Tuesday, May 30, 2017

Kleines Service zwischendurch: Liste anhängiger Fälle zu Art. 10 EMRK / Vortragsmanuskripte

Letztes Jahr habe ich überlegt, dieses Blog - nach zehn "Betriebsjahren" - vielleicht ganz einzustellen, mich aber dann doch entschieden, es vorerst mal weiterlaufen zu lassen, wenn auch mit geringerer, noch unregelmäßigerer Frequenz (siehe meinen Beitrag dazu hier). Tatsächlich habe ich seither wenig hier geschrieben, und das wird sich auch so schnell nicht ändern. Als kleines Service zwischendurch habe ich mir daher gedacht, dass ich ein paar kleinere Texte zugänglich machen könnte, die ich in anderen Zusammenhängen verfasst habe.

1. Übersicht anhängiger EGMR-Fälle zu Art. 10 EMRK ("communicated cases")
Bei dieser Liste handelt es sich natürlich nicht um einen Text, denn man einmal so zwischendurch liest, sondern um eine von mir bisher intern als Arbeitsbehelf geführte Dokumentation über vor dem EGMR anhängige Fälle, in denen eine Verletzung des Art. 10 EMRK geltend gemacht wird.

Ich habe über die Jahre die "statements of facts" in solchen Verfahren gesichtet, die der EGMR an die betroffenen Staaten verschickt, wenn er sich - sehr vereinfacht ausgedrückt - einen Fall näher anzuschauen gedenkt. Nicht in jedem Fall gibt es solche statements, und nicht in jedem Fall, in dem ein statement verschickt wird, gibt es dann auch tatsächlich ein Urteil; oft werden Beschwerden auch nach dem statement of facts noch zurückgewiesen oder aus dem Register gestrichen (etwa weil es zu einer gütlichen Einigung gekommen ist). Aber insgesamt hat man damit doch einen recht guten Überblick, welche Art von Fällen derzeit den EGMR beschäftigen und zu welchen Themen es in absehbarer Zeit interessante Entscheidungen geben könnte (siehe dazu auch bereits meine Übersichts-Beiträge vom vergangenen September, einerseits zum Schwerpunkt Österreich, Deutschland, Schweiz, und andererseits gegliedert nach Themenschwerpunkten.

Das alles ist natürlich eine sehr spezielle Information für einen sehr beschränkten Kreis von besonders Interessierten, aber ich kenne derzeit keine andere Quelle, wo ich einen ähnlichen raschen (und verlinkten) Überblick über diese "qualifiziert" anhängigen Verfahren, in denen eine Verletzung des Art. 10 EMRK geltend gemacht wird, bekommen könnte. Also: die Liste ist hier zu finden; ein permanenter Link dazu ist nun auch in der seitlichen Link-Liste dieses Blogs.

2. Vortragsmanuskript: Zugang zu Informationen im Lichte der Rechtsprechung von EGMR und EuGH
Zwischendurch werde ich gelegentlich zu dem einen oder anderen Vortrag eingeladen, wobei ich die Zahl an Vorträgen eher gering zu halten versuche. Weil meine Zeit auch dafür sehr begrenzt ist, kann ich solche Referate nicht "druckreif" machen; meist gibt es dazu nur eher stichwortartige Unterlagen und kein mit Fußnoten ausgearbeitetes Manuskript. Zuletzt habe ich etwa beim "Maiforum" - einer Veranstaltung des Verbandes der Verwaltungsrichter - über den Zugang zu Informationen im Lichte der Rechtsprechung von EGMR und EuGH referiert. Weil darüber auch in der Presse berichtet wurde (hinter der Paywall), wurde ich nach einem Manuskript gefragt, sodass ich meine Stichworte noch etwas ausformuliert und dieses Manuskript dem Verband der Verwaltungsrichter zur Verfügung gestellt habe. Falls das wen interessiert: der Verband hat das Manuskript hier online zugänglich gemacht.

3. Vortragsmanuskript: Werden wir verstanden? Sprache und Verständlichkeit in der Rechtsprechung
Im vergangenen Oktober habe ich bei der Tiroler Justizwerkstätte, einer von Oliver Scheiber organisierten Veranstaltung mit Richterinnen und Richtern aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit, über Sprache und Verständlichkeit in der Rechtsprechung referiert. Mein Part war dabei der (selbst)kritische Blick aus richterlicher Sicht; eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema wurde von Prof. Florian Menz, Sprachwissenschaftler an der Universität Wien, geleistet. Zuvor hatte noch Peter Resetarits als einschlägig erfahrener Journalist seine Sichtweise dargelegt. Zu meinem Vortrag gibt es zwar keine "Druckfassung", aber ein hinlänglich geglättetes und insoweit wohl lesbares Manuskript. Interessierte können das Manuskript hier downloaden.

