Tuesday, December 10, 2024

Ein Bundesminister auf dem Sunset Legislation Boulevard

Gestern hat sich Noch-Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft (und demnächst Gouverneur der Österreichischen Nationalbank) Martin Kocher bei einer Veranstaltung der Wirtschaftskammer für mehr "Sunset Legislation" ausgesprochen. Befristete Gesetze, die auslaufen, wenn sie nicht verlängert werden, halte er für eine gute Idee, wird der Bundesminister in den Medien zitiert (ich habe das Ministerium um einen Text der Rede gebeten und werde seine Aussagen, sollte ich sie bekommen, gegebenenfalls ergänzen).

Aber: wenn die Idee so gut ist, warum hat er sie dann in seiner politischen Praxis nie umgesetzt?

Martin Kocher war seit 11. Jänner 2021 Bundesminister (zunächst für Arbeit, Familie und Jugend, dann für Arbeit, und zuletzt für Arbeit und Wirtschaft). Von seinem Ministerium wurden während seiner Amtszeit 22 Gesetzesentwürfe in Begutachtung geschickt (laut Rechtsinformationssystem des Bundes). 

19 dieser Gesetzesentwürfe bestehen ausschließlich aus Änderungen bestehender Gesetze. In keinem dieser Entwürfe wurde vorgeschlagen, dass die Änderungen nur befristet gelten sollten, oder auch, dass die jeweils zu ändernden Gesetze (auch) dahingehend geändert werden sollten, dass sie nur mehr befristet gelten.

In drei Begutachtungsentwürfen sind auch neu zu erlassende Gesetze enthalten: 

  • Mot-G (Bundesgesetz, mit dem die innerstaatlichen Anforderungen der Verordnung (EU) 2016/1628 in Bezug auf die Emissionsgrenzwerte für gasförmige Schadstoffe und luftverunreinigende Partikel und die Typgenehmigung für Verbrennungsmotoren für nicht für den Straßenverkehr bestimmte mobile Maschinen und Geräte festgelegt werden)
  • HinweisgeberInnenschutzgesetz 
  • HBB-Gesetz (Bundesgesetz über die höhere berufliche Bildung)

In keinem dieser Entwürfe für neu zu erlassende Gesetze sind "sunset clauses" enthalten, alle drei enthalten konventionelle Inkrafttretensbestimmungen und gelten, bis der Gesetzgeber anderes beschließt. 

Natürlich ist das sinnvoll: zwei der drei Entwürfe für neu zu erlassende Gesetze dienen der Umsetzung  bzw. Durchführung von Unionsrecht, das ebenfalls unbefristet in Geltung steht; das dritte Gesetz soll  (laut dessen § 1) einen Rahmen für die Festlegung, die Einrichtung und den Erwerb von Qualifikationen der höheren beruflichen Bildung regeln - das klingt auch nicht nach etwas, das man nach drei oder fünf Jahren nicht mehr benötigen würde. 

Und an den vergleichsweise vielen Entwürfen für Gesetzesänderungen sieht man zunächst einmal deutlich, dass Gesetzesänderungen jedenfalls zahlreicher sind als gänzliche Neuerfindungen von Gesetzen. Weiters zeigt sich daran, dass bei Erkennen von Änderungsbedarf (und die meisten Änderungen schließen in gewisser Weise eine Aufhebung bisherigen Rechts ein), ohnehin der Gesetzgebungsprozess angestoßen wird. Würden mehr Gesetze als bisher tatsächlich bloß befristet erlassen, wäre ein Änderungsbedarf gegebenenfalls auch dann gegeben, wenn sich nichts geändert hat - weil dann, bei Fortbestand des Anlasses für das Gesetz, eben die sunset clause geändert (verlängert) werden müsste. 

Bei realistischer Betrachtung würden daher "sunset clauses" eher zu mehr Gesetzgebungsakten führen. Denn wenn man davon ausgeht, dass Gesetze nicht aus Jux und Tollerei beschlossen werden, sondern weil es einen Regelungsbedarf gibt, dann wäre es naiv anzunehmen, dass der Regelungsbedarf nach einer im Vorhinein bestimmten Zeit wegfallen wird. Realistischer ist die Annahme, dass der Regelungsbedarf entweder bestehen bleibt (dann müsste die "sunset clause" durch einen eigenen Beschluss des Gesetzgebers verlängert werden), oder der Regelungsbedarf ändert sich (dann müsste das Gesetz geändert werden, egal ob mit oder ohne "sunset clause"), oder der Regelungsbedarf könnte schon vor Ablauf der Befristung wegfallen (dann müsste das Gesetz ausdrücklich aufgehoben werden, trotz bestehender "sunset clause"). 

Und wenn man sich die Liste der Gesetze ansieht, deren Änderung mit den Entwürfen aus Kochers Ministerium vorgeschlagen wurde (u.a. Gewerbeordnung, Arbeitslosenversicherungsgesetz, Arbeitsverfassungsgesetz, Berufsausbildungsgesetz, Arbeitszeitgesetz usw.), dann sollte wohl keines dieser Gesetze sinnvollerweise zur Gänze automatisch außer Kraft treten - zumindest nicht, ohne die darin enthaltenen Regelungen der Sache nach in anderen Rechtsvorschriften "aufzufangen". Die gerne beklagte Überregulierung entsteht nicht durch ein Gesetz an sich, sondern gegebenenfalls durch Detailregelungen in diesem Gesetz. Auch und gerade die Wirtschaftskammer, die gerne für "Sunset Legislation" eintritt, wäre wohl wenig erfreut, würde der Wirtschaftsminister das ersatzlose Außerkrafttreten der Gewerbeordnung (nach einer Sunset-Frist von vielleicht drei Jahren) vorschlagen. Die Knochenarbeit, Bestimmungen im Detail zu durchforsten und gegebenenfalls anzupassen oder wegen "Überregulierung" zu beseitigen, ist eine Aufgabe, die nicht damit erledigt werden kann, dass man plakativ "Sunset Legislation" fordert. 

In Österreich kann ich mich übrigens nur an ein befristet erlassenes Gesetz erinnern, das tatsächlich ohne jegliche Änderung (und ohne Debatte um eine Verlängerung der Befristung ) nach Ablauf der im Vorhinein festgelegten Befristung sang- und klanglos außer Kraft getreten ist: das Deregulierungsgrundsätzegesetz. Weil dieses Gesetz völlig sinnlos war und keinerlei normative Anordnung enthielt, war es zwar einerseits erfreulich, dass es sich mit seiner "sunset clause" selbst zerstört hat. Andererseits wäre aber auch eine unbefristete Weitergeltung gar nicht einmal so schlimm gewesen, denn wenn das Gesetz schon zu sonst nichts dienen konnte, als abschreckendes Beispiel für reine Symbolgesetzgebung war es perfekt (siehe dazu im Blog schon hier und hier). 

"Sunset Legislation" ist ein leeres Schlagwort, das im Boulevard vielleicht gut klingt, aber in der politischen Praxis zurecht praktisch keine Rolle spielt. Merkwürdig ist nur, wenn ein Bundesminister, der in seiner gesamten Amtszeit keinen einzigen Gesetzesvorschlag mit "sunset clause" auf den Weg  gebracht hat, "Sunset Legislation" nun für eine gute Idee hält: entweder die Idee ist ihm erst jetzt gekommen, oder er hat bisher keine Ambitionen gehabt, seine "gute Idee" auch umzusetzen. Vielleicht einfach deshalb, weil die Idee doch nicht so gut ist, wie sie auf den ersten Blick wirkt.

Friday, October 04, 2024

EuGH-Urteil zur "Handysicherstellung"

Das heutige Urteil des EuGH in der Rechtssache C-548/21, BH Landeck, befasst sich mit den unionsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Sicherstellung (und Auswertung) von Mobiltelefonen zu Zwecken der Strafverfolgung, auf der Basis der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutzrichtlinie für den Bereich Justiz und Inneres) sowie der Grundrechtecharta. Das Vorabentscheidungsersuchen stammte vom Landesverwaltungsgericht Tirol und erging in einem Verfahren über eine Maßnahmenbeschwerde, die von einem deutschen Staatsangehörigen gegen die Sicherstellung seines Mobiltelefons durch die Kriminalpolizei (im Zuge von Ermittlungen aufgrund eines an ihn adressierten Briefes mit Cannabiskraut) erhoben worden war. 

Überraschenderweise zulässig

Das EuGH-Urteil ist zunächst einmal ein schönes Beispiel dafür, wie der Gerichtshof, wenn er denn will, kreativ werden kann, um ein auf den ersten Blick - jedenfalls aus österreichischer Perspektive - unzulässig erscheinendes Vorabentscheidungsersuchen doch inhaltlich beantworten zu können: 

  1. dem vorlegenden Gericht wird ein wenig nachgeholfen (durch freundliche Nachfrage, ob nicht doch eine andere als die explizit genannte Richtlinie einschlägig wäre, s. Rn.31), 
  2. österreichische Hinweise auf einen sich aus den Akten ergebenden anderen Sachverhalt werden dezent zur Seite geschoben (Rn. 36 und 41), 
  3. die eigentliche Frage der Zulässigkeit wird recht nachsichtig abgehandelt ("...Gesichtspunkte lassen somit den Schluss zu, dass das Vorabentscheidungsersuchen dem Anforderungen des Art. 94 der Verfahrensordnung genügt." - vgl. demgegenüber Rn. 34 bis 55 der Schlussanträge), 
  4. der Gerichtshof hält sich auch nobel zurück, wenn ihm Generalanwalt und österreichische Regierung darlegen, dass zwei Fragen nicht einschlägig seien (Rn. 53 und 54), und
  5. die gestellten Fragen werden großzügig umformuliert (Rn. 60ff und zB Rn. 81: "Somit ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht ... im Wesentlichen wissen möchte ...").

Man merkt also deutlich: der Gerichtshof interessiert sich für die mit dem Vorabentscheidungsersuchen zwar nicht präzise, aber doch der Sache nach angesprochene grundlegende Problematik, und er will sich zu dem Thema äußern. Die Bedeutung der Angelegenheit wird auch dadurch unterstrichen, dass das Urteil in einer Großen Kammer ergangen ist. 

Datenschutz, auch wenn kein Datenzugriff möglich war?

Im Ausgangsfall ist unstrittig, dass ein Zugriff auf die auf dem sichergestellten Mobiltelefon vorhandenen Daten zwar versucht wurde, aber letztlich gescheitert ist. Der EuGH verweist dazu auf den Zweckbindungsgrundsatz, dessen Wirksamkeit zwingend voraussetzt, dass der Zweck der Datenerhebung schon dann ermittelt wird, wenn die Kriminalpolizei versucht, für Zwecke strafrechtlicher Ermittlungen auf die Daten zuzugreifen. Ein solcher Versuch fällt daher in den Anwendungsbereich der RL 2016/680.

Vorgaben für den Datenzugriff 

Der EuGH verweist zunächst auf sein Urteil vom 30.1.2024, C-118/22. Demnach verlangt Art. 4 Abs. 1 lit. c der RL 2016/680 von den Mitgliedstaaten die Einhaltung des Grundsatzes der "Datenminimierung", in dem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum Ausdruck gebracht wird.  Dann hebt er drei Aspekte hervor: 

  1. bei einer Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen polizeilicher Ermittlungen zur Ahndung einer Straftat – wie einem Versuch, auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten zuzugreifen – ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie einer von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GRC tatsächlich entspricht.
  2. die Voraussetzung der Erforderlichkeit ist (nur dann) erfüllt, wenn das mit der betreffenden Datenverarbeitung verfolgte Ziel nicht in zumutbarer Weise ebenso wirksam durch andere Mittel erreicht werden kann, die weniger stark in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen 
  3. es ist eine Gewichtung aller relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls vorzunehmen; dazu gehören u.a. die Schwere der Einschränkung der Ausübung der in Rede stehenden Grundrechte, die Bedeutung des mit dieser Einschränkung verfolgten, dem Gemeinwohl dienenden Ziels, die Verbindung zwischen dem Eigentümer des Mobiltelefons und der in Rede stehenden Straftat oder die Relevanz der fraglichen Daten für die Feststellung des Sachverhalts.

Der EuGH betont - wie dies auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis zur Datenträgersicherstellung vom 14.12.2023 (insb. Rn. 66 bis 68) getan hat -, dass der Zugang zu den auf dem Mobiltelefon gespeicherten Daten sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben zulassen kann und dass auch besonders sensible Daten betroffen sein könnten. Der Eingriff in die in Art. 7 und 8 GRC verbürgten Rechte ist daher als schwerwiegend oder sogar besonders schwerwiegend einzustufen. 

Die Schwere der Straftat, die Gegenstand der Ermittlungen ist, stellt zwar einen zentralen Parameter bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit dar, allerdings dürfte der Zugang auch nicht generell nur für die Bekämpfung schwerer Kriminalität ermöglicht werden. In diesem Zusammenhang weist der EuGH sogar ausdrücklich darauf hin, dass eine derartige Zugangsbeschränkung eine erhöhte Gefahr der Straflosigkeit für minderschwere Taten ergeben würde und dies dem mit der RL verfolgten Ziel der Vollendung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Union abträglich wäre.

Der EuGH gibt hier dem nationalen Gesetzgeber einige Aufgaben mit: zunächst muss der Gesetzgeber die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte, insbesondere die Art oder die Kategorien der betreffenden Straftaten, hinreichend präzise definieren. Er muss auch vorsehen, dass zwischen verschiedenen Kategorien betroffener Personen (Verdächtige, [potenzielle] Opfer einer Straftat, andere) klar unterschieden wird. Vor allem aber muss der Zugang der nationalen Behörden zu personenbezogenen Daten auf dem sichergestellten Mobiltelefon - außer in hinreichend begründeten Eilfällen - von einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht (oder eine unabhängige Verwaltungsstelle) abhängig gemacht werden. 

Grundsatz muss sein: Der Zugang zu den auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten durch die zuständigen Polizeibehörden muss verweigert oder eingeschränkt werden, wenn unter Berücksichtigung der Schwere der Straftat und der Erfordernisse der Untersuchung ein Zugang zum Inhalt der Kommunikationen oder zu sensiblen Daten nicht gerechtfertigt erscheint.

Konsequenzen für Österreich

Das vorlegende Verwaltungsgericht wird natürlich den Ausgangsfall zu entscheiden haben. Dass die Maßnahme, so wie sie im Vorabentscheidungsersuchen dargestellt wurde, rechtswidrig war, haben die österreichischen Behörden im Zuge des EuGH-Verfahrens bereits anerkannt (siehe insb. in den Schlussanträgen Rn. 55; insofern dürfte das Urteil im Vorabentscheidungsverfahren tatsächlich nicht präjudiziell für die vom vorlegenden Gericht letztlich zu beurteilende Frage gewesen sein). Allzu große Überraschungen sind also für die Entscheidung des LVwG Tirol nicht zu erwarten.

Das Urteil kommt aber auch gerade noch rechtzeitig für die kurz vor der Beschlussfassung stehende StPO-Novelle, mit der dem bereits genannten VfGH-Erkenntnis Rechnung getragen werden soll. Die Begutachtung dazu ist abgeschlossen, angeblich gibt es inzwischen auch eine Neufassung des Entwurfs, die einigen in der Begutachtung vorgebrachten Einwänden Rechnung tragen soll. Jetzt wird man sich wohl noch kurzfristig auch damit beschäftigen müssen, ob der (geänderte) Entwurf nicht nur den Anforderungen des Verfassungsgerichtshofs, sondern auch jenen des EuGH entspricht.

