Saturday, December 16, 2006

Art 10 EMRK: jeder Schuss ein Treffer?

"Ing. Gaston G*****", "geschäftsführender Gesellschafter der G***** GmbH, die Faustfeuerwaffen herstellt" (so anonymisiert ihn der Oberste Gerichtshof) bzw. "Mr. G", "business magnate" und "managing director of a well-known enterprise producing pistols" (so anonymisiert der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte) wollte in News nicht abgebildet werden - schon gar nicht im Zusammenhang mit der Berichterstattung über eine ihm vorgeworfene Steuerhinterziehung. Vor den österreichischen Gerichten war er erfolgreich und erreichte eine einstweilige Verfügung (OGH 10.7.2001, 4 Ob 162/01d) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte nun jedoch fest (Application no. 10520/02), dass die Gründe für das Foto-Verbot zwar relevant, aber nicht ausreichend waren. Diesmal (anders als zB hier, hier und hier) war es eher ein Grenzfall, zumal an den Vorwürfen offenbar nichts dran war (oder, wie der österreichische ad hoc-Richter Kurt Herndl in seiner dissenting opinion schreibt: "the whole issue was in fact a non-issue").
Sicherheitshalber habe ich allerdings das obige Foto (das abgebildete Schild fand ich an einem Gartentor in Wien 19!) auch entsprechend anonymisiert!

"It is not to be expected that ... these spiritually depraved political upstarts ...

and their various beer-tent entertainers ... will have the slightest awareness of how embarrasing, dastardly and frequently absurd they are."

Wortschatz-Übungen mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: zuerst dachte ich beim Lesen des jüngsten Art 10-Urteils (Verlagsgruppe News v. Austria, Application no. 76918/01) an einen Tippfehler (sollte es nicht "bastardly" heißen?), doch nein, das Wort "dastardly" gibt es tatsächlich, es heißt (laut LEO) feig, gemein, heimtückisch, hinterhältig, niederträchtig - wieder etwas gelernt!

Die Story hinter dem Urteil, knapp gefasst: Juni 2000, André Heller schreibt einen offenen Brief (der zitierte Text stammt aus diesem Brief, im Original steht das Wort "niederträchtig"); man kann sich ungefähr denken, welche Personen er mit solchen Worten bezeichnet (die Namen stehen im EGMR-Urteil). Im September veröffentlicht News dann einen Bericht über den Prozess, den die genannten Personen gegen André Heller in dieser Sache führen. Das Wort "niederträchtig" steht dabei fett, der Artikel ist mit einem Bild illustriert, das drei der von Heller genannten Personen zeigt. Einer von ihnen klagt News, das Gericht erkennt auf Einziehung der Zeitschrift gemäß § 33 Abs 2 Mediengesetz. Das OLG Wien war im Wesentlichen der Ansicht, durch die Gestaltung des Artikels sei den Lesern vermittelt worden, dass der Kläger tatsächlich niederträchtig sei.

Der EGMR ist dieser Argumentation nicht gefolgt. Zwar könnten die zitierten Aussagen als polemisch angesehen werden, News hat sie aber nicht selbst getätigt, sondern nur darüber berichtet; im Übrigen seien diese Aussagen durch eine Veröffentlichung in der Zeitung Kurier schon zuvor weit verbreitet worden. Das Verfahren der Politiker gegen André Heller, über das in News berichtet wurde, sei ein Gegenstand öffentlichen Interesses. "Particularly strong reasons", die unter diesen Umständen eine Bestrafung (auch die Einziehung ist als "punishment" anzusehen) von News geboten hätten, konnte der EGMR nicht finden.

Es war nicht die erste Artikel 10-Entscheidung des EGMR gegen Österreich in letzter Zeit (siehe hier und hier), und auch nicht die letzte (siehe hier).

...alles unter Kontrolle?

Dass die Bundesregierung dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erzählte, der ORF sei "under state control" (siehe hier), das ist auch in den Salzburger Nachrichten und im Standard aufgegriffen worden.
Besonders nett finde ich dazu ein Posting auf der Standard-Website, geschrieben von einem gewissen "Pepe Gonzales1":

Wenn jemand, der sich offensichtlich in den Rechtstexten und im Völkerrechtsbüro ganz gut auskennt, in der Sache nur eine prozessuale Einwendung sieht - und offenbar auf die gute Idee auch noch stolz ist -, dann muss man sich ja ernsthaft Sorgen machen. Hätte der EGMR den ORF als staatskontrolliertes Unternehmen beurteilt und die Beschwerde zurückgewiesen, so wäre das von "Pepe Gonzales1" und seinen Freunden wohl als Erfolg bewertet worden! Ein prozessualer Sieg wäre das gewesen, aber eine strategische Niederlage.