[Bei beiden Vorträgen wurden spezielle Zielgruppen angesprochen, nämlich Richterinnen und Richter (einmal überwiegend aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit, einmal überwiegend aus der ordentlichen Justiz), was man bei der Lektüre natürlich berücksichtigen sollte.]

Thursday, May 25, 2017

"Braune Ratten" im Umfeld des Ex-Vizekanzlers? EGMR entscheidet am 1.6.2017 im Fall Herbert Haupt gegen Österreich

Es ist eine lange Geschichte, die zunächst recht gewöhnlich begann: mit einer satirischen Sendung auf ATV und einem Politiker, der meinte, ihm sei in dieser Sendung ein Charaktermangel vorgeworfen worden - und deshalb auf Entschädigung und Urteilsveröffentlichung klagte.

Das war im Jahr 2003. Kommende Woche, am 1.6.2017, wird der EGMR in dieser Sache das (voraussichtlich) letzte Urteil sprechen (Vorschau-Pressemitteilung S.8). Das Verfahren ist nicht nur deshalb interessant, weil immerhin ein ehemaliger Vizekanzler der Republik Österreich Partei ist, sondern auch wegen des ungewöhnlichen Verfahrensganges, in dem die Sache nun schon zum zweiten Mal dem EGMR vorliegt. Vor dem Urteil also ein Blick zurück:

1. Das medienrechtliche Verfahren, erster Teil:
Im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17.5.2014 finden sich (unter anderem) folgende Feststellungen:
Am 19. September 2003 ist in der satirischen Sendung „Das Letzte der Woche" nach Einblendung eines Fotos des Antragstellers Mag. Herbert H***** ein Film, in dem ein großes und ein kleines Nilpferd durch die Gegend trotteten, veröffentlicht worden. Zu diesem Beitrag verlas die Sprecherin folgenden Text: „Vizekanzler Herbert H***** ist Pate eines Nilpferdbabys im Wiener Tiergarten Schönbrunn. Der FPÖ-Chef hat seinem Patenkind bereits einen Besuch abgestattet. Das größere Tier ist übrigens der Vizekanzler. Die beiden haben sich übrigens auf Anhieb gut verstanden. Es gibt viele Ähnlichkeiten: in beider Umfeld wimmelt es von braunen Ratten."
Da dem (nun: Ex-)Vizekanzler damit mangelnde Abgrenzung gegenüber in Österreich verpönten NS-nahen Positionen und Trägern dieser Ideologie vorgeworfen werde und der Wahrheitsbeweis nicht gelungen sei, wurde ATV dafür gemäß § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung von 2.000 Euro sowie gemäß § 8a Abs 6 MedienG zur Urteilsveröffentlichung verpflichtet. Das OLG Wien - in solchen Verfahren regulär die letzte Instanz - bestätigte das erstinstanzliche Urteil.

2. Die EGMR-Beschwerde von ATV:
ATV sah sich durch dieses Urteil im durch Art. 10 EMRK garantierten Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt und erhob am 26.6.2005 Beschwerde an den EGMR. Am 2.6.2008 teilte der EGMR die Beschwerde mit diesem Statement of Facts Österreich mit.