Sunday, November 19, 2023

Zitierverbot aus Gerichtsakten - Anmerkung zu einer "Nachhilfestunde"

Vor zwei Wochen hat Bundesministerin Edtstadler in einem Interview im profil (wieder einmal) gesagt, sie wolle "das Zitierverbot [aus Gerichtsakten] im Strafgesetz verankern – nach deutschem Vorbild"

Eine Woche später führte Nikolaus Forgó ebenfalls im profil näher aus, warum er "Edtstadlers Aktenzitierverbot" wörtlich für "Unsinn" hält. 

Gestern reagierte Edtstadler in einem Kommentar im Kurier wiederum auf Forgó, dem sie (freilich ohne ihn zu nennen) vorwarf, sich als "vermeintlicher Retter der Pressefreiheit" aufzuspielen. Und heute setzte sie noch etwas drauf, indem sie den Kurier-Kommentar mit leichten Modifikationen auf "X" und Instagram (und wer weiß auf welchen Plattformen sonst noch) - mit durchaus bemerkenswerten Ergänzungen - zweitverwertete. 


Ich habe mich bisher nicht zu dem von Edtstadler und anderen ÖVP-Politiker:innen geforderten Aktenzitierverbot geäußert. Insofern bin ich wohl nicht direkter Adressat der von der Frau Bundesministerin angebotenen "Nachhilfestunde für alle vermeintlichen Menschenrechtsexpert:innen."

[Ich bin auch nicht sicher, ob sich Kurier-Kommentare oder X- und Insta-Postings als Nachhilfe-Medien eignen, und ich würde - auch wenn ich mit Nikolaus Forgó gerne immer wieder mal auch unterschiedlicher Meinung bin - mir nicht anmaßen, ihn als bloß "vermeintlichen Menschenrechtsexperten" zu bezeichnen (ebensowenig wie andere Personen, die sich zu dieser Sache geäußert haben). Ich würde auch Edtstadler Expertise nicht absprechen, immerhin ist sie ausgebildete Richterin, hat drei Jahre als Richterin gearbeitet und auch eineinhalb Jahre als juristische Mitarbeiterin beim EGMR verbracht.]

Ich habe beim Lesen des Kurier-Kommentars gestern zunächst gedacht: sie zitiert das Urteil Bédat, das könnte ja Ausgangspunkt für eine sachliche Debatte werden. Aber leider nutzte sie ihren Kommentar dann doch nicht dazu, zu präzisieren, was sie konkret anstrebt, sodass sie Forgós Befund bestätigt: es geht nicht um einen "diskutablen Gesetzesvorschlag", sondern um eine per Presseaussendung oder Interview kommunizierte Wunschvorstellung. 

[Die im Posting heute hinzugefügte herablassende Äußerung über "vermeintliche Menschenrechtsexpert:innen" hilft erst recht nicht weiter, um eine sachliche Debatte zu führen.] 

Und das motiviert mich dazu, auch ein paar Worte zum Aktenzitierverbot bzw. zur aktuellen Diskussion darüber zu schreiben. Ich will niemandem Nachhilfe erteilen, aber ein paar Punkte sortieren. Warnung: es ist nicht ganz einfach, und es ist nicht alles schwarz/weiß.

1. "Medien brauchen Grenzen" und "Die Pressefreiheit ist nicht absolut"

BM Edtstadler positioniert sich in letzter Zeit als Ministerin, die den Medien Grenzen setzen und die Pressefreiheit einschränken will ("Medien brauchen Grenzen" war die Headline zu ihrem profil-Interview, "die Pressefreiheit ist nicht absolut" der - selbst gewählte - Titel ihres jüngsten Kommentars). Medien haben natürlich auch jetzt schon Grenzen, der Bundesministerin geht es aber darum, diese Grenzen enger zu ziehen. Und dass die Pressefreiheit nicht absolut ist, ist vollkommen unstrittig, das muss man nur betonen, wenn man sie noch etwas mehr relativieren, also beschränken will. 

Aber: es gibt einen Unterschied zwischen Pressefreiheit einschränken und Pressefreiheit abschaffen. Das Ziel von BM Edtstadler ist es, den Medien Möglichkeiten zu nehmen, die ihnen nach der derzeitigen Rechtslage offenstehen. Durch ein - wie auch immer ausgestaltetes - Aktenzitierverbot soll die Position der Beschuldigten (oder anderer Beteiligter) in Strafverfahren gestärkt werden, zum Schutz der grundrechtlich nach Art. 6 und 8 EMRK geschützten Interessen. 

Diese zunächst vom Gesetzgeber vorzunehmende Abwägung unterschiedlicher grundrechtlich geschützter Positionen ist heikel, und es gibt tatsächlich nicht die eine, einzige, jedenfalls EMRK-konforme Lösung. Es kann durchaus sein, dass Regelungen, wie sie derzeit in Österreich bestehen (eingeschränktes Veröffentlichungsverbot nach § 54 StPO, medienrechtliche Grenzen für die Veröffentlichung im Mediengesetz) in der Regel genauso zu EMRK-konformen Entscheidungen im Einzelfall führen wie weitergehende Veröffentlichungsverbote, die in anderen Europarats-Staaten bestehen. Insofern müsste selbst eine gesetzliche Einschränkung der derzeit für Medien bestehenden Möglichkeit, auch wörtlich aus Akten zu zitieren, nicht zwingend zu  einer Verletzung des Art. 10 EMRK führen - wenn (und das ist ein großes WENN) dennoch eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall eröffnet wird. 

Was man nämlich mit ziemlicher Gewissheit sagen kann: absolute Veröffentlichungsverbote, die ohne Abwägungsoffenheit für den Einzelfall ausgestaltet sind, sind nicht mit der EMRK vereinbar. 

2. Das "deutsche Vorbild"

Das ist auch das große rechtliche Problem mit dem "deutschen Vorbild", das Edtstadler anspricht. Dabei geht es um § 353d Nr. 3 des deutschen Strafgesetzbuchs (Nikolaus Forgó hat dazu in seinem Kommentar im Wesentlichen das gesagt, was es dazu zu sagen gibt). Diese Bestimmung sieht ein absolutes Veröffentlichungsverbot für bestimmte Aktenteile vor, ohne dass es eine Möglichkeit gibt, etwa wegen besonderen öffentlichen Interesses im Einzelfall dennoch straffrei diese Dokumente veröffentlichen zu können. 

Nun hat Edtstadler in ihrem Kurier-Kommentar allerdings angeführt, dass die Abwägung (konkurrierender Grundrechtspositionen) "selbstverständlich auch zu erfolgen [hat], wenn wir ein Zitierverbot diskutieren." Heißt das, dass sie vom deutschen Vorbild abrückt? Oder meint sie, dass das deutsche Vorbild Ergebnis einer ausreichenden (gesetzgeberischen) Abwägung ist?

[Was mich an der Berufung auf das deutsche Vorbild übrigens in faktischer mehr als in rechtlicher Hinsicht irritiert, ist der Umstand, dass der Hauptanwendungsfall, für den das Aktenzitierverbot derzeit von BM Edtstadler und anderen gefordert wird, damit gar nicht abgedeckt würde: Chats von Spitzenpolitikern, Spitzenbeamten, einem mittlerweile ehemaligen Verfassungsrichter (gendern nicht notwendig), die in einen Ermittlungsakt geraten, wären keine von einem strikt nach deutschem Vorbild konstruierten Zitierverbot betroffene amtliche Dokumente (so hat der BGH vor kurzem ausgesprochen, dass private Tagebuchaufzeichnungen, die von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt worden sind, keine "amtlichen Dokumente" des Strafverfahrens im Sinne von § 353d Nr. 3 StGB sind).]

3. Das EGMR-Urteil Bédat

Edtstadler beruft sich auf das Urteil der Großen Kammer des EGMR im Fall Bédat. Ich habe mich mit  diesem Urteil damals im Blog ausführlich auseinandergesetzt und verweise zum Inhalt daher auf diesen Beitrag

Ganz knapp zusammengefasst: der EGMR hat in diesem Fall, in dem ein Journalist wegen Zitierens aus den Akten eines noch anhängigen Strafverfahrens nach einem spektakulären Verkehrsunfall von den Schweizer Gerichten nach Art. 293 des Schweizer Strafgesetzbuches zu einer Geldstrafe von umgerechnet rund 2.667 € verurteilt worden war, keine Verletzung des Art. 10 EMRK festgestellt. Dem lag eine umfassende Abwägung des EGMR zugrunde, in die u.a. eingeflossen war, dass sich der Journalist auf Sensationalismus beschränkt habe und dass die Veröffentlichung (von Vernehmungsprotokollen und Briefen des Angeklagten aus der U-Haft) keine für die öffentliche Debatte relevanten Erkenntnisse gebracht und höchstens eine ungesunde Neugierde befriedigt habe. Auch hatte das Schweizer Bundesgericht schon eine umfassende Abwägung mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK vorgenommen, an der der EGMR nichts auszusetzen fand. 

Das Urteil hatte allerdings für die Schweizer Gesetzgebung Folgen, denn es machte deutlich, dass die damalige Schweizer Gesetzeslage mit einem absoluten Veröffentlichungsverbot nicht für jeden Fall ausreichend war. Mit Bundesgesetz vom 16. Juni 2017 (Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen) wurde Art. 293 Abs. 1 und 3 des Schweizer Strafgesetzbuchs neu gefasst; Abs. 3 lautet nun: "Die Handlung [Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen] ist nicht strafbar, wenn der Veröffentlichung kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegengestanden hat."

(Wer die damaligen Überlegungen zur Gesetzwerdung näher nachlesen will: Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates zur Parlamentarischen Initiative "Aufhebung von Artikel 293 StGB" und Stellungnahme des Bundesrates.)

Die Schweiz ist wohl auch zu unserer aktuellen Diskussion neutral, aber sie hat eines jedenfalls erkannt: ein absolutes Veröffentlichungsverbot aus (u.a.) Gerichtsakten, bei dem keine Abwägung mit entgegenstehenden Interessen erfolgt, ist nicht geeignet, die Einhaltung von Art. 10 EMRK zu gewährleisten. 

4. Die aktuelle österreichische Rechtslage

§ 54 StPO untersagt es Beschuldigten und ihren Verteidiger:innen, Informationen, die sie im Verfahren in nicht öffentlicher Verhandlung oder im Zuge einer nicht öffentlichen Beweisaufnahme oder durch Akteneinsicht erlangt haben, "in einem Medienwerk oder sonst auf eine Weise zu veröffentlichen, dass die Mitteilung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, wenn dadurch schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen (§ 1 Abs. 1 DSG) anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter, die gegenüber dem öffentlichen Informationsinteresse überwiegen, verletzt würden." Andere als Beschuldigte und deren Verteidiger:innen, also insbesondere Journalist:innen, sind davon zunächst nicht betroffen. 

Allerdings bestehen für Veröffentlichungen in Medien auch die Grenzen des Mediengesetzes (insbesondere im Hinblick auf die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches, den Schutz vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen, den Schutz der Unschuldsvermutung und den Schutz vor verbotener Veröffentlichung), sowie die allgemeinen persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Grenzen. 

Kein Medium kann es sich leisten, rücksichtslos wörtlich aus Gerichtsakten zu zitieren, sondern es muss selbstverständlich abgewogen werden, ob damit allenfalls verbundene Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen - wie zB das Privatleben der Beteiligten - einer Veröffentlichung entgegenstehen. Jeder betroffenen Person steht es natürlich offen, gegen solche Veröffentlichungen juristisch vorzugehen und gegebenenfalls die Angelegenheit bis vor dem EGMR zu bringen. Bislang gibt es jedenfalls keine Entscheidung des EGMR, aus der sich ergeben würde, dass die österreichische Rechtslage im Hinblick auf Veröffentlichungen aus Gerichtsakten den Anforderungen (auch) der Art. 6 und 8 EMRK nicht entsprechen würde. 

5. Chilling effect

Zusammenfassend: wenn es darum geht, ein Aktenzitierverbot einzuführen, das ausnahmslos und ohne Abwägungsmöglichkeit im Einzelfall (wörtliche) Veröffentlichungen aus Gerichtsakten strafrechtlich untersagt, so würde dies im Lichte gerade der von Edtstadler zitierten Bédat-Rechtsprechung des EGMR den Anforderungen des Art. 10 EMRK nicht (in jedem Fall) entsprechen. 

Geht man aber davon aus, dass es - wie etwa in der Schweiz - "nur" darum gehen soll, ein Verbot mit einer Ausnahme (nach Interessenabwägung) einzuführen, so würde dies zwar rechtlich im Ergebnis gegenüber der bestehenden Rechtslage wohl nicht allzu viel ändern - denn schon jetzt kann nur nach entsprechender Abwägung veröffentlicht werden. 

Was ein derartiges ausdrücklich strafgesetzliches Verbot (mit Ausnahme nach Abwägung) aber bewirken würde, wäre eine Erhöhung der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung von Journalist:innen, auch wenn ihnen die Möglichkeit offen bleibt, insbesondere durch Nachweis des öffentlichen Interesses an einer Veröffentlichung straffrei zu bleiben. 

Meines Erachtens ist das der falsche Weg. Soferne man - wie offenbar BM Edtstadler - in den bestehenden medienrechtlichen Bestimmungen (oder im allgemeinen Persönlichkeitsrecht) Defizite erkennt, um Veröffentlichungen wirksam entgegenzuwirken, die zu stark in das nach Art. 8 EMRK geschützte Privatleben oder das nach Art. 6 EMRK geschützte faire Verfahren eingreifen, dann läge es eher nahe, diese medienrechtlichen Regelungen nachzuschärfen, statt neue Strafdrohungen gegen Journalist:innen zu schaffen.

Einen Entwurf oder konkreten Vorschlag, den man näher prüfen könnte, gibt es aber nicht. 

Und so bleibt für mich aus der aktuellen (Nicht-)Diskussion der Eindruck bestehen, als ginge es tatsächlich mehr um den "chilling effect", den man mit einer gerichtlichen Strafdrohung für das Zitieren von Akten erzielen möchte. 

Epilog: die Sache mit der Meinungsäußerungsfreiheit

In einer weiteren Ergänzung gegenüber dem Kurier-Kommentar sieht BM Edtstadler "in Österreich weniger ein Problem mit der Pressefreiheit als mit der Meinungsäußerungsfreiheit." 

Das ist schon insofern merkwürdig, als die "Pressefreiheit" ein Teil der Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) ist und auch Art. 13 StGG die Meinungsäußerungsfreiheit ebenso umfasst wie die Pressefreiheit. 

Aber es ist doch erschreckend, wenn die Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt ein Problem mit der der Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich sieht. Es wäre doch zu erwarten, dass sie sich als Verfassungsministerin dafür einsetzt, dass die Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich nicht in Gefahr gerät, und daher deutlich benennt, wo die Probleme liegen. Wo beschränkt denn der Staat ihrer Ansicht nach unzulässig die Meinungsäußerungsfreiheit? Oder wo tut er nicht genug dafür, dass Private ausreichend staatlichen Schutz erhalten, wenn andere gegen sie wegen von ihnen getätigter Äußerungen vorgehen? Vielleicht hält BM Edtstadler ja die Regeln gegen SLAPP-Klagen für unzureichend? 

Doch nein, es geht um den von der Frau Bundesministerin wahrgenommenen "Drang, unerwünschte Diskussionen im Keim zu ersticken". In Verbindung mit dem weiteren Inhalt ihres Kommentars ("Letztere [Personen, die sich ablehnend zu dem von ihr geforderten Zitierverbot geäußert haben] wollen die Diskussion am liebsten sofort beenden, indem sie sich auf eine rechtliche Unzulässigkeit berufen.") sieht sie offenbar die Meinungsäußerungsfreiheit dadurch gefährdet, dass manche eine Diskussion beenden möchten. Oder noch konkreter: die Bundesministerin sieht die Meinungsäußerungsfreiheit dadurch gefährdet, dass manche (zB ein Universitätsprofessor in einem profil-Kommentar) der Auffassung sind, dass ein von ihr geäußerter Vorschlag rechtlich unzulässig sei.

