Tuesday, March 29, 2011

"Die Richterin wird nicht gerichtet werden": EGMR zur Kritik an Richtern und Art 10 EMRK

Kritik an Richtern hat den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) schon öfter beschäftigt - immerhin sieht Art 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vor, dass die Freiheit der Meinungsäußerung auch Einschränkungen unterworfen werden kann, wenn diese in einer demokratischen Gesellschaft zur Verfolgung bestimmter, in Art 10 Abs 2 EMRK genannter legitimer Ziele notwendig sind. Zu diesen legitimen Zielen zählen unter anderem der Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer und die Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.

Auch Richter müssen sich daher nicht jede Beleidigung gefallen lassen, wohl aber eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer Arbeit. Gregor Ribarov hat die Rechtsprechung des EGMR dazu in einem Beitrag in der Österreichischen Juristenzeitung (Ehrenbeleidigungen von Richtern, ÖJZ 2008, 174) so zusammengefasst: "Das Interesse der Öffentlichkeit an Informationen über das Funktionieren der Gerichtsbarkeit verdrängt wegen seiner Kontrollfunktion jenes auf Persönlichkeitsschutz, wenn die publizierten Vorwürfe Teil einer 'politischen Debatte' sind und auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhen." Wenn die dem Werturteil zugrundegelegten Fakten stimmen, kann man auch einen Untersuchungsrichter straflos als eine Art Kasperl (konkret: "Karagiozis") bezeichnen (EGMR 06.12.2007, Katrami gegen Griechenland; mehr dazu hier).

Ergänzen kann man vielleicht noch den Hinweis, dass die Mitteilung über (angebliches) richterliches Fehlverhalten an den Gerichtspräsidenten keine Bestrafung wegen übler Nachrede nach sich ziehen darf (EGMR 08.04.2010, Bezymannyy gegen Russland) und dass auch unhöfliche Kritik von Anwälten an Richtern, wenn es um die Verfahrensführung in einem konkreten Fall geht, hinzunehmen ist (EGMR 03.02.2011, Igor Kabanov gegen Russland). 

Heute hat der EGMR in zwei Fällen einstimmig Verletzungen des Art 10 EMRK festgestellt, weil von Konventionsstaaten zu scharf gegen Kritik an Richtern vorgegangen worden war.

Anwaltliche Kritik an eingestelltem Korruptionsverfahren
Im Fall Gouveia Gomes Fernandes und Freitas e Costa gegen Portugal (Appl. no. 1529/08) ging es um die Kritik von Anwälten an einer Richterin, gegen die wegen Korruption (ergebnislos) ermittelt worden war. Die Anwälte hatten in einem zusammenhängenden Zivilverfahren eine Partei vertreten; in dem (unter anderem) gegen die Richterin geführten Strafverfahren hatten sie, dem Gesetz gemäß, "mit der Polizei kooperiert" (was immer man sich darunter vorstellen mag); das Verfahren gegen die Richterin wurde eingestellt. Der Schwager der Richterin, Nachrichtenchef einer Fernsehkette, übte daraufhin in einem Zeitungskommentar heftige Kritik an den Anwälten - diese replizierten wiederum in einer anderen Zeitung, in der sie vor allem betonten, dass der mutmaßlich bestechende Anwalt verfolgt werde, die Richterin, die angeblich bestochen worden sein soll, aber nicht: "La juge ne sera pas jugée" ("über die Richterin wird nicht gerichtet werden"). Das alles sei aber nichts Neues in der "unerschütterlichen portugiesischen Justiz" ("rien de nouveau dans l’imperturbable Justice (à la) portugaise"). Die Anwälte wurden wegen dieses Artikels zu € 25.000 Schadenersatz verurteilt.

