Thursday, July 13, 2023

Vom Amtsblatt zum TikTok-Kanal - Anmerkungen zur Einstellung der Wiener Zeitung

Am 30. Juni 2023 ist die letzte Printausgabe der Wiener Zeitung (als Tageszeitung) erschienen. Die Einstellung dieser Tageszeitung war eine direkte Folge der schon im Regierungsprogramm 2020 getroffenen politischen Entscheidung, die Pflichtveröffentlichungen im gedruckten Amtsblatt zur Wiener Zeitung abzuschaffen. Die mit dem WZEVI-Gesetz beschlossene Weiterführung der Wiener Zeitung als eher rudimentäres Online-Medium ist beihilfenrechtlich bedenklich und wirft Fragen zur gebotenen Staatsferne der Medien auf. Sie hat zudem die Anmutung einer Übergangslösung, bis die Wiener Zeitung GmbH schließlich wohl nur mehr als In-House-Dienstleister des Bundes für diverse Veröffentlichungsaufgaben, für die "Contentproduktion" und für einzelne Förderungs- und Ausbildungsagenden tätig sein wird. 

In diesem Blog-Beitrag versuche ich, ein wenig den rechtlichen Nebel um das Ende der Wiener Zeitung zu lichten. Es geht um folgende Fragen: 

  1. Musste die Tageszeitung sterben? (Spoiler: nein)
  2. War die Quersubventionierung der Tageszeitung aus Amtsblatterlösen erlaubt? (Spoiler: ja, aber ich hatte Zweifel)
  3. Hätte man die Tageszeitung einfach aus dem Budget (statt aus Amtsblatt-Erlösen) weiterfinanzieren können? (Spoiler: nein)
  4. Durfte die Tageszeitung eingestellt werden werden? (Spoiler: ja)
  5. Kann die Republik einfach so ein Online-Medium aus dem Budget finanzieren (Spoiler: eher nicht)
  6. Heißt es nun "WZ" oder "Wiener Zeitung"? (Spoiler: es muss "Wiener Zeitung" heißen)
  7. Und zuletzt: darf der Staat selbst Medien machen? (Spoiler: in Deutschland nicht, in Österreich haben wir die Frage bisher nicht beantwortet).

1. Die Entscheidung über das Ende der Wiener Zeitung als Tageszeitung

Die politische Entscheidung, die Wiener Zeitung als Tageszeitung einzustellen, wurde bereits 2020 im Regierungsprogramm 2020-2024 getroffen, auch wenn es dort noch nicht so explizit ausformuliert wurde. Die Koalitionspartner einigten sich damals (im Kapitel "Standort, Entbürokratisierung und Modernisierung") darauf, die "Veröffentlichungspflicht in Papierform in der Wiener Zeitung" abzuschaffen. Damit war klar, dass das bisher bestehende Geschäftsmodell der Wiener Zeitung - Querfinanzierung der Tageszeitung aus den Erlösen der entgeltlichen Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt zur Wiener Zeitung - keinen Bestand mehr haben konnte. 

Im Kapitel "Medien" des Regierungsprogramms wurde dies auch erkannt und aufgegriffen. Dort heißt es: "Neues Geschäftsmodell der Wiener Zeitung mit dem Ziel des Erhalts der Marke –  Serviceplattformen des Bundes bündeln". Auch das ist eine klare Aussage: Ziel war gerade nicht der Erhalt der Wiener Zeitung als Tageszeitung, sondern bloß der Erhalt der Marke, und es war auch nicht daran gedacht, die Markenrechte aus der Hand zu geben und/oder die Wiener Zeitung GmbH zu privatisieren bzw. die Tageszeitung als Teilbetrieb zu verkaufen. 

Das Ende der Wiener Zeitung als Tageszeitung ist die direkte Folge der politisch gewünschten Abschaffung der Veröffentlichungspflichten im Amtsblatt zur Wiener Zeitung, sozusagen der Kollateralschaden der damit angestrebten Entlastung der veröffentlichungspflichtigen Unternehmen bzw. der Modernisierung durch Umstellung auf eine ausschließlich elektronische Kundmachung der bisherigen Pflichtveröffentlichungen. 

Rechtlich zwingend war die Abschaffung der Veröffentlichungspflicht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung nicht. Zwar gab es einen unionsrechtlichen Anstoß für die Modernisierung des Kundmachungswesens im Gesellschaftsrecht, nämlich die Richtlinie (EU) 2019/1151 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht. Diese verlangt allerdings explizit nicht, dass mitgliedstaatliche Vorschriften über eine (zusätzliche) Kundmachung in einem nationalen Amtsblatt beseitigt werden müssen. Art. 16 Abs. 3 der (durch die RL (EU) 2019/1151 geänderten) RL (EU) 2017/1132 sieht ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten verlangen können, "dass einige oder alle dieser Urkunden und Informationen in einem dafür bestimmten Amtsblatt oder in anderer ebenso wirksamer Form veröffentlicht werden." Auch Erwägungsgrund 26 der RL (EU) 2019/1151 stellt klar, dass diese Richtlinie die nationalen Vorschriften über die Rolle des nationalen Amtsblatts nicht berühren sollte. 

Österreich hätte die Pflichtveröffentlichungen im gedruckten Amtsblatt aus unionsrechtlicher Sicht also beibehalten können. Die Regierungskoalition hat sich aber - zur Entlastung der Unternehmen und zur Modernisierung des Kundmachungswesens - dafür entschieden, die Richtlinie als Anlass zu nehmen, diese Pflichtveröffentlichungen abzuschaffen.

2. Die Quersubventionierung aus Amtsblatt-Erlösen als (alte) Beihilfe

Die Wiener Zeitung hatte wenige Abonnent*innen bzw. Käufer*innen. Da sie sich nicht an der Österreichischen Auflagenkontrolle (ÖAK) beteiligte, bestehen keine gesicherten Informationen zur tatsächlich verkauften Auflage, zuletzt wurde der Presse aus dem Bundeskanzleramt eine verkaufte Auflage von  im Schnitt 8.000 bis 8.500 Exemplaren genannt, die Redaktion selbst nannte eine Auflage - also wohl gemeint: Druckauflage, nicht verkaufte Auflage - von unter der Woche 14.250 Exemplaren, am Wochenende knapp 39.000 Exemplaren. Der Verkaufspreis der Wiener Zeitung war im Vergleich zu anderen Tageszeitungen niedrig (zuletzt 1 €), und die Einnahmen aus Werbung hielten sich in engen Grenzen (auch dazu fehlen gesicherte Zahlen, aber nach den Erläuterungen zum WZEVI-Gesetz betrug der Anteil der Erlöse aus gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichungen im Amtsblatt rund 85 % der gesamten Umsatzerlöse der Wiener Zeitung GmbH, sodass Vertriebs- und Werbeerlöse insgesamt nicht mehr als 15 % der gesamten Umsatzerlöse ausmachten).

Die Wiener Zeitung in der bekannten Form als gedruckte Tageszeitung hätte damit ohne Quersubventionierung nicht wirtschaftlich überleben können. Diese Quersubventionierung erfolgte aus den Erlösen der Veröffentlichungen im Amtsblatt, also ganz überwiegend aus nicht freiwillig geleisteten Zahlungen jener Unternehmen oder Einrichtungen, die gesetzlich dazu verpflichtet waren, bestimmte Informationen im Amtsblatt kostenpflichtig zu veröffentlichen. Damit sorgte - etwas vereinfacht dargestellt - der Staat dafür, dass (vor allem) veröffentlichungspflichtige Unternehmen letztlich zugunsten eines bestimmten Unternehmens, der Wiener Zeitung GmbH, Zahlungen leisteten, um damit das Erscheinen einer Tageszeitung zu finanzieren, die in Konkurrenz zu anderen Tageszeitungen stand. Es war daher von einer Beihilfe im unionsrechtlichen Sinn (Art. 107 AEUV) auszugehen. 

Darauf stützte sich auch "Die Presse", als sie vor mehr als 15 Jahren gerichtlich gegen die Wiener Zeitung vorzugehen versuchte. Die UWG-Klage der Presse richtete sich sowohl gegen die Republik Österreich als auch gegen die Wiener Zeitung GmbH, und sie machte - erfolglos - verschiedene Rechtsverletzungen geltend, unter anderem auch einen Verstoß gegen das unionsrechtliche (damals: gemeinschaftsrechtliche) Beihilfenverbot. Der OGH handelte diesen Aspekt in seinem letztinstanzlichen Beschluss vom 10.06.2008, 4 Ob 41/08w, recht knapp ab: 

Die Herausgabe der „Wiener Zeitung" als Kombination von Tageszeitung und Verlautbarungsorgan mit Finanzierung aus Verkaufspreis und Veröffentlichungsentgelten erfolgte notorisch schon lange vor dem EG-Beitritt Österreichs. Eine Unzulässigerklärung durch die Kommission behauptet die Klägerin nicht. Somit scheidet aber eine Verletzung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenverbots als Grundlage der behaupteten Verletzung des Lauterkeitsrechts gleichfalls aus.

Dazu muss man wissen, dass die beim EU-Beitritt bereits bestehenden ("alten") staatlichen Beihilfen erst dann unzulässig sind, wenn sie nach Art. 108 Abs. 1 AEUV von der Kommission überprüft und untersagt wurden (allerdings gilt das - mit wenigen Ausnahmen - nur wenn sie vor dem Beitritt notifiziert wurden). 

Christoph Grabenwarter und ich haben uns mit dem beihilferechtlichen Aspekt im OGH-Beschluss in einem Beitrag für die Presse näher und eher kritisch auseinandergesetzt. Freilich musste der OGH  im Hinblick auf den Verfahrensgegenstand hier keine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Beihilfenrecht vornehmen, denn es ging im UWG-Verfahren nur darum, dass das Handeln der beklagten Wiener Zeitung GmbH durch eine vertretbare (also nicht zwingend auch richtige) Rechtsansicht gedeckt sein musste. Mit dem OGH-Beschluss war aber die Sache faktisch vom Tisch, und man kann davon ausgehen, dass die Quersubventionierung der Wiener Zeitung aus den Amtsblatt-Erlösen, wie sie bis 30. Juni 2023 bestand, unionsrechtlich als "alte", nicht untersagte Beihilfe anzusehen und damit zulässig war. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit dieser Frage ist nun jedenfalls angesichts des Endes dieses Systems müßig. 

Der OGH-Beschluss ist übrigens auch insofern lesenswert, als er durch die Wiedergabe der  wesentlichen erstgerichtlichen Feststellungen auch einen gewissen Einblick in die Dimensionen der Erlösströme in der Wiener Zeitung gibt: die Erlöse aus Abos und Einzelverkauf machten damals rund ein Zehntel der Amtsblatterlöse aus; die erzielte Reichweite der Wiener Zeitung wurde für 2005 mit 0,85 % festgestellt.

3. Budgetfinanzierte Weiterführung der Tageszeitung? 

Die Wiener Zeitung als gedruckte Tageszeitung war ohne Quersubventionierung nicht wirtschaftlich zu führen. Daher wurde in den Wochen vor der Einstellung der Tageszeitung häufig gefordert, dass - wenn schon die Amtsblatt-Erlöse wegfielen - eine Weiterführung mit Unterstützung aus Bundesmitteln erfolgen solle (oft auch in der Variante, dass dafür ein Teil des ORF-Beitrags verwendet werden solle, siehe etwa diesen - in der Minderheit gebliebenen - parlamentarischen Entschließungsantrag). 

Gerade im Hinblick auf die journalistischen Arbeitsplätze und die ohnehin schon enge Medienlandschaft Österreichs war dieser Wunsch zwar verständlich, rechtlich bestand dafür allerdings keine realistische Chance. Denn die Budgetfinanzierung (auch indirekt aus der Haushaltsabgabe für den ORF) wäre eine neue Beihilfe, die jedenfalls der Kommission zu notifizieren (gewesen) wäre, und die daher eine vertiefte Prüfung auf die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht hätte durchlaufen müssen. Prima facie sehe ich nicht, auf welche Ausnahmebestimmung zum allgemeinen Beihilfenverbot man sich diesbezüglich hätte stützen können, um die selektive Unterstützung einer bestimmten (gedruckten) Tageszeitung beihilfenrechtlich zu rechtfertigen. Da die Sache ohnehin vorbei ist, kann ich mir auch dazu eine vertiefte Darlegung sparen. Bislang habe ich jedenfalls nichts dazu gehört oder gelesen, wie man sich eine solche Budgetfinanzierung oder Beitrags-Finanzierung der Wiener Zeitung beihilfenrechtlich hätte vorstellen sollen.