Nun, last time I checked standen Nikolaus Forgó natürlich keine staatlíchen Zwangsmittel zur Verfügung, um die Diskussion tatsächlich zu beenden (abgesehen davon, dass er einen derartigen Wunsch auch gar nicht geäußert hat - und dass niemand, der ihn kennt, annehmen würde, er würde Diskussionen gerne raschestmöglich beenden). 

Es ist also nicht einmal im Ansatz nachvollziehbar, wo hier ein Problem mit der Meinungsäußerungsfreiheit liegen könnte. Ich bin wirklich gespannt, ob die Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt in ihrem angekündigten kommenden Beitrag auf ihren (politischen, nicht amtlichen) Social Media-Accounts irgendwelche tatsächlich relevanten Probleme mit der Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich identifizieren wird, oder ob es beim Geraune über einen angeblichen "Drang, unerwünschte Diskussionen im Keim zu ersticken," bleibt.

[Das Österreich-Kapitel des letzten Rule of Law-Berichts der EU-Kommission sieht übrigens keine systematischen oder strukturellen Probleme mit der Meinungsäußerungsfreiheit; dort wurden im Zusammenhang mit der hier relevanten Thematik nur Medienfragen thematisiert, darunter die Schwierigkeiten der Finanzierung des Presserats, die Vergabe staatlicher Inserate, das "institutional set-up" des ORF (vor der VfGH-Entscheidung) oder das noch nicht beschlossene Informationsfreiheitsgesetz.] 

Thursday, October 12, 2023

Die verfassungsrechtlich eingehegte Rundfunkordnung (oder: der VfGH und die beste aller Rundfunk-Welten)

Das aktuelle VfGH-Erkenntnis zu den ORF-Gremien wurde gleich nach seiner Veröffentlichung vor zwei Tagen ausführlich durchs mediale Dorf getrieben (auch ich wurde umfassend befragt, kaum dass ich Zeit gehabt hatte, es quer zu lesen). Für die Öffentlichkeit ist das Erkenntnis erstmal abgehakt, auch wenn die damit aufgegebene gesetzgeberische Arbeit (ebenso wie der ihr vorangehende politische Aushandlungsprozess) natürlich erst am Anfang steht. In der Berichterstattung stand vor allem im Fokus, dass der VfGH den Bestellungsmechanismus für die Stiftungs- und Publikumsratsmitglieder in wesentlichen Teilen als verfassungswidrig beurteilt hat. Weniger Beachtung fand das Grundsätzliche: die vom VfGH aus dem BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK abgeleitete institutionelle Garantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. [Update 12.06.2024: ein Vortrag von mir zu diesem Thema ist nun auch in schriftlicher Form im Österreichischen Juristischen Archiv erschienen und auch hier abrufbar].

Nachdem ich gestern das ganze Erkenntnis in einem (zu) langen Blogbeitrag beschrieben und eine erste vorläufige Einordnung versucht habe, möchte ich heute noch gesondert ein paar Worte nur zu diesem neuen - oder zumindest neu beschriebenen - verfassungsrechtlichen Eckpunkt der Rundfunkordnung schreiben. Dazu muss ich zunächst noch auf das VfGH-Erkenntnis zum Programmentgelt eingehen, das den Boden für das aktuelle Erkenntnis zu den ORF-Gremien aufbereitet hat.

Eckpunkt 1: Funktions- und Finanzierungsverantwortung (Programmentgelt-Erkenntnis)

Im Erkenntnis zum ORF-Programmentgelt vor gut einem Jahr (VfGH 30.6.2022, G 226/2021) hat der VfGH zunächst [Rn. 23] aus Art. I Abs. 2 und 3 BVG Rundfunk eine den Gesetzgeber treffende Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeleitet. In Rn. 37 dieses Erkenntnisses spannte er sodann den Bogen auch zu Art. 10 EMRK: 

BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK konstituieren – über Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK verbunden (VfGH 6.10.2021, E 2477/2021) – eine Funktionsverantwortung des Gesetzgebers in demokratischer und kultureller Hinsicht für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung. Diese beruht auf der in Art. 10 EMRK gewährleisteten individuellen Rundfunkfreiheit ebenso wie auf den institutionellen Vorgaben des BVG Rundfunk (davon geht der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung aus, vgl. etwa VfSlg. 12.822/1991 mit Hinweisen zur Vorjudikatur) und soll umfassend die Freiheit des öffentlichen Diskurses im Wege des Rundfunks gewährleisten. Erfasst von dieser Gewährleistungspflicht ist [...] Rundfunk iSd Art. I Abs. 1 BVG Rundfunk. Für den in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen Rundfunk gelten die institutionellen Garantien des Art. I Abs. 2 und Abs. 3 BVG Rundfunk in Verbindung mit, derartigen Rundfunk ebenso von seinem Schutzbereich miteinschließend, Art. 10 EMRK. [Hervorhebung hinzugefügt]

Schon in diesem Erkenntnis hat der VfGH also institutionelle Garantien für den Rundfunk angesprochen, ohne das allerdings näher zu spezifizieren (schließlich ging es in diesem Zusammenhang vor allem um die Frage der Abgrenzung des Rundfunkbegriffs in Art. I BVG Rundfunk). Er hielt dann auch noch fest, dass "dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK funktionsadäquate Stellung zukommen" muss, bevor er sich näher mit dem Inhalt der aus dem BVG Rundfunk abgeleiteten "Finanzierungsgarantie" befasste. 

Der VfGH hat damit bereits einen großen Bogen gespannt, um die Frage der Finanzierungsverantwortung zu klären. Schon dieses Erkenntnis legte nahe, dass es nach Auffassung des VfGH nicht nur eine Pflicht des Gesetzgebers gibt, die (funktionsadäquate) Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu gewährleisten, sondern dass es auch jedenfalls einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben muss, es also nicht ins Belieben des einfachen Gesetzgebers gestellt ist, die duale Rundfunkordnung (Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk) dahin abzuändern, nur mehr privaten Rundfunk zu ermöglichen. 

Eckpunkt 2: Institutionelle Bestandsgarantie für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter

Mit dem nun gefällten Erkenntnis zu den ORF-Gremien bekräftigt der VfGH die im Programmentgelt-Erkenntnis getroffenen Aussagen: den (Bundes-)Gesetzgeber trifft eine Funktionsverantwortung für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung, die sowohl auf Art. 10 EMRK als auch auf dem BVG Rundfunk beruht [Rn. 61]. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss dabei in "der so verfassungsrechtlich eingehegten Rundfunkordnung [...] seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK funktionsadäquate Stellung zukommen." [Rn. 62] Daran anschließend konkretisiert der VfGH die Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: 

"Diese Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umfasst die Verpflichtung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass eine den Grundsätzen des  Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk entsprechende öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstaltung gewährleistet ist, ebenso wie – damit nach dem Konzept des BVG Rundfunk untrennbar  zusammenhängend – die institutionelle Verpflichtung, diese Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren." [Hervorhebung hinzugefügt]

Der VfGH nennt damit zwei Verpflichtungen des Gesetzgebers: 
  • Einerseits muss der Gesetzgeber Rahmenbedingungen schaffen, die sicherstellen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter in seiner Tätigkeit die im BVG Rundfunk festgelegten Grundsätze (Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, Ausgewogenheit der Programme, Unabhängigkeit) einhält.
  • Andererseits muss der Gesetzgeber zwingend einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter einrichten, der Rundfunk im Sinne der gerade genannten Grundsätze des BVG Rundfunk veranstaltet.
So deutlich hat der VfGH diese Verpflichtung zur Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalters bisher nicht benannt, wenngleich man sie implizit wohl auch schon aus dem Programmentgelt-Erkenntnis ableiten könnte - denn welchen Sinn hätte eine Finanzierungsgarantie, wenn es nicht zwingend eine zu finanzierende Einrichtung gäbe? 

ORF forever?

Die Bestandsgarantie heißt weder, dass es den ORF auf ewig geben muss (der Gesetzgeber könnte auch einen neuen, anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter einrichten), noch dass der Auftrag unverändert bleiben müsste. Wesentlich ist aber, dass dem ORF (oder einem allenfalls an seine Stelle tretenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Veranstalter) "seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK funktionsadäquate Stellung zukommen" muss. 

Das bedeutet insbesondere, dass dieser Rundfunkveranstalter "umfassend die Freiheit des öffentlichen Diskurses im Wege des Rundfunks gewährleisten" muss (siehe Rn. 61 im aktuellen Programmentgelt-Erkenntnis und Rn. 37 im Programmentgelt-Erkenntnis) und dass es bei den Gestaltungsvorgaben auf "die demokratische und kulturelle Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Gesamtrundfunkordnung" ankommt (siehe Rn. 62 im aktuellen Programmentgelt-Erkenntnis und Rn. 45 im Programmentgelt-Erkenntnis; siehe auch Rn. 23 des Programmentgelt-Erkenntnisses, der auf "die demokratische und kulturelle Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" abstellt). 

Eine allfällige Änderung der Aufgabenstellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (eine Änderung des öffentlich-rechtlichen Auftrags) muss diese Grenzen beachten. Änderungen, durch die der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Bedeutung für den öffentlichen Diskurs verlieren oder die ihm seine demokratische und kulturelle Bedeutung nehmen könnten, würden den verfassungsrechtlichen Rahmen, den das BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK setzen, überschreiten. 

Der VfGH, der ja über konkrete Anträge zu entscheiden hatte und nicht in der Rolle eines Gutachters ist, gibt in seinen Erkenntnissen natürlich keine konkreten Hinweise darauf, ab wann bzw. bei welchen Änderungen die "funktionsadäquate Stellung" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in diesem Sinne gefährdet wäre und damit eine verfassungswidrige Auftrags- oder Organisationsänderung vorläge. 

Eine Auftragsänderung, die den ORF (oder einen an seine Stelle tretenden öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter) etwa auf einen reinen Informationssender reduzieren oder ihm sonst wesentliche Elemente des derzeitigen Kernauftrages (vgl. § 4 ORF-G) entziehen würde, könnte meines Erachtens schon deshalb verfassungswidrig sein, weil der ORF damit seine Bedeutung im öffentlichen Diskurs verlieren würde. Ein "Zurechtstutzen" des ORF, sodass er im Ergebnis zwar noch existieren, aber nur mehr ein Nischenpublikum bedienen würde, wäre jedenfalls mit der Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ebensowenig vereinbar wie mit der institutionellen Verpflichtung, eine dem BVG Rundfunk entsprechende Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren.

Festzuhalten ist auch, dass der VfGH sehr deutlich die doppelte verfassungsrechtliche Absicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einerseits durch das BVG Rundfunk und andererseits durch Art. 10 EMRK betont. Selbst eine innerstaatliche Verfassungsänderung durch Aufhebung oder Modifikation des BVG Rundfunk hätte damit - solange Art. 10 EMRK als innerstaatliche Verfassungsnorm bestehen bleibt - wohl keinen wesentlichen Einfluss auf die Anforderungen an die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie sie der VfGH in den Erkenntnissen zum Programmentgelt und zu den ORF-Gremien dargestellt hat. 

Die Rundfunkordnung als eingezäunter Garten

Der VfGH spricht in diesem Zusammenhang von der (durch das BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK) "verfassungsrechtlich eingehegten Rundfunkordnung". Das ist ein schönes Bild: eine einfachgesetzliche Rundfunkordnung, rund um die gleich zwei stabile Zäune stehen, um Gefährdungen der Rundfunkfreiheit abzuwehren. 

Wenn also die österreichische Rundfunkordnung nun ein verfassungsrechtlich sorgsam (gleich doppelt) eingehegter Garten ist, dann wäre es nun auch an der Zeit, sich der Kultivierung des Gartens zu widmen und das ORF-Gesetz ebenso sorgsam entsprechend dem VfGH-Erkenntnis anzupassen. 

Und das Bild vom Garten erinnert mich an den Schluss von Candide ou l’optimisme von Voltaire (deutsch ursprünglich als "Candide oder die beste aller Welten" erschienen):

Cela est bien dit, répondit Candide, mais il faut cultiver notre jardin.

Das ist gut gesagt (vom VfGH), aber wir müssen unseren Garten bestellen.

Wednesday, October 11, 2023

Staatsferne light - das VfGH-Erkenntnis zu den ORF-Gremien

Der Verfassungsgerichtshof hat mit dem gestern bekanntgegebenen Erkenntnis vom 5. Oktober 2023, G 215/2022, über Antrag der burgenländischen Landesregierung Teile des ORF-Gesetzes, die die Bestellung des Stiftungsrates und des Publikumsrates regeln, als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 2025 in Kraft. In diesem Blogbeitrag versuche ich zunächst in einem eher langen ersten Teil den wesentlichen Inhalt des Erkenntnisses darzustellen, und im zweiten Teil dann eine deutlich kürzere erste Einordnung aus meiner Sicht zu geben - alles natürlich noch sehr vorläufig. [Update 12.10.2023: ich habe zu diesem VfGH-Erkenntnis noch einen weiteren Beitrag geschrieben, der sich nur mit der darin angesprochenen institutionellen Garantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk befasst.]

Dass die ORF-Gremien in ihrer gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung schon einem "Staatsferne-Schnelltest" nicht genügen (würde man die vom deutschen Bundesverfassungsgericht angelegten Kriterien anwenden), habe ich vor bald zehn Jahren hier im Blog schon mal beschrieben, und das war nach meiner  Beobachtung auch weitgehend "hM" - herrschende Meinung - in den Kreisen jener (wenigen) Menschen, die sich in Österreich mit Rundfunkrecht näher befassen. Die Frage war eher: können die deutschen - aus Art. 5 des deutschen Grundgesetzes abgeleiteten - Kriterien auch auf Österreich übertragen werden, wo das Unabhängigkeitsgebot für den Rundfunk in Art. I Abs. 2 des Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks (BVG Rundfunk) eine besondere verfassungsrechtliche Ausgestaltung erfahren hat? Und eine weitere Frage war, ob und von wem/in welcher Form der VfGH damit allenfalls befasst würde.

Die zweite Frage beantwortete die burgenländische Landesregierung mit ihrem Normenkontrollantrag vom Juni vergangenen Jahres, der nun zum aktuellen Erkenntnis des VfGH geführt hat. Die - nicht triviale - Hürde der Zulässigkeit hat zumindest der zweite Eventualantrag der burgenländischen Landesregierung genommen, und so war der VfGH gestellt, sich mit den in diesem Antrag geäußerten Bedenken inhaltlich auseinanderzusetzen. Diese Bedenken fasst der VfGH in Rn. 14 des Erkenntnisses so zusammen: "dass die (Bestellung der) Kollegialorgane des ORF, der Stiftungs- und der Publikumsrat, nicht die verfassungsmäßig gebotene Unabhängigkeit (aufweist bzw.) aufweisen, sondern dem maßgeblichen Einfluss der (Mitglieder der) Bundes- bzw. Landesregierung(en) (unterliegt bzw.)  unterliegen."

Zum Prüfungsumfang:

Vorweg: die im Antrag geltend gemachten Bedenken grenzen auch den Prüfumfang des VfGH ab - der VfGH prüft also nicht amtswegig, ob die Bestimmungen allenfalls aus anderen Gründen verfassungswidrig wären (so hat die burgenländische Landesregierung etwa keine Bedenken zur direkten Bestellung der Publikumsratsmitglieder durch bestimmte Einrichtungen nach § 28 Abs. 3 ORF-G - zB Sozialpartner, Kirchen, Parteiakademien - vorgebracht, sodass diese Bestellungen nicht geprüft wurden).