3. Das medienrechtliche Verfahren, zweiter Teil: außerordentliche Wiederaufnahme
In der Folge nahm der OGH das Strafverfahren gemäß § 362 StPO auf Antrag der Generalprokuratur wieder auf und hob die in dieser Sache ergangenen Strafurteile des OLG Wien und des Landesgerichts für Strafsachen Wien auf (OGH 24.6.2009, 15 Os 172/08w, 15 Os 173/08t). Der OGH hielt fest, dass diese Gerichte folgenden Aspekten nicht den gebotenen Stellenwert beigemessen hätten:
zum einen der damaligen - in der Sendung ausdrücklich genannten - Funktion des Antragstellers als FPÖ-Obmann; zum anderen der schon durch seine Stellung als Spitzenfunktionär dieser Partei indizierten, im satirischen Gewand transportierten politischen Kritik nicht nur - wie konstatiert - an seiner Person, sondern damit verbunden augenscheinlich auch an den in seiner Partei von einigen zum Teil hochrangigen Repräsentanten vertretenen, der NS-Ideologie entlehnten oder nahestehenden Positionen, die Gegenstand der öffentlichen Diskussion und medialen Berichterstattung auch vor und zur Zeit der Ausstrahlung des inkriminierten Beitrags waren [...]
Ausdrücklich verwies der OGH dabei auf die Urteile Nikowitz/Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich (im Blog dazu hier) und Vereinigung bildender Künstler gegen Österreich (im Blog dazu hier). Der OGH ordnete die Wiederaufnahme des erstinstanzlichen Verfahrens an, in dem schließlich mit Urteil vom 16.10.2009 der Entschädigungsantrag abgewiesen und der Ex-Vizekanzler zur Tragung der Kosten verpflichtet wurde. Ein Rechtsmittel des Ex-Vizekanzlers blieb erfolglos.

4. Die Streichung der ATV-Beschwerde aus dem Register des EGMR
Daraufhin beschloss der EGMR mit Entscheidung vom 29.1.2013, die ATV-Beschwerde aus dem Register zu streichen: ATV hatte die Neueröffnung des Verfahrens erreicht und darin auch obsiegt; dass noch ein Streit über weitere Kosten anhängig war, änderte daran nichts.

5. Die EGMR-Beschwerde des Ex-Vizekanzlers
Durch die außerordentliche Wiederaufnahme - und die daraufhin erfolgte Abweisung des Entschädigungsantrags - sah sich nun aber der Ex-Vizekanzler in Rechten verletzt, die durch die EMRK garantiert werden.

Zunächst natürlich in Art. 8 EMRK, weil die österreichischen Gerichte ihn nicht gegen die herabsetzenden Äußerungen und Angriffe auf seinen guten Ruf geschützt hätten. Insofern liegt dem EGMR die klassische Abwägungssituation zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung und dem Schutz des Privatlebens vor, die er nach den in seiner Rechtsprechung entwickelten Kriterien auflösen wird (im Wesentlichen geht es dabei um die Frage des Beitrags zu einer Debatte von allgemeinem Interesse; die Bekanntheit der Person, über die berichtet wird und den Gegenstand des Berichts; das frühere Verhalten der Person; Inhalt, Form und Folgewirkungen der Veröffentlichung; siehe dazu v.a. hier und hier). Als Beschwerdeführer würde ich mir hier nicht allzu große Hoffnungen machen, dass der EGMR die letztlich schon vom OGH unter Berufung auf EGMR-Rechtsprechung vorgenommene Abwägungsentscheidung wieder "aufmachen" wird.

Interessant im Hinblick auf die österreichische Lösung der außerordentlichen Wiederaufnahme ist ein weiteres Argument des Ex-Vizekanzlers: er stützt sich nämlich auch auf den Schutz des Eigentums nach Art 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, weil sein Entschädigungsanspruch nach der Wiederaufnahme abgewiesen wurde, obwohl er ja zuvor bereits "endgültig" (rechtskräftig) zugesprochen worden war (auch auf diese Frage ist der OGH in seinem Wiederaufnahme-Beschluss bereits eingegangen, auf EGMR-Rechtsprechung konnte er sich dabei aber noch nicht stützen).

6. Das Urteil des EGMR am 1.6.2017 [Update - richtig: die am 1.6.2017 verkündete Entscheidung des EGMR]
... [ich werde am 1.6. im Ausland sein und voraussichtlich erst später dazu etwas schreiben können]
Update 01/10.06.2017: Der EGMR hat die Beschwerde mit der am 1.6.2017 veröffentlichten, bereits am 2.5.2017 getroffenen Entscheidung einstimmig als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen (Entscheidung; Pressemitteilung).
_____ PS: Der EGMR wird am 1.6.2017 noch einen weiteren österreichischen Fall - allerdings ohne medienrechtlichen Bezug - entscheiden, Beschwerdeführer sind der Kärntner Ex-Landesrat J.M. (vom EGMR anonymisiert, aber nicht schwer zu identifizieren), sowie Hypo-Manager bzw -Aufsichtsräte Hans Jörg Megymorez, und Gert Xander (siehe ebenfalls in der Pressemitteilung, S. 8).