[im Hinblick auf die weiter unten - Abschnitt 5. - folgende  Auseinandersetzung mit der Finanzierung der neuen Wiener Zeitung als Online-Medium ist nur anzumerken, dass der Finanzbedarf für die "klassische" gedruckte Wiener Zeitung die im sogenannten DAWI-Beschluss festgelegte Betragsgrenze von 15 Mio. Euro pro Jahr überschritten hätte, sodass eine Berufung auf diesen Beschluss schon aus diesem Grunde nicht möglich gewesen wäre.] 

Nur als Exkurs: Der Hinweis auf die Beitragsfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hilft hier auch nichts. Zum einen wird den Besonderheiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch im Protokoll von Amsterdam sowie in der Rundfunkmitteilung der Kommission Rechnung getragen, zum anderen aber wurde die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch den bisherigen gerätebezogenen Beitrag für Österreich durch die Beihilfenentscheidung der Kommission vom 28.10.2009, Staatliche Beihilfe E 2/2008 –Finanzierung des ORF, "abgesegnet"; hinsichtlich der Umstellung auf die "Haushaltsabgabe" gehe ich davon aus, dass diese Änderung der Finanzierung - im Lichte des EuGH-Urteils in der Rechtssache C-492/17 Rittinger - keine wesentliche Änderung ist.

4. Die Tageszeitung verkaufen und privat weiterführen?

In der Debatte wurde auch kritisiert, dass die Medienministerin andere Interessent*innen für eine Übernahme der Wiener Zeitung (und deren Fortführung als Tageszeitung) gar nicht getroffen habe und andere Konzepte privater Interessent*innen gar nicht geprüft worden seien. Hätte man einen solchen Verkauf durchführen können? Rechtlich ja, sei es als Privatisierung der Wiener Zeitung GmbH oder  durch Übertragung des Teilbetriebs Wiener Zeitung, beides natürlich nur unter Beachtung der auch dabei anzuwendenden beihilferechtlichen Rahmenbedingungen. 

Nun weiß ich zwar von einzelnen Interessensbekundungen, und ich will mir auch nicht anmaßen, die Ernsthaftigkeit dieser Interesssent*innen zu beurteilen. Ich kann aber verstehen, dass die politisch Verantwortlichen nicht recht daran glauben wollten, dass eine gedruckte Tageszeitung in vergleichbarer Qualität wie bisher hätte weitergeführt werden können, wenn plötzlich ein Großteil der bisherigen Erlöse (aus den Amtsblatt-Pflichtveröffentlichungen, wie gesagt waren das zuletzt 85% der Gesamterlöse) wegfällt. Angesichts der geringen Reichweite der Wiener Zeitung und des schwierigen Umfelds am Werbemarkt, aber auch am Lesermarkt für gedruckte Tageszeitungen allgemein hätte auch ich kaum Chancen für eine private Weiterführung (mit Übernahme eines großen Teils der bisherigen Redaktion) als gedruckte Tageszeitung gesehen. 

Das ist traurig für den österreichischen Medienmarkt, der sich ohnehin in bedenklicher Schieflage befindet und durch Förderungen und vor allem Inseratenvergaben der öffentlichen Hand eher verzerrt als gestärkt wird. Natürlich schmerzt aus medienpolitischer Sicht der Wegfall jeder Tageszeitung, die mit einer professionellen Redaktion tagesaktuelle Berichterstattung leistete, wie gering auch immer die Auflage war. Johannes Huber hat dazu in einem Kommentar in den Vorarlberger Nachrichten (hier auf Twitter) einen ganz wesentlichen Punkt angesprochen: "Wenn eine Information relevant ist, breitet sie sich auch ausgehend von einer kleinen Zeitung aus."  

Aber man muss der Realität ins Auge sehen: die Wiener Zeitung war ohne Quersubventionierung nicht lebensfähig, und eine Privatisierung hätte daran nichts geändert. 

Durfte die Wiener Zeitung als gedruckte Tageszeitung daher eingestellt werden? Rechtlich ist das klar mit "ja" zu beantworten, denn eine verfassungs- oder europarechtliche Verpflichtung zur Fortführung bestand und besteht nicht. Es ist eine (wirtschafts- und medien-)politische Entscheidung, die von der aktuellen Regierungskoalition im Regierungsprogramm paktiert und nun mit dem WZEVI-Gesetz umgesetzt wurde. Das mag man gut oder schlecht finden, aber welche Aufgaben der Bund als (Medien-)Unternehmer übernimmt und von welchen er sich trennt, steht eben (im allgemeinen verfassungs- und europarechtlichen Rahmen) im Belieben des Bundes (zu einer möglichen Einschränkung komme ich noch im Abschnitt 7. weiter unten, Stichwort: Staatsferne). 

5. Die Wiener Zeitung als Online-Medium und TikTok-Kanal

Die Wiener Zeitung wurde aber nicht einfach eingestellt und damit die publizistische Tätigkeit der Wiener Zeitung GmbH beendet, sondern das WZEVI-Gesetz überträgt der Wiener Zeitung GmbH - neben einer Reihe anderer Aufgaben - auch die "Herausgabe der Wiener Zeitung gemäß § 3". § 3 Abs. 1 WZEVI-Gesetz lautet:

Die Wiener Zeitung GmbH hat unter Bedachtnahme auf einen hohen journalistischen Qualitätsstandard und unter Beachtung eines Redaktionsstatuts sowie unter der Berücksichtigung der Ausrichtung als Aus- und Weiterbildungsmedium die „Wiener Zeitung“ als Online-Medium und nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel auch in Print herauszugeben.

Viel konkreter wird das Gesetz nicht, § 3 Abs. 2 WZEVI-Gesetz nennt gerade einmal vier recht allgemein formulierte Aufgaben, die "durch die Herausgabe der unabhängigen Wiener  Zeitung" wahrgenommen werden sollen: 

  1. Erstellung, Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen über zeitgeschichtliche und gegenwärtige Ereignisse unter besonderer Berücksichtigung von historischen, demokratiepolitischen, wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aspekten;
  2. Förderung des Verständnisses und des Interesses für und an politischen Sachverhalten, kulturellen, wissenschaftlichen sowie gesellschaftlichen Entwicklungen;
  3. Stärkung der politischen und kulturellen Bildung und des demokratiepolitischen Bewusstseins, insbesondere durch die Vermittlung von Wissen über politische Prozesse, Strukturen und Inhalte;
  4. Erstellung, Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen über wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Themen unter besonderer Berücksichtigung des Standorts Österreich und Themenstellungen der Europäischen Union in Bezug auf Österreich.

Nach § 10 Abs. 1 Z 2 WZEVI-Gesetz leistet der Bund für diese Aufgabe jährlich 7,5 Millionen Euro. 

Der damit erteilte Auftrag ist einigermaßen dünn und definiert weder, wie umfangreich das Angebot zu sein hat, was unter einem "Online-Medium" zu verstehen wäre, oder welche konkreten Kanäle bespielt werden sollten. Es ist weder vorgegeben noch ausdrücklich untersagt, unter "Online-Medium" auch einen Kanal auf TikTok oder YouTube zu verstehen, es ist weder die Rede von Text-, noch von Audio- oder Videoformaten. Völlig offen ist auch, ob das Online-Medium Einnahmen aus Werbung oder Nutzungsentgelten der User*innen erzielen soll, oder ob ein werbefreies und kostenloses Medienangebot geschaffen werden sollte. 

Das alles schafft Freiraum für die jeweiligen Vorlieben der Redaktion bzw. der Medieninhaberin (und deren Eigentümerin, die Republik Österreich, vertreten durch die Medienministerin). 

In § 3 Abs. 2 WZEVI-Gesetz kommt zwar der Begriff "unabhängig" vor, es gibt aber keine Weisungsfreistellung der Redaktion oder auch nur des Geschäftsführers der Wiener Zeitung GmbH, sodass rechtlich betrachtet die Medienministerin, wenn sie das denn wollte, direkt in redaktionelle Inhalte eingreifen könnte. Aufgrund der Ministerverantwortlichkeit müsste sie gegebenenfalls sogar eingreifen, wenn sie Wahrnehmungen dazu hätte, dass die Wiener Zeitung GmbH ihren Auftrag nach § 3 WZEVI-Gesetz nicht korrekt erfüllt (zu einem konkreten Anlassfall siehe im folgenden Abschnitt). Die unmittelbare Ingerenzmöglichkeit der Ministerin erspart übrigens auch die Überlegung, ob eine Weisungsfreistellung der Redaktion überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wäre.

Aber die Unschärfe des Auftrags und der damit einhergehende weite Spielraum der Wiener Zeitung GmbH ist auch ein rechtliches Problem. Denn wir erinnern uns: dass die Republik ein einzelnes Unternehmen einfach so mit 7,5 Mio. € pro Jahr "sponsert" und damit in den Wettbewerb eingreift, eröffnet den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Beihilfenrechts, jedenfalls wenn die Beihilfe geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (das liegt hier jedenfalls vor, denn ein Online-Medium wie die neue Wiener Zeitung steht natürlich in Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Nutzer anderer Online-Medien, die sich durch Werbung oder Beiträge ihrer Nutzer*innen finanzieren müssen, und auch wenn die Wiener Zeitung nicht selbst über die Grenzen Österreichs hinaus relevant sein dürfte, so bewegen sich auf dem österreichischen Markt doch auch Player, bei denen Gesellschafter*innen aus anderen Mitgliedstaaten beteiligt sind; siehe zur Abgrenzung die Entscheidung der Kommission im Beihilfenfall Jornal da Madeira). 

Auch die Erläuterungen zum WZEVI-Gesetz gehen dementsprechend davon aus, dass eine Beihilfe vorliegt. Sie nehmen darüber hinaus an, dass die Herausgabe des Online-Mediums "Wiener Zeitung" eine "DAWI" sei, also eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Die Beauftragung, so die Erläuterungen, erfolge "sohin gemäß Beschluss 2012/21//EU." 

Das ist mutig: denn selbst wenn man davon ausgeht, dass ein - nicht besonders konkret definiertes - Online-Medium eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sein kann, verlangt der Beschluss 2012/21/EU doch auch, dass der Betrauungsakt (hier also das WZEVI-Gesetz) unter anderem auch eine "Beschreibung des Ausgleichsmechanismus und Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung der Ausgleichsleistungen" ebenso enthalten muss wie "Maßnahmen zur Vermeidung und Rückforderung von Überkompensationszahlungen". Und natürlich darf die Höhe der Ausgleichsleistungen "unter Berücksichtigung eines angemessenen Gewinns nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die durch die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen verursachten Nettokosten abzudecken."  

All dies ist im WZEVI-Gesetz nicht vorgesehen. Meines Erachtens liegt damit kein Betrauungsakt vor, der die im Beschluss 2012/21/EU festgelegten Voraussetzungen erfüllt, um als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen zu werden und von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV befreit zu sein.

Unabhängig davon, ob mir persönlich die TikToks, YouTube-Shorts, Podcasts, Videos oder Textbeiträge der neuen Wiener Zeitung gefallen, ob ich die Umstellung auf eine neue Zielgruppe für richtig oder falsch halte: hier wurde ein neues, staatlich finanziertes Online-Medium geschaffen, dessen Auftrag nur unzureichend gesetzlich definiert ist und für das eine fixe jährliche Kompensation im Gesetz festgeschrieben ist, ohne dass ein Mechanismus festgelegt wurde, wie die Nettokosten berechnet und eine etwaige Überkompensation ausgeschlossen wird. Damit liegt meines Erachtens eine unzulässige Beihilfenfinanzierung vor. Das neue "Online-Medium" wird also - allenfalls nach Beschwerden anderer Marktteilnehmer*innen - wohl demnächst wieder Geschichte sein. 

"Demnächst" ist dabei dehnbar, denn Beihilfenverfahren vor der Kommission dauern lange, und die Republik kann auch noch nachbessern, den Auftrag schärfen und das Gesetz entsprechend novellieren, sodass durchaus noch ein paar Jahres ins Land ziehen können. Meine Vermutung ist aber ohnehin, dass das Online-Medium nur eine Übergangslösung ist, die für eine gewisse Beruhigung sorgen sollte, dass die "Wiener Zeitung" nicht gleich ganz verschwindet. 

Mittelfristig aber passt ein "unabhängiges" Online-Medium auch gar nicht besonders gut in den Bauchladen der Wiener Zeitung GmbH, die de facto eher die In-House-Content- und Publishing-Agentur der Regierung sein soll und will. "Firmenzeitschriften" wie "Die Republik", Texte für Websites, Newsletter und ähnliche "owned media" des Bundes - dafür wird sich die Wiener Zeitung GmbH anbieten. Ein tatsächlich unabhängiges Medium passt da eher nicht dazu. 