Teil 1: Was steht im VfGH-Erkenntnis?

Allgemeines - Funktionsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Der VfGH stellt in Rn. 32 bis 46 im Wesentlichen die gegenwärtige gesetzliche Situation dar, was angesichts der eher unübersichtlichen Regelungen im ORF-G eine durchaus schätzenswerte Serviceleistung ist. Die beschreibende Darstellung hat freilich auch ihre Tücken: dass sich etwa der Publikumsrat "aus Vertretern wesentlicher gesellschaftlicher Bereiche bzw. Gruppen" zusammensetze (so in Rn. 42), ist eher die Umschreibung dessen, was die Norm wohl leisten sollte, klingt aber nach einer Beschreibung der Realität - die man durchaus anzweifeln könnte. Nach Darlegung der Bedenken der burgenländischen Landesregierung und der Gegenargumente der Bundesregierung macht der VfGH im Abschnitt 5 dann ein paar Eckpunkte fest: 

Der VfGH hält zunächst fest, dass den Gesetzgeber eine "Funktionsverantwortung" für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung trifft (und greift damit die im Erkenntnis zur  ORF-Finanzierung, VfGH 30.6.2022, G 226/2021, bereits angesprochene "Funktions- und Finanzierungsverantwortung" auf), die "umfassend die Freiheit des öffentlichen Diskurses im Wege des Rundfunks gewährleisten" soll. Im Rahmen dieser Funktionsverantwortung ist u.a. auch die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Besorgung von Rundfunk betraut sind, zu  gewährleisten. Bemerkenswert ist dabei eine implizit angesprochene Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: 

"In der so verfassungsrechtlich eingehegten Rundfunkordnung muss dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK funktionsadäquate Stellung zukommen. [...] Diese Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umfasst die Verpflichtung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass eine den Grundsätzen des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk entsprechende öffentlich-rechtliche  Rundfunkveranstaltung gewährleistet ist, ebenso wie – damit nach dem Konzept des BVG Rundfunk untrennbar zusammenhängend – die institutionelle Verpflichtung, diese Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren." [Rn. 62]

"Form und Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", so der VfGH weiter, "müssen also aufeinander abgestimmt den Anforderungen des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk Rechnung tragen". Für die Organe ist dabei das Unabhängigkeitsgebot des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk von besonderer Bedeutung. Die Unabhängigkeit der Leitungsorgane soll auch "gewährleisten, dass weder staatliche noch private Kräfte über Einflussnahme auf die Tätigkeit der Leitungsorgane die Tätigkeit der programmgestaltenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF für ihre Zwecke beeinflussen können", wobei dies insbesondere gegenüber jenen politischen Kräften von Bedeutung ist, die an der Bestellung der Gremien mitzuwirken haben. 

Hier macht der VfGH auch sehr deutlich, dass er grundsätzlich kein Problem darin sieht, dass oberste staatliche Organe an der Bestellung (zumindest) mitwirken, denn diese sind "in den demokratischen Institutionen entsprechend repräsentiert" bzw. erfolgt dies "aus Gründen der Repräsentation der Allgemeinheit". Allerdings tut sich hier ein - vom VfGH auch so bezeichnetes "Spannungsfeld" auf: 

"Ist aus Gründen der Repräsentation der Allgemeinheit und damit entsprechender demokratischer Legitimation die Bestellung der Mitglieder von Stiftungs- und Publikumsrat obersten staatlichen Organen anvertraut, muss die Unabhängigkeit der laufenden Tätigkeit der (kollegialen) Leitungsorgane des ORF gerade auch gegenüber den, deren Mitglieder bestellenden staatlichen Organen und den politischen Kräften, die sie repräsentieren, im Interesse der Allgemeinheit, in dessen Dienst der öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter und seine Tätigkeit steht, gewährleistet sein." [Rn. 64]

Mit anderen Worten: wenn schon (zB) die Bundesregierung Organe bzw. Organmitglieder bestellt, dann müssen diese gerade auch von der Bundesregierung unabhängig sein. (Und noch eine Anmerkung: die Formulierung "Ist ... die Bestellung ... obersten staatlichen Organen anvertraut" lässt das Verständnis zu, dass dies nicht zwingend so sein muss, es also denkbar wäre, diese Bestellung nicht obersten staatlichen Organen anzuvertrauen). 

Erstes Zwischenergebnis (nach der für mich überraschend grundsätzlichen Bestandsgarantie) daher: "Die gesetzlichen Regelungen über die Bestellung und Zusammensetzung seiner Organwalter müssen Gewähr dafür bieten, dass keinem staatlichen Organ bei der Bestellung der Mitglieder eines kollegialen Leitungsorgans des ORF ein einseitiger Einfluss auf die Zusammensetzung des Organs zukommt, der dessen Unabhängigkeit insgesamt gefährden kann." [Rn. 65; Hervorhebung hinzugefügt]. Das sagt noch nicht viel darüber aus, wann ein derartiger einseitiger Einfluss zukommen würde, der die Unabhängigkeit "insgesamt" (also nicht bloß punktuell) gefährden kann, und dazu wird der VfGH dann auch in weiterer Folge nicht mehr sehr konkret (was man ihm freilich nicht vorwerfen kann, weil er ja eine konkrete gesetzliche Situation - und nicht auch alle möglichen anderen Konstellationen - zu beurteilen hat).

Die Zusammensetzung der kollegialen Leitungsorgane muss daher "einem gewissen Pluralismusgebot" [Rn. 66] Rechnung tragen. Diese Gremien dürfen nicht einseitig durch faktisch oder rechtlich zu einer Gruppe verbundene Personen dominiert werden (hier folgt auch das Zitat des EGMR-Urteils Manole und der Ausführungen Grabenwarters zu Art. 5 GG im Dürig/Herzog/Scholz-Kommentar zum GG, die auch einen Anstoß zur Anfechtung gegeben haben dürften, wenn man der Legende folgt). 

Der VfGH sieht ein "rundfunkverfassungsrechtliche[s] Gebot einer pluralistischen Zusammensetzung der kollegialen Leitungsorgane" (zusätzlich zum ebenfalls rundfunkverfassungsrechtlichen Gebot der der Unabhängigkeit dieser Organe bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben) und nennt dazu zwei Anforderungen:

  • Kein zu weitgehender Einfluss eines staatlichen Organs auf die Bestellung: es ist sicherzustellen, dass keinem staatlichen Organ bei der Bestellung der Mitglieder der Leitungsorgane ein zu weitgehender Einfluss auf deren Zusammensetzung zukommt. 
  • Abkehr davon, dass Bestellungen durch das staatliche Organ in dessen Belieben stehen: zudem ist zu gewährleisten, dass die Bestellungsentscheidung des staatlichen Organs "soweit verfassungsrechtlich zulässig" (die interessante Frage: wie weit ist dies verfassungsrechtlich zulässig, bleibt hier offen) gesetzlich gebunden und nicht in das Belieben des staatlichen Organs gestellt wird (dies könnte nach Auffassung des VfGH durch Anforderungen an die Qualifikation der zu bestellenden Mitglieder oder durch Rückkoppelung an Vorschlagsrechte staatsferner Einrichtungen bewirkt werden).
Wie das konkret geregelt werden soll? Der VfGH gesteht dem Gesetzgeber dabei ausdrücklich einen Gestaltungsspielraum zu, verweist aber gleich auch auf zwei traditionelle Mechanismen [Rn. 68]: 

  • "Repräsentation wesentlicher gesellschaftlicher Bereiche bzw. Gruppen, die so das Spektrum der Nutzerinnen und Nutzer der Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abbildet"
  • "unterschiedliche fachliche Anforderungen an die Mitglieder in Bezug auf die Aufgaben des Kollegialorgans zur Sicherung einer aufgabenadäquaten Entscheidungsfindung."

Zum Stiftungsrat

Hier macht der VfGH gleich noch einmal klar, dass die Bestellung der Stiftungsratsmitglieder durch staatliche Organe an sich keinen Bedenken begegnet ("entscheidend ist die konkrete gesetzliche Ausgestaltung"), im Gegenteil:  

"Demokratisch legitimierte (oberste) staatliche Organe repräsentieren die im Staat zusammengeschlossene Gemeinschaft. Dass gerade sie die Organe des ORF bestellen, steht den rundfunkverfassungsrechtlichen Anforderungen der Pluralismussicherung und der Unabhängigkeit nicht nur nicht entgegen, sondern trägt auf Grund der demokratischen Legitimation dieser Organe mit zur Sicherstellung dieser Vorgaben bei." [Rn. 70]

Mit anderen Worten und etwas zugespitzt zur Verdeutlichung: dass die Bundesregierung und die Landesregierungen Stiftungsratsmitglieder bestellen, trägt zur Sicherstellung der Pluralismussicherung und Unabhängigkeit bei (oder noch anders gewendet: würde man diesen obersten staatlichen Organe n hier keine Ingerenz ermöglichen, müsste dies gegebenenfalls wohl durch andere Rückbindungsmechanismen an demokratisch legitimierte Organe - denkbar zB den Nationalrat oder, systematisch deutlich schwieriger, den Bundespräsidenten - aufgewogen werden). 
Etwas verloren und ohne weiteren unmittelbaren systematischen Zusammenhang findet sich in der Rn. 70 des Erkenntnisses dann auch noch der Satz, dass das Vorhandensein politischer Parteien und die Möglichkeit der Änderung der Mehrheitsverhältnisse Ausdruck des dem B-VG zugrundeliegenden demokratischen Prinzips sind.

Der VfGH differenziert beim Stiftungsrat danach, wer die Mitglieder bestellt bzw. vorschlägt. Er akzeptiert zunächst uneingeschränkt die Bestellung von 6 Mitgliedern des Stiftungsrates über Vorschlag der im Hauptausschuss des Nationalrats vertretenen Parteien (§ 20 Abs. 1 Z 1 ORF-G); dies steht "unter dem Gedanken demokratischer Repräsentation."

Als nächstes hält er fest, dass es grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, wenn der Gesetzgeber die "Repräsentation der Allgemeinheit" der Bundesregierung sowie obersten Organen der Länder zuweist (bei letzteren kommt laut VfGH "ein Aspekt föderaler Vielfalt in der Auswahl dieser neun Mitglieder des Stiftungsrates zum Ausdruck"). Auch die Bestellung von Stiftungsratsmitgliedern durch den Publikumsrat beanstandet der VfGH nicht grundsätzlich, denn er sieht darin einen "Ausdruck des Gedankens der Staatsferne" (weil der Publikumsrat ein nicht-staatliches Organ ist; außerdem verweist der VfGH hier auf die Rechtskontrolle, der der Publikumsrat - anders als Bundesregierung und Landesregierungen - bei der Bestellung der von ihm zu entsendenden Stiftungsratsmitglieder unterliegt). 

1. Zu viele von der Bundesregierung bestellte Stiftungsratsmitglieder
Bei den von der Bundesregierung zu bestellenden neun Mitgliedern des Stiftungsrats bemängelt der VfGH, dass für deren Auswahl keine Bindungen bestehen, die eine Vielfalt im Stiftungsrat bewirken sollen. zudem sind neun "eine relativ große Gruppe", und der Bundesregierung kommt damit "ein deutliches Übergewicht im Vergleich zu der, [...] für die Vielfalt innerhalb des Stiftungsrates besonders relevanten, Gruppe der vom Publikumsrat zu bestellenden Mitglieder des Stiftungsrates" zu. Damit erweist sich § 20 Abs. 1 Z 3 ORF-G auch schon als verfassungswidrig: einfach weil mehr Stiftungsratsmitglieder von der Bundesregierung bestellt werden als vom Publikumsrat. Während die Anzahl der auf Vorschlag der Parteien zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder "unter den spezifischen Vielfaltsaspekten" naheliegt (?) und die Anzahl der von den Ländern zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder vorgegeben ist (gemeint wohl: es müssen neun sein, weil es neun Länder gibt), ist ein Überhang der neun (weiteren) von der Bundesregierung zu bestellenden Mitgliedern gegenüber den vom Publikumsrat zu bestellenden Mitgliedern nach Auffassung des VfGH nicht zu rechtfertigen. Es müsse "zumindest gewährleistet sein, dass der Publikumsrat nicht weniger Mitglieder bestellt als die Bundesregierung gemäß § 20 Abs. 1 erster Satz Z 3 ORF-G."

2. Neubestellung bei Regierungswechsel beeinträchtigt (bei manchen) die Unabhängigkeit
Der zweite Aspekt, den der VfGH im Hinblick auf die Bestellung der Stiftungsratsmitglieder näher prüft, ist die Frage, inwieweit die Möglichkeit, die von der Bundesregierung und den Ländern bestellten Stiftungsratsmitglieder vorzeitig abzuberufen, wenn eine neue Regierung bestellt wurde, die gebotene Unabhängigkeit beeinträchtigt. Er beurteilt dies unterschiedlich für jene Stiftungsratsmitglieder, die zwar von der Bundesregierung, allerdings auf Vorschlag der Parteien, bestellt werden und jenen Mitgliedern, die von der Bundesregierung ohne Bindung an Vorschläge bestellt werden. Hinsichtlich der auf Vorschlag der Parteien zu bestellenden Mitglieder "wiegt der demokratische Vielfaltsaspekt, insbesondere auch im Hinblick auf die Sicherstellung, dass jede im Hauptausschuss des Nationalrates vertretene Partei durch mindestens ein Mitglied im Stiftungsrat vertreten sein soll, schwer und rechtfertigt diese Einschränkung der an sich feststehenden Funktionsperiode der so bestellten (kleineren) Zahl von Mitgliedern des Stiftungsrates."

Für die von der Bundesregierung zu bestellenden neun (weiteren) Stiftungsratsmitglieder, ebenso hinsichtlich der von den Ländern zu bestellenden neun Mitgliedern auch auch der vom Publikumsrat zu bestellenden Mitglieder sieht es der VfGH nun anders: bei diesen kommt es "nicht auf die Auswirkungen demokratischer Wahlen zu allgemeinen Vertretungskörpern an." Für diese Mitglieder müsse daher (?) "dem Aspekt der Sicherung der Unabhängigkeit ihrer Tätigkeit durch eine feststehende Funktionsdauer für die Mitglieder des Stiftungsrates vorrangige Bedeutung zukommen." Mit anderen Worten: die auf Vorschlag der Parteien von der Bundesregierung bestellten Mitglieder sollen weiterhin nach Neubestellung der Bundesregierung (der in der Regel eine Neuwahl des Nationalrats vorangeht) neu bestellt werden können, die weiteren von der Bundesregierung bestellten Mitglieder sollen ebenso wie die von den Ländern und vom Publikumsrat bestellten Mitglieder eine volle Funktionsperiode (von derzeit vier Jahren) ausdienen können, auch wenn zuvor eine neue Bundesregierung oder Landesregierung bestellt wird oder sich der Publikumsrat neu konstituiert. 

Bei den vom Zentralbetriebsrat bestellten 5 Mitgliedern des Stiftungsrates hat der VfGH (wegen der unmittelbaren Repräsentation der zu vertretenden Arbeitnehmerinteressen) keine Bedenken, dass diese bei Neukonstituierung neu bestellt werden.

3. Keine Kriterien für die von der Bundesregierung und vom Publikumsrat zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder
Der VfGH befasst sich dann auffallend ausführlich mit den persönlichen und fachlichen Anforderungen an die Stiftungsratsmitglieder (Rn. 90 bis 93), ohne daraus konkret etwas abzuleiten, um dann recht abrupt festzuhalten, dass Hinsichtlich der sechs vom Publikumsrat sowie der neun durch die Bundesregierung zu bestellenden Mitglieder "keine näheren gesetzlichen Vorgaben [bestehen], wie Pluralitätsaspekte im Zusammenhang mit den Qualifikationsanforderungen" zu beachten wären (Rn. 94). 

