Mit den Verbotsverfügungen des Innenministeriums wird den Sendungen von Roj TV in Deutschland also nicht beizukommen sein; stattdessen wird man, will man das Verbot erreichen, wohl den mühsameren, aber im Ergebnis wirksameren Weg nach (nunmehr) Art 3 AVMD-RL einschlagen müssen. Ob das aber noch notwendig sein wird, könnte sich auch in einem anderen Verfahren herausstellen, das derzeit gegen die Rundfunkveranstalter in Dänemark geführt wird (siehe jüngst diesen Bericht über eine Äußerung der dänischen Außenministerin).

Update 22.09.2011: zum Urteil des EuGH vom 22.09.2011 siehe hier.