6. Heißt das noch Wiener Zeitung? Ja und nicht nein.

Einer der ersten Beiträge auf der neuen Website der Wiener Zeitung trug den Titel "Qualitätsjournalismus geht auch ohne Papier" und wollte einige Fragen anlässlich des Übergangs zum Online-Medium beantworten, darunter auch folgende:

Heißt ihr noch Wiener Zeitung?

Ja und nein. Wir bleiben Teil der Mediengruppe Wiener Zeitung, aber wir nennen uns ab jetzt WZ. Warum? Weil wir einen öffentlich-rechtlichen Auftrag haben, für alle Menschen in Österreich Journalismus zu machen. Als Kennzeichen des Neustarts lassen wir daher den Namen mit dem Wien-Fokus ein Stück weit hinter uns.

"Wir nennen uns ab jetzt WZ." ist einfach gesetzwidrig. Das WZEVI-Gesetz verlangt die Herausgabe der "Wiener Zeitung" als Online-Medium. Wie die Redaktion oder die Eigentümerin das Ding nennen will, ist dabei vollkommen unerheblich. Als "Kennzeichen des Neustarts" den gesetzlich vorgesehenen Namen einfach "ein Stück weit" hinter sich zu lassen, bloß weil man es so will, geht nicht. Ich gehe davon aus, dass die Medienministerin in ihrer Rolle als Eigentümervertreterin den Geschäftsführer der Wiener Zeitung GmbH daran erinnern wird, dass die "Wiener Zeitung" - und nicht eine "WZ" - als Online-Medium herauszugeben ist. Wenn die Medienministerin das Wort "Wien" in "Wiener Zeitung" auch so stört, könnte sie alternativ auch einen Gesetzesvorschlag vorbereiten, um den gesetzlich festgelegten Namen zu ändern. 

7. Darf der Staat selbst Medien herausgeben?

Das ist eine Frage, die in der ganzen Wiener Zeitung-Debatte in Österreich interessanterweise gar nicht gestellt wurde. Die Herausgabe einer Tageszeitung durch die Republik wurde in der Vergangenheit lauterkeitsrechtlich, wettbewerbsrechtlich oder beihilfenrechtlich diskutiert, aber ob es überhaupt verfassungskonform ist, als Republik eine Tageszeitung (oder nun: ein redaktionelles Online-Medium) herauszugeben, dieser Frage wurde hier noch kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Anders in Deutschland: dort wird aus der in Art. 5 Abs. 1 zweiter Satz des Grundgesetzes ("Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.") das Gebot der Staatsferne der Presse abgeleitet. In Deutschland darf der Staat daher zwar Öffentlichkeitsarbeit betreiben, diese muss aber klar als solche erkenntlich sein und darf nur den Aufgabenbereich des jeweiligen Organs betreffen. Der Bundesgerichtshof hat das zB im Fall "Stadtblatt Crailsheim" wie folgt zusammengefasst:  

„Die Bestimmung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fordert zur Sicherung der Meinungsvielfalt die Staatsferne der Presse. Dieser Grundsatz schließt es aus, dass der Staat unmittelbar oder mittelbar Presseunternehmen beherrscht, die nicht lediglich Informationspflichten öffentlicher Stellen erfüllen. Der Staat darf sich nur in engen Grenzen auf dem Gebiet der Presse betätigen. Das  verfassungsrechtliche Gebot, die Presse von staatlichen Einflüssen freizuhalten, bezieht sich nicht nur  auf manifeste Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßregelung der im Bereich der Presse tätigen Unternehmen, sondern weitergehend auch auf die Verhinderung aller mittelbaren und subtilen Einflussnahmen des Staates.“

Würde man diese Kriterien auch in Österreich anwenden, könnte (auch) die neue Wiener Zeitung das Kriterium der Staatsferne nicht erfüllen und die Herausgabe dieses Medium durch eine im hundertprozentigen Eigentum der Republik stehende Gesellschaft wäre daher ein unzulässiger Eingriff in die Pressefreiheit. 

Wie gesagt: das sind deutsche Maßstäbe, die in Österreich bislang - bei durchaus vergleichbarer Ausgangslage durch die grundrechtliche Gewährleistung der Pressefreiheit (in Österreich durch Art. 13 StGG und Art. 10 EMRK) - keinen Eingang in Literatur oder Judikatur gefunden haben. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, Überlegungen in diese Richtung auch in Österreich anzustellen.

8. Eine persönliche Anmerkung zum Schluss 

Ich war rund 40 Jahre lang Abonnent der Wiener Zeitung. Das Abo habe ich in meiner Studienzeit abgeschlossen, weil die Wiener Zeitung damals die einzige Möglichkeit war, authentisch, korrekt und vollständig über die wesentlichen Vorgänge in Parlament und Regierung informiert zu werden (diese Funktion haben inzwischen die Websites des Parlaments und teilweise - mit Abstrichen, was die Korrektheit betrifft - auch die Websites der Bundesministerien weitgehend übernommen). Andere Tageszeitungen waren ausgerichtet auf das aus ihrer jeweiligen Sicht gerade Wichtige, die Wiener Zeitung listete aber vollständig auf, welche Gesetzesbeschlüsse im Nationalrat getroffen wurden und welche Ergebnisse die Ministerratssitzungen gebracht hatten. Das hat es mir zunächst als Jus-Student und dann als Jurist ermöglicht, gewissermaßen das Wirken der res publica zu verfolgen. Ich habe das Abonnement später auch aufrechterhalten, als die Wiener Zeitung unter einem früheren Chefredakteur irregeleitete Ausflüge in den faktenbefreiten Meinungsjournalismus unternommen hat (siehe dazu in diesem Blog hier, hier, hier oder - zu einem besonders gravierende Fall - hier).

Aber Nostalgie kann keine Entscheidungsgrundlage für medienpolitische Weichenstellungen sein. Die Medienministerin (oder der ihr weisungsgebundene Geschäftsführer, was auf dasselbe hinausläuft) hat beschlossen, dass die neue Wiener Zeitung andere Zielgruppen ansprechen soll, zu denen ich nicht mehr (20- bis 30-Jährige) oder noch nicht (Menschen, die in Pension gehen) gehöre (wobei ich mich frage, was diese beiden Zielgruppen verbindet, "Menschen vor Veränderungen" scheint mir etwas wenig). Das kann ich bedauern, aber es ist schon ok - wenn die Republik Medien herausgeben darf, dann darf sie wohl auch bestimmen, an wen sie sich vorrangig richtet, solange sie nicht aktiv diskriminiert, etwa indem Altersbeschränkungen für den Zugang eingerichtet würden.

Natürlich trauere ich in gewisser Weise der Wiener Zeitung als Tageszeitung nach, sogar dem gedruckten Amtsblatt, das ich - sicher eine "déformation professionnelle" - oft noch vor dem Tageszeitungsteil aufgeschlagen habe. Ich habe im Amtsblatt - in einer früheren beruflichen Funktion - Verordnungen und Ausschreibungen veröffentlicht (veröffentlichen müssen), ich habe mich auf Funktionen beworben, die im Amtsblatt ausgeschrieben waren, und auch meine Betrauung mit Funktionen wurde dort gelegentlich mitgeteilt. Ich habe also Verständnis für nostalgische Gefühle angesichts des Endes der Wiener Zeitung als Tageszeitung. 

[Mehr Verständnis habe ich übrigens für den Ärger der Redaktion, die fast vollständig gekündigt wurde, nachdem in öffentlichen Statements der Medienministerin immer wieder von einer Weiterbeschäftigung der Redaktion bei der "neuen" Wiener Zeitung die Rede war (siehe zB hier"Auf den Personalstand der 'Wiener Zeitung'-Redaktion soll das keine Auswirkungen haben. 'Jeder Mitarbeiter bekommt die Möglichkeit, sich im neuen Geschäftsmodell zu beteiligen', so Raab.").]

Mein Ansatzpunkt für Kritik wäre denn auch nicht die konkrete Ausrichtung des neuen Online-Mediums oder die Entscheidung, die Wiener Zeitung als Print-Tageszeitung einzustellen. Meines Erachtens sollte diese Entscheidung aber zum Anlass genommen werden, sich ganz grundsätzlich der Frage zu stellen, ob wir es als mit der Pressefreiheit vereinbar ansehen, wenn öffentliche Einrichtungen nicht bloß über ihre jeweiligen Aufgaben und Tätigkeiten informieren, sondern durch Herausgabe von Medien aktiv in den Medienmarkt einsteigen. 

Meines Erachtens spräche viel dafür, ähnlich wie in Deutschland auch in Österreich ein Gebot der Staatsferne der Presse anzuerkennen. 

Dies könnte entweder - ähnlich wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ohne die dortigen Schwachstellen und faktischen Probleme zu übersehen) - durch institutionelle und finanzielle Garantien im Hinblick auf die "Wiener Zeitung" abgesichert werden, oder aber durch gänzliche Herausnahme der Republik aus derartigen Medienprojekten. 

Das Ende der Wiener Zeitung als Tageszeitung und die Neuaufstellung als republikseigenes Online-Medium - das ungeachtet jeder Beteuerung der Unabhängigkeit zwingend in direkter Weisungskette zur Medienministerin geführt werden muss - könnte der Anlass sein, die Rolle des Staates im Mediengeschäft grundsätzlich zu hinterfragen.

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PS: in diesem Beitrag ging es mir nur um die "Wiener Zeitung". Das soll nicht heißen, dass ich andere durch das WZEVI-Gesetz geregelte Bereiche - insbesondere den sogenannten "Media Hub" - als unproblematisch ansehen würde. 

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PPS (Update 19.09.2023): Ich habe am 21. Juli 2023 die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien unter Berufung auf das Auskunftspflichtgesetz um folgende Auskünfte ersucht:  

  • Wurde die Beihilfe zur Herausgabe der Wiener Zeitung (§ 3 WZEVI-Gesetz) der Europäischen Kommission notifiziert? Wenn ja, bitte um Information wann dies erfolgt ist und ob es dazu bereits eine Reaktion der Kommission gibt.
  • Bestehen neben dem WZEVI-Gesetz andere/weitere Betrauungsakte iSd Art. 4 des DAWI-Freistellungsbeschlusses im Hinblick auf die Herausgabe der Wiener Zeitung und gegebenenfalls, welchen Inhalt haben diese? Insbesondere ersuche ich um Mitteilung der Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung der Ausgleichsleistungen und der Maßnahmen zur Vermeidung und Rückforderung von Überkompensationszahlungen. 
  • Wurde die Beihilfe für die Einrichtung des „Media Hub Austria“ (§ 4 WZEVI-Gesetz) der Europäischen Kommission notifiziert? Wenn ja, bitte um Information wann dies erfolgt ist und ob es dazu bereits eine Reaktion der Kommission gibt.
  • Bestehen neben dem WZEVI-Gesetz andere/weitere Betrauungsakte iSd Art. 4 des DAWI-Freistellungsbeschlusses im Hinblick auf die Einrichtung des „Media Hub Austria“ und gegebenenfalls, welchen Inhalt haben diese?
  • Bestehen Förderungsrichtlinien für die vom „Media Hub Austria“ vorzunehmende Förderung nach § 4 Abs. 3 Z 2 WZEVI-Gesetz und wenn ja, welchen Inhalt haben diese?
Nach einer Urgenz habe ich gestern dazu folgende Auskunft erhalten: 

[Zu den ersten vier Punkten:] "Der im geltenden WZEVI-Gesetz gewählte Weg, der BKA-intern einer EU-beihilfenrechtliche Prüfung unterzogen wurde, wurde bereits im Entwurfsstadium der Europäischen Kommission zur Kenntnis gebracht und dort auf Beamtenebene besprochen. Aufgrund der Besprechungsergebnisse war davon auszugehen, dass die rechtliche Argumentation der Republik Österreich zur Anwendung des DAWI–Beschlusses eine vertretbare Rechtsauffassung darstellt und keine weitere Anmeldung bzw. Notifizierung des Gesetzesentwurfes erforderlich ist.

Der Betrauungsakt zum gegenständlichen DAWI erfolgte durch das WZEVI-Gesetz, das mit 1. Juli 2023 in Kraft getreten ist. Aufgrund dessen waren die dort vorgesehenen Tätigkeiten mit 1. Juli 2023 durch die Wiener Zeitung GmbH aufzunehmen. Ergänzende Detailregelungen sind einem DAWI-Vertrag zwischen der Republik Österreich – Bund und der Wiener Zeitung GmbH vorbehalten."