"Das Gesetz enthält damit keine Vorkehrungen dafür, dass die in § 20 Abs. 1 letzter Satz ORF-G zum Ausdruck kommende, Pluralismusaspekten Rechnung tragende Anforderung einer gewissen Vielfalt an persönlicher und fachlicher Qualifikation der Mitglieder des Stiftungsrates bei der Bestellung gesichert oder zumindest angestrebt wird. [...] Damit ist aber der Spielraum der Bundesregierung bei ihrer Entscheidung, welche – grundsätzlich persönlich und fachlich geeigneten – Personen sie gemäß § 20 Abs. 1 erster Satz Z 3 ORF-G als Mitglieder des Stiftungsrates bestellt, zu weit gezogen, weil der im Hinblick auf Art. I Abs. 2 BVG Rundfunk bedeutsame Pluralismusaspekt unterschiedlicher persönlicher und fachlicher Qualifikation leerlaufen kann. Derartige Bindungen sind aber gerade hinsichtlich der von der Bundesregierung aus eigenem, das heißt ohne weitere Bindung an Vorschläge, zu bestellenden Mitglieder besonders bedeutsam [...]."

Vergleichbares gilt laut VfGH auch für den Publikumsrat, und zwar im Wesentlichen deshalb, weil "obersten staatlichen Organen derzeit ein mit den rundfunkverfassungsrechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbarender Einfluss auf die Auswahl der Mitglieder des Publikumsrates zukommt", was "in Verbindung mit der auch für den Publikumsrat fehlenden weiteren gesetzlichen Determinierung seines Auswahlermessens" auf die verfassungsrechtliche Beurteilung (des § 20 Abs. 1 Z 4 ORF-G) durchschlägt.

An sich sieht der VfGH kein Problem damit, dass 20 Abs. 1 letzter Satz ORF-G verlangt, dass die Stiftungsratsmitglieder "über Kenntnisse des österreichischen und internationalen Medienmarktes verfügen oder sich auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit im Bereich der Wirtschaft,
Wissenschaft, Kunst oder Bildung hohes Ansehen erworben haben" müssen, aber es fehlt ihm "eine, die unterschiedlichen allgemeinen persönlichen und fachlichen Anforderungen effektuierende Berücksichtigungsverpflichtung bei der Bestellung der einzelnen Mitglieder gemäß § 20 Abs. 1 erster Satz Z 3 und 4 ORF-G". Das klingt ein wenig kompliziert (und ist es wohl auch); wenn ich einen Übersetzungsversuch wagen soll, würde ich sagen: das Gesetz müsste festlegen, dass die Bundesregierung und (vielleicht in geringerem Maße) der Publikumsrat bei der Auswahl der von ihnen jeweils zu bestellenden Mitglieder sicherzustellen haben, dass Pluralismusaspekten Rechnung getragen wird, etwa indem Personen mit vielfältigen, einander ergänzenden und für die Tätigkeit im Stiftungsrat maßgeblichen Qualifikationen bestellt werden. Denkbar sind freilich auch andere Pluralismusaspekte, etwa von Geschlechterparität bis zu einem Gebot der Berücksichtigung bestimmter fachlicher Repräsentationsbereiche. 

Zum Publikumsrat

Auch hier betont der VfGH zunächst, dass gegen das Modell gesellschaftlicher Repräsentation bei der Zusammensetzung des Publikumsrates rundfunkverfassungsrechtlich angesichts der gesetzlichen Aufgaben des Publikumsrates grundsätzlich keine Bedenken bestehen. Er hält es auch "(weiterhin) für verfassungsrechtlich zulässig, dass der Gesetzgeber die Frage, welche Einrichtungen bzw. Organisationen für bestimmte, gesetzlich umschriebene Bereiche bzw. Gruppen repräsentativ sind, für die Zwecke der Bestellung der Mitglieder des Publikumsrates der Beurteilung durch das zuständige oberste Verwaltungsorgan des Bundes überlässt, solange gesetzlich Transparenz und eine Ausrichtung des Bestellungsverfahrens an seinen Zielsetzungen gewährleistet sind." (Rn. 106, Hervorhebung hinzugefügt)

1. Keine Kriterien für die Auswahl durch die Medienministerin
Die konkrete derzeitige Ausgestaltung trägt dem allerdings nicht ausreichend Rechnung. Der Bundeskanzler (bzw. aktuell die Medienministerin) kann nämlich derzeit im Ergebnis "nicht nur zwischen unterschiedlichen Dreier-Vorschlägen je gesellschaftlich relevantem Bereich bzw. je gesellschaftlich relevanter Gruppe, sondern auch für drei Mitglieder frei aus allen eingelangten Vorschlägen auswählen" und die Repräsentativität unterlaufen kann. "Eine gesetzliche Regelung zur Bestellung der Mitglieder des Publikumsrates, die solches ermöglicht, verletzt die Vorgaben des Art. I Abs. 2 BVG Rundfunk im Hinblick auf die gebotene Pluralität und dadurch mitgesicherte Unabhängigkeit des Publikumsrates."

[Anmerkung: der VfGH beurteilt hier natürlich nur die gesetzliche Regelung, nicht auch die tatsächliche Vorgangsweise der Medienministerin. Selbst wenn die Medienministerin also gesetzmäßig vorgehen würde - was sie meines Erachtens zuletzt bei der Bestellung zumindest von zwei Publikumsratsmitgliedern nicht getan hat (siehe dazu ausführlich hier) - würde dies nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen.]

2. Überhang der von der Medienministerin zu bestellenden Mitglieder 
Der Gedanke, dass durch die von der Medienministerin aus einer Vielfalt gesellschaftlich relevanter Bereiche bzw. Gruppen zu bestellenden Mitglieder eine Flexibilisierung bewirkt werden kann, die "im Dienste einer auch aktuell adäquaten Abbildung gesellschaftlicher Gruppen und Bereiche steht", rechtfertigt nicht, "den unter erheblichem Auswahlspielraum von obersten staatlichen Organen bestellten Mitgliedern ein Übergewicht in der Zusammensetzung des Publikumsrates zukommen zu lassen." [Rn. 112] Der Gesetzgeber muss die Regelung "so austarieren, dass der unmittelbare Einfluss gesetzlich festgelegter repräsentativer Einrichtungen sich jedenfalls im selben Ausmaß in der Zusammensetzung des Publikumsrates niederschlägt wie der eines obersten staatlichen Organs, das (zwar in Bindung an verfassungsrechtliche Vorgaben, aber doch) mit einem Auswahlspielraum aus Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen bzw. Organisationen Mitglieder dieses Leitungsorgans bestellt."

Der VfGH macht also die Verfassungswidrigkeit der Regeln über die Bestellung der Publikumsratsmitglieder nicht nur daran fest, dass die Medienministerin derzeit frei auswählen kann, wen sie aus den Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen auswählt, sondern auch am Überhang der von ihr (aus Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen) auszuwählenden Mitglieder gegenüber jenen Mitgliedern, die aufgrund gesetzlich festgelegter Bestellungsrechte (wie sie in § 28 Abs. 3 ORF-G bestimmten Einrichtungen, etwa den Sozialpartnern, der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche oder der Akademie der Wissenshaften, eingeräumt sind) bestellt werden. 

Teil 2: Eine erste - sehr vorläufige - Einordnung 

Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Der VfGH hat mit diesem Erkenntnis einen weiteren Eckpunkt seiner rundfunkrechtlichen Rechtsprechung gesetzt und nach dem ORF-Finanzierungserkenntnis neuerlich die Funktionsverantwortung des Staates für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung betont. Er erkennt ausdrücklich eine aus dem BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK abgeleitete Verpflichtung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass eine den Grundsätzen des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk entsprechende öffentlich-rechtliche  Rundfunkveranstaltung gewährleistet ist und damit untrennbar zusammenhängend eine "institutionelle Verpflichtung, diese Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren" - das ist eine überraschend klare Ansage in Richtung einer verfassungsrechtlich abgesicherten Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die umso bemerkenswerter ist, als sie im konkreten Kontext zur Entscheidung der Rechtssache nicht zwingend erforderlich gewesen wäre.

Staatsferne light

Es fällt aber nicht nur auf, was das Erkenntnis sagt, sondern auch, was fehlt: der VfGH hat keinen Grundsatz der Staatsferne (oder der Regierungsferne) aufgestellt. Der Antrag der burgenländischen Landesregierung hat sich sehr ausführlich auf dieses Thema gesetzt, unter umfassender Zitierung der deutschen Rechtsprechung (und auch meines Blogs) - im Erkenntnis des VfGH wird dies nicht aufgegriffen: 23 mal kommt der Wortstamm "staatsfern" vor, davon allerdings 21 mal in der Darlegung des Antragsvorbringens und nur zweimal, eher kursorisch, in den eigenen Worten des VfGH. Einmal geht es um die Möglichkeit, Bestellungsentscheidungen staatlicher Organe an Vorschlagsrechte staatsferner Einrichtungen rückzukoppeln [Rn. 67] und einmal sieht der VfGH in der Bestellung von Mitgliedern des Stiftungsrates durch den Publikumsrat als nicht-staatliches Organ einen "Ausdruck des Gedankens der Staatsferne" [Rn. 74]. Beides ist bloß beschreibend, nicht normativ: Staatsferne verlangt der VfGH in seinem Erkenntnis nicht, er hängt - aufbauend auf dem Text des BVG Rundfunk - die Entscheidung ganz zentral am Begriff der Unabhängigkeit auf. 

Unabhängigkeit und Staatsferne sind nicht dasselbe. Der VfGH sieht zwar ein "Spannungsfeld" [Rn. 64], wenn die Unabhängigkeit gerade auch gegenüber jenen politischen Kräften zu wahren ist, die an der Bestellung der Gremienmitglieder mitzuwirken haben. Er geht allerdings davon aus, dass es möglich ist, die (auch maßgebliche) Mitwirkung oberster Organe des Staates an der Gremienbestellung vorzusehen und zugleich die Unabhängigkeit der so bestellten Gremien von den bestellenden Organen zu sichern. Wesentlich ist dem VfGH dabei - durchaus in Übernahme der Manole-Rechtsprechung des EGMR - dass die Gremien "nicht einseitig durch faktisch oder rechtlich zu einer Gruppe verbundene Personen dominiert werden" (worin man vielleicht einen kleinen Wink an die Freundeskreise sehen kann, die im Erkenntnis sonst nicht thematisiert werden). Er sieht aber die Möglichkeit, dies durch eher übersichtliche Änderungen im Bestellungsmodus sicherzustellen. 

Tatsächlich könnte man das Erkenntnis in einer Minimalvariante etwa so umsetzen: 
  • Anhebung der vom Publikumsrat bestellten Stiftungsratsmitglieder auf neun 
  • Absenkung der von der Medienministerin auszuwählenden Publikumsratsmitglieder auf 13
  • Festlegung von Auswahlkriterien für die von der Bundesregierung zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder (ergänzt: und - wenngleich etwas abgeschwächt (siehe "grundsätzlich" in Rn. 97) auch für die vom Publikumsrat zu bestellenden Stiftungsratsmitlgieder)
  • genauere Leitlinien für die von der Medienministerin vorzunehmende Auswahl von Publikumsratsmitgliedern
  • Fixierung der Funktionsperiode der von der Bundesregierung, den Ländern oder vom Publikumsrat zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder
Natürlich sind es heikle Fragen, welche Auswahlkriterien für die Bundesregierung festgelegt werden und wie die Auswahl von der Medienministerin zu bestellenden Publikumsratsmitglieder näher determiniert wird. Aber das sind keine unüberwindbaren Hindernisse, und es ist vor allem keine Systemumstellung, sondern bloß eine Weiterentwicklung / Anpassung erforderlich. Staatsferne verlangt der VfGH nicht, höchstens eine Art "Staatsferne light", indem die Dominanz der obersten staatlichen Organe bei der Bestellung der Gremienmitglieder etwas "eingehegt" wird (um mir ein vom VfGH in anderem Zusammenhang verwendetes Wort auszuborgen). 

Keine "Politikfreiheit"

Durchaus erwartungsgemäß hat der VfGH keine Bedenken hinsichtlich der grundsätzlichen Konstruktion, bei der etwa politische Parteien oder demokratisch legitimierte oberste staatliche Organe an der Bestellung von Gremiumsmitgliedern mitwirken. Ein vollständige "Entpolitisierung", bei der politischen Parteien und (politisch handelnden) obersten staatlichen Organen jeder Einfluss genommen würde, stand nie zur Debatte. Dass hier ein Spannungsfeld besteht, ist dem VfGH bewusst, und er betont in diesem Zusammenhang auch die Entstehungsgeschichte des BVG Rundfunk, die gerade auf dieses Spannungsfeld hinweist - aber ein Patentrezept, wie man diese Spannungen auflösen kann, hat der VfGH freilich genausowenig wie andere. 

Was im Erkenntnis nicht vorkommt 

Der VfGH ist (wie schon weiter oben erwähnt) an den Antrag und die darin geäußerten Bedenken gebunden - es ist daher kein Versäumnis, dass nicht alle irgendwie einschlägigen Fragen behandelt werden (nur als Beispiel etwa die Frage, ob die Berücksichtigung von Vertretern nur bestimmter Religionen verfassungskonform ist). Ebenso überrascht es nicht, dass Fragen des faktischen Verhaltens von Organmitgliedern oder bestellenden Organen nicht Thema eines Verfahrens sind, in dem es um die abstrakte Normenkontrolle geht - also ob bestimmte Bestimmungen verfassungswidrig sind. Ob die Medienministerin die gesetzlichen Vorgaben ignoriert, ist kein Maßstab für die Beurteilung dieser Vorgaben durch den VfGH. Auch ein allfälliges Fehlverhalten einzelner Stiftungsratsmitglieder (die sich vielleicht nicht so unabhängig verhalten, wie es gesetzlich geboten wäre) kann in der Regel nicht herangezogen werden, um die Verfassungswidrigkeit einer Norm, die sie missachtet haben, zu begründen. 

Gewisse Hinweise darauf, dass die "Freundeskreise" problematisch sind, gibt der VfGH aber in Rn. 66 ("faktisch oder rechtlich zu einer Gruppe verbundene Personen", die nicht dominieren dürfen) und in Rn. 80, wo gesondert darauf hingwiesen wird, dass die Verschwiegenheitsverpflichtung der Mitglieder des Stiftungsrates in § 19 Abs. 4 ORF-G "insbesondere auch gegenüber den sie bestellenden oder vorschlagenden Organen bzw. Einrichtungen" besteht (ein Aspekt, der den kolportierten Freundeskreistreffen im Beisein politischer Funktionäre oder Manager entgegensteht). Der VfGH ist keineswegs blind gegenüber diesen Themen, sie sind bloß nicht unmittelbar Gegenstand seines Verfahrens.

Wie wirkt sich das Erkenntnis auf die aktuelle Zusammensetzung oder die Tätigkeit des Stiftungsrats oder Publikumsrats aus? 

Gar nicht. Der VfGH hat - mit Wirkung ab 1.4.2025 - bestimmte Bestimmungen zur Bestellung der Gremiumsmitglieder aufgehoben, bis dahin bleiben sie in Kraft. Die Bestellungsakte, die auf der Basis des (noch bis 31.3.2025 geltenden) Bestimmungen erfolgten, sind durch die Aufhebung nicht weggefallen oder unwirksam geworden. Das betrifft freilich nur jene Bestellungsakte, die rechtskonform vorgenommen wurden, die Bestellung etwa der Professoren Markus Hengstschläger und Michael Meyer, die von der Medienministerin meines Erachtens rechtswidrig vorgenommen wurden (siehe dazu nochmals hier), werden auch durch das nun vorliegende Erkenntnis selbstverständlich nicht saniert. 