Der EGMR betont, dass dass die Freiheit der Meinungsäußerung auch für Anwälte gilt, die das Recht haben, sich öffentlich über das Funktionieren der Justiz zu äußern, auch wenn die Kritik bestimmte Grenzen nicht überschreiten darf; zu berücksichtigen ist auch die Würde des anwaltlichen Berufs. Auch Richter können die Gerichte bemühen, um ihren Ruf zu verteidigen, aber sie sollten dabei größte Zurückhaltung üben. Der Artikel der Anwälte befasste sich mit dem Funktionieren der Justiz und damit einer Frage des öffentlichen Interessees; auch wenn der Ton ätzend bzw sarkastisch gegenüber der Richterin war ("un ton acerbe, voire sarcastique"), sei die Grenze zur Beleidigung nicht überschritten worden. Nach einer Auseinandersetzung mit der konkreten Fallkonstellation hält der EGMR auch fest, dass es unwahrscheinlich sei, dass der Artikel das Funktionieren der Justiz bzw. ihre Autorität und Unparteilichkeit gefährdet haben könnte. Es sei zwar im konkreten Fal schwierig, zwischen Tatsachen und Werturteilen zu unterscheiden, aber es sei jedenfalls festzustellen, dass der Richterin kein gerichtlich strafbares Verhalten vorgeworfen worden sei, dass es sich nicht um eine unnötige persönliche Attacke gegen die Richterin gehandelt habe und dass die Äußerungen eine ausreichend nahe Beziehung zu den Tatsachen gehabt habe ("les expressions utilisées présentaient par ailleurs un lien suffisamment étroit avec les faits de l'espèce" [ich muss bei dieser Formulierung an den nunmehrigen ORF-Hörfunkdirektor Karl Amon denken, der einmal "tatsachennahe Berichterstattung" gefordert hat]). Da schließlich auch die Sanktion - € 25.000 Schadenersatz - beträchtlich war und Interessierte von einer Teilnahme an einer öffentlichen Diskussion über eine Angelegenheit des Gemeinschaftslebens teilzunehmen, war eine Verletzung des Art 10 EMRK festzustellen.

Journalistische Kritik an "abwegigem Urteil"
Auch im Fall Cornelia Popa gegen Rumänien (Appl. no. 17437/03) ging es um einen Zeitungsartikel, der Kritik an einer Richterin übte; betroffen war in diesem Fall aber eine professionelle Journalistin, die über einen Arbeitsgerichtsprozess berichtet hatte. Sie kritisierte die erstinstanzliche Richterin (von der sie auf Grund einer gerichtlichen Pressemitteilung wusste, dass gegen sie eine Disziplinarunterschung geführt wurde), veröffentlichte ein Foto von ihr, verwendete die Schlagzeile "La juge C.C. récidive dans des jugements stupéfiants" (etwa: "Richterin CC wird mit verblüffenden Urteilen rückfällig") und warf ihr ein abwegiges Urteil vor. Die Richterin brachte Verleumdungsanzeige ein und schloss sich als Privatbeteiligte an; die Journalistin wurde zu einer Geldstrafe von rund 200 Euro und Schadenersatz von rund 3200 Euro verurteilt.

Der EGMR hält fest, dass harte Kritik an der Richterin geübt und deren berufliche Kompetenz massiv in Zweifel gezogen wurde. Allerdings handelte es sich um eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse, nämlich das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz; auch wurde die Richterin nicht in ihrem Privatleben angegriffen. Auch im hier vorliegenden Fall sah der EGMR eine "Mélange" von Werturteilen und gewissen Tatsachenelementen. Der Journalistin wurde zugestanden, aufgrund der Pressemitteilung über das Disziplinarverfahren gegen die Richterin in gutem Glauben gehandelt zu haben, um die Öffentlichkeit von einer Angelegenheit des öffentlichen Interesses zu informieren. In dem gegen die Journalistin geführten Verfahren war ihr zudem der Wahrheitsbeweis nicht ermöglicht worden. Nach Ansicht des EGMR konnten die Äußerungen der Journalistin daher nicht als vorsätzliche Verleumdung angesehen werden, sondern vielmehr als journalistische Freiheit, die auch das Recht zu einer gewissen Übertreibung oder sogar Provokation umfasst.

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