[Zum letzten Punkt:] "Die Wiener Zeitung GmbH legt Bedingungen für Förderungen nach § 4 Abs. 3 Z 2 WZEVI-Gesetz fest, die den Gegenstand der Förderung bzw. Mittelvergabe, persönliche und sachliche Voraussetzungen für die Gewährung der Mittel, Ausmaß und Art der Förderung, Verfahren und Vertragsmodalitäten betreffen und veröffentlicht diese."

Thursday, May 18, 2023

"Medieninhaber ist Karl Nehammer als Person." Der Bundeskanzler (und andere Regierungsmitglieder) auf TikTok

Das von der Bundesregierung beschlossene TikTok-Verbot auf Dienstgeräten von Mitarbeiter*innen des Bundes ändert nichts an den (privaten oder von der jeweiligen Partei verantworteten ) TikTok-Kanälen von Regierungsmitgliedern - und auch nicht an den damit verbundenen Problemen.

Vorweg: Das "TikTok-Verbot"

Am Mittwoch, 10. Mai 2023, war die "Einschränkung der Nutzung von TikTok in der öffentlichen Verwaltung" Thema im Ministerrat. Die Bundesregierung beschloss aufgrund des von gleich vier Regierungsmitgliedern eingebrachten Ministerratsvortrags vier Punkte: 

  1. die Mitglieder der Bundesregierung untersagen die private Nutzung und Installation von TikTok auf Dienstgeräten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundes in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich. 
  2. Die Bundesregierung empfiehlt, dass die Nutzung und Installation von TikTok auf Dienstgeräten für die Landes- und Gemeindeverwaltung untersagt werden sollte. 
  3. Für die dienstlich notwendige Nutzung der Plattform (z.B. zur Erfüllung von Informationsaufträgen oder Ermittlungstätigkeiten) sollen rasch sichere Alternativen (durch bspw. Dienstgeräte ohne Zugriff auf die hauseigene IKT-Infrastruktur und zur ausschließlichen Nutzung für diese Plattform) geschaffen werden, damit Datenschutz, digitale Souveränität und die staatliche Sicherheit gewährleistet werden können. 
  4. Die "Geschäftsstelle der Digitalen Kompetenzoffensive" wird mit der Ausarbeitung von Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung im Umgang mit mobilen Anwendungen und deren  datenschutzrechtlichen Implikationen betraut.

Nur der erste und dritte Punkt sind interessant. 
[Der vierte Punkt ist bloße Rhetorik - die einzige Frage, die ich mir dazu stelle ist, ob es wohl Menschen gibt, die ohne zu googeln wissen, wer die "Geschäftsstelle der Digitalen Kompetenzoffensive" ist? Ich wusste es nicht, habe nachgeforscht, und siehe da: es ist die OeAD GmbH. Auch der zweite Punkt ist nicht wirklich operativ, denn Länder und Gemeinden können und werden sich auch ohne Empfehlung der Bundesregierung überlegen, was sie auf den Dienstgeräten ihrer Mitarbeiter*innen zulassen.]

TikTok-Verbot auf Dienstgeräten

Damit zurück zum ersten Punkt: Die private Nutzung und die Installation von TikTok auf Dienstgeräten (das sind nicht nur Handys, sondern auch sonstige elektronische Geräte wie Tablets, Notebooks, PCs) wird untersagt. Klar ist damit, sofern die jeweiligen Regierungsmitglieder das per Weisung in ihrem Verantwortungsbereich auch tatsächlich umsetzen, dass die TikTok-App auf Dienstgeräten nicht heruntergeladen und installiert werden darf. Aber das Wort "Nutzung" könnte auch die Nutzung von TikTok im Browser am PC erfassen (für die keine App installiert werden muss), wobei hier den Sicherheitsbedenken wohl schon durch eine entsprechende Konfiguration des Browsers auf den Dienstgeräten Rechnung getragen werden könnte. 

Unmittelbar nicht erfasst sind durch den Bundesregierungsbeschluss natürlich auch jene Bundeseinrichtungen, die nicht im Weisungszusammenhang zu einem Mitglied der Bundesregierung stehen. Das betrifft zB weisungsfreie Behörden, aber auch den gesamten Bereich der Gesetzgebung samt deren Hilfsorganen Rechnungshof und Volksanwaltschaft, die Präsidentschaftskanzlei und VfGH und VwGH. Ebenfalls vom Wortlaut nicht erfasst sind ausgegliederte Gesellschaften, da die dortigen Mitarbeiter*innen nicht solche "des Bundes" sind, sondern der jeweiligen Gesellschaft. Es ist aber wohl davon auszugehen, dass in diesen Bereichen ähnliche Anweisungen erfolgen werden. 

Der Beschluss betrifft schließlich formal nur die Dienstgeräte "von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern" des Bundes, sodass zwar zB auch Kabinettsangehörige betroffen wären, nicht aber die Bundesminister*innen und Staatssekretär*innen selbst. Es wäre freilich widersinnig, wenn gerade bei den Dienstgeräten jener Personen, die am stärksten Sicherheitsrisiken ausgesetzt sind, die Installation von TikTok weiter möglich sein sollte, und ich gehe - auch nach den ersten Reaktionen von Politiker*innen - davon aus, dass das "TikTok-Verbot" daher auch für die Dienstgeräte der Minister*innen und Staatssekretär*innen umgesetzt wird. 

Jedenfalls nicht erfasst sind Privatgeräte von Mitarbeiter*innen wie auch von Politiker*innen. Was also auf dem Partei- oder Privathandy eines Regierungsmitglieds bzw eines/einer Staatssekretär*in installiert ist, unterliegt weiterhin nur der Kontrolle der Partei bzw. der jeweiligen Person. Dass hier die Sensibilität gering ist, haben zumindest zwei Personen schon deutlich gemacht: sowohl BM Edtstadler als auch StS Plakolm werden TikTok mit ihren - jeweils von Parteiorganisationen verantworteten  - "persönlichen" Accounts weiter auf ihren Privatgeräten nutzen. Mehr dazu etwas weiter unten.

"Dienstlich notwendige" TikTok-Nutzung

Der Beschluss er Bundesregierung sieht vor, dass für die "dienstlich notwendige Nutzung der Plattform" sichere Alternativen geschaffen werden sollen, im Wesentlichen stand alone-Geräte, die nur für diesen Zweck verwendet werden. Interessant ist, was als dienstlich notwendige Nutzung angesehen wird: neben den - nur im Beschlussteil erwähnten - Ermittlungstätigkeiten soll das auch "zur Erfüllung von Informationsaufträgen" der Fall sein; in der Begründung des Beschlusses wird das auch noch näher ausgeführt, demnach soll das Betreiben von Kanälen auf TikTok durch öffentliche Stellen "auch in Zukunft schon zur Gewährleistung eines breiten Informationsangebotes an Menschen mit unterschiedlicher Mediennutzung weiterhin möglich sein." 

Welche "Informationsaufträge" das sein sollen, deren Erfüllung öffentlichen Stellen nur auf TikTok möglich sein kann, verrät der Ministerratsvortrag leider nicht. Ich habe ein wenig gesucht und nur einen Kanal gefunden, der offiziell betrieben wird: "diepolizei", betrieben vom Innenministerium. Das ist ein Kanal, mit dem TikTok-Nutzer*innen motiviert werden sollen, sich für den Polizeidienst zu bewerben. Der in einer Anfragebeantwortung vor einiger Zeit weiters genannte TikTok-Account "Gemeinsam Geimpft" ist auf TikTok - zumindest für mich - nicht (mehr) zu finden, auch die Website von "Gemeinsam Geimpft" verlinkt nur mehr zu Facebook, Instagram und YouTube, nicht (mehr) zu TikTok.

Allzu drängend dürften die "Informationsaufträge", die der Bund auf TikTok zu erfüllen hätte, daher nicht sein (falls ich etwas übersehen habe: ich bin wirklich für jeden Hinweis auf weitere offizielle TikTok-Accounts dankbar!). 

TikTok-Accounts von Regierungsmitgliedern und Staatssekretär*innen

Deutlich prominenter als offizielle Informationskanäle von Bundesstellen sind die "persönlichen" Accounts von Regierungsmitgliedern. Wobei nicht immer klar ist, wie "persönlich" diese Accounts sind. So teilte am 13. November 2022 der "Pressesprecher und stv. Kabinettschef von Bundeskanzler @KarlNehammer" auf Twitter einen Link auf oe24.at(!) und schrieb dazu: "Bundeskanzler ⁦@karlnehammer ⁩ist ab sofort auch auf TikTok".

Header des TikTok-Accounts @karlnehammer
Und tatsächlich, auf TikTok findet man einen Account, bei dem in der Bio zwei Funktionen von Karl Nehammer angegeben sind: "Bundeskanzler der Republik Österreich" und "Bundesparteiobmann der Volkspartei". 

Da weitere Links, zB auf ein Impressum, fehlen und daher nicht klar ist, wer für diesen Account als Medieninhaber verantwortlich ist, habe ich auch versucht, vom Pressesprecher des Bundeskanzlers in einer Reply auf seinen Tweet Antwort auf die Frage zu bekommen, ob das ein BKA- oder Parteiaccount ist (und dieselbe Frage auch zum TikTok-Account der Bundesministerin für Verfassung und EU im Bundeskanzleramt gestellt, bei dem zu diesem Zeitpunkt in der Bio ein Link auf eine Unterseite der BKA-Website zu finden war). Leider erhielt ich trotz Nachfrage darauf zunächst keine Antwort vom Pressesprecher des Bundeskanzlers. 

Also habe ich an das Bundeskanzleramt eine Anfrage nach dem Auskunftspflichtgesetz gestellt, mit meines Erachtens recht einfach zu beantwortenden Fragen:


Auch auf diese Anfrage erhielt ich zunächst keine Antwort, und so urgierte ich nach Ablauf der gesetzlich festgelegten Frist für die Auskunftserteilung. Inzwischen antwortete mir der Pressesprecher des Bundeskanzlers nach einer neuerlichen Anfrage doch auch auf Twitter:

"Medieninhaber ist die Volkspartei, Inhalte, die mit der Arbeit als Bundeskanzler zu tun haben, werden u.a. auch aus dem Kabinett mitbetreut." 

Meine Nachfrage, zu welchen Bedingungen andere Parteiaccounts (zB SP, FP, Grüne, Neos etc.) eine derartige "Mitbetreuung" aus dem Kabinett des Herrn Bundeskanzlers in Anspruch nehmen können, blieb leider unbeantwortet. Mittlerweile hat der Pressesprecher des Bundeskanzlers seinen Tweet auch wieder - aus mir nicht bekannten Gründen - gelöscht. 

(Bundeskanzler) Karl Nehammer "als Person" auf TikTok

Ende Jänner erhielt ich dann endlich doch eine Antwort auf meine Auskunftsersuchen aus dem Bundeskanzleramt. Interessant daran war, dass diese Antwort nicht mit der Antwort übereinstimmte, die der Pressesprecher des Bundeskanzlers zunächst auf Twitter gegeben hatte. Das BKA schreibt nämlich:

Der TikTok Kanal von Bundeskanzler Karl Nehammer wird nicht vom Bundeskanzleramt (Republik Österreich – Bund, vertreten durch den Bundeskanzler) betreut. Medieninhaber ist Karl Nehammer als Person. Die veröffentlichten Inhalte wurden von einem Mitarbeiter aus dem Kabinett des Bundeskanzlers erstellt, sofern die Inhalte im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Karl Nehammer als Bundeskanzler stehen. [Hervorhebung von mir]

Das ist aus zwei Gründen interessant: 
Erstens wird hier offiziell die Praxis bestätigt, dass Inhalte auf diesem Kanal (auch) "von einem Mitarbeiter aus dem Kabinett des Bundeskanzlers erstellt" werden, also von einer Person, deren Tätigkeit öffentlich finanziert wird, um eine Tätigkeit für den Bund zu erbringen. 
Und zweitens soll der Account nicht von der Partei, sondern von Karl Nehammer "als Person" (also wohl: privat) als Medieninhaber verantwortet werden. Das hat gerade im Hinblick darauf Bedeutung, dass Inhalte für den Kanal von einem Mitarbeiter des Bundes erstellt werden. Wäre die Partei Medieninhaberin, wäre eine kostenlose Inhalteerstellung für den Account durch diesen Bundesmitarbeiter nämlich eine unzulässige Parteispende nach § 6 Abs. 6 Z 3 Parteiengesetz.