Was nun?

Der VfGH hat mehrere Bestimmungen zur Bestellung der Stiftungsrats- und Publikumsratsmitglieder mit Wirkung zum Ablauf des 31.3.2025 aufgehoben (die Aufhebung ist noch im BGBl kundzumachen). Die Reparatur des Gesetzes ist meines Erachtens nicht komplex - die Einschnitte sind zwar durchaus bedeutsam, aber nicht so umfassend, dass eine gesetzliche Neuregelung ein vollständiges Neudenken  der Rechtsgrundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erfordern würde. Natürlich könnte man das Erkenntnis auch zum Anlass nehmen, weitreichendere Reformen anzudenken, aber es würde mich sehr überraschen, wenn ein derartiges umfassendes Projekt entweder von der aktuellen Koalition in der noch verbleibenden Legislaturperiode oder von einer zukünftigen Regierung in der dann schon sehr knappen Zeit bis zum 31.3.2025 umgesetzt werden könnte. Also bleibt letztlich die Hoffnung, dass sich zumindest die oben schon skizzierte Minimalumsetzung bis zum Wirksamwerden der Aufhebung ausgehen wird. 

Wenn keine Neuregelung erfolgt, könnte die nach der kommenden Nationalratswahl neu zu bestellende Bundesregierung - wenn sie rasch bestellt wird und sich beeilt - nochmals "alle Neune" bestellen und ebenso der/die zukünftige Bundeskanzler:in (Medienminister:in) noch 17 Publikumsratsmitglieder auswählen - und diese würden dann (nach dem 31.3.2025) die gesamte Funktionsperiode im Amt bleiben, selbst wenn es vorher zu Neuwahlen und zur Neubestellung der Bundesregierung kommen sollte. 

Der VfGH hat am Ende seines Erkenntnisses ausdrücklich "auf die – für die im Hinblick auf Art. I Abs. 2 und 3 BVG Rundfunk notwendige Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalters ORF wesentlichen – Bestimmungen der § 20 Abs. 4 erster Satz und Abs. 5 ORF-G sowie § 29 Abs. 1 und Abs. 4 dritter Satz ORF-G" hingewiesen - das sind jene Bestimmungen, die für Stiftungsrat und Publikumsrat vorsehen, dass ihre Funktionsperiode jedenfalls bis zu dem Tag dauert, an dem der neu bestellte Stiftungsrat bzw. Publikumsrat zusammentritt. 

Der Hinweis wäre für die Entscheidung der Sache nicht erforderlich gewesen, und er wirkt ein wenig, als hätte der VfGH durchaus Zweifel, ob sich die (gegenwärtige oder zukünftige) Koalition rechtzeitig auf eine Neuregelung einigen wird. Auch ich habe durchaus Zweifel, aber ein - wahrscheinlich zu geringer - Anreiz für eine rechtzeitige Neuregelung noch in der aktuellen Legislaturperiode könnte sein, dass die dann noch vor der Wahl von der aktuellen Bundesregierung neu bestellten Organe von der nächsten Bundesregierung nicht gleich wieder abberufen werden könnten. 

Friday, September 29, 2023

EU-Sanktionen gegen russische Medien - Update

Wieder mal ein kurzes Update zu den EU-Sanktionen betreffend russische staatsnahe Medien: 

Die erstmals mit Verordnung (EU) 2022/350 des Rates bzw. Beschluss (GASP) 2022/351 des Rates, jeweils vom 1. März 2022, zunächst befristet verhängten restriktiven Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Inhalten bestimmter russischer staatlicher bzw, staatsnaher Medien wurden seither mehrfach verlängert und auf weitere Medieninhalte ausgeweitet. Ich habe im Blog die Entwicklung dieser Sanktionsinstrumente mehrfach dokumentiert und verweise dazu auf die bisherigen Beiträge: 

Mit der heute kundgemachten Durchführungsverordnung (EU) 2023/2081 des Rates vom 28.  September 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2023/1214 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren hat der Rat nun wie erwartet beschlossen, dass die in Artikel 2f der  Verordnung (EU) Nr. 833/2014 genannten restriktiven Maßnahmen ab dem 1. Oktober 2023 auf alle in Anhang IV der Verordnung (EU) 2023/1214 aufgeführten Organisationen Anwendung finden.

Update 18.5.2024: mit der gestern kundgemachten Verordnung (EU) 2024/1428 des Rates vom 17. Mai 2024 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren wurde beschlossen, vier weitere Medien (Voice of Europe, RIA Novosti, Izvestija, Rossiiskaja Gazeta) in Anhang XV der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 aufzunehmen, und zwar ab 25. Juni 2024, "sofern der Rat dies nach Prüfung der jeweiligen Fälle dieser Organisationen im Wege eines Durchführungsrechtsakts beschließt." Es ist anzunehmen, dass das nur ein formaler Akt sein wird (Update: am 24.06.2024 wurde die Durchführungsverordnung (EU) 2024/1776 des Rates, ABl. L, 2024/1776 vom 24.6.2024, kundgemacht), und dass daher ab 25. Juni 2024 (vorerst befristet bis zum 31. Juli 2024) Inhalte folgender "juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen" von den Sanktionen erfasst sind: 

  • RT — Russia Today English
  • RT — Russia Today UK
  • RT — Russia Today Germany
  • RT — Russia Today France
  • RT — Russia Today Spanish
  • Sputnik
  • Rossiya RTR / RTR Planeta
  • Rossiya 24 / Russia 24
  • TV Centre International
  • NTV/NTV Mir 
  • Rossiya 1 
  • REN TV 
  • Pervyi Kanal
  • RT Arabic
  • Sputnik Arabic
  • RT Balkan
  • Oriental Review
  • Tsargrad
  • New Eastern Outlook
  • Katehon
  • Voice of Europe
  • RIA Novosti
  • Izvestija
  • Rossiiskaja Gazeta

Nur zur Klarstellung (Näheres vor allem in meinem ersten ausführlichen Beitrag dazu): mit den Sanktionen werden nicht einfach "nur" - wie das oft verstanden wurde - die betroffenen Sender "verboten" (Rundfunklizenzen oder -genehmigungen, Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen werden ausgesetzt), sondern es wird allen Wirtschaftsakteuren ("Betreibern") untersagt, Inhalte der betroffenen Medien "zu senden oder deren Sendung zu ermöglichen, zu erleichtern oder auf andere Weise dazu beizutragen"; das betrifft insbesondere auch ISPs, aber zB auch App-Stores und viele mehr. Außerdem ist es verboten, in  den betroffenen Inhalten für Produkte oder Dienstleistungen zu werben. 

Die gerichtliche Bekämpfung der Sanktionen durch RT France ist vor dem EuG gescheitert (Urteil des EuG vom 27.07.2022, T-125/22 RT France / Rat). Nach der Insolvenz hat RT France - wohl um der Streichung der Verfahren zuvor zu kommen - das gegen dieses Urteil erhobene Rechtsmittel ebenso wie mehrere gegen die jeweiligen "Verlängerungs"-Verordnungen eingebrachte Klagen zurückgenommen. Damit bleibt nur mehr die von niederländischen Internetprovidern erhobene Nichtigkeitsklage T-307/22 A2B Connect ua beim EuG anhängig. Ein Verhandlungstermin wurde vom EuG noch nicht bekannt gegeben. 

Update 10.06.2024: Nun gibt es einen Termin für die Verhandlung vor dem EuG: 10. Juli 2024. Die Verhandlung findet vor der ersten erweiterten (d.h. mit fünf Richter:innen besetzten) Kammer statt. Das deutet darauf hin, dass die Klage wohl eher nicht als von vornherein unzulässig angesehen wird. [Ergänzung 22.07.2024: Einen Bericht zur Verhandlung findet man hier]

Update 23.06.2024: Die Kommission hat eine konsolidierte Fassung der FAQs zu den Sanktionen (letztes Update 14.05.2024) veröffentlicht, in der auch Fragen zu den Mediensanktionen beantwortet werden.

Thursday, July 13, 2023

Vom Amtsblatt zum TikTok-Kanal - Anmerkungen zur Einstellung der Wiener Zeitung

Am 30. Juni 2023 ist die letzte Printausgabe der Wiener Zeitung (als Tageszeitung) erschienen. Die Einstellung dieser Tageszeitung war eine direkte Folge der schon im Regierungsprogramm 2020 getroffenen politischen Entscheidung, die Pflichtveröffentlichungen im gedruckten Amtsblatt zur Wiener Zeitung abzuschaffen. Die mit dem WZEVI-Gesetz beschlossene Weiterführung der Wiener Zeitung als eher rudimentäres Online-Medium ist beihilfenrechtlich bedenklich und wirft Fragen zur gebotenen Staatsferne der Medien auf. Sie hat zudem die Anmutung einer Übergangslösung, bis die Wiener Zeitung GmbH schließlich wohl nur mehr als In-House-Dienstleister des Bundes für diverse Veröffentlichungsaufgaben, für die "Contentproduktion" und für einzelne Förderungs- und Ausbildungsagenden tätig sein wird. 

In diesem Blog-Beitrag versuche ich, ein wenig den rechtlichen Nebel um das Ende der Wiener Zeitung zu lichten. Es geht um folgende Fragen: 

  1. Musste die Tageszeitung sterben? (Spoiler: nein)
  2. War die Quersubventionierung der Tageszeitung aus Amtsblatterlösen erlaubt? (Spoiler: ja, aber ich hatte Zweifel)
  3. Hätte man die Tageszeitung einfach aus dem Budget (statt aus Amtsblatt-Erlösen) weiterfinanzieren können? (Spoiler: nein)
  4. Durfte die Tageszeitung eingestellt werden werden? (Spoiler: ja)
  5. Kann die Republik einfach so ein Online-Medium aus dem Budget finanzieren (Spoiler: eher nicht)
  6. Heißt es nun "WZ" oder "Wiener Zeitung"? (Spoiler: es muss "Wiener Zeitung" heißen)
  7. Und zuletzt: darf der Staat selbst Medien machen? (Spoiler: in Deutschland nicht, in Österreich haben wir die Frage bisher nicht beantwortet).

1. Die Entscheidung über das Ende der Wiener Zeitung als Tageszeitung

Die politische Entscheidung, die Wiener Zeitung als Tageszeitung einzustellen, wurde bereits 2020 im Regierungsprogramm 2020-2024 getroffen, auch wenn es dort noch nicht so explizit ausformuliert wurde. Die Koalitionspartner einigten sich damals (im Kapitel "Standort, Entbürokratisierung und Modernisierung") darauf, die "Veröffentlichungspflicht in Papierform in der Wiener Zeitung" abzuschaffen. Damit war klar, dass das bisher bestehende Geschäftsmodell der Wiener Zeitung - Querfinanzierung der Tageszeitung aus den Erlösen der entgeltlichen Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt zur Wiener Zeitung - keinen Bestand mehr haben konnte. 

Im Kapitel "Medien" des Regierungsprogramms wurde dies auch erkannt und aufgegriffen. Dort heißt es: "Neues Geschäftsmodell der Wiener Zeitung mit dem Ziel des Erhalts der Marke –  Serviceplattformen des Bundes bündeln". Auch das ist eine klare Aussage: Ziel war gerade nicht der Erhalt der Wiener Zeitung als Tageszeitung, sondern bloß der Erhalt der Marke, und es war auch nicht daran gedacht, die Markenrechte aus der Hand zu geben und/oder die Wiener Zeitung GmbH zu privatisieren bzw. die Tageszeitung als Teilbetrieb zu verkaufen. 

Das Ende der Wiener Zeitung als Tageszeitung ist die direkte Folge der politisch gewünschten Abschaffung der Veröffentlichungspflichten im Amtsblatt zur Wiener Zeitung, sozusagen der Kollateralschaden der damit angestrebten Entlastung der veröffentlichungspflichtigen Unternehmen bzw. der Modernisierung durch Umstellung auf eine ausschließlich elektronische Kundmachung der bisherigen Pflichtveröffentlichungen. 

Rechtlich zwingend war die Abschaffung der Veröffentlichungspflicht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung nicht. Zwar gab es einen unionsrechtlichen Anstoß für die Modernisierung des Kundmachungswesens im Gesellschaftsrecht, nämlich die Richtlinie (EU) 2019/1151 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht. Diese verlangt allerdings explizit nicht, dass mitgliedstaatliche Vorschriften über eine (zusätzliche) Kundmachung in einem nationalen Amtsblatt beseitigt werden müssen. Art. 16 Abs. 3 der (durch die RL (EU) 2019/1151 geänderten) RL (EU) 2017/1132 sieht ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten verlangen können, "dass einige oder alle dieser Urkunden und Informationen in einem dafür bestimmten Amtsblatt oder in anderer ebenso wirksamer Form veröffentlicht werden." Auch Erwägungsgrund 26 der RL (EU) 2019/1151 stellt klar, dass diese Richtlinie die nationalen Vorschriften über die Rolle des nationalen Amtsblatts nicht berühren sollte. 

Österreich hätte die Pflichtveröffentlichungen im gedruckten Amtsblatt aus unionsrechtlicher Sicht also beibehalten können. Die Regierungskoalition hat sich aber - zur Entlastung der Unternehmen und zur Modernisierung des Kundmachungswesens - dafür entschieden, die Richtlinie als Anlass zu nehmen, diese Pflichtveröffentlichungen abzuschaffen.

2. Die Quersubventionierung aus Amtsblatt-Erlösen als (alte) Beihilfe

Die Wiener Zeitung hatte wenige Abonnent*innen bzw. Käufer*innen. Da sie sich nicht an der Österreichischen Auflagenkontrolle (ÖAK) beteiligte, bestehen keine gesicherten Informationen zur tatsächlich verkauften Auflage, zuletzt wurde der Presse aus dem Bundeskanzleramt eine verkaufte Auflage von  im Schnitt 8.000 bis 8.500 Exemplaren genannt, die Redaktion selbst nannte eine Auflage - also wohl gemeint: Druckauflage, nicht verkaufte Auflage - von unter der Woche 14.250 Exemplaren, am Wochenende knapp 39.000 Exemplaren. Der Verkaufspreis der Wiener Zeitung war im Vergleich zu anderen Tageszeitungen niedrig (zuletzt 1 €), und die Einnahmen aus Werbung hielten sich in engen Grenzen (auch dazu fehlen gesicherte Zahlen, aber nach den Erläuterungen zum WZEVI-Gesetz betrug der Anteil der Erlöse aus gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichungen im Amtsblatt rund 85 % der gesamten Umsatzerlöse der Wiener Zeitung GmbH, sodass Vertriebs- und Werbeerlöse insgesamt nicht mehr als 15 % der gesamten Umsatzerlöse ausmachten).

Die Wiener Zeitung in der bekannten Form als gedruckte Tageszeitung hätte damit ohne Quersubventionierung nicht wirtschaftlich überleben können. Diese Quersubventionierung erfolgte aus den Erlösen der Veröffentlichungen im Amtsblatt, also ganz überwiegend aus nicht freiwillig geleisteten Zahlungen jener Unternehmen oder Einrichtungen, die gesetzlich dazu verpflichtet waren, bestimmte Informationen im Amtsblatt kostenpflichtig zu veröffentlichen. Damit sorgte - etwas vereinfacht dargestellt - der Staat dafür, dass (vor allem) veröffentlichungspflichtige Unternehmen letztlich zugunsten eines bestimmten Unternehmens, der Wiener Zeitung GmbH, Zahlungen leisteten, um damit das Erscheinen einer Tageszeitung zu finanzieren, die in Konkurrenz zu anderen Tageszeitungen stand. Es war daher von einer Beihilfe im unionsrechtlichen Sinn (Art. 107 AEUV) auszugehen. 