Thursday, December 07, 2006

Die Sicht der Regierung: Der ORF als Regierungsorganisation

Bemerkenswert: In einem soeben abgeschlossenen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (ORF v Austria, Application No. 35841/02) vertrat die österreichische Bundesregierung die Auffassung, der ORF sei keine Nicht-Regierungsorganisation (und daher nicht zur Beschwerde berechtigt):
"The Government asserted that the applicant [ORF] was, since 2001, a public law foundation without an owner. Nevertheless, it was under State control"
In der Zusammenfassung durch den EGMR liest sich das so:
"The Government's line of argument was that the ORF was a governmental rather than a non-governmental organisation."
Gegen die Argumentation der Bundesregierung legt der EGMR sodann dar, dass der ORF doch ausreichend unabhängig ist:
"In conclusion, the Court finds that the Austrian legislator has devised a framework which ensures the Austrian Broadcasting's editorial independence and its institutional autonomy. Consequently, the Austrian Broadcasting qualifies as a 'non-governmental organisation' within the meaning of Article 34 of the Convention and is therefore entitled to lodge an application."
Der Rest der Enscheidung ist sozusagen "Article 10 revisited":
Der Sache zugrunde liegt eine Verurteilung des ORF, weil er im Zusammenhang mit der Freilassung des Herrn G.K. ("known as the head of the Austrian neo-Nazi scene") aus der Haft für ein paar Sekunden auch ein Bild eines gewissen H-J. S. gezeigt hatte - dadurch sei § 78 Urheberrechtsgesetz verletzt worden.
Der EGMR wägt ab, und findet die österreichischen Gerichte hätten nicht genug abgewogen: "They [the domestic courts] did not take into account his [H-J. S's] notoriety and the political nature of the crime of which he had been convicted. Nor did they have regard to other important elements, namely that the facts mentioned in the news items were correct and complete and that the picture shown was related to the content of the report."

"In sum the Court finds that the reasons adduced by the domestic courts were not 'relevant and sufficient' to justify the interference. It follows that the interference was not 'necessary in a democratic society' within the meaning of Article 10 § 2 of the Convention."

Wednesday, December 06, 2006

Gesetzesprüfungsantrag zum TKG 2003

Wie die Oberösterreichischen Nachrichten schon vor zwei Wochen berichteten, haben Abgeordnete der Grünen und der SPÖ einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof gestellt: einzelne Bestimmungen des TKG 2003 im Zusammenhang mit der Bewilligung von Funkanlagen (Stichwort: "Handymasten"), die den AnrainerInnen keine Parteistellung einräumen, seien nach Ansicht der AntragstellerInnen verfassungswidrig.
Mittlerweile ist der Antrag auch im Internet zu finden.

Die Hauptanträge zielen darauf ab,
  • § 2 Abs 3 TKG 2003,
  • in § 73 Abs 1 den Ausdruck "und den nach den internationalen Vorschriften zu fordernden Voraussetzungen",
  • § 73 Abs 3 und
  • § 74 Abs 1 und 3 TKG 2003
als verfassungswidrig aus dem Rechtsbestand zu beseitigen.

Monday, December 04, 2006

Wrabetz II: friendly fire?

Je länger man mit jemandem zusammenarbeitet, desto eher nimmt man wohl auch rhetorische Gewohnheiten der/des Anderen an. Monika Lindner, Noch-Generaldirektorin des ORF, hat in einem Interview (derStandard.at, 22. Juni 2005) einmal den wunderbaren Satz geprägt
"Wir reden, aber das sind noch keine Kontakte."
Alexander Wrabetz, ihr Nachfolger, war seit 1998 kaufmännischer Direktor des ORF, die letzten fünf Jahre davon unter Monika Lindner. Das kann schon abfärben: Ebenfalls auf derStandard.at (11. November 2006) wird Wrabetz mit folgenden Worten zitiert:
"Es gibt wahrscheinlich genug Leute, die mich umbringen wollen, aber das sind ja keine Feinde."

Wrabetz I: Kritik an Zeitungen und Regierung

Dass die Schreibweise einer Reihe von Blättern hier in Österreich - und speziell in Wien - jedem Gebildeten Widerwillen, Abscheu und Ekel einflößt - das ist doch eine recht heftige Medienkritik von Herrn Wrabetz.
Wer sich über diese ungewöhnlich deutlichen Worte wundert, sei allerdings darauf hingewiesen, dass sie nicht vom designierten ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, sondern vom Abgeordneten Karl Wrabetz - "Photograph und Handelskammerrath in Wien" - stammen. Ausgesprochen wurden sie vor 118 Jahren im Abgeordnetenhaus in Wien; das Protokoll (X. Session, 283. Sitzung vom 18.12.1888, Seite 10369) vermerkt "Heiterkeit links":

Auch die Regierung wird in dieser Rede übrigens massiv kritisiert
"... so will ich nur in einigen Worten bemerken, dass die hohe Regierung auch in diesem Falle wieder gezeigt hat, dass ... sie sich um das Wesen und den Geist der Verfassungsgesetze so wenig als möglich kümmert."
Zur Sicherheit, um jegliches Missverständnis zu vermeiden, wiederhole ich: diese Kritik stammt aus dem Jahr 1888!

Telecom regulation: even experts can be lost

Die letzten Tage haben wieder einigen interessanten Lesestoff gebracht. Einige Beispiele:
  • Mitteilung der Europäischen Kommission über die Bekämpfung von Spam, Späh- und Schadsoftware, KOM(2006) 688 endgültig (allzu Konkretes sollte man sich nicht erwarten: "In Wahrnehmung ihrer Mittlerrolle ist die Kommission bestrebt, das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines stärkeren politischen Engagements im Kampf gegen diese Bedrohungen zu schärfen.")

  • "Comments letter" im Verfahren nach Artikel 7 der Rahmenrichtlinie betreffend die Mobilterminierungsentgelte im UK; die Europäische Kommission legt Wert darauf, dass die hohen Aufwendungen für die UMTS-Frequenzen nicht mit den historischen Werten angesetzt werden: "The value of 3G licences should be calculated at current value on a forward looking basis and not on the basis of spectrum values which approximate year 2000 levels."

  • ITU internet report 2006: digital life - eine 141jährige Organisation stellt sich zumindest publizistisch den Herausforderungen des Internet-Zeitalters: "embracing the opportunities for telecommunication development that arise from the growth of IP-based services." Das klingt zum Beispiel so: "Finally, regulators are moving away from old regulatory models, based on the allocation of scarce resources, and are confronting new challenges, borne of abundance, such as the need to ensure pricing transparency or protect consumer privacy."

  • Auch der World Information Society Report 2006 der ITU ist nun online verfügbar; im Ranking der ITU Mitgliedstaaten nach dem neu entwickelten "Digital Opportunity Index" liegt Österreich auf Platz 24. [Interessante Beispiele für "ICT Best Practices" enthält übrigens auch ein vor kurzem veröffentlichter Band der RTR-Schriftenreihe).

  • Die britische Regulierunsgbehörde Ofcom legte ein ambitioniertes Werk vor mit dem Titel: "Communications - The next decade". Dabei handelt es sich um einen (online verfügbaren) Sammelband mit Beiträgen überwiegend externer "leading experts" (wobei auch, aber nicht nur die üblichen Verdächtigen, etwa Martin Cave oder Isolde Goggin, vorkommen). Lesenswert etwa der Beitrag von Thomas W. Hazlett, der nicht ganz auf der Ofcom-Linie liegt, wenn er sich für exklusive Frequenznutzungsrechte (wenn auch verbunden mit umfassenden Rechten zum Frequenzhandel) ausspricht: "exclusive spectrum ownership facilitates efficiency." Und Eli M. Noam meint, dass Telekomregulierung viel komplizierter als die Regulierung anderer Sektoren ist: "This is not say that it is a 'better' regulation, just a more complicated one ... Even experts can be lost."
Am Beginn des Ofcom-Buchs steht - wenig überraschend - ein Vorwort von Viviane Reding, in dem sie auch die Frage anspricht, ob eine konvergente Regulierungsbehörde - wie es Ofcom ist - vom Gemeinschaftsrecht gefordert ist.
"Under existing European law, the scope of activity of national regulators is part of the institutional autonomy of Member States; it is not dealt with by Community policy. Moreover, regulation of infrastructure (i.e. the EU regulatory framework for e-communications networks and services) is separate from the regulation of broadcasting content (i.e. the TV Without Frontiers Directive) as they respond to different policy objectives. These frameworks will continue to remain separate in the near future, though the two sets of rules will have to be consistent as digitalisation and technological progress go on."
Zur europäischen Regulierungsbehörde klar geäußert hat sich der Ofcom-Chef Ed Richards: er braucht's nicht: "Effective regulation also requires national regulators" sagte er bei der Veranstaltung, in deren Rahmen das Buch präsentiert wurde.
Auch diese Position kommt nicht gerade überraschend, und sie hängt sicher nicht damit zusammen, dass der Job des Ofcom-Chefs ein durchaus einträglicher ist. Nach der jüngst veröffentlichten "Public Sector Rich List" verdiente der Vorgänger von Ed Richards, Stephen Carter, 440.000 Pfund im Jahr (das wären nach aktuellem Wechselkurs 650.000 Euro oder in altem Geld: 9,5 Mio Schilling). Neo-Chef Ed Richards hatte schon als Chief Operating Officer 308.930 Pfund (457.000 Euro) verdient, und er wird es sich wohl nicht verschlechtert haben. Im letzten Jahr haben nach dieser von der TaxPayers' Alliance veröffentlichten "Rich List" übrigens 10 Mitarbeiter der Ofcom mehr verdient als der britische Premier Tony Blair.