(Bundesministerin) Karoline Edtstadler als Parteipolitikerin auf TikTok

Allzu aktiv ist Karl Nehammer ("als Person") auf TikTok nicht. Das unterscheidet ihn von Karoline Edtstadler, Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt, die auf TikTok immerhin mehr als 20.000 Followers hat und dort (wie auch auf Instagram) im permanenten Wahlkampfmodus (zuletzt Salzburg, jetzt Europa) regelmäßig Videos postet. Nicht nur die klar erkennbare Wahlwerbung und die parteipolitischen Äußerungen zeigen, dass es sich nicht um einen offiziellen Account als Bundesministerin handelt - mittlerweile erkennt man das auch an der (impliziten) Offenlegung im Sinne des Mediengesetzes: sowohl der TikTok- als auch der Instagram-Account von Karoline Edtstadler verlinken nämlich auf www.karo-edtstadler.at, eine Seite, für die das Impressum "Medieninhaber und Herausgeber: ÖVP (Österreichische Volkspartei) - Bundespartei" angibt. 

Sollten für den TikTok-Kanal (oder auch den Instagram-Kanal) von Karoline Edtstadler Mitarbeiter*innen des Bundes ohne Gegenverrechnung Leistungen erbringen, wären das (unzulässige) Parteispenden im Sinne des § 6 Abs. 6 Z 3 Parteiengesetz. Darüber hinaus (und auch sofern tatsächlich eine Leistungsverrechnung zwischen dem Bund und der ÖVP stattfinden sollte) wäre natürlich die Frage zu stellen, ob derartige Leistungen auch Dritten erbracht würden: könnten zB auch SPÖ, FPÖ , Grüne oder NEOS Videomaterial aus dem BKA oder von Dienstreisen der Frau Bundesministerin für ihre jeweiligen Social Media-Accounts bekommen? 

Ich finde es jedenfalls gut, dass der Rechnungshof bereits im letzten Jahr angekündigt hat, eine Prüfung zum Thema „Social Media Accounts von Regierungsmitgliedern“ auf seinen Prüfplan zu setzen.

Besuch im BKA - via Volkspartei

Wie funktioniert nun diese Verknüpfung von Partei und BKA in der Praxis? Nehmen wir das Beispiel "Besuch im BKA". Karoline Edtstadler postet dazu ein Video mit folgendem Text: 

"Ihr wolltet schon immer mal ins Bundeskanzleramt kommen und hinter die Kulissen blicken? Dann seid ihr hier genau richtig! Ich lade euch ein, mich an einem Nachmittag zu besuchen und auch bei dem einen oder anderen Termin zu begleiten. Wenn ihr Interesse habt, meldet euch an, den Link findet ihr in der Bio." 

Klinkt man auf den Link in der Bio, kommt man zu https://form.typeform.com/to/b4rPLMjn, dort wird man durch ein Formular geführt, wo als Pflichtangaben neben Vor- und Nachname, E-Mail und Wohnort auch der Beruf und die Telefonnummer anzugeben sind. Am Schluss muss man folgende Zustimmungserklärung anklicken: 

Mit Zustimmung dieses Formulars erkläre ich mich damit einverstanden, dass mich Karoline Edtstadler und ihr Team per E-Mail oder telefonisch über organisatorische Zwecke zur Veranstaltung "Besuch im BKA" kontaktieren dürfen und meine Daten zu diesem Zweck verarbeiten können. Näheres siehe unter https://www.karo-edtstadler.at/Datenschutz.html.* [das Sternchen am Ende weist aus, dass die Zustimmung hier zwingend erforderlich ist, um das Formular absenden zu können]

Der angegebene Link führt zur Website karo-edtstadler.at, in deren Impressum, wie schon erwähnt, als "Medieninhaber und Herausgeber" ausdrücklich die "ÖVP (Österreichische Volkspartei) - Bundespartei" angegeben ist. Mit anderen Worten: will man das Angebot der Bundesministerin, sie im Bundeskanzleramt zu besuchen und sie "bei dem einen oder anderen Termin zu begleiten", annehmen, muss man zwingend personenbezogene Informationen inklusive Wohnort, Beruf und Telefonnummer an die Österreichische Volkspartei weitergeben. Tut man das, kann man, wie Florentine, Schülerin, 17 Jahre, aus Wiener Neustadt, dann vielleicht selbst einmal ein TikTok-Video im BKA für den Kanal von Karoline Edtstadler aufnehmen.

Karoline Edtstadler wird laut Presse auch nach dem "TikTok-Verbot" auf TikTok bleiben: Sie habe die App "ohnehin nicht auf dem Diensthandy." 

Und andere Regierungsmitglieder und Staatssekretär*innen?

Staatssekretärin Claudia Plakolm ist ebenfalls auf TikTok und ist immerhin, ähnlich wie Karoline Edtstadler, transparent im Hinblick auf die Medieninhaberin ihres Accounts: sie verlinkt auf die Junge ÖVP. Der zweite von der ÖVP gestellte Staatssekretär, Florian Tursky, hat auch einen TikTok-Account (aktuellstes Video "Am Ende des Tages sind wir in einem weltweiten Wettlauf der Digitalisierung ..."), bezeichnet sich dort als "Staatssekretär für Digitalisierung", weist aber nicht aus, wer medienrechtlich für den Account verantwortlich ist. 

Ähnliches gilt auch für die TikTok-Accounts der grünen Regierungsmitglieder, die ich gefunden habe: Leonore Gewessler, Johannes Rauch und Alma Zadić. Alle drei verweisen auf ihr jeweiliges Regierungsamt, bringen aber teilweise (etwa Alma Zadić auf dem Brunnenmarkt) auch (partei-)politischen oder (etwa Johannes Rauch beim Spaziergang mit Hund) privaten Content. Auch bei diesen Accounts hätte ich nicht den Eindruck, dass es sich um offizielle Ministeriumsaccounts handeln würde.

Die meisten TikTok-Accounts von Regierungsmitgliedern und Staatssekretär*innen sind - mit Ausnahme jenes von Karoline Edtstadler - (noch) von überschaubarer Relevanz, jedenfalls was Followerzahlen und auch die Menge der Videos anbelangt. Aber wahrscheinlich gilt für alle Accountinhaber*innen, was Edtstadler der Presse ausrichten ließ: „als Politiker wollen wir mit Menschen dort in Kontakt treten, wo sie sich täglich bewegen.“ Auch um den Preis, dafür TikTok zu nutzen.

Saturday, April 22, 2023

Vom Programmentgelt zum "ORF-Beitrag" - jetzt aber wirklich?

Vor über zehn Jahren habe ich in diesem Blog den Beitrag "Vom Programmentgelt zum (geräteunabhängigen) 'ORF-Beitrag'?" geschrieben. Damals dachte ich, der Umstieg von einer "Gebühr", die an den Betrieb von bestimmten Empfangsgeräten anknüpft, auf eine geräteunabhängige Haushaltsabgabe würde auch in Österreich unmittelbar bevorstehen. Deutschland hatte zu dieser Zeit die Haushaltsabgabe ("Rundfunkbeitrag") schon auf den Weg gebracht, für die Schweiz war ein Gleichziehen absehbar, und in Österreich hatte der ORF-Generaldirektor seine Vorstellungen bereits öffentlich dargelegt.

Im damaligen Blogpost hielt ich es ernstlich für möglich, dass die Umstellung vom geräteabhängigen Programmentgelt auf einen haushaltsbezogenen ORF-Beitrag mit 1. Jänner 2014 erfolgen könnte. Ich hatte aber die Trägheit der österreichischen Medienpolitik - entgegen jeder Erfahrung - wieder einmal unterschätzt. Zehn Jahre später, mit 1. Jänner 2024, soll es nun aber tatsächlich so weit sein: nach einer Einigung zwischen ÖVP und Grünen soll mit kommendem Jahr das bisherige (gerätebezogene) Programmentgelt durch einen (haushaltsbezogenen) ORF-Beitrag ersetzt werden. 

Noch gibt es keinen Gesetzesentwurf (update: am 27.04.2023 wurde der Entwurf zur Begutachtung versandt: Text und Materialien sind hier auf der Parlaments-Website), und natürlich warten bis zur tatsächlichen Umsetzung noch zahlreiche politische und vielleicht auch rechtliche Fallstricke, aber immerhin ist nun Bewegung in die Sache gekommen. Wie in der österreichischen Medienpolitik üblich, brauchte es dazu zunächst eine Gerichtsentscheidung, um Handlungsbedarf anzumahnen, und dann auch noch das baldige Ende der in diesem Fall vom VfGH gesetzten Deadline. 

Was wir bis jetzt wissen, ergibt sich aus einem Umlaufbeschluss der Bundesregierung vom 23. März 2023, mit dem ein gemeinsamer Bericht der Medienministerin, des Finanzministers und - wohl damit auch ein:e grüne:r Minister:in dabei ist - des Bundesministers für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport "betreffend Neuregelung ORF-Finanzierung nach VfGH-Erkenntnis " angenommen wurde (Volltext des Ministerratsvortrags). Auch wenn man von den seither andauernden Verhandlungen derzeit so manches hört oder liest (meist Unbestätigtes und nichts Definitives), beschränke ich mich in diesem Beitrag bewusst nur auf eine gewisse "Exegese" des Ministerratsvortrags. 

Zum Inhalt des Ministerratsvortrags

Der Ministerratsvortrag enthält zunächst ein Bekenntnis zu einem unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Hinweis, dass (laut einer vom ORF in Auftrag gegebenen Umfrage) rund 95 Prozent "der Österreicherinnen und Österreicher" (beim ORF: "der Befragten", 1000er Sample, ab 16 Jahre)  Angebote des ORF in Radio, Fernsehen und/oder Online nutzen. Daran anschließend wird in einem Absatz auf das VfGH-Erkenntnis vom 30. Juni 2022 hingewiesen, das "eine Neuregelung unumgänglich" gemacht hat (da klingt an, dass eine Neuregelung wirklich erst dann in Angriff genommen wird, wenn sie "unumgänglich" ist). Schließlich werden drei Bereiche angesprochen, in denen es zu Änderungen kommt:

ORF-Beitrag
Der Ministerratsvortrag skizziert knapp die denkbaren Szenarien einer Neugestaltung der ORF-Finanzierung: Finanzierung aus dem Bundesbudget, Erweiterung der gerätebezogenen Abgabe auf alle streamingfähigen Geräte ("Laptop, Tablet, Hand, usw.") und "ORF-Beitrag für jeden Haushalt. Den beiden ersten Varianten erteilt der Ministerratsvortrag eine Absage und spricht sich für die Variante  einer Haushaltsabgabe ("ORF-Beitrag") aus. Dieser ORF-Beitrag soll ab 1. Jänner 2024 eingeführt werden. Dem Ministerratsvortrag sind dazu folgende Eckpunkte zu entnehmen (ich versuche die eher versprengten Ausführungen etwas systematischer zusammenzufassen):
  • Haushaltsabgabe: der Beitrag soll für jeden "Haushalt" anfallen, unabhängig von der Zahl der Bewohner:innen oder der genutzten Geräte. 
  • Hauptwohnsitz: angeknüpft wird nur an den Hauptwohnsitz, Nebenwohnsitze bleiben unberücksichtigt. 
  • Befreiungen: bisherige Befreiungen sollen aufrecht bleiben (damit wird indirekt auch bestätigt, dass es beim Modell eines einheitlichen - also insbesondere nicht etwa sozial gestaffelten - Beitrags bleibt, der entweder in voller Höhe oder - im Fall einer "Befreiung" - gar nicht zu entrichten ist).
  • Betriebe: der Ministerratsvortrag bleibt zu den Betrieben unklar; nur indirekt ergibt sich aus der Anmerkung, dass "im betrieblichen Bereich" die Kontrollen durch die GIS entfallen, dass die Betriebe weiterhin beitragspflichtig bleiben sollen. Für mich kryptisch ist, was "ein gestaffelter weitgehend automatisierter Vollzug" sein soll, auf den in diesem Zusammenhang Bezug genommen wird; möglicherweise wird dabei auf die bisherige Staffelung der Gebühren- und Programmentgeltpflicht (teilweise) abhängig von der Zahl der Empfangsgeräte an betrieblichen Standorten abgestellt; laut Medienberichten sollen Ein-Personen-Unternehmen ausgenommen werden. 
  • USt und "Bundesgebühren": die derzeit gemeinsam mit dem Programmentgelt eingehobene Rundfunkgebühr sowie der Kunstförderungsbeitrag sollen entfallen; damit verzichtet der Bund auf Einnahmen von rund 75,5 Mio. € (auf der Basis der Einnahmen 2022); außerdem soll der ORF-Beitrag - anders als derzeit das Programmentgelt - nicht der Mehrwertsteuer unterliegen. Das belastet den ORF insoweit, als damit auch die Vorsteuerabzugsberechtigung entfällt und sich dementsprechend die Kosten für den ORF erhöhen werden (zur Frage, ob die auf eine Bestimmung im Beitrittsvertrag zurückgehende Verrechnung von USt. auf das Programmentgelt wirklich unionsrechtskonform ist, ist derzeit ein Vorabentscheidungsverfahren am EuGH anhängig, in dem am 25. Mai 2023 von Generalanwalt Szpunar die Schlussanträge erstattet werden - ein Abwarten der Urteils des EuGH vor der Neuregelung geht sich damit nicht mehr aus).
  • Landesabgaben: die Landesabgaben werden im Ministerratsvortrag nur einmal kurz erwähnt, nämlich beim Hinweis auf die in Aussicht genommene Höhe des Beitrags, der "künftig (ohne Landesabgaben) lediglich rund 15 Euro betragen" soll; damit wird aber auch deutlich gemacht, dass der Bundesgesetzgeber nicht beabsichtigt, etwa durch eine finanzverfassungsrechtliche Regelung die Einhebung von Landesabgaben zugleich mit dem ORF-Beitrag zu unterbinden. Allerdings wird eine Verständigung mit den Ländern jedenfalls erforderlich sein, da derzeit in den Landesabgabenbestimmungen auf den  "Betrieb einer Rundfunkempfangseinrichtung" abgestellt wird und die Einhebung über die GIS geregelt ist; gerade diese Anknüpfung und Einhebungsform soll auf Bundesebene aber wegfallen.
  • GIS: die "GIS-Kontrollen" werden entfallen, die "GIS in ihrer derzeitigen Form" brauche es in Zukunft nicht mehr; konkretere Aussagen über die Art der Einhebung trifft der Ministerratsvortrag nicht (im Abschnitt "Einsparungen" ist zudem von "Einsparungen im Vollzug" von mittelfristig bis zu einem Viertel die Rede, wobei mit "Vollzug" offenbar die Beitragseinhebung gemeint sein dürfte).
  • Festsetzung des ORF-Beitrags: der Ministerratsvortrag bleibt auch unscharf, wer die (erstmalige) Höhe des Beitrags festlegt. Die Formulierung, wonach "die Festsetzung der Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags nach der Umstellung dem bisherigen System - unter strenger Kontrolle der KommAustria - folgen soll" (Betonung hinzugefügt), klingt, als würde die erstmalige Festsetzung der Höhe des ORF-Beitrags möglicherweise unmittelbar durch das Gesetz erfolgen ("Festsetzung der Nettokosten" ist eine missverständliche Formulierung, da ja nicht die Nettokosten festgelegt werden,  sondern derzeit das Programmentgelt, in Zukunft der ORF-Beitrag, und die Einnahmen aus diesen Beiträgen nicht höher sein dürfen, als die Nettokosten für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags). 
  • Höhe des ORF-Beitrags: der Ministerratsvortrag nennt einen konkreten Betrag ("rund 15 Euro"), lässt aber offen, wie es zu diesem Betrag gekommen ist, insbesondere ob es sich dabei um eine normative Vorgabe handeln soll (also der Gesetzgeber die 15 Euro festlegt), oder ob der Betrag das Ergebnis einer Berechnung ist, in der aktuelle Kosten des ORF, deren absehbare Entwicklung und die schon öffentlich diskutierten, aber offenbar auch bilateral zwischen Medienministerin und ORF-Generaldirektor erörterten Sparpläne berücksichtigt wurden.
  • Berücksichtigung der unions- und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen: das lässt offen, ob allenfalls eine beihilfenrechtliche Notifizierung als notwendig angesehen wird und lässt jedenfalls auch Spielraum für gewisse Adaptierungen, um allfälligen unions- und verfassungsrechtlichen Bedenken in Detailfragen noch nachkommen zu können.
    Die in Deutschland erfolgte Umstellung auf eine Haushaltsabgabe - dort: "Rundfunkbeitrag" - wurde übrigens nicht notifiziert; der EuGH hat mit seinem Urteil vom 13.12.2018 in der Rechtssache C-492/17 Rittinger bestätigt, "dass eine Änderung der Finanzierungsregelung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eines Mitgliedstaats, die wie in den Ausgangsverfahren darin besteht, eine Rundfunkgebühr, die für den Besitz eines Rundfunkempfangsgeräts zu entrichten ist, durch einen Rundfunkbeitrag zu ersetzen, der insbesondere für das Innehaben einer Wohnung oder einer Betriebsstätte zu entrichten ist, keine Änderung einer bestehenden Beihilfe im Sinne [des Art. 1 Buchst. c VO (EG) Nr. 659/1999] darstellt, von der die Kommission gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV zu unterrichten ist."
  • Stärkung der Rolle der Regulierungsbehörde: der Ministerratsvortrag spricht zweimal von "strenger" (externer) Kontrolle durch die Regulierungsbehörde/KommAustria. Angedacht ist offenbar, den Kontrollmaßstab der Regulierungsbehörde bei der Überprüfung des ORF-Beitrags (derzeit: des Programmentgelts) zu verschärfen. Wie das genau erfolgen soll, bleibt offen.  
Einsparungen
Die den Ministerratsvortrag unterzeichnenden Regierungsmitglieder "begrüßen [...], dass der ORF von sich aus Einsparungen beschließen wird. Der ORF hat in Aussicht gestellt, in den kommenden Jahren selbst rund 325 Mio. Euro einzusparen. Einsparungsmaßnahmen betreffen sowohl den Personal- als auch den Sachaufwand, beispielsweise durch eine Deckelung der Valorisierungen, nachhaltige Strukturmaßnahmen und Optimierungen im Programm."

Welcher genaue Zeithorizont mit "in den kommenden Jahren" gemeint ist, bleibt offen, operationalisierbar ist das Einsparungsziel damit nicht. Klar ist, dass die Regierung keine konkreten Vorgaben zur Einsparung machen kann und auch in der Novelle zum ORF-Gesetz wird man sich diesbezüglich wohl zurückhalten, um nicht unionsrechtlich oder im Hinblick auf die Unabhängigkeit unnötig Bedenken aufzumachen. Die Passage über die Einsparungen im Ministerratsvortrag liest sich damit wie eine diplomatische Note, in der Zusagen der Gegenseite indirekt wiedergegeben werden, um die "Geschäftsgrundlage" des eigenen Handelns klarzustellen. Das dahinter liegende Verständnis: die vorgesehene Beitragsfinanzierung wird nur kommen, (oder Bestand haben), wenn auch der ORF die - wohl informell abgesprochenen - Einsparungsziele einhält. Der Haken daran für den ORF ist freilich: auch das Einhalten dieser de facto Vorgaben wird ihn nicht schützen, wenn es sich die (allenfalls: kommende) Regierung später anders überlegt. 

Der Ministerratsvortrag wird bei den Einsparungen auch ein wenig konkreter, indem er "aus heutiger Sicht nicht mehr haltbare, branchenunübliche und angesichts der aktuell angespannten wirtschaftlichen Situation auch nicht mehr finanzierbare ORF-Sondervereinbarungen insbesondere in Altverträgen - wie sehr hohe Sonderpensionen, Spezialzulagen und besonders großzügige Abfertigungsregelungen" hervorhebt, für die nicht nur eine Überprüfung in "ORF-internen Prozessen" erwartet, sondern auch gesetzliche Grundlagen ankündigt, die "zügig erarbeitet und gemeinsam mit den Gesetzen zur neuen Finanzierung" zur Beschlussfassung vorgelegt werden sollen. Allzu tief werden diese gesetzlichen Grundlagen nicht in vertragliche Vereinbarungen eingreifen können, aber in gewissem Rahmen (siehe die VfGH-Rechtsprechung zum Pensionssicherungsbeitrag für Nationalbank-Pensionist:innen bzw. Pensionen von Wirtschaftskammer, EVN und Verbund) wird man ein symbolisches Sonderopfer von den Alt-Privilegierten einfordern können. 
 
Transparenz
Fast schon rührend ist die Formulierung im Ministerratsvortrag, wonach es der Bundesregierung "ein wichtiges Anliegen [ist], dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auch wissen wie ihr Geld verwendet wird." Abgesehen davon, dass der Rundfunkbeitrag wohl keine Steuer sein wird, war von diesem Anliegen in anderen Bereichen bisher eher wenig zu sehen (Stichwort: noch immer fehlendes Informationsfreiheitsgesetz). Aber hinsichtlich des ORF soll jedenfalls "eine umfassende Information der Öffentlichkeit und Transparenz zur Mittelverwendung" sichergestellt werden und dem ORF sollen dazu bestimmte Berichtspflichten auferlegt werden: "Dazu zählt unter anderem die Veröffentlichung über die Höhe ausgezahlter Gehälter nach internationalen Vorbildern (zum Beispiel die British Broadcasting Corporation), die Offenlegung von Nebenbeschäftigungsverhältnissen, Zulagensystemen und Einschalt- und Zuhörerquoten sowie detaillierte Angaben zu Werbung und Kooperationen in Form eines umfassenden Jahresberichts." 

Zur BBC: dort werden die Gehälter aller Personen in Organfunktionen sowie von "on-air talent" offengelegt, soweit diese mehr als 150.000 £ im Jahr verdienen (siehe den letztverfügbaren Governance Report bzw. die Punkt 37 der Charter). 

Der ORF war in der Vergangenheit immer bestrebt, im Hinblick auf Gehaltszahlungen möglichst wenig offen zu legen und hat diese Position (wie immer in dieser Hinsicht tatkräftig begleitet von anderen öffentlichen Einrichtungen wie der Wirtschaftskammer oder der Nationalbank) auch nachhaltig vor Gericht verteidigt. Im Urteil des EuGH 20.05.2003 in den verbundenen Rechtssachen C-465/00, C-138/01 und C-139/01, Rechnungshof gegen ORF u.a., hat dieser noch ausgesprochen, dass die (damalige) Datenschutz-Richtlinie einer Veröffentlichung der Namen der Bezieher eines Einkommens über einer bestimmten Einkommenshöhe nicht entgegensteht, sofern erwiesen ist, dass die Offenlegung "im Hinblick auf das vom Verfassungsgesetzgeber verfolgte Ziel der ordnungsgemäßen Verwaltung der öffentlichen Mittel notwendig und angemessen ist". Im nachfolgenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes hat dieser allerdings eine derartige Notwendigkeit nicht anerkannt, sondern in der Offenlegung bemerkenswerter Weise eine Verletzung des Art. 8 EMRK gesehen. Zitat aus diesem Erkenntnis: 

Die vorgesehene Veröffentlichung stellt einen Eingriff erheblichen Gewichts in das durch Art8 EMRK geschützte Rechtsgut der Bezügeempfänger dar. Dass ein solcher Eingriff notwendig und angemessen sein soll, um jene Institutionen, die die Bezüge gewähren, zur sparsamen und effizienten Verwendung öffentlicher Mittel anzuhalten, in concreto: "die Bezüge in angemessenen Grenzen zu halten", wie dies der Europäische Gerichtshof formuliert, ist nicht erkennbar: Dies einmal deswegen, weil nicht die allenfalls überhöhte Bezüge gewährenden Rechtsträger aufgelistet werden sollen, sondern die Bezügeempfänger, deren Bezüge überdies - wie der Europäische Gerichtshof zu Recht hervorhebt - in unterschiedlichem Ausmaß von deren familiärer und persönlicher Situation abhängig sein können. Zum anderen ist darauf aufmerksam zu machen, dass das Ziel der Sicherung der effizienten Mittelverwendung durch die Bezüge gewährenden Rechtsträger schon durch die Berichterstattung über die Ergebnisse der diese Rechtsträger betreffenden allgemeinen Gebarungskontrolle in effektiver und auch den Anforderungen des Art8 EMRK entsprechender Weise (vgl. dazu auch oben Pkt. II.3.b dieser Entscheidung) erreicht wird.
Auch die Bundesregierung behauptet in ihrer Stellungnahme nicht, dass die Veröffentlichung der Bezüge unter Nennung der Namen der Bezügeempfänger im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur effizienten Mittelverwendung notwendig sei. Sie argumentiert mehrfach damit, dass die personenbezogene Einkommensveröffentlichung einem dringenden sozialen Bedürfnis nach Transparenz bei der Verwendung öffentlicher Mittel und nach Vermeidung deren Missbrauchs bestehe, tut aber nicht dar, wieso es notwendig sein soll, die Namen von Personen und ihre Bezüge zu veröffentlichen, um die ordnungsgemäße Verwendung öffentlicher Mittel sicherzustellen; darauf kommt es aber nach der - den Verfassungsgerichtshof bindenden - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Mai 2003, Rs. C-465/00 ua., Rechnungshof gegen ORF ua., an.

Sofern man also nicht auf eine Zustimmung der Betroffenen zur Veröffentlichung ihrer Einkommen setzt (was ich für wenig realistisch halte), bin ich daher gespannt, zu welchen Formulierungen der Gesetzgeber greifen wird, um dem VfGH eine Änderung seiner Rechtsprechung zu ermöglichen - das "dringende soziale Bedürfnis nach Transparenz bei der Verwendung öffentlicher Mittel" hat ja zuletzt nicht ausgereicht. Es wäre vielleicht eine Gelegenheit für den VfGH, von seiner restriktiven Rechtsprechung zur Gehaltstransparenz abzugehen. Aus der Rechtsprechung des EGMR ergibt sich dieser restriktive Zugang nicht zwingend: zwar gibt es kein ganz einschlägiges Urteil des EGMR, aber  aus dem Urteil der Großen Kammer im Fall Satakunnan Markkinapörssi Oy und Satamedia Oy gegen Finnland, in der dieser die Veröffentlichung Steuerdaten (fast) aller Steuerpflichtigen nicht als von Art. 10 EMRK geschützt beurteilt hat, hat er doch anerkannt, dass es ein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung auch von Steuerdaten bestimmter Kategorien von Personen wie zB jener, die besonders hohe Einkommen beziehen, geben kann ("such  as politicians, public officials, public figures or others who belonged to the public sphere by dint of their activities or high earnings"). Interessant wird auch sein, wie weit das im Ministerratsvortrag betonte Anliegen der Transparenz dann auch zB bei der Wirtschaftskammer oder anderen öffentlichen Einrichtungen verfolgt wird, die bislang wie der ORF gegenüber solchen Anliegen nachhaltig Widerstand geleistet haben.

Ein gewisser Spielraum zur Umsetzung von mehr Transparenz im ORF bliebe übrigens noch bei Neuanstellungen oder dem Abschluss neuer Verträge: hier wäre es denkbar - aber ohne gesetzliche Grundlage eher heikel - den Vertragsschluss von einer Zustimmung zur Veröffentlichung der Bezahlung abhängig zu machen.

Und sonst so?
Ein wenig beziehungslos, eher wie eine Art Reminder, steht am Ende des Ministerratsvortrags noch der Hinweis, dass "auch der geplante Transformationsprozess des ORF ins digitale Zeitalter in Form einer Digitalnovelle" eingeleitet werden müsste, die "zeitnah vorzulegen" sei. Was Inhalt dieser Digitalnovelle sein soll, oder was "zeitnah" heißt, bleibt offen. Eine definitive Junktimierung - neue Finanzierung nur mit Digitalnovelle (und umgekehrt)  - ist aus der "zeitnah"-Formulierung nicht abzuleiten, aber wohl angedacht. Das abschließende "Bekenntnis zum Erhalt der Inhalte des Spartenkanals Sport+ und zum finanziell nachhaltigen Fortbestand des international renommierten ORF Radio-Symphonieorchesters Wien (RSO)" ist auch nicht mehr als das: ein "Bekenntnis", von dem allenfalls erwähnenswert ist, dass an den Erhalt des Spartenkanals Sport+ jedenfalls nicht gedacht ist, sondern bloß an den Erhalt der Inhalte, was wohl ein Abgehen von der TV-Verbreitung zu einem reinen Internet/Streaming-Angebot bedeutet. 

Saturday, April 08, 2023

Sanktionen gegen russische Staatsmedien - zum aktuellen Stand nach der Insolvenz von RT France

tl;dr: RT France ist insolvent. Die von RT France beim EuG bzw. EuGH anhängig gemachten Verfahren zur Nichtigerklärung der Sanktionen werden daher voraussichtlich ohne weitere Entscheidung in der Sache eingestellt werden. Wann das EuG über die von niederländischen ISPs eingebrachte Nichtigkeitsklage entscheiden wird, ist noch offen.

Die Sanktionen wurden zuletzt mit Wirkung vom 10. April 2023 ausgeweitet und bleiben (vorerst) bis 31. Juli 2023 in Kraft.

Update 02.07.2023: Mit Beschluss (GASP) 2023/1217 des Rates vom 23. Juni 2023 bzw. mit Verordnung (EU) 2023/1214 des Rates vom 23. Juni 2023 wurden der Beschluss 2014/512/GASP bzw. die VO (EU) Nr. 833/2014 jeweils dahingehend geändert, dass auch Inhalte folgender "juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen" von den Sanktionen erfasst sein sollen, und zwar ab 01.10.2023, "sofern der Rat dies nach Prüfung der betreffenden Fälle einstimmig beschließt" bzw. "sofern der Rat nach Prüfung der betreffenden Fälle dies im Wege eines Durchführungsrechtsakts beschließt"; die entsprechende Mitteilung an die betroffenen Einrichtungen ist bereits ergangen)

  • RT Balkan
  • Oriental Review
  • Tsargrad
  • New Eastern Outlook
  • Katehon

Was bisher geschah

Ich habe mich in diesem Blog (und anderswo) schon mehrfach mit den vom Rat der Europäischen Union nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 verhängten Sanktionen befasst, soweit sich diese (erstmals) auch gegen die Verbreitung bestimmter Medieninhalte innerhalb der EU richteten. Zur Übersicht vorweg Links zu den bisherigen Beiträgen:

Von den Sanktionen betroffene Medieninhalte

Die Sanktionen betrafen zunächst die englisch-, deutsch-, französisch- und spanischsprachigen Inhalte von RT (Russia Today) und die Inhalte von Sputnik. Sie wurden in der Folge mehrfach verlängert und auf andere Inhalte russischer Staatsmedien ausgedehnt. Ab übermorgen, 10. April 2023 (und vorerst befristet bis 31. Juli 2023; Update 21.07.2023: nach dem heute veröffentlichten Beschluss (GASP) 2023/1517 des Rates verlängert bis zum 31. Jänner 2024) sind Inhalte folgender "juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen" von den Sanktionen erfasst: 

  • RT — Russia Today English
  • RT — Russia Today UK
  • RT — Russia Today Germany
  • RT — Russia Today France
  • RT — Russia Today Spanish
  • Sputnik
  • Rossiya RTR / RTR Planeta
  • Rossiya 24 / Russia 24
  • TV Centre International
  • NTV/NTV Mir 
  • Rossiya 1 
  • REN TV 
  • Pervyi Kanal
  • RT Arabic
  • Sputnik Arabic

Nichtigkeitsklagen von RT France

Die Sanktionen wurden gerichtlich von RT France bekämpft, wobei RT France in erster Instanz unterlag (Urteil des EuG vom 27.07.2022, T-125/22 RT France / Rat). Gegen dieses Urteil hat RT France Rechtsmittel an den EuGH erhoben, das Verfahren ist noch zu C-620/22 P anhängig. Zudem hat RT France auch die jeweiligen Rechtsakte, mit denen die Sanktionen verlängert wurden, mit Klage beim EuG bekämpft; diese Verfahren sind noch anhängig (T-605/22 RT France / RatT-75/23 RT France / Rat und T-169/23 RT France / Rat). 

Update 21.07.2023: die Klagen zu T-605/22, T-75/23 und T-169/23 wurden von RT France jeweils zurückgezogen, die Verfahren mit Beschlüssen des EuG daher aus dem Register gestrichen.

Update 14.08.2023: das Rechtsmittel von RT France gegen das Urteil des EuG vom 27.07.2022, Ta-125/22 RT France / Rat wurde zurückgezogen. Der EuGH hat das Verfahren in der Rechtssache C-620/22 P daher mit Beschluss vom 28.07.2023 aus dem Register gestrichen.

Insolvenz von RT France

Nun ist RT France laut Medienberichten (die auch auf ein entsprechendes Statement der Geschäftsführerin von RT France auf Twitter verweisen) endgültig insolvent. Damit stellt sich die Frage, was mit den beim EuGH bzw. beim EuG anhängigen Verfahren passiert. 

Nach der Rechtsprechung des EuG muss das Rechtsschutzinteresse der Klägerin bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen; im Fall der Liquidation des Unternehmens wegen Insolvenz - wenn das Unternehmen keine "werbende Geschäftstätigkeit" mehr ausüben kann - fällt dieses Rechtsschutzinteresse allerdings weg. Dies gilt auch dann, wenn das (insolvente) Unternehmen eine Haftungsklage gegen die Gemeinschaft nach einer Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung anstrebt; diesbezüglich hat das EuG ausgesprochen, dass die Schadensersatzklage im Vertrag als selbständiger Rechtsbehelf vorgesehen ist und dass eine solche Klage somit parallel zu einer Nichtigkeitsklage erhoben werden kann (EuG 19.06.2009, T-269/03, Socratec). Meines Erachtens spricht somit viel dafür, dass RT France mit Eintritt der Insolvenz das Rechtsschutzinteresse verloren hat und die Verfahren daher als erledigt eingestellt werden. (Update 14.08.2023: RT France ist der Einstellung durch Zurückziehung des Rechtsmittels zuvorgekommen; das Verfahren wurde daher mit Beschluss vom 28.07.2023 aus dem Register gestrichen).

Nichtigkeitsklage niederländischer ISPs

Allerdings ist noch ein weiteres Verfahren gegen die Sanktionen beim EuG anhängig, nämlich die von niederländischen Internetprovidern erhobene (und von der niederländischen Journalistenvereinigung NVJ unterstützte!) Nichtigkeitsklage T-307/22 A2B Connect ua. Zwar ist in einer Pressemitteilung des NVJ die Rede davon, dass im September 2022 eine zweite Klage eingebracht worden sei, tatsächlich dürfte aber bloß die zu T-307/22 anhängige Klage ergänzt worden sein (in diesem Sinn auch die Information auf der Website der sogenannten Freedom of Information Coalition, die das Verfahren ebenfalls unterstützt). Ein Verhandlungstermin wurde vom EuG noch nicht bekannt gegeben. 

Monday, February 06, 2023

Wo wächst das Geld, wenn nicht auf den Bäumen? Kurze Anmerkungen zur Finanzierung des österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Sich zu österreichischer Medienpolitik aus rechtlicher Sicht zu äußern ist ein ziemlich undankbares und weitgehend sinnloses Unterfangen (vielleicht gibt es auch deshalb so wenige einschlägige rechtswissenschaftliche Arbeiten). Das gilt auch für die Frage der zukünftigen ORF-Finanzierung, und bei manchen der jüngst bekannt gewordenen politischen Äußerungen dazu frage ich mich, ob denn der Wahlkampf (im Häupl'schen Sinne) schon begonnen hat (wobei ich mir nicht sicher bin, dass "fokussiert" hier wirklich das richtige Adjektiv wäre). Dennoch folgen hier ein paar kurze Anmerkungen zur aktuellen ORF-Finanzierungsdebatte, beginnend mit den Basics:

1. Gesetzlicher Auftrag: Der Österreichische Rundfunk (ORF) hat einen gesetzlich festgelegten öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen. Den Umfang dieses Auftrags kann man im ORF-Gesetz (dort insbesondere in den §§ 3 bis 5a) und in den auf der Grundlage des ORF-Gesetzes erstellten - von der Regulierungsbehörde geprüften - Angebotskonzepten nachlesen.

 2. Gesetzlich geregelte Finanzierung: Auch die Finanzierung des ORF ist im ORF-Gesetz geregelt, das diesbezüglich im Wesentlichen zwei Anforderungen gerecht werden muss: einerseits muss die Finanzierung die verfassungsrechtlich vorgegebene Unabhängigkeit des Rundfunks gewährleisten (der Verfassungsgerichtshof spricht von einer aus dem BVG Rundfunk folgenden "Funktions- und Finanzierungsverantwortung des Gesetzgebers  für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk", siehe VfGH 30.6.2022, G 226/2021, Rn. 45). Andererseits muss das Finanzierungssystem auch den Anforderungen des EU-Beihilfenrechts entsprechen, die sich vor allem aus der sogenannten "Rundfunkmitteilung" der Kommission und spezifisch für Österreich aus der Entscheidung der Kommission vom 28.10.2009, Staatliche Beihilfe E 2/2008 –Finanzierung des ORF, ergeben. 

3. Fast zwei Drittel aus Programmentgelt: Das aktuelle Finanzierungssystem beruht einem Gutteil auf Einnahmen aus dem Programmentgelt (fälschlich oft als "GIS-Gebühr" bezeichnet). Von den Umsatzerlösen von ziemlich genau 1 Mrd. € im Jahr 2021 machten die Erlöse aus dem Programmentgelt ca. 645 Mio. € aus, weitere 228 Mio. €  waren Werbeerlöse und 127 Mio. € sonstige Erlöse, etwa Lizenzeinnahmen (siehe den Anhang zum Jahresabschluss 2021). 

4. Der ORF legt das Programmentgelt selbst fest: zur Beschlussfassung über das Programmentgelt stellt der Generaldirektor einen Antrag an den Stiftungsrat (der Publikumsrat darf - mit einem "suspensiven Veto" - auch ein wenig mitreden), und zuletzt prüft die Regulierungsbehörde, ob der Beschluss den gesetzlichen Vorgaben entspricht (wenn nicht, hat sie den Beschluss des Stiftungsrates aufzuheben). Das alles ist in § 31 ORF-Gesetz geregelt.

5. Die Grenzen des Programmentgelts: Der ORF darf freilich das Programmentgelt nicht beliebig hoch (aber auch nicht beliebig tief) festsetzen: das Gesetz schreibt vor, dass die Höhe des Programmentgelts so festzulegen ist, "dass unter Zugrundelegung einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung der öffentlich-rechtliche Auftrag erfüllt werden kann". Die Höhe des Programmentgelts ist zudem "mit jenem Betrag begrenzt, der erforderlich ist, um die voraussichtlichen Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags angesichts der zu erwartenden Zahl der zur Entrichtung des Programmentgelts Verpflichteten in einem Zeitraum von fünf Jahren ab Festlegung des Programmentgelts (Finanzierungsperiode) decken zu können."

6. Der ORF muss sparsam wirtschaften: so verlangt es das Gesetz. Aber wer legt fest, was das im Detail bedeutet und wie wird das überprüft? Nun: der Generaldirektor führt die Geschäfte des ORF, er wird dabei durch den Stiftungsrat überwacht. Der Stiftungsrat hat auch die langfristigen Pläne für Technik und Finanzen und die "Stellenpläne" zu genehmigen und damit die wesentlichen Weichenstellungen zu treffen. 

7. Gebarungskontrolle: Die Gebarung des ORF unterliegt nicht nur der Kontrolle des Rechnungshofs, sondern das ORF-Gesetz sieht eine besondere Finanzkontrolle durch eine "Prüfungskommission", bestehend aus zwei Wirtschaftstreuhandgesellschaften, vor. Diese kann sich der ORF allerdings nicht frei aussuchen, sondern sie werden von der Regulierungsbehörde bestellt. 

8. Die Medienministerin kann die Sparsamkeit des ORF nicht überprüfen (Stichwort "Kassasturz"): das ORF-Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass sich die Aufsicht des Bundes über den ORF "auf eine Aufsicht nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes, unbeschadet der Prüfung durch den Rechnungshof", beschränkt. Eine Aufsicht der Medienministerin, die im ORF-Gesetz nicht vorgesehen ist, gibt es daher nicht. Das hindert eine Politikerin natürlich nicht, beliebig irgendetwas zu fordern, egal ob Kassasturz beim ORF, Schönwetter in den Alpen oder warme Eislutscher für alle, um beliebige Beispiele zu nennen.

9. "ORF-Rabatt": Was soll ein "ORF-Rabatt für die Österreicherinnen und Österreicher" sein, den die Medienministerin zuletzt gefordert hat? Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Die Medienministerin will, so lässt sie verlauten, "dass die Menschen in Zukunft weniger als jetzt für den ORF zahlen müssen." Sofern das Ziel durch Einsparungen beim ORF erreicht werden soll (good luck!), wäre das Aufgabe des Generaldirektors und des Stiftungsrates, die entsprechende Sparpläne vorlegen/genehmigen müssten. Allerdings ist der ORF dabei dadurch begrenzt, was der öffentlich-rechtliche Auftrag ihm abverlangt. Einfach Radio Niederösterreich (oder Wien oder Vorarlberg) einzustellen zum Beispiel ist dem ORF ohne gesetzliche Änderung des Auftrags nicht möglich. 

10. Auftragsänderung durch Gesetzesänderung: Das führt zur nächsten Überlegung: wenn die Medienministerin Einsparungen vom ORF verlangt, dann hat sie einen wesentlichen Hebel: sie kann gesetzliche Änderungen vorbereiten und, wenn ihre Regierungskolleg:innen zustimmen, eine Regierungsvorlage auf den Weg bringen, die den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF einschränkt. Das könnte ein Wegfall eines Kanals genauso sein wie der Verzicht auf ein Online- Angebot, was auch immer ihr (bzw. ihrer politischen Gemeinschaft) im Weg ist. Gegen eine gesetzliche Änderung des öffentlich-rechtlichen Auftrags wäre der ORF machtlos - das ist eben die Aufgabenverteilung: der Gesetzgeber legt den Auftrag fest, der ORF hat ihn zu erfüllen (den Rahmen für den einfachen Gesetzgeber steckt auch hier das BVG Rundfunk ab, aber der Spielraum des Gesetzgebers bei der Definition des Auftrags ist da ziemlich hoch). Die unionsrechtlichen (beihilfenrechtlichen) Grenzen wären aber jedenfalls zu beachten.

11. Politischer Hebel: Der Hebel der Medienministerin ist derzeit besonders groß: der Verfassungsgerichtshof hat mit dem schon zitierten Erkenntnis Bestimmungen des ORF-Gesetzes aufgehoben und eine "Reparaturfrist" bis 31.12.2023 gesetzt. Dabei ging es, grob vereinfachend, um die Beschränkung der Pflicht zur Zahlung des Programmentgelts auf jene Haushalte, die "klassische" Rundfunkgeräte betreiben, während jene, die bloß streamen, das Programmentgelt nicht zahlen müssen - das hat der VfGH als verfassungswidrig beurteilt. Rechtstechnisch wäre das Problem leicht zu lösen, politisch ist es natürlich extrem heikel, weil es eine möglicherweise auch wachsende Zahl von Fundamental-Gegner:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt. Die Zeit, um eine vernünftige Reparatur vorzubereiten, ist mittlerweile sehr knapp geworden. Die Medienministerin hat sich noch nicht ernsthaft zu ihren bevorzugten Optionen geäußert, sondern verlangt gewissermaßen als Vorleistung vom ORF Einsparungen ("Erst wenn dies geklärt ist, kann über eine neue ORF-Finanzierungsform diskutiert werden."). Es ist ein politisches Geschäft: sie macht ihr weiteres politisches Handeln, das in ihren Verantwortungsbereich als Medienministerin fällt, von Handlungen des ORF abhängig, die sie ohne diesen "Hebel" nicht durchsetzen könnte, oder mehr noch: wo ihr jeglicher Einfluss durch den Gesetzgeber bewusst genommen wurde, um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern.

12. Ein Gespräch unter Fremden: In ihren medialen Äußerungen hat die Medienministerin auch angekündigt, mit dem ORF-Generaldirektor über Einsparungen zu sprechen. Das kann sie natürlich tun, aber es wird - wenn man von gesetzeskonformem Verhalten aller Beteiligten ausgeht - ein wahrscheinlich nicht sehr ergiebiges Gespräch: der Generaldirektor darf keine Interna bekanntgeben, die über das hinausgehen, was der ORF schon bekannt gemacht hat, und das - insbesondere die Jahresabschlüsse und die Jahresberichte - wird die Medienministerin wohl schon gesehen haben. Sämtliche Mitglieder der Stiftungsorgane (dazu gehören etwa der Generaldirektor, aber auch die Mitglieder des Stiftungsrates) sind nämlich nach § 19 Abs. 4 ORF-Gesetz, "soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werdenden Umstände der Stiftung und der mit ihr verbundenen Unternehmen verpflichtet." Die Medienministerin ist da genauso eine Außenstehende wie zum Beispiel ich: was der Generaldirektor an ORF-Interna mir nicht erzählen dürfte, darf er auch der Medienministerin nicht erzählen.

13. Nochmals zum "Rabatt": Woher kommt jetzt der merkwürdige "Rabatt"-Begriff, den die Medienministerin in diesem Zusammenhang verwendet? Ich habe dafür nur eine halbwegs schlüssige Erklärung: wenn man davon ausgeht, dass derzeit noch nur Haushalte mit "klassischen" Rundfunkgeräten Programmentgelt zahlen, nach einer Neuordnung der Finanzierung im Sinne des VfGH-Erkenntnisses aber die Programmentgeltpflicht entweder auf alle Haushalte ("Haushaltsabgabe", wie zB in Deutschland oder der Schweiz) oder aber auf alle "internetfähigen" Geräte erstreckt wird, dann würden in Hinkunft mehr Personen als heute Programmentgelt zahlen müssen. Da aber die Höhe der gesamten eingenommenen Programmentgelte nicht über das hinausgehen darf, was zur Deckung der Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags erforderlich ist, würde auf die einzelnen Zahler:innen ein geringerer Betrag als heute entfallen. Das könnte man als "Rabatt" für die bestehenden "Gebührenzahler:innen" ansehen, und vielleicht war das auch einmal die Idee hinter dem Begriff. 

14. Automatische Inflationsabgeltung geht nicht: Ob eine Haushaltsabgabe, eine Geräteabgabe oder eine Budgetfinanzierung kommen soll, ist derzeit offenbar noch in Diskussion. Eine Budgetfinanzierung ist sicher unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit kritischer zu beurteilen, wenngleich es auch dabei theoretisch bessere Absicherungen gegen tagespolitische Einflussnahmen geben könnte. Eine gelegentlich geforderte automatische Inflationsabgeltung zählt da allerdings nicht dazu, denn diese wäre jedenfalls unionsrechtswidrig, weil sie nicht sicherstellen kann, dass nicht mehr (aber auch nicht weniger) an Beihilfe geleistet wird, als zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags notwendig wäre.

15. Realpolitik: Dass auch die theoretisch unabhängige Festlegung des Programmentgelts durch den ORF selbst (unter Kontrolle der unabhängigen Regulierungsbehörde) vor Versuchen der politischen Einflussnahme nicht schützt, zeigt die aktuelle Diskussion. Es entsteht der Eindruck, dass die Medienministerin einen politischen Wunsch nicht dadurch durchzusetzen versucht, dass sie den ihr offenstehenden Weg über die zuständigen demokratischen Entscheidungsorgane - hier den Nationalrat als Gesetzgeber des ORF-Gesetzes - einschlägt, etwa indem sie einen Gesetzesentwurf vorbereitet, der eine Einschränkung des öffentlich-rechtlichen Auftrags beinhaltet. Statt dessen richtet sie zunächst "Forderungen" an den ORF, der von Verfassungs wegen unabhängig von der Politik zu agieren hat, aber faktisch und realpolitisch wohl kaum daran vorbeikommen wird, auf diese Forderungen irgendwie einzugehen, will er nicht riskieren, dass es nicht zur notwendigen Reparatur des ORF-Gesetzes kommt. 

16. Eine historische Anmerkung: die Verknüpfung von Sparvorgaben mit der Finanzierung des ORF ist nicht neu: in den Jahren 2010 bis 2013 hat der Bund Sonderzuschüsse ("Gebührenrefundierung") an den ORF geleistet, als Gegenleistung musste der ORF einerseits bestimmte Bedingungen (Mehrleistungen) erfüllen (§ 31 Abs. 11 und 12 ORF-G), aber andererseits auch "Strukturmaßnahmen zur mittelfristigen substantiellen Reduktion der Kostenbasis" setzen (§ 31 Abs. 13 ORF-G). Das war allerdings gesetzlich festgelegt und die Einhaltung dieser Bedingungen wurde auch nicht vom Bundeskanzler oder der Medienministerin kontrolliert, sondern von der unabhängigen Regulierungsbehörde (§ 31 Abs. 14 und 15 ORF-G). 

tl;dr: Das Geld für den ORF wächst tatsächlich nicht - worauf die Medienministerin nicht müde wird, hinzuweisen - auf den Bäumen. Der Finanzierungsbedarf wird von den Gremien des ORF festgelegt, von der Regulierungsbehörde überprüft und auch die sparsame, wirtschaftliche und zweckmäßige  Verwendung unterliegt der Kontrolle der ORF-Gremien sowie des Rechnungshofes, der Prüfungskommission und der Regulierungsbehörde. Der Medienministerin kommt dabei keine Rolle zu - sie sollte sich um die politische Aufgabe kümmern, die nach dem VfGH-Erkenntnis zur ORF-Finanzierung notwendige Reparatur des ORF-Gesetzes in Angriff zu nehmen. 

PS: die Diskussion zur Haushaltsabgabe ist alles andere als neu - falls das jemanden interessiert, hier und hier habe ich vor gut zehn Jahren schon mal darüber geschrieben.