Darauf stützte sich auch "Die Presse", als sie vor mehr als 15 Jahren gerichtlich gegen die Wiener Zeitung vorzugehen versuchte. Die UWG-Klage der Presse richtete sich sowohl gegen die Republik Österreich als auch gegen die Wiener Zeitung GmbH, und sie machte - erfolglos - verschiedene Rechtsverletzungen geltend, unter anderem auch einen Verstoß gegen das unionsrechtliche (damals: gemeinschaftsrechtliche) Beihilfenverbot. Der OGH handelte diesen Aspekt in seinem letztinstanzlichen Beschluss vom 10.06.2008, 4 Ob 41/08w, recht knapp ab: 

Die Herausgabe der „Wiener Zeitung" als Kombination von Tageszeitung und Verlautbarungsorgan mit Finanzierung aus Verkaufspreis und Veröffentlichungsentgelten erfolgte notorisch schon lange vor dem EG-Beitritt Österreichs. Eine Unzulässigerklärung durch die Kommission behauptet die Klägerin nicht. Somit scheidet aber eine Verletzung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenverbots als Grundlage der behaupteten Verletzung des Lauterkeitsrechts gleichfalls aus.

Dazu muss man wissen, dass die beim EU-Beitritt bereits bestehenden ("alten") staatlichen Beihilfen erst dann unzulässig sind, wenn sie nach Art. 108 Abs. 1 AEUV von der Kommission überprüft und untersagt wurden (allerdings gilt das - mit wenigen Ausnahmen - nur wenn sie vor dem Beitritt notifiziert wurden). 

Christoph Grabenwarter und ich haben uns mit dem beihilferechtlichen Aspekt im OGH-Beschluss in einem Beitrag für die Presse näher und eher kritisch auseinandergesetzt. Freilich musste der OGH  im Hinblick auf den Verfahrensgegenstand hier keine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Beihilfenrecht vornehmen, denn es ging im UWG-Verfahren nur darum, dass das Handeln der beklagten Wiener Zeitung GmbH durch eine vertretbare (also nicht zwingend auch richtige) Rechtsansicht gedeckt sein musste. Mit dem OGH-Beschluss war aber die Sache faktisch vom Tisch, und man kann davon ausgehen, dass die Quersubventionierung der Wiener Zeitung aus den Amtsblatt-Erlösen, wie sie bis 30. Juni 2023 bestand, unionsrechtlich als "alte", nicht untersagte Beihilfe anzusehen und damit zulässig war. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit dieser Frage ist nun jedenfalls angesichts des Endes dieses Systems müßig. 

Der OGH-Beschluss ist übrigens auch insofern lesenswert, als er durch die Wiedergabe der  wesentlichen erstgerichtlichen Feststellungen auch einen gewissen Einblick in die Dimensionen der Erlösströme in der Wiener Zeitung gibt: die Erlöse aus Abos und Einzelverkauf machten damals rund ein Zehntel der Amtsblatterlöse aus; die erzielte Reichweite der Wiener Zeitung wurde für 2005 mit 0,85 % festgestellt.

3. Budgetfinanzierte Weiterführung der Tageszeitung? 

Die Wiener Zeitung als gedruckte Tageszeitung war ohne Quersubventionierung nicht wirtschaftlich zu führen. Daher wurde in den Wochen vor der Einstellung der Tageszeitung häufig gefordert, dass - wenn schon die Amtsblatt-Erlöse wegfielen - eine Weiterführung mit Unterstützung aus Bundesmitteln erfolgen solle (oft auch in der Variante, dass dafür ein Teil des ORF-Beitrags verwendet werden solle, siehe etwa diesen - in der Minderheit gebliebenen - parlamentarischen Entschließungsantrag). 

Gerade im Hinblick auf die journalistischen Arbeitsplätze und die ohnehin schon enge Medienlandschaft Österreichs war dieser Wunsch zwar verständlich, rechtlich bestand dafür allerdings keine realistische Chance. Denn die Budgetfinanzierung (auch indirekt aus der Haushaltsabgabe für den ORF) wäre eine neue Beihilfe, die jedenfalls der Kommission zu notifizieren (gewesen) wäre, und die daher eine vertiefte Prüfung auf die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht hätte durchlaufen müssen. Prima facie sehe ich nicht, auf welche Ausnahmebestimmung zum allgemeinen Beihilfenverbot man sich diesbezüglich hätte stützen können, um die selektive Unterstützung einer bestimmten (gedruckten) Tageszeitung beihilfenrechtlich zu rechtfertigen. Da die Sache ohnehin vorbei ist, kann ich mir auch dazu eine vertiefte Darlegung sparen. Bislang habe ich jedenfalls nichts dazu gehört oder gelesen, wie man sich eine solche Budgetfinanzierung oder Beitrags-Finanzierung der Wiener Zeitung beihilfenrechtlich hätte vorstellen sollen.

[im Hinblick auf die weiter unten - Abschnitt 5. - folgende  Auseinandersetzung mit der Finanzierung der neuen Wiener Zeitung als Online-Medium ist nur anzumerken, dass der Finanzbedarf für die "klassische" gedruckte Wiener Zeitung die im sogenannten DAWI-Beschluss festgelegte Betragsgrenze von 15 Mio. Euro pro Jahr überschritten hätte, sodass eine Berufung auf diesen Beschluss schon aus diesem Grunde nicht möglich gewesen wäre.] 

Nur als Exkurs: Der Hinweis auf die Beitragsfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hilft hier auch nichts. Zum einen wird den Besonderheiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch im Protokoll von Amsterdam sowie in der Rundfunkmitteilung der Kommission Rechnung getragen, zum anderen aber wurde die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch den bisherigen gerätebezogenen Beitrag für Österreich durch die Beihilfenentscheidung der Kommission vom 28.10.2009, Staatliche Beihilfe E 2/2008 –Finanzierung des ORF, "abgesegnet"; hinsichtlich der Umstellung auf die "Haushaltsabgabe" gehe ich davon aus, dass diese Änderung der Finanzierung - im Lichte des EuGH-Urteils in der Rechtssache C-492/17 Rittinger - keine wesentliche Änderung ist.

4. Die Tageszeitung verkaufen und privat weiterführen?

In der Debatte wurde auch kritisiert, dass die Medienministerin andere Interessent*innen für eine Übernahme der Wiener Zeitung (und deren Fortführung als Tageszeitung) gar nicht getroffen habe und andere Konzepte privater Interessent*innen gar nicht geprüft worden seien. Hätte man einen solchen Verkauf durchführen können? Rechtlich ja, sei es als Privatisierung der Wiener Zeitung GmbH oder  durch Übertragung des Teilbetriebs Wiener Zeitung, beides natürlich nur unter Beachtung der auch dabei anzuwendenden beihilferechtlichen Rahmenbedingungen. 

Nun weiß ich zwar von einzelnen Interessensbekundungen, und ich will mir auch nicht anmaßen, die Ernsthaftigkeit dieser Interesssent*innen zu beurteilen. Ich kann aber verstehen, dass die politisch Verantwortlichen nicht recht daran glauben wollten, dass eine gedruckte Tageszeitung in vergleichbarer Qualität wie bisher hätte weitergeführt werden können, wenn plötzlich ein Großteil der bisherigen Erlöse (aus den Amtsblatt-Pflichtveröffentlichungen, wie gesagt waren das zuletzt 85% der Gesamterlöse) wegfällt. Angesichts der geringen Reichweite der Wiener Zeitung und des schwierigen Umfelds am Werbemarkt, aber auch am Lesermarkt für gedruckte Tageszeitungen allgemein hätte auch ich kaum Chancen für eine private Weiterführung (mit Übernahme eines großen Teils der bisherigen Redaktion) als gedruckte Tageszeitung gesehen. 

Das ist traurig für den österreichischen Medienmarkt, der sich ohnehin in bedenklicher Schieflage befindet und durch Förderungen und vor allem Inseratenvergaben der öffentlichen Hand eher verzerrt als gestärkt wird. Natürlich schmerzt aus medienpolitischer Sicht der Wegfall jeder Tageszeitung, die mit einer professionellen Redaktion tagesaktuelle Berichterstattung leistete, wie gering auch immer die Auflage war. Johannes Huber hat dazu in einem Kommentar in den Vorarlberger Nachrichten (hier auf Twitter) einen ganz wesentlichen Punkt angesprochen: "Wenn eine Information relevant ist, breitet sie sich auch ausgehend von einer kleinen Zeitung aus."  

Aber man muss der Realität ins Auge sehen: die Wiener Zeitung war ohne Quersubventionierung nicht lebensfähig, und eine Privatisierung hätte daran nichts geändert. 

Durfte die Wiener Zeitung als gedruckte Tageszeitung daher eingestellt werden? Rechtlich ist das klar mit "ja" zu beantworten, denn eine verfassungs- oder europarechtliche Verpflichtung zur Fortführung bestand und besteht nicht. Es ist eine (wirtschafts- und medien-)politische Entscheidung, die von der aktuellen Regierungskoalition im Regierungsprogramm paktiert und nun mit dem WZEVI-Gesetz umgesetzt wurde. Das mag man gut oder schlecht finden, aber welche Aufgaben der Bund als (Medien-)Unternehmer übernimmt und von welchen er sich trennt, steht eben (im allgemeinen verfassungs- und europarechtlichen Rahmen) im Belieben des Bundes (zu einer möglichen Einschränkung komme ich noch im Abschnitt 7. weiter unten, Stichwort: Staatsferne). 

5. Die Wiener Zeitung als Online-Medium und TikTok-Kanal

Die Wiener Zeitung wurde aber nicht einfach eingestellt und damit die publizistische Tätigkeit der Wiener Zeitung GmbH beendet, sondern das WZEVI-Gesetz überträgt der Wiener Zeitung GmbH - neben einer Reihe anderer Aufgaben - auch die "Herausgabe der Wiener Zeitung gemäß § 3". § 3 Abs. 1 WZEVI-Gesetz lautet:

Die Wiener Zeitung GmbH hat unter Bedachtnahme auf einen hohen journalistischen Qualitätsstandard und unter Beachtung eines Redaktionsstatuts sowie unter der Berücksichtigung der Ausrichtung als Aus- und Weiterbildungsmedium die „Wiener Zeitung“ als Online-Medium und nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel auch in Print herauszugeben.

Viel konkreter wird das Gesetz nicht, § 3 Abs. 2 WZEVI-Gesetz nennt gerade einmal vier recht allgemein formulierte Aufgaben, die "durch die Herausgabe der unabhängigen Wiener  Zeitung" wahrgenommen werden sollen: 

  1. Erstellung, Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen über zeitgeschichtliche und gegenwärtige Ereignisse unter besonderer Berücksichtigung von historischen, demokratiepolitischen, wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aspekten;
  2. Förderung des Verständnisses und des Interesses für und an politischen Sachverhalten, kulturellen, wissenschaftlichen sowie gesellschaftlichen Entwicklungen;
  3. Stärkung der politischen und kulturellen Bildung und des demokratiepolitischen Bewusstseins, insbesondere durch die Vermittlung von Wissen über politische Prozesse, Strukturen und Inhalte;
  4. Erstellung, Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen über wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Themen unter besonderer Berücksichtigung des Standorts Österreich und Themenstellungen der Europäischen Union in Bezug auf Österreich.

Nach § 10 Abs. 1 Z 2 WZEVI-Gesetz leistet der Bund für diese Aufgabe jährlich 7,5 Millionen Euro. 

Der damit erteilte Auftrag ist einigermaßen dünn und definiert weder, wie umfangreich das Angebot zu sein hat, was unter einem "Online-Medium" zu verstehen wäre, oder welche konkreten Kanäle bespielt werden sollten. Es ist weder vorgegeben noch ausdrücklich untersagt, unter "Online-Medium" auch einen Kanal auf TikTok oder YouTube zu verstehen, es ist weder die Rede von Text-, noch von Audio- oder Videoformaten. Völlig offen ist auch, ob das Online-Medium Einnahmen aus Werbung oder Nutzungsentgelten der User*innen erzielen soll, oder ob ein werbefreies und kostenloses Medienangebot geschaffen werden sollte. 

Das alles schafft Freiraum für die jeweiligen Vorlieben der Redaktion bzw. der Medieninhaberin (und deren Eigentümerin, die Republik Österreich, vertreten durch die Medienministerin). 

In § 3 Abs. 2 WZEVI-Gesetz kommt zwar der Begriff "unabhängig" vor, es gibt aber keine Weisungsfreistellung der Redaktion oder auch nur des Geschäftsführers der Wiener Zeitung GmbH, sodass rechtlich betrachtet die Medienministerin, wenn sie das denn wollte, direkt in redaktionelle Inhalte eingreifen könnte. Aufgrund der Ministerverantwortlichkeit müsste sie gegebenenfalls sogar eingreifen, wenn sie Wahrnehmungen dazu hätte, dass die Wiener Zeitung GmbH ihren Auftrag nach § 3 WZEVI-Gesetz nicht korrekt erfüllt (zu einem konkreten Anlassfall siehe im folgenden Abschnitt). Die unmittelbare Ingerenzmöglichkeit der Ministerin erspart übrigens auch die Überlegung, ob eine Weisungsfreistellung der Redaktion überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wäre.

Aber die Unschärfe des Auftrags und der damit einhergehende weite Spielraum der Wiener Zeitung GmbH ist auch ein rechtliches Problem. Denn wir erinnern uns: dass die Republik ein einzelnes Unternehmen einfach so mit 7,5 Mio. € pro Jahr "sponsert" und damit in den Wettbewerb eingreift, eröffnet den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Beihilfenrechts, jedenfalls wenn die Beihilfe geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (das liegt hier jedenfalls vor, denn ein Online-Medium wie die neue Wiener Zeitung steht natürlich in Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Nutzer anderer Online-Medien, die sich durch Werbung oder Beiträge ihrer Nutzer*innen finanzieren müssen, und auch wenn die Wiener Zeitung nicht selbst über die Grenzen Österreichs hinaus relevant sein dürfte, so bewegen sich auf dem österreichischen Markt doch auch Player, bei denen Gesellschafter*innen aus anderen Mitgliedstaaten beteiligt sind; siehe zur Abgrenzung die Entscheidung der Kommission im Beihilfenfall Jornal da Madeira). 

Auch die Erläuterungen zum WZEVI-Gesetz gehen dementsprechend davon aus, dass eine Beihilfe vorliegt. Sie nehmen darüber hinaus an, dass die Herausgabe des Online-Mediums "Wiener Zeitung" eine "DAWI" sei, also eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Die Beauftragung, so die Erläuterungen, erfolge "sohin gemäß Beschluss 2012/21//EU." 

Das ist mutig: denn selbst wenn man davon ausgeht, dass ein - nicht besonders konkret definiertes - Online-Medium eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sein kann, verlangt der Beschluss 2012/21/EU doch auch, dass der Betrauungsakt (hier also das WZEVI-Gesetz) unter anderem auch eine "Beschreibung des Ausgleichsmechanismus und Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung der Ausgleichsleistungen" ebenso enthalten muss wie "Maßnahmen zur Vermeidung und Rückforderung von Überkompensationszahlungen". Und natürlich darf die Höhe der Ausgleichsleistungen "unter Berücksichtigung eines angemessenen Gewinns nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die durch die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen verursachten Nettokosten abzudecken."  

All dies ist im WZEVI-Gesetz nicht vorgesehen. Meines Erachtens liegt damit kein Betrauungsakt vor, der die im Beschluss 2012/21/EU festgelegten Voraussetzungen erfüllt, um als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen zu werden und von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV befreit zu sein.

Unabhängig davon, ob mir persönlich die TikToks, YouTube-Shorts, Podcasts, Videos oder Textbeiträge der neuen Wiener Zeitung gefallen, ob ich die Umstellung auf eine neue Zielgruppe für richtig oder falsch halte: hier wurde ein neues, staatlich finanziertes Online-Medium geschaffen, dessen Auftrag nur unzureichend gesetzlich definiert ist und für das eine fixe jährliche Kompensation im Gesetz festgeschrieben ist, ohne dass ein Mechanismus festgelegt wurde, wie die Nettokosten berechnet und eine etwaige Überkompensation ausgeschlossen wird. Damit liegt meines Erachtens eine unzulässige Beihilfenfinanzierung vor. Das neue "Online-Medium" wird also - allenfalls nach Beschwerden anderer Marktteilnehmer*innen - wohl demnächst wieder Geschichte sein. 

"Demnächst" ist dabei dehnbar, denn Beihilfenverfahren vor der Kommission dauern lange, und die Republik kann auch noch nachbessern, den Auftrag schärfen und das Gesetz entsprechend novellieren, sodass durchaus noch ein paar Jahres ins Land ziehen können. Meine Vermutung ist aber ohnehin, dass das Online-Medium nur eine Übergangslösung ist, die für eine gewisse Beruhigung sorgen sollte, dass die "Wiener Zeitung" nicht gleich ganz verschwindet. 

Mittelfristig aber passt ein "unabhängiges" Online-Medium auch gar nicht besonders gut in den Bauchladen der Wiener Zeitung GmbH, die de facto eher die In-House-Content- und Publishing-Agentur der Regierung sein soll und will. "Firmenzeitschriften" wie "Die Republik", Texte für Websites, Newsletter und ähnliche "owned media" des Bundes - dafür wird sich die Wiener Zeitung GmbH anbieten. Ein tatsächlich unabhängiges Medium passt da eher nicht dazu. 

6. Heißt das noch Wiener Zeitung? Ja und nicht nein.

Einer der ersten Beiträge auf der neuen Website der Wiener Zeitung trug den Titel "Qualitätsjournalismus geht auch ohne Papier" und wollte einige Fragen anlässlich des Übergangs zum Online-Medium beantworten, darunter auch folgende:

Heißt ihr noch Wiener Zeitung?

Ja und nein. Wir bleiben Teil der Mediengruppe Wiener Zeitung, aber wir nennen uns ab jetzt WZ. Warum? Weil wir einen öffentlich-rechtlichen Auftrag haben, für alle Menschen in Österreich Journalismus zu machen. Als Kennzeichen des Neustarts lassen wir daher den Namen mit dem Wien-Fokus ein Stück weit hinter uns.

"Wir nennen uns ab jetzt WZ." ist einfach gesetzwidrig. Das WZEVI-Gesetz verlangt die Herausgabe der "Wiener Zeitung" als Online-Medium. Wie die Redaktion oder die Eigentümerin das Ding nennen will, ist dabei vollkommen unerheblich. Als "Kennzeichen des Neustarts" den gesetzlich vorgesehenen Namen einfach "ein Stück weit" hinter sich zu lassen, bloß weil man es so will, geht nicht. Ich gehe davon aus, dass die Medienministerin in ihrer Rolle als Eigentümervertreterin den Geschäftsführer der Wiener Zeitung GmbH daran erinnern wird, dass die "Wiener Zeitung" - und nicht eine "WZ" - als Online-Medium herauszugeben ist. Wenn die Medienministerin das Wort "Wien" in "Wiener Zeitung" auch so stört, könnte sie alternativ auch einen Gesetzesvorschlag vorbereiten, um den gesetzlich festgelegten Namen zu ändern. 

7. Darf der Staat selbst Medien herausgeben?

Das ist eine Frage, die in der ganzen Wiener Zeitung-Debatte in Österreich interessanterweise gar nicht gestellt wurde. Die Herausgabe einer Tageszeitung durch die Republik wurde in der Vergangenheit lauterkeitsrechtlich, wettbewerbsrechtlich oder beihilfenrechtlich diskutiert, aber ob es überhaupt verfassungskonform ist, als Republik eine Tageszeitung (oder nun: ein redaktionelles Online-Medium) herauszugeben, dieser Frage wurde hier noch kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Anders in Deutschland: dort wird aus der in Art. 5 Abs. 1 zweiter Satz des Grundgesetzes ("Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.") das Gebot der Staatsferne der Presse abgeleitet. In Deutschland darf der Staat daher zwar Öffentlichkeitsarbeit betreiben, diese muss aber klar als solche erkenntlich sein und darf nur den Aufgabenbereich des jeweiligen Organs betreffen. Der Bundesgerichtshof hat das zB im Fall "Stadtblatt Crailsheim" wie folgt zusammengefasst:  

„Die Bestimmung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fordert zur Sicherung der Meinungsvielfalt die Staatsferne der Presse. Dieser Grundsatz schließt es aus, dass der Staat unmittelbar oder mittelbar Presseunternehmen beherrscht, die nicht lediglich Informationspflichten öffentlicher Stellen erfüllen. Der Staat darf sich nur in engen Grenzen auf dem Gebiet der Presse betätigen. Das  verfassungsrechtliche Gebot, die Presse von staatlichen Einflüssen freizuhalten, bezieht sich nicht nur  auf manifeste Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßregelung der im Bereich der Presse tätigen Unternehmen, sondern weitergehend auch auf die Verhinderung aller mittelbaren und subtilen Einflussnahmen des Staates.“

Würde man diese Kriterien auch in Österreich anwenden, könnte (auch) die neue Wiener Zeitung das Kriterium der Staatsferne nicht erfüllen und die Herausgabe dieses Medium durch eine im hundertprozentigen Eigentum der Republik stehende Gesellschaft wäre daher ein unzulässiger Eingriff in die Pressefreiheit. 

Wie gesagt: das sind deutsche Maßstäbe, die in Österreich bislang - bei durchaus vergleichbarer Ausgangslage durch die grundrechtliche Gewährleistung der Pressefreiheit (in Österreich durch Art. 13 StGG und Art. 10 EMRK) - keinen Eingang in Literatur oder Judikatur gefunden haben. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, Überlegungen in diese Richtung auch in Österreich anzustellen.

8. Eine persönliche Anmerkung zum Schluss 

Ich war rund 40 Jahre lang Abonnent der Wiener Zeitung. Das Abo habe ich in meiner Studienzeit abgeschlossen, weil die Wiener Zeitung damals die einzige Möglichkeit war, authentisch, korrekt und vollständig über die wesentlichen Vorgänge in Parlament und Regierung informiert zu werden (diese Funktion haben inzwischen die Websites des Parlaments und teilweise - mit Abstrichen, was die Korrektheit betrifft - auch die Websites der Bundesministerien weitgehend übernommen). Andere Tageszeitungen waren ausgerichtet auf das aus ihrer jeweiligen Sicht gerade Wichtige, die Wiener Zeitung listete aber vollständig auf, welche Gesetzesbeschlüsse im Nationalrat getroffen wurden und welche Ergebnisse die Ministerratssitzungen gebracht hatten. Das hat es mir zunächst als Jus-Student und dann als Jurist ermöglicht, gewissermaßen das Wirken der res publica zu verfolgen. Ich habe das Abonnement später auch aufrechterhalten, als die Wiener Zeitung unter einem früheren Chefredakteur irregeleitete Ausflüge in den faktenbefreiten Meinungsjournalismus unternommen hat (siehe dazu in diesem Blog hier, hier, hier oder - zu einem besonders gravierende Fall - hier).

Aber Nostalgie kann keine Entscheidungsgrundlage für medienpolitische Weichenstellungen sein. Die Medienministerin (oder der ihr weisungsgebundene Geschäftsführer, was auf dasselbe hinausläuft) hat beschlossen, dass die neue Wiener Zeitung andere Zielgruppen ansprechen soll, zu denen ich nicht mehr (20- bis 30-Jährige) oder noch nicht (Menschen, die in Pension gehen) gehöre (wobei ich mich frage, was diese beiden Zielgruppen verbindet, "Menschen vor Veränderungen" scheint mir etwas wenig). Das kann ich bedauern, aber es ist schon ok - wenn die Republik Medien herausgeben darf, dann darf sie wohl auch bestimmen, an wen sie sich vorrangig richtet, solange sie nicht aktiv diskriminiert, etwa indem Altersbeschränkungen für den Zugang eingerichtet würden.

Natürlich trauere ich in gewisser Weise der Wiener Zeitung als Tageszeitung nach, sogar dem gedruckten Amtsblatt, das ich - sicher eine "déformation professionnelle" - oft noch vor dem Tageszeitungsteil aufgeschlagen habe. Ich habe im Amtsblatt - in einer früheren beruflichen Funktion - Verordnungen und Ausschreibungen veröffentlicht (veröffentlichen müssen), ich habe mich auf Funktionen beworben, die im Amtsblatt ausgeschrieben waren, und auch meine Betrauung mit Funktionen wurde dort gelegentlich mitgeteilt. Ich habe also Verständnis für nostalgische Gefühle angesichts des Endes der Wiener Zeitung als Tageszeitung. 

[Mehr Verständnis habe ich übrigens für den Ärger der Redaktion, die fast vollständig gekündigt wurde, nachdem in öffentlichen Statements der Medienministerin immer wieder von einer Weiterbeschäftigung der Redaktion bei der "neuen" Wiener Zeitung die Rede war (siehe zB hier"Auf den Personalstand der 'Wiener Zeitung'-Redaktion soll das keine Auswirkungen haben. 'Jeder Mitarbeiter bekommt die Möglichkeit, sich im neuen Geschäftsmodell zu beteiligen', so Raab.").]

Mein Ansatzpunkt für Kritik wäre denn auch nicht die konkrete Ausrichtung des neuen Online-Mediums oder die Entscheidung, die Wiener Zeitung als Print-Tageszeitung einzustellen. Meines Erachtens sollte diese Entscheidung aber zum Anlass genommen werden, sich ganz grundsätzlich der Frage zu stellen, ob wir es als mit der Pressefreiheit vereinbar ansehen, wenn öffentliche Einrichtungen nicht bloß über ihre jeweiligen Aufgaben und Tätigkeiten informieren, sondern durch Herausgabe von Medien aktiv in den Medienmarkt einsteigen. 

Meines Erachtens spräche viel dafür, ähnlich wie in Deutschland auch in Österreich ein Gebot der Staatsferne der Presse anzuerkennen. 

Dies könnte entweder - ähnlich wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ohne die dortigen Schwachstellen und faktischen Probleme zu übersehen) - durch institutionelle und finanzielle Garantien im Hinblick auf die "Wiener Zeitung" abgesichert werden, oder aber durch gänzliche Herausnahme der Republik aus derartigen Medienprojekten. 

Das Ende der Wiener Zeitung als Tageszeitung und die Neuaufstellung als republikseigenes Online-Medium - das ungeachtet jeder Beteuerung der Unabhängigkeit zwingend in direkter Weisungskette zur Medienministerin geführt werden muss - könnte der Anlass sein, die Rolle des Staates im Mediengeschäft grundsätzlich zu hinterfragen.

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PS: in diesem Beitrag ging es mir nur um die "Wiener Zeitung". Das soll nicht heißen, dass ich andere durch das WZEVI-Gesetz geregelte Bereiche - insbesondere den sogenannten "Media Hub" - als unproblematisch ansehen würde. 

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PPS (Update 19.09.2023): Ich habe am 21. Juli 2023 die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien unter Berufung auf das Auskunftspflichtgesetz um folgende Auskünfte ersucht:  

  • Wurde die Beihilfe zur Herausgabe der Wiener Zeitung (§ 3 WZEVI-Gesetz) der Europäischen Kommission notifiziert? Wenn ja, bitte um Information wann dies erfolgt ist und ob es dazu bereits eine Reaktion der Kommission gibt.
  • Bestehen neben dem WZEVI-Gesetz andere/weitere Betrauungsakte iSd Art. 4 des DAWI-Freistellungsbeschlusses im Hinblick auf die Herausgabe der Wiener Zeitung und gegebenenfalls, welchen Inhalt haben diese? Insbesondere ersuche ich um Mitteilung der Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung der Ausgleichsleistungen und der Maßnahmen zur Vermeidung und Rückforderung von Überkompensationszahlungen. 
  • Wurde die Beihilfe für die Einrichtung des „Media Hub Austria“ (§ 4 WZEVI-Gesetz) der Europäischen Kommission notifiziert? Wenn ja, bitte um Information wann dies erfolgt ist und ob es dazu bereits eine Reaktion der Kommission gibt.
  • Bestehen neben dem WZEVI-Gesetz andere/weitere Betrauungsakte iSd Art. 4 des DAWI-Freistellungsbeschlusses im Hinblick auf die Einrichtung des „Media Hub Austria“ und gegebenenfalls, welchen Inhalt haben diese?
  • Bestehen Förderungsrichtlinien für die vom „Media Hub Austria“ vorzunehmende Förderung nach § 4 Abs. 3 Z 2 WZEVI-Gesetz und wenn ja, welchen Inhalt haben diese?
Nach einer Urgenz habe ich gestern dazu folgende Auskunft erhalten: 

[Zu den ersten vier Punkten:] "Der im geltenden WZEVI-Gesetz gewählte Weg, der BKA-intern einer EU-beihilfenrechtliche Prüfung unterzogen wurde, wurde bereits im Entwurfsstadium der Europäischen Kommission zur Kenntnis gebracht und dort auf Beamtenebene besprochen. Aufgrund der Besprechungsergebnisse war davon auszugehen, dass die rechtliche Argumentation der Republik Österreich zur Anwendung des DAWI–Beschlusses eine vertretbare Rechtsauffassung darstellt und keine weitere Anmeldung bzw. Notifizierung des Gesetzesentwurfes erforderlich ist.

Der Betrauungsakt zum gegenständlichen DAWI erfolgte durch das WZEVI-Gesetz, das mit 1. Juli 2023 in Kraft getreten ist. Aufgrund dessen waren die dort vorgesehenen Tätigkeiten mit 1. Juli 2023 durch die Wiener Zeitung GmbH aufzunehmen. Ergänzende Detailregelungen sind einem DAWI-Vertrag zwischen der Republik Österreich – Bund und der Wiener Zeitung GmbH vorbehalten."

[Zum letzten Punkt:] "Die Wiener Zeitung GmbH legt Bedingungen für Förderungen nach § 4 Abs. 3 Z 2 WZEVI-Gesetz fest, die den Gegenstand der Förderung bzw. Mittelvergabe, persönliche und sachliche Voraussetzungen für die Gewährung der Mittel, Ausmaß und Art der Förderung, Verfahren und Vertragsmodalitäten betreffen und veröffentlicht diese."
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PPPS: (Update 07.03.2024): Ich habe am 9. Jänner 2024 das Bundeskanzleramt unter Bezugnahme auf die obenstehende Antwort auf mein erstes Auskunftsersuchen um Auskunft ersucht, "ob ein entsprechender DAWI-Vertrag zwischen der Republik Österreich – Bund und der Wiener Zeitung GmbH mittlerweile abgeschlossen wurde, und wenn ja, wann und mit welchem wesentlichen Inhalt (insbesondere betreffend Gegenstand und Dauer der zu erbringenden Leistungen und den Ausgleichsmechanismus und die Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung der Ausgleichsleistungen)." Nunmehr habe ich folgende Antwort bekommen (am 7.3.2024, datiert mit 1.3.2024):
"bezugnehmend auf Ihr Auskunftsersuchen vom 9.1.2024, „ob ein entsprechender DAWI-Vertrag zwischen der Republik Österreich – Bund und der Wiener Zeitung GmbH mittlerweile abgeschlossen wurde“, teilt das Bundeskanzleramt mit, dass dieser DAWI-Vertrag nach wie vor in Abstimmung ist und zum jetzigen Zeitpunkt daher noch keine Auskunft über den finalen Inhalt gegeben